Selten war mir nostalgischer zumute als bei meinem ersten Besuch bei Enzo Errico in seinem Restaurant „Da Giulia“ im Sommer vor zwei Jahren. Das Haus befindet sich auf einem Campingplatz an der Ruhr in Essen-Werden, wir saßen bei wunderbar blauem Himmel auf der Terrasse und uns wurde quasi als Zugabe zu Enzos feiner Küche das bunte Treiben an der Einfahrt des Campingplatzes serviert. In meiner Fantasie verschmolzen die Erinnerungen an einen Familienurlaub an der Adria in den 1960-er Jahren mit Einstellungen aus Fellini- und Don-Camillo-Filmen zu einem einzigen Bilderbuch, und das Essen schmeckte noch einmal so italienisch (klick hier).
Italienische Bürgerlichkeit gefiltert durch Gelsenkirchener Barock
Eigentlich wollte ich irgendwann bei sommerlichen Temperaturen noch einmal kommen, doch es sollte der kalte Januar dieses Jahres werden, bis es endlich soweit war. Kollege Michael Alisch, der für Enzo etwas Öffentlichkeitsarbeit macht, hatte mich zu einem Arbeitsessen ins „Da Giulia“ eingeladen. Es dämmerte schon sehr, als ich eintraf, auf der kalten, verwaisten Terrasse waren die Plastikstühle aufgestapelt und der Eingangsbereich des Campingplatzes wirkte etwas improvisiert, weil die sanitären Anlagen über den Winter renoviert wurden. Doch als ich durch die zugige Eingangstür in den dämmrig-gelblich ausgeleuchteten Gastraum trat, musste ich wieder an einen lange zurück liegenden Italienurlaub denken. Mir fiel ein Besuch in der Villa Sant‘ Agata ein, dem Wohnhaus von Giuseppe Verdi in der Emilia-Romagna. Davon habe ich allerdings keine Fotos, sondern nur verblasste Erinnerungen. Denn damals in den vordigitalen Zeiten brauchte man noch Filme, um Bilder zu speichern, und die waren in jenem Urlaub längst anderweitig verknipst.
Doch als die Tische und Stühle, Dekostücke und Bilder durch meine beschlagene Brille immer erkennbarer wurden, bemerkte ich, dass es hier nicht um die pompöse italienische Bürgerlichkeit des 19. Jahrhundert ging, sondern genauso gut um den Gelsenkirchener Barock. So hatten auch die Einrichtungen im Ruhrgebiet ausgesehen, Anfang der 1950-er Jahre, kurz bevor die Moderne des Wirtschaftswunders Einzug in die Wohnzimmer gehalten hatte – die ideale Kulisse für Enzos Version von feiner italienischer Küche.
Die Arbeit unseres Arbeitsessens bestand in erster Linie darin, die sechs Gänge von Enzos Trüffel-Menü zu verspeisen. Wenn auch der edle Pilz in der Gourmet-Küche einen Ruf wie Donnerhall hat, bei Enzo wurde das mit jener nonchalanten Unprätentiösität konterkariert, mit der er sich schon früher in seinen Restaurants in Mülheim ein Stammpublikum erkocht hatte. Mit leichter Hand kombinierte er feinste Zutaten mit Aromen von Trüffelcrème und Trüffelmayo, etwa hauchdünn geschnittenen rohen Thunfisch mit Pancetta (eigentlich war Lardo angedacht, doch die feine weiße Speckspezialität war nicht zu bekommen) oder Rotgarnelen und Bunte Beete. Dabei konnte es sein, dass sich bestimmte Geschmacksperlen auf dem Teller unter etwas banaleren Zutaten versteckten, etwa die im Tempurateig gebratenen Jacobsmuscheln unter den Rucolablättern im Trüffel-Risotto. Wenn frisch gehobelte Trüffel zum Einsatz kamen (von denen ich mir durchaus mehr gewünscht hätte, aber wünschen kann man ja viel), waren es schwarze aus dem Perigord oder weiße aus Alba.
Den Gipfel bildete dann der Hauptgang, auch in der Kombination von edlen Zutaten und einfachster Präsentation. Zu auf den Punkt gebratenen Tournedos aus Kalbsfilet gab es eine Scheibe Foie gras, weißen Alba-Trüffel und zarte Tagliatelle. Ich glaube schon, dass auch Verdi davon begeistert gewesen wäre. Doch es war sein Komponisten-Kollege Rossini, für den einst ein Pariser Koch diese Zutaten zu einem Burger-artigen Türmchen aufstapelte und damit der Feinschmeckerwelt den Klassiker „Tournedo Rossini“ schenkte.
Trüffel-Menü
„Da Giulia“, 20.1.2023
Tatar vom Rinderfilet mit Mini-Bruschetta, getrüffelt, Salatbouquet mit Trüffelmayo
Pancetta und Trüffelkaviar
Carpaccio von der Rotgarnele (Wildfang), Bunte-Beete Salatvariation mit gehobeltem Perigord Trüffel
Die Kombination von Rotgarnele mit der Bunten Beete war eine spontane Entscheidung. Deren Erdigkeit passte gut zum Trüffel.
Trüffelrisotto mit gebratenen Jacobsmuscheln in Tempurateig
Die hübschen Jacobsmuscheln hätten etwas imposanter präsentiert werden können.
Tournedos vom Kalbsfilet mit Foie Gras,
weißem Alba-Trüffel und Tagliatelle
Understatement pur. Die edlen Zutaten und Aromen kamen wie ein Gericht der cucina povera daher.
mit Früchten und geriebenen Trüffeln
Nicht unbedingt teure, aber gut ausgewählte Weine bildeten die Getränkebegleitung.
Da Giulia. 45239 Essen. Löwental 67. 0201 17171064. Di-So 17-22 Uhr. www.trattoriadagiulia.de
Der Genießer bedankt sich für die Einladung.