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Sonntag, 7. August 2005

Aus dem Archiv: Casa Michele - Befreiender Salbei

Der Text erschien erstmalig in „Essen geht aus 2006“.

Ob es angemessen ist, mit einer tief in der Brust sitzenden Erkältung ein Restaurant zu testen, sei einmal dahingestellt. Um herauszubekommen, wie pfiffig die Bedienung ist, dafür ist es jedoch eine gute Voraussetzung. „Haben Sie etwas mit Salbei?“, frage ich eingedenk der schleimlösenden Wirkung des Würzkrautes die kleine italienische Kellnerin, die so aussieht, als sei sie von Patron Michele Forgione nur dazu engagiert, seinen männlichen Gästen den Kopf zu verdrehen. Doch dann bin ich perplex. Die italienische Schönheit weiß erstens nicht nur, was Salbei ist, sie weiß zweitens auch, wozu es am besten schmeckt und drittens, was in der kleinen Küche von Küchenchef Stefano Pentagsola vorgeht. „Ich kann Ihnen Kalbsleber mit Salbei zubereiten lassen“, antwortet sie prompt.

Mit Müh’ und Not hatten wir am Samstagabend noch einen Platz im kleinen Casa Michele bekommen, das etwas versteckt in einem kurzen Seitenarm der Bredeneyer Straße liegt. Lässigkeit und Eleganz gehen hier eine Einheit ein. Die kunstvoll verblassten Fresken an der Wand sehen aus, als stammten sie tatsächlich aus einer toskanischen Villa, und davor tummelte sich tout Bredeney mit Kind und Kegel, reiche Ruheständler ebenso wie junge schöne Berufsanfänger. Es gibt halt so’ne und solche Vorstädte in Essen.

Eine Karte gibt es nicht, nur eine Tafel an der Wand mit Gerichten, die anscheinend immer gleiche Zutaten neu variieren. Perlhuhn, Kalbsleber und Lammhüfte hatte Kollege Thielmann bereits im letzten „Essen geht aus“ zitiert – heuer sind die Zutaten und Beilagen ausgetauscht. Das ist durchaus positiv zu sehen, denn diese für die italienische Kochtradition typische Konfektionierung bringt eine Routine in die Küche, die dann als Qualität auf dem Teller landet.

Bestes Beispiel dafür war unser gemischter Vorspeisenteller (EUR 11), der kaum Überraschungen auf den Tisch brachte, dafür aber höchste Befriedigung auf die Zunge. Die pikant eingelegten Gemüse waren eine perfekte Einstimmung auf die Hauptgänge. Zum einem waren das dünn geschnittene, ganz kurz gebratene Rindfleischscheiben auf einem Bett von Rucola (EUR 16,50), gewürzt mit Parmesan. Auch hier zeigte sich die handwerkliche Perfektion der Küche, die das Fleisch so zurückhaltend behandelte, dass seine Qualitäten erhalten blieben. Meine Kalbsleber (EUR 14,50) – perfekt à point gebraten und mit Mangold als Beilage – war eine Variation der „Fegato alla veneziana“ von der Tafel und zerging auf der Zunge. In der Tat war sie mit reichlich Salbei versehen, was eine entsprechend befreiende Wirkung auf meine Atemwege hatte. Und das Schöne daran: Nicht die Schweizer hatten es erfunden, sondern es war ein italienisches Abendessen.
:-kopf

Casa Michele. Essen-Bredeney, Bredeneyer Str. 122. Tel 0201/411327. Täglich 16-23 Uhr.Kein Internet. (Daten Stand 20.6.2024)

Donnerstag, 7. Juli 2005

Aus dem Archiv: Trattoria Trüffel Da Diego - Klassische Einfalt

Der Text erschien erstmalig in „Essen geht aus 2006“. Das Restaurant steht mittlerweile unter neuer Leitung.

