Mittwoch, 25. Januar 2023

Essen-Werden: Trüffel-Menü bei Enzo im „Da Giulia“ auf dem Campingplatz

Enzo Errico und sein Sohn Gianluca

Selten war mir nostalgischer zumute als bei meinem ersten Besuch bei Enzo Errico in seinem Restaurant „Da Giulia“ im Sommer vor zwei Jahren. Das Haus befindet sich auf einem Campingplatz an der Ruhr in Essen-Werden, wir saßen bei wunderbar blauem Himmel auf der Terrasse und uns wurde quasi als Zugabe zu Enzos feiner Küche das bunte Treiben an der Einfahrt des Campingplatzes serviert. In meiner Fantasie verschmolzen die Erinnerungen an einen Familienurlaub an der Adria in den 1960-er Jahren mit Einstellungen aus Fellini- und Don-Camillo-Filmen zu einem einzigen Bilderbuch, und das Essen schmeckte noch einmal so italienisch (klick hier). 





Italienische Bürgerlichkeit gefiltert durch Gelsenkirchener Barock

Eigentlich wollte ich irgendwann bei sommerlichen Temperaturen noch einmal kommen, doch es sollte der kalte Januar dieses Jahres werden, bis es endlich soweit war. Kollege Michael Alisch, der für Enzo etwas Öffentlichkeitsarbeit macht, hatte mich zu einem Arbeitsessen ins „Da Giulia“ eingeladen. Es dämmerte schon sehr, als ich eintraf, auf der kalten, verwaisten Terrasse waren die Plastikstühle aufgestapelt und der Eingangsbereich des Campingplatzes wirkte etwas improvisiert, weil die sanitären Anlagen über den Winter renoviert wurden. Doch als ich durch die zugige Eingangstür in den dämmrig-gelblich ausgeleuchteten Gastraum trat, musste ich wieder an einen lange zurück liegenden Italienurlaub denken. Mir fiel ein Besuch in der Villa Sant‘ Agata ein, dem Wohnhaus von Giuseppe Verdi in der Emilia-Romagna. Davon habe ich allerdings keine Fotos, sondern nur verblasste Erinnerungen. Denn damals in den vordigitalen Zeiten brauchte man noch Filme, um Bilder zu speichern, und die waren in jenem Urlaub längst anderweitig verknipst.

Doch als die Tische und Stühle, Dekostücke und Bilder durch meine beschlagene Brille immer erkennbarer wurden, bemerkte ich, dass es hier nicht um die pompöse italienische Bürgerlichkeit des 19. Jahrhundert ging, sondern genauso gut um den Gelsenkirchener Barock. So hatten auch die Einrichtungen im Ruhrgebiet ausgesehen, Anfang der 1950-er Jahre, kurz bevor die Moderne des Wirtschaftswunders Einzug in die Wohnzimmer gehalten hatte – die ideale Kulisse für Enzos Version von feiner italienischer Küche.



Die Arbeit unseres Arbeitsessens bestand in erster Linie darin, die sechs Gänge von Enzos Trüffel-Menü zu verspeisen. Wenn auch der edle Pilz in der Gourmet-Küche einen Ruf wie Donnerhall hat, bei Enzo wurde das mit jener nonchalanten Unprätentiösität konterkariert, mit der er sich schon früher in seinen Restaurants in Mülheim ein Stammpublikum erkocht hatte. Mit leichter Hand kombinierte er feinste Zutaten mit Aromen von Trüffelcrème und Trüffelmayo, etwa hauchdünn geschnittenen rohen Thunfisch mit Pancetta (eigentlich war Lardo angedacht, doch die feine weiße Speckspezialität war nicht zu bekommen) oder Rotgarnelen und Bunte Beete. Dabei konnte es sein, dass sich bestimmte Geschmacksperlen auf dem Teller unter etwas banaleren Zutaten versteckten, etwa die im Tempurateig gebratenen Jacobsmuscheln unter den Rucolablättern im Trüffel-Risotto. Wenn frisch gehobelte Trüffel zum Einsatz kamen (von denen ich mir durchaus mehr gewünscht hätte, aber wünschen kann man ja viel), waren es schwarze aus dem Perigord oder weiße aus Alba.


Den Gipfel bildete dann der Hauptgang, auch in der Kombination von edlen Zutaten und einfachster Präsentation. Zu auf den Punkt gebratenen Tournedos aus Kalbsfilet gab es eine Scheibe Foie gras, weißen Alba-Trüffel und zarte Tagliatelle. Ich glaube schon, dass auch Verdi davon begeistert gewesen wäre. Doch es war sein Komponisten-Kollege Rossini, für den einst ein Pariser Koch diese Zutaten zu einem Burger-artigen Türmchen aufstapelte und damit der Feinschmeckerwelt den Klassiker „Tournedo Rossini“ schenkte.

Trüffel-Menü
„Da Giulia“, 20.1.2023



Tatar vom Rinderfilet mit Mini-Bruschetta, getrüffelt, Salatbouquet mit Trüffelmayo



Kaltes Paillard vom Thunfisch mit Paprikacreme,
Pancetta und Trüffelkaviar

Überraschende Kombination von Thunfisch und Speck. Ursprünglich war anstelle des Pancetta der feinere Lardo vorgesehen.



Carpaccio von der Rotgarnele (Wildfang), Bunte-Beete Salatvariation mit gehobeltem Perigord Trüffel
Die Kombination von Rotgarnele mit der Bunten Beete war eine spontane Entscheidung. Deren Erdigkeit passte gut zum Trüffel.


Trüffelrisotto mit gebratenen Jacobsmuscheln in Tempurateig
Die hübschen Jacobsmuscheln hätten etwas imposanter präsentiert werden können.

Tournedos vom Kalbsfilet mit Foie Gras,
weißem Alba-Trüffel und Tagliatelle
Understatement pur. Die edlen Zutaten und Aromen kamen wie ein Gericht der cucina povera daher.



Weißer Cremoso al Cioccolato auf salzigem Schokokrokantboden
mit Früchten und geriebenen Trüffeln


Nicht unbedingt teure, aber gut ausgewählte Weine bildeten die Getränkebegleitung.


Da Giulia. 45239 Essen. Löwental 67. 0201 17171064. Di-So 17-22 Uhr. www.trattoriadagiulia.de

Der Genießer bedankt sich für die Einladung.


Donnerstag, 19. Januar 2023

Nachgekocht: Linsen-Pilz-Kartoffel-Pfanne aus dem Ofen (vegetarisch)


Was für eine schöne Entdeckung! Da schob ich im Vorratsschrank die Päckchen mit Couscous und Bulgur beiseite und stieß auf eine Packung feinster Alb-Leisa, die sich dort versteckt hatte. Immerhin ist diese seltene regionale Linsen-Spezialität von der Schwäbischen Alb von Slow Food in die „Arche des Geschmacks“ für erhaltenswerte Lebensmittel aufgenommen worden (klick hier).

Was ich damit machen wollte, war mir schnell klar. Ich hatte auf Instagram das Foto eines „Vegan Hotpot with Lentils and Mushrooms“ aus dem englischen Kochblog „Lazy Cat Kitchen“ gesehen, und das mit knusprig gebackenen Kartoffelchips belegte Linsengericht hatte mich sofort überzeugt (klick hier). Zwar wurden da Grüne Linsen verarbeitet, aber letztendlich kann man jede Linsensorte dafür verwenden, nur nicht die geschälten roten bzw. gelben, denn die würden bei der langen Garzeit ziemlich vermatschen. Und ich hatte ja mit meinen Alb-Leisa sogar eine ziemliche Rarität.

Auch das Rezept ist eigentlich nicht zwingend, denn man kann als Basis jegliche Art von Linseneintopf nehmen, den man allerdings nicht ganz so flüssig wie eine Suppe zubereiten sollte. Ich hielt mich aber ziemlich an die Vorlage, die immerhin vegan daher kam. (Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht, denn der von mir verkochte Weißwein war bestimmt nicht vegan hergestellt.) Das Rezept verzichtete natürlich auf Speck, sondern holte sich die Umami-Note für die Seele durch das Abschmecken mit geräuchertem Paprikapulver (ich hatte nur edelsüßes), Soja- und Worcestersauce. Ich kam nicht umhin, auch noch ein paar Tropfen Trüffelöl dran zu tun (als Ergänzung zu den Pilzen), und natürlich meine Lieblingszutat für Linsen, Orangenschale.

Zutaten rund um die Linse: Karotte, Schalotten, Sellerie, Knoblauch, Kartoffeln, Pilze und Thymian

Der Clou aber waren die knusprigen Kartoffelchips, die alles krönten. Die entstanden, weil alles in zwei Stufen im Ofen gebacken wurde. Erst abgedeckt bei 180 Grad, und dann noch einmal ohne Deckel bei 220 Grad. Das dauerte zusammen 40 Minuten, so dass die Linsen wunderbar durchzogen und die Kartoffeln herrlich aufknusperten. Dafür eignete sich die vorwiegend festkochende Sorte Laura ganz ausgezeichnet.