Der fröhliche Kellner strahlt übers ganze Gesicht. „Wir würzen nur mit Oregano“, weiht er uns verzückt in die Geheimnisse von Küchenchef und Patron Diego Palermo ein, „bei allen Gerichten nur ein bisschen Oregano.“ Dabei untermalt er diese apodiktische Behauptung mit jener bekannten Geste, als ließe er Feingemahlenes durch die Finger rieseln. Und dennoch: Die Tagliolini, die superschmalen hausgemachten Bandnudeln mit einem halben Hummer (EUR 14), überzeugen neben der eindeutigen Knoblauchnote mit einem Anis-artigen Aroma, das auf ein Ablöschen mit Pernod oder auf eine Zugabe von Fenchel schließen lässt – beides zum Hummer durchaus nicht falsch. Bei soviel Besserwisserei der Gäste gibt der kluge Kellner schließlich nach. „Ich frag mal in der Küche nach“, tut er kund und kommt schließlich mit Diegos Botschaft zurück, dass es Fenchelsamen sei, was unsere Gaumen so umschmeichelt. „Da ist ihm halt die Hand ausgerutscht“, räumt der Kellner gönnerhaft ein.

Zuvor hat er uns statt einer Speisekarte eine Tafel an den Tisch gebracht, auf der vielleicht fünfzehn verschiedene Gerichte verzeichnet sind, Antipasti, Nudelgerichte, Fleisch- und Fischgänge. Das spricht für die Qualität des Angebots, denn bei dieser Übersichtlichkeit kann alles frisch und hausgemacht sein. Und typisch italienisch, denn gerade die italienische Küche setzt viel mehr auf die Güte der Waren als auf eine komplizierte Zubereitung. So ist es kein Wunder, dass Diego Palermos elegante, in dunkelrotem Holz und mit allerlei Spiegeln ausgestattete Trattoria Trüffel schon seit Jahren zu den italienischen Spitzenrestaurants in Essen gehört.

Nachdem der Kellner unsere Bestellung aufgenommen hat, empfiehlt er uns eher schmeichelnde Weißweine, doch wir haben uns schon längst für einen kernigen Vernaccia di San Gimignano (EUR 19,50) von der umfangreichen Weinkarte entschieden. Um dessen „herben Abgang“ kennen zu lernen, bekommen wir ein Probegläschen vorab - und sind begeistert, denn er ergänzt die ausgewählten Speisen vorzüglich. Als Amuse gueulle wird uns eine traditionelle Bruschetta mit Tomatenwürfeln, einem Hauch Zwiebel, Oregano (!) und Olivenöl serviert. Der gemischte Vorspeisenteller (EUR 10) ist ein aromatisches Potpourri an Gemüsen und Meeresfrüchten, hätte in Anbetracht des Rufes des Lokals allerdings ein wenig phantasievoller sein können. Auch die Kalbsleber auf Rucolasalat (EUR 9,20), die andere Vorspeise, ist von klassischer Einfalt: der Salat dezent abgeschmeckt, die Leber außen kross, innen saftig und rosa. Der halbe Hummer, der die die bereits erwähnten Tagliolini krönt, gehört zu Diegos Spezialitäten und ist auf der alljährlichen Essener Gourmetmeile „Essen verwöhnt“ die Attraktion – hier wäre er jedoch besser mit Hummergabel serviert worden. Knackig, saftig und mit Biss kommen die drei großen Lotte-Schnitzel unseres zweiten Hauptgangs (EUR 19,50) daher. Zum Würzen des Fischs stehen der Salzstreuer und eine halbe Zitrone zwischen den frischen Beilagen bereit. Nicht zu süß dann die Desserts zum Abschluss: eine duftige Zabaglione und ein luftiges Tiramisu.

Was allerdings von dem angenehmen Abend übrig blieb, war der Nachhall der Tagliolini. Knoblauch und Fenchel hielten lange vor.
-kopf

Trattoria Trüffel. Essen-Rüttenscheid, Rüttenscheider Str. 114. Tel. 0201/721110. Tgl. 12-15 & 18-23 Uhr. https://www.trattoria-trueffel.de/  (Daten vom 20.6.2024)

Aus dem Archiv: La Cena - Eleganz mit Aroma

Das Restaurant ist geschlossen. Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2006".