Heraus kam ein herzerwärmendes, vollwertiges Hauptgericht mit Soulfood-Status, zu dem ein Gläschen von dem verkochten Mosel-Riesling wunderbar schmeckte. Aber ich könnte es mir auch wunderbar als Beilage zu Kurzgebratenem oder Gegrilltem vorstellen.


Rezept: Linsen-Pilz-Kartoffel-Pfanne aus dem Ofen
4 Portionen

150 g Linsen
4-5 Kartoffeln, festkochend oder vorwiegend festkoched
1 große Karotte
1 Stück Sellerieknolle
250 g Champignons
125 g Shiitake Pilze
Rapsöl
2 Schalotten
2 Knoblauchzehen
Thymian
Zironensaft
200 ml Pilzfond
1 EL Soyasauce
200 ml Pilzfond
1 TL Worcester Sauce
3 TL Balsamessig
120 ml Weißwein
abgeriebene Schale einer Orange
Trüffelöl
1 TL Paprika süß
Pfeffer, Salz
Kartoffelstärke

Linsen waschen, mit Wasser bedecken und in (je nach Sorte) 20 Minuten bissfest kochen.
Kartoffeln schälen, in 3 Millimeter dicke Scheiben hobeln und 4 Minuten in Salzwasser blanchieren. Abgießen und kalt abschrecken.
Pilze in Stücke schneiden. Karotte und Sellerie nicht zu fein würfeln. Schalotten würfeln, Knoblauch in Scheiben schneiden.
In einer Pfanne Rapsöl erhitzen, Schalotten darin glasig braten. Knoblauch und Thymianblätter dazu geben und kurz mitbraten. Pilze dazugeben, mit Zitronensaft bespritzen und bei geschlossener Pfanne sautieren, bis sie braun werden. Ab und zu umrühren.
Jetzt die Karotten und Selleriewürfel und die gekochte Linsen dazu geben. Mit Pilzfond aufgießen, abgeriebene Orangenschale dazugeben und kurz durchköcheln lassen. Mit Balsamessig, Soja- und Worcestersauce, Weißwein, Pfeffer, Salz und edelsüßem Paprika und ein paar Tropfen Trüffelöl abschmecken. Mit wenig angerührter Kartoffelstärke etwas binden und vom Herd nehmen. Noch einmal salzen.
Wenn die Pfanne nicht ofenfest ist, eine Auflaufform mit Rapsöl ausstreichen und die Linsen einfüllen. Glattstreichen und leicht überlappend mit den Kartoffelscheiben belegen. Mit Alufolie oder einem Deckel abdecken und 20 Minuten bei 180 Grad im Ofen backen.
Die Pfanne herausnehmen und den Ofen auf 220 Grad hochschalten. Abdeckung entfernen und die Kartoffeln mit Rapsöl einpinseln. Mit grobem Salz und einer Prise Thymian bestreuen.
Ohne Abdeckung wieder in den Ofen stellen und bei 220 Grad ca 30 Minuten fertig backen, bis die Kartoffeln goldbraun und knusprig sind.

Montag, 16. Januar 2023

Grünkohl, Gin und Wermutkraut: Kale Martini




Letztes Jahr um diese Zeit hatte mich das Rezept für eine Wirsing-Kartoffel-Suppe mit Doppelwacholder von Björn Freitag so begeistert, dass ich sie glatt nachkochte (klick hier). Als ich sie für den diesjährigen Silvesterabend noch einmal machte, kam ich auf die Idee, sie in Martini-Gläsern zu servieren, denn diesmal verwendete ich zur Feier des Jahreswechsels keinen Doppelwacholder, sondern einen edlen Gin, von dem ich noch ein Probefläschchen hatte. Und je länger ich darüber nachdachte, entstand die Idee, einen Gemüse-Cocktail daraus zu kreieren. Schließlich ist Gin mit aromatischem Wermut gerührt oder geschüttelt Bestandteil des Cocktail-Klassikers Martini, und beides war im Rezept vorhanden. Die bittere Kräuteraromatik kam bei Björn Freitag nur nicht vom Wermut, sondern vom Estragon.

Variante mit Wirsing

So sehr ich Wirsing auch mag, für den Cocktail wollte ich jetzt jedoch Grünkohl verwenden, der unter seiner coolen englischen Bezeichnung kale längst von der urbanen Hipster-Küche weltweit als Superfood entdeckt worden ist. Den ersten Gedanken, einfach einen Martini zu mixen und damit einen Grünkohl-Smoothie aufzugießen, verwarf ich allerdings schnell. Schließlich wollte ich ja keine Alkohol-, sondern ein Aromabombe haben. Also beschloss ich, den Alkohol zu verkochen und auch den Grünkohl nicht roh, sondern blanchiert zu verwenden. Zusätzlich wollte ich die Bitternote stilecht durch Wermutkraut und natürlich Wacholderbeeren erzeugen.