Der erste Eindruck, den meine Nase hatte, als wir das im Souterrain liegende La Cena betraten, erinnerte mich an einen Szene-Spanier in Bochum. Die gesamten Aromen der Küche schlugen uns entgegen, besonders die vom Grill. Das wollte so gar nicht zu dem gediegenen Ambiente des kleinen Lokals passen, dessen orange-ockerfarbenen Wände und dezente Beleuchtung den ganzen Gastraum in ein warmes, mediterranes Dämmerlicht tauchten. Zudem ließen sich seltsame Geräusche vernehmen, die kaum von den eleganten Gästen des Hauses stammten, obwohl die Küchenleistungen von Patron Rui Biscaia da Costa durchaus zu Freudenschreien animieren könnten. Stattdessen kamen sie aus der benachbarten Martial-Arts-Schule, deren Besucher sich gegenseitig lautstark bei Judo und Jiu-Jitsu auf die Matte legten. Doch der menschlichen Natur ist die Fähigkeit zur Adaption eigen, und so konzentrierten sich unsere Sinne schon bald ganz auf das Wesentliche.

Selten habe ich in einem Ruhrgebietsrestaurant so ein elegantes Publikum gesehen. Die Damen top, aber unaufdringlich gestylt, die Herren im lässig-unkomplizierten Freizeitlook, spiegelten die Gäste genau das wieder, was Rui auf den Teller zauberte. Die im Grunde einfach zubereiteten Speisen erhielten durch eine phantasievolle Präsentation den letzten Pfiff.

Ich hatte mich nur allzu gern hinreißen lassen, den Tagesempfehlungen der Bedienung zu folgen, während meine Begleitung sich an die Vorgaben der großformatigen, aber übersichtlichen Karte mit teils klassischen, teils kreativen mediterranen Gerichten hielt. Enttäuscht wurden wir beide nicht. Das „Vitello Tonnato“ (EUR 9,70) sah aus wie ein monochromes Gemälde in hellem Ocker. Die feinen Kalbfleischscheiben verschwanden ganz in der Thunfischsauce, so wie es sich gehört. Doch dabei handelte es sich nicht um eine jener schweren Fischmayonnaisen, mit der man anderswo das Fleisch ertränkt, sondern um einen leichten, tomatisierten Dip, auf dem einige wenige verstreute Kapern für den farblichen Kontrast sorgten. Meine Vorspeise bestand aus einem kunstvoll gestapelten Türmchen aus kräftig gegrillten Kaisergranaten, das auf einem Fundament aus raffiniertem Kartoffelsalat mit Zucchini und roten Zwiebeln ruhte (EUR 14). Optischen und olfaktorischen Kontrast zu den roten Riesenscampi bildeten einige grüne Kleckse eines hocharomatischen Pestos.

Die darauf folgenden Hauptgänge waren ebenfalls ein Hochgenuss, bestens ergänzt durch die offenen Weine des Hauses (Sangiovese EUR 5, Sauvignon blanc EUR 3,50 pro Glas). Basis für des „Lammcarrée provençale“ (EUR 20,50) und den gemischten Fischteller (EUR 29) war eine Art Ratatouille, ein mit mediterranen Kräutern wohl gewürzter Gemüsemix, ergänzt durch herrliche gebratene Kartoffelwürfel und das obligatorische Pesto. Das Lammcarrée war himmlisch zart und innen rosa. Hatte man es in seine Koteletts zerteilt, konnte man das Fleisch vom Knochen lutschen als wär’s ein Eis am Stiel. Und selbstverständlich war auch der Fischteller seine Empfehlung wert. Kaisergranat, Jakobsmuschel, Lotte, Steinbutt und Lachs gaben sich in großen, scharf gegrillten Stücken ein Stelldichein, und jedes Stück schmeckte tatsächlich anders - auch wegen seiner individuellen Würzung. Dass „Panna Cotta auf Beerenfrüchten“ (EUR 8) und „Tiramisu“ (EUR 6) als Desserts einen würdevollen Abschluss von „la cena“, der Mahlzeit, bildeten, bedarf keiner Erwähnung. Das Tiramisu war so pikant, dass ich dachte, es wäre mit Chili gewürzt - was sowohl zu den Erdbeeren als auch zu dem Kakaopulver, womit es garniert war, gepasst hätte.
-kopf

Essen-Rüttenscheid, Haumannplatz 32

Mittwoch, 6. Juli 2005

Aus dem Archiv: Oase Due - Italienische Logik

Der Text erschien erstmalig in „Essen geht aus 2006“.