Getrocknetes Wermutkraut

Wermutkraut gibt nicht nur dem bekannten Likörwein den Namen, sondern wird getrocknet auch als Tee mit heilender Wirkung bei Darmbeschwerden verwendet. Es ist mit dem Beifuß verwandt, jenem Kraut, das allzu fette Gänsebraten bekömmlicher macht. Frische Kräuter gibt es jetzt im Winter nicht, deswegen besorgte ich mir ein Tütchen Tee im Reformhaus. Aber Achtung: Wermutkraut ist ziemlich bitter, sollte also sehr sparsam verwendet werden. Meinem Cocktail gab es eine toughe Note, die zusammen mit der Orangenschalen und Zitronensaft bei Zimmertemperatur sehr animierend wirkte. (Die Reste probierte ich später aufgewärmt als Suppe, doch schmeckte das eher gewöhnungsbedürftig gesund.)

Zutaten

Ob dem Martini-Liebhaber James Bond mein Kale Martini schmecken würde oder ob er seinem Vodka Martini treu bleiben würde, weiß ich nicht – als appetitanregende Aperitif vor einem Menü ist er aber eine witzige Angelegenheit.


Rezept: Kale Martini

4 Gläser

200 g Grünkohl
600 ml Gemüsebrühe
1 Möhre
1 Stück Sellerie
1 Zwiebel
1 Knoblauchzehe
2 Lorbeerblätter
6 Wacholderbeeren
1 Prise Wermutkraut
Rapsöl
dünne abgeschnittene Streifen Schale und Saft einer Orange
1 Schuss Gin
1 Schuss Wermut
Muskatnuss, Pfeffer, Salz, Zitronensaft, Zucker

Zur Deko:
Oliven, Salzzitronen, gegarte Grünkohlblätter

Grünkohl waschen und von den dicken Rippen zupfen. In Gemüsebrühe 10 bis 12 Minuten blanchieren, bis der Köhl schön weich ist. Abgießen und die Brühe auffangen. Grünkohl pürieren, dabei ein paar Blätter für die Deko zurückbehalten.
Möhre schälen, Sellerie putzen. Zwiebel und Knoblauch schälen. Alles in feine Würfel schneiden. Rapsöl erhitzen und die Gemüse darin anschwitzen. Wacholderbeeren plattdrücken und mit den Lorbeerblättern dazu geben und mitschwitzen lassen. Mit Gin und Wermut ablöschen. Alles verdampfen lassen. (Je nachdem, wieviel Alkohol man verdampfen lässt, bekommt das Endergebnis mehr oder weniger ätherische Noten. Man kann die Alkoholika auch ganz weglassen.) Grünkohlbrühe, Orangenschale und – Saft und eine Prise Wermutkraut dazu geben. Alles aufkochen lassen und dann 10-15 Minuten köcheln lassen. Vom Feuer nehmen und abkühlen lassen. Durch ein feines Sieb abseihen.
Diese Brühe mit dem pürierten Grünkohl schön grün färben. Mit Muskatnuss, Pfeffer, Salz, Zitronensaft und Zucker abschmecken.
In Martinigläser füllen und mit Olive, Grünkohlblatt und Salzzitrone garnieren und bei Zimmertemperatur garnieren.

Rezept für ein Herrengedeck mit Grünkohl klick hier.

Mittwoch, 11. Januar 2023

Aus dem Archiv: Die wilden Rinder an Ruhr und Lippe

Der Artikel erschien erstmalig in der
Zeitschrift "Ruhrgebeef No. 2" Frühjahr 2017



Umweltschützer kritisieren den Fleischkonsum in erster Linie deshalb, weil bei der Produktion dieses wertvollen Lebensmittels zu viele Ressourcen verbraucht werden. Wie man nachhaltigen Landschaftsschutz und die Erzeugung von exklusivem Rindfleisch sinnvoll miteinander verbinden kann, zeigen die halbwilden Rinder in den Auen von Ruhr und Lippe.

Von Peter Krauskopf



Als ich vor Jahren das erste Mal auf den idyllischen Feldwegen der Ruhrschleife von Hattingen-Winz-Baak spazieren war (klick hier), musste ich an einer Stelle herzhaft lachen. Zwei Schilder sahen aus, als wollte sich hier jemand mit typisch westfälischem Humor über dieses paradiesische Fleckchen Ruhrgebiet lustig machen. Auf einer verwitterten Holztafel stand handgeschrieben „Tal der Gesetzlosen“, und ein paar Schritte weiter warnte eine von einem professionellen Schildermacher hergestellte Blechtafel den einsamen Wanderer, vom Wege abzukommen: „Vorsicht – Freilaufende Auerochsen“.

Die erste Tafel, die vor drei Jahren dem legendären Pfingststurm Ela zum Opfer fiel, stammte noch aus den 1980er Jahren, als die Winz-Baaker den Ausbau der A44 stoppten. Ausgerechnet an der Ruhrhalbinsel sollte die sog. „DüBoDo“ den Fluss mit einer Brücke überqueren und so dieses wunderbare Landwirtschafts- und Naherholungsgebiet zerstören. Der Protest hatte Erfolg. Bis heute gibt es die Autobahn nicht.



Die Auerochsen hingegen gibt es wirklich. Doch wenn man sie sehen will, sollte man sich besser auf das gegenüber liegende Südufer der Ruhr zu Füßen der Isenburg begeben. Radfahrer auf dem dortigen Ruhrtalradweg staunen nicht wenig, wenn sie ihren Blick über den Fluss schweifen lassen und sich plötzlich wie in einem afrikanischen Nationalpark fühlen. Majestätisch schreitet da eine Herde imposanter Rinder von 45 Mutterkühen, ihren Kälbern und zwei Stieren zur Tränke zwischen den Buhnen. Es sind die Auerochsen des seit 1232 hier ansässigen Schultenhofes. Manchmal, aber nur im Sommer, macht Bauer Alfred Schulte-Stade für interessierte Gruppen richtig gehende Safaris zu den quasi wild lebenden Tieren (klick hier).

D.h., echte Auerochsen sind es nicht, denn dieses Wildrind, von dem alle Hausrindrassen abstammen, ist ausgestorben. Das letzte nachgewiesene Exemplar wurde 1627 erlegt. Doch in den 1920er Jahren machten sich die Brüder Heck daran, den Auerochsen zu rekonstruieren, indem sie aus den gängigen Hausrindern alle „zahmen“ Eigenschaften wieder zurück züchteten. So entstand eine Rasse, die landläufig wieder Auerochse genannt wird. Sie ist groß und robust, hat lange Hörner, kann verschiedene Farben haben und lässt sich kaum im Stall halten. (In der Nazi-Zeit erlebten sie eine besondere Wertschätzung, was nicht verschwiegen werden sollte. Doch das ist eine andere Geschichte. Anm. d. Verf.)


Auerochsen an der Ruhr

1993 legte sich Viehzüchter Alfred Schulte-Stade die Auerochsen zu. „Und zwar als Landschaftspfleger“, erklärt der mitteilsame, massige Zwei-Meter-Mann Anfang der Sechziger. Mit seinem Schultenhof, den der gelernte Koch in einen Biobetrieb und ein großes Catering-Unternehmen weiter entwickelt hat, konnte er wieder die Ruhrauen in Hattingen-Winz-Baak bewirtschaften, die lange Zeit der Wassergewinnung dienten, 120 Hektar weitgehend naturnahe Flussaue. „Und eine Beweidung durch Auerochsen war das beste Mittel gegen den Bärenklau.“ Die monströse Pflanze war in den 1970-er Jahren aus Innerasien eingeschleppt worden und hatte im Ruhrtal die besten Bedingungen vorgefunden. Sie vermehrte sich rasant und droht heute die einheimische Flora zu verdrängen. „Ihre Blüten sind stark selenhaltig, und die Auerochsen benötigen dieses Element zur Stärkung ihres Herzens“, weiß Schulte-Stade. So weiden sie die Pflanzen ab, aber so, dass der Bärenklau nicht wieder nachwachsen kann. Heute findet man auf Schulte-Stades Auerochsenweiden so gut wie keinen Bärenklau mehr.

Neben der Landschaftspflege liefern die Auerochsen aber auch erstklassiges Fleisch, das nachhaltiger kaum produziert werden kann. Die Herde lebt quasi wild das ganze Jahr auf der Weide, bekommt keinerlei Antibiotika und erledigt aufgrund der „Leichtkalbigkeit“ ihre Fortpflanzung völlig autonom. „Die Tiere brauchen keinen Tierarzt“, betont Schulte-Stade.