Mit trutzigem Blick steht Franco Cadamuro in der Tür seines Lokals und mustert das rege Treiben auf der Rüttenscheider Straße. Nur kurz heitert sich seine Miene auf, als er ein paar Passanten mit flüchtigen Küsschen bedenkt; vermutlich einige jener Stammgäste, die der Oase Due den einzigartigen Charakter eines Rüttenscheider Wohnzimmers verleihen. Bei soviel In-Group-Verhalten fassen wir uns mutig ein Herz und betreten das im letzten Jahr grundlegend renovierte, kleine Lokal. „Haben Sie reserviert?“ fragt Cadamuro schneidend, und als wir schuldbewusst verneinen, werden wir an den einzigen der am frühen Abend noch freien Tische geleitet, auf dem ein Schildchen „Reserviert“ steht - italienische Logik. Das Aquarium mit den lebenden Hummern, das mir von meinem Besuch vor zwei Jahren noch in Erinnerung war, ist verschwunden, stattdessen verbreiten dezente sommerliche Farbtöne eine moderne Atmosphäre und die gefilterte Luft der Klimaanlage einen erfrischenden Kontrast zur Feinstaubschwüle draußen auf der Straße.

Als Cadamuro uns die Karte vorlegt, die solche Meisterwerke der „Cucina italiana tradizionale“ seines Partners und Küchenchefs Tiziano Girardi wie hausgemachte „Tagliatelle alla modenese“ (mit San-Daniele-Schinken und altem Balsamessig) oder „Longobarda“ (dünne Scheiben von argentinischen Rinderfiletmedallions auf Rucola-Salat, verfeinert mit Trüffelöl, Balsamessig und Parmesankäse) enthält, bekommt sein spröder Charme eine weitere Variante. Mit selbstironischer Langeweile spult er die lange Liste der Tagesgerichte ab, die die eigentliche Krönung des Angebots sind. Mit offenem Mund können wir nur einige Reizwörter registrieren und haken bei „Kalbsrücken“ und „Schwertfisch“ ein. Zufrieden mit unserer Wahl empfiehlt er uns Weißwein dazu, und es sprudeln ihm wiederum die Namen von zahlreichen Rebsorten aus dem Mund, von denen ich „Rampolla Gialla“ nicht kenne. Den will ich haben, und der trockene autochthone Wein aus dem Friaul (EUR 3,90 das Glas) erweist sich als ausgezeichneter Begleiter zu Fisch und Fleisch.

Unsere gemischte Antipastiplatte (EUR 11,90) zu loben, hieße Katzen nach Rom zu tragen. Der fast österreichisch anmutende Kalbsrücken mit Pfifferlingen (EUR 18,90) und der sizilianisch wirkende Schwertfisch mit sommerlichen Gemüsen (EUR 20,50) waren wie eine kulinarische Reise von der Stulpe bis zur Spitze des italienischen Stiefels. Fleisch und Fisch waren kernig im Biss und schmolzen dennoch auf der Zunge. Da konnte man nur das knappe Lob von Andrea Camilleris feinschmeckendem Commissario Montalbano zitieren, mit dem er Kochkunst und Charakter seiner Mitmenschen würdigt: Tiziano Girardi weiß, was er in der Küche tut.
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Oase Due. 45131 Essen-Rüttenscheid. Rüttenscheider Straße 189. Tel 0201/790640. Mi--Sa 12-14.30 und 17.30-23.30 Uhr. So, Mo, Di Ruhetag. www.oase-due.de (Daten Stand (20.6.2024)