Auch werden sie durch die Schlachtung nicht in unnötige Aufregung versetzt, sondern sie werden geschossen. So wird ein Adrenalinausstoß vermieden, und das Fleisch bleibt zart. Überhaupt ähnelt es mehr dem Wildfleisch. Es hat einen kernig-würzigen Geschmack, und in Gegensatz zu dem gängigen Edelrindfleisch, dessen Qualität in der Fettmarmorierung liegt, ist es ziemlich fettfrei. Für die Weiterverarbeitung hat Alfred Schulte-Stade ein eigenes Schlachthaus eingerichtet.

Allerdings ist das Auerochsenfleisch nur äußerst begrenzt verfügbar, da nur der Überschuss an Tieren, den die Weiden nicht ernähren können, vermarktet wird. So wird das Fleisch nur über den Hofladen vor Ort und den kleinen Verkaufsladen in der Hattinger City verkauft. Die Kunden werden über die Verfügbarkeit durch einen Newsletter informiert, den man auf der Internetseite des Schultenhofs abonnieren kann.

Wie Bauer Schulte-Stade im Süden des Ruhrgebiets, setzt am Nordrand des Reviers die Vogelsang Stiftung ebenfalls auf Landschaftspflege durch Beweidung und ist so ganz nebenbei zu einem Züchter von edelstem Rindfleisch geworden. „Unsere eigentliche Aufgabe ist die Pflege von Flächen, die uns aufgrund der Landschafts-, Forst- oder artenschutzrechtlichen Eingriffsregelung als Ausgleichs- bzw. Ersatzflächen von der Industrie übertragen werden“, erklärt die Landschaftsarchitektin Britta Biermann, die sich um den Viehbestand auf den insgesamt 160 Hektar Stiftungsfläche im Ruhrgebiet kümmert, den satzungsmäßigen Auftrag.

So idyllisch der Stiftungssitz, ein exklusiv renovierter Gutshof in der Lippeaue bei Datteln, auch ist, zeigt seine Lage deutlich das Spannungsfeld, in dem die Stiftung arbeitet. Während südlich der Wesel-Datteln-Kanal als Wasserstraße der Industrie die Landschaft wie mit dem Lineal gezogen durchschneidet, mäandert nördlich die naturnah erhaltene Lippe gemächlich durch die Wiesen. Und um diese und auch andere Ausgleichflächen zu erhalten, setzt die Vogelsang Stiftung wie Bauer Schulte-Stade an der Ruhr Rinder ein.

Allerdings setzt man dabei weniger auf Auerochsen, von denen denen nur etwa fünf den Bewuchs einer renaturierten Halde in Dortmund in Schach halten. In der Lippeaue sind es Rinder der Rasse Aubrac. Die aschblonden Tiere stammen aus dem französischen Zentralmassiv, sind eine Kreuzung des vom Aussterben bedrohten Maraichine-Rindes von der Loire und dem Braunvieh aus den Alpen. Wie die Auerochsen sind die Tiere genügsam und widerstandsfähig.

„Wie bei Bauer Schulte-Stade, mit dem wir uns beraten haben, leben unsere Tiere ebenfalls ganzjährig unter nahezu wilden Bedingungen“, erklärt Britta Biermann. Sie ernähren sich ausschließlich von dem, was die Landschaft für sie bereithält: Gräser, Kräuter, Blätter, Eicheln. Nur im Winter erfolgt bei Bedarf eine Zufütterung mit eigenem Heu.


Aubrac-Rinder an der Lippe. Foto: Urbeef

Der unter diesen paradiesischen Bedingungen entstehende Überschuss an Rindern, der den landschaftspflegenden Charakter der Haltung nicht mehr gewährleisten würde, wird einmal im Jahr durch die Dattelner Metzgerei Hauwe geschlachtet. „Auch wir streben an, die Rinder durch Kugelschuss zu erlegen“, erklärt Britta Biermann, „doch da sind noch einige rechtliche Grundlagen zu klären.“

Dass bei so einer extensiven, frei von kommerziellen Zwängen stattfindenden Aufzucht der Rinder ein einzigartiges Fleisch entsteht, liegt auf der Hand. Um es zur vermarkten, wurde die Marke „Urbeef“ gegründet, die auch seit 2017 Fördermitglied von Slow Food ist. Aber wie die Auerochsen vom Schultenhof, ist das Urbeef der Vogelsang Stiftung sehr rar. Um zu erfahren, ob es verfügbar ist, muss man sich auch im Internet anmelden. Sofern vorhanden, wird es in der Vorweihnachtszeit in 10-Kilogramm-Paketen abgegeben. „Fürs nächste Jahr planen wir auch für den Sommer ein Grill-Paket“, verrät Britta Biermann.

Kontakt
www.der-schultenhof.de
www.urbeef.de

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Donnerstag, 5. Januar 2023

Aus dem Archiv: Lohnbrand in der Märkischen Spezialitätenbrennerei - Die Harten aus dem Garten

Der Artikel erschien erstmalig in der
Zeitschrift "Ruhrgebeef" Ausgabe 8 Frühjahr/Sommer 2019.


Wer Obstbäume im Garten hat, kennt das Problem. Wohin mit der Ernte? Klaus Wurm von der Märkischen Spezialitätenbrennerei hat die Lösung. Er brennt für seine Kunden daraus ihren privaten Obstbrand. Mehr Region geht nicht.
Von Peter Krauskopf


Die Luft in der engen Schlucht in Hagen-Dahl, etwas abseits des Autobahnzubringers, hat etwas balkanisch Balsamisches. Leicht alkoholisch und süßlich, vielleicht etwas rauchig in der Nase – und in den Ohren meint man sogar das Wiehern und Hufgetrappel von Pferden zu hören. Früher war hier die Dorfschmiede, doch wer jetzt die schwere Schiebetür des alten Gebäudes mit kräftigem Ruck aufreißt, steht gleich inmitten der Märkischen Spezialitätenbrennerei. Da, wo früher die Schmiedeesse war, steht nun ein „Zwei-Personen-Grill“ mit einem Rost von ein Meter zwanzig im Quadrat. „Gerade Platz genug für zwei Männersteaks“, meint Brennerei-Chef Klaus Wurm, und ein breites Grinsen zieht sich über sein graubärtiges Gesicht. „Hinten ist dann noch der Grill für die Vorspeisen mit zwei Ein-Meter-fünfzig-Spießen.“

Doch die Grills sind nur die Requisiten für die kulinarischen Events, die hier stattfinden. Herzstück des Betriebs ist die blinkende kupferne Destillationsanlage, mit der Klaus Wurm seit 2010 seine edlen Destillate produziert. Klaus Wurm ist Hagen-Dahler Urgestein, sein Großvater betrieb ein paar Meter weiter bis in 1950-er Jahr eine Stellmacherei, in der er Kutschen baute. Noch heute werden die Whiskys der Märkischen Spezialitätenbrennerei in Kutschen in die Dechenhöhle zum Reifen gebracht.


Doch den Enkel trieb es erst einmal in die weite Welt. So kam der gelernte Verwaltungsfachmann und LKW-Baumaschinen-Verkäufer bis in die Pfalz und den Schwarzwald, wo er seine Leidenschaft für Obstbrände entdeckte. Zusammen mit seinen Freunden sammelte er das Obst im Garten und ließ es zu Schnaps brennen. „So nahm das Unheil seinen Lauf“, erzählt er selbstironisch. „Während meine Kumpels immer noch ehrbare Handwerker, Kaufleute, Buchhalter oder sonstwas sind, habe ich mich mit meiner Drogenküche hier in Dahl selbstständig gemacht.“

Natürlich geht es da um Whisky, der in den letzten 30 Jahren in seinen lokalen Ausprägungen jenseits von Schottland immer populärer wurde. „Der deutsche Whisky ist im Markt zweifellos angekommen“ stellt Klaus Wurm fest. Und neuerdings ist auch der Gin explodiert, während der gute alte westfälische Korn – bis bei wenigen Ausnahmen - immer noch an seinem Opa-Image leidet.

Doch Klaus Wurms Herz hängt am Obstbrand. Doch der, so sagt er, sei fern davon, vom Umsatz her eine Hauptsäule zu sein. „Obstbrand ist eine Nische in der Nische.“

Eine Nische allerdings, in der die Idee des Regionalen am besten realisiert werden kann. Beim Whisky wird in der Märkischen Spezialitätenbrennerei zwar auf Malz aus Deutschland zurückgegriffen, doch „hier in der direkten Umgebung wächst keine vernünftige Braugerste oder brautauglicher Dinkel“, erklärt Klaus Wurm. Um Malz von eigens angebautem Getreide herstellen zu lassen, sind die Mengen, die seine Brennerei verarbeiten kann, zudem nicht groß genug. Man müsse eine Einkaufsgemeinschaft mit anderen Brennereien und Brauereien bilden, überlegt Klaus Wurm, doch das sei kompliziert. So ist das wirklich Regionale im Hagener Whisky das Wasser, das aus der Privatquelle der in der direkten Dahler Nachbarschaft gelegenen Brauerei Vormann stammt.

Beim Obst für die Brände, Geiste und Liköre der Märkischen Spezialitätenbrennerei ist das anders. „Wir kaufen Äpfel, Zwetschgen, Beeren oder Mirabellen soweit es geht regional“ sagt Klaus Wurm. „Doch in NRW bekomme ich z.B. die Menge an Williams-Christ-Birnen in der Qualität, die ich brauche, nicht am Haufen. Also kaufe ich die in der Gegend um Meran in Südtirol. Und der Ingwer für den Ingwergeist wächst hier nicht. Den kaufe ich in China oder Thailand.“


Region pur findet sich hingegen in den Privatbränden, die Klaus Wurm im Rahmen der Lohnbrennerei für seinen Kunden herstellt. Kennen gelernt hat er das Pfalz. „Da haben mich meine Kumpels angesprochen, magst du mit Äpfel sammeln gehen“, erzählt. Das Streuobst wurde dann eingemaischt und in eine Brennerei gebracht, wo es dann gebrannt wurde. „Man hat das Recht für 50 l reinen Alkohol für den Eigenbedarf. Diesen Alkohol darf man allerdings nicht verkaufen.“

So kam er auf die Idee, so einen Service auch in Hagen-Dahl anzubieten. Und der Zulauf ist überraschend groß. Auf die Frage, wieviel privates Obst er als Dienstleister verarbeitet, deutet Klaus Wurm nur auf die unzähligen Plastikfässer und –container, die auf dem Brennereihof und in der Destillerie stehen. „Das kommt alles von Privatleuten, Bauern und Organisationen wie Naturschutzzentren, die auf Streuobstwiesen Äpfel und Birnen geerntet haben“, erklärt er. „Aus den Sammlungen von Äpfeln, Birnen und Quitten eines Rotarierclubs machen wir z.B. einen Clubbrand, der als Geschenk dient oder für einen guten Zweck verkauft wird.“ Oder die Maische stammt von einem Privatmann, der sagt, ich habe 500 Kilo Obst im Garten und aus dem letzten Jahren noch unzählige Gläser Apfelkompott da stehen und eingefrorenen Apfelkuchen Tiefkühltruhe. Oder es gibt Obstbauern, die große Mengen an Obst haben, das sie im Hofladen nicht alles verkaufen können.

Mindestmenge für einen Brand sind 350 Kilo. Das ergibt 300 Liter Maische, und damit wird die Brennblase einmal voll. Es macht kaufmännisch keinen Sinn, mit 200 oder 220 Kilo Obst zu kommen. „Man kann das Obst anliefern und die Brennerei maischt es ein, oder der Kunde kann sich das Equipment ausleihen und selbst einmaischen“, sagt Klaus Wurm. „Wir können auch Bio-Produkte herstellen. Wenn der anliefernde Betrieb biozertifiziert ist, können wir die Maische verarbeiten, wenn wir bestimmte Auflagen einhalten, obwohl wir selbst nicht bio sind.“

Nicht alles Obst kann man brennen. Beeren und Quitten müssen vergeistet werden: „Über das Obst wird 96-prozentiger Ethanol gegossen“, erklärt Klaus Wurm das Verfahren. „Durch die Mazeration werden dann die Aromen und Wirkstoffe ausgelaugt, und das dann abgeseiht und gebrannt.“ Für so einen Geist reichen 60 Kilogramm Früchte.

„Beim Brennen holen wir die Aromen eins zu eins aus den Früchten“, erklärt Klaus Wurm. „Bei dem privat anlgelieferten Obst allerdings auch mit allen Fehlern.“ Das Aroma im Destilllat verändert sich im Verhältnis zum Saft aber stark. „Doch die Destillate schmecken so unterschiedlich wie die Äpfel unterschiedlich schmecken“, weiß Klaus Wurm. Ein Boskop- und Delicious -Destillat kann man deutlich unterscheiden. Genauso spielt es eine Rolle, ob der Apfel aus dem Sauerland, der Soester Börde oder dem Mittleren Ruhrgebiet kommt. „Man hat da messbare Unterschiede in Reife und Süße, und so hat man dann auch entsprechende Unterschiede im Ertrag.“


Obstbrände sind natürlich ein hervorragender Begleiter zum Wild. Frucht und Fleisch ergänzen da wunderbar miteinander. „Im Schwarzwald habe ich eine besondere Spezialität kennen gelernt“, schmunzelt er. „Da haben wir Schweineschulter in Obstmaische während der Destillation mitgegart.“

Leider kann er keine Maische direkt verkaufen, damit man das zu Hause ausprobieren kann. Aber er hat da eine Idee. „Vielleicht lasse ich von einem befreundeten Metzger Wildschwein in Maische zu einem Sauerbraten einlegen, den man dann eingeschweißt kaufen kann.“

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