Als wir Anfang der 1990-er Jahre begannen, den MARABO-Restaurantführer „Ausgehen im Ruhrgebiet“ herauszugeben, hatte der Essener Stadtteil Rüttenscheid und ganz besonders die Rüttenscheider Straße den Ruf, ein Hotspot für die besten italienischen Restaurants im Ruhrgebiet zu sein. Hier machte ich meine ersten journalistischen Erfahrungen in Sachen Kulinarik und Gastronomie, und auch später besuchte ich die Rü für das Nachfolge-Magazin „Essen geht aus“ immer wieder gern. Auch heute noch kann man dort, trotz des immer größer werdenden Einflusses der Systemgastronomie, noch viel vom alten Flair spüren. Manche Restaurants wie etwa das von La-Grappa-Patron Rino Frattesi gegründete und dann von Franco Gianetti und Andrea Vitale geführte Edel-Bistro „Elysées“ (mein Bericht von 1996 klick hier) gibt es schon lang nicht mehr, andere wie etwa die „Trattoria Trüffel“ (Bericht von 2005 klick hier) oder „Pasta e Gamberoni“ (Bericht von 2015 klick hier) stehen längst unter neuer Leitung. Seit über 30 Jahren immer noch am Start sind Franco Cadamuro und Tiziano Girardi mit ihrer „Oase Due“ (Bericht von 2005 klick hier und 2010 klick hier) – Hut ab! Auch da, wo die Rüttenscheider Straße längst Bredeneyer Straße heißt, findet man bis heute gute Adressen, etwa den traditionsreichen Familienbetrieb „Casa Michele“ (Bericht von 2005 klick hier) oder die chice „Gastronomia Officina“ von Franco Gianetti (Bericht von 2010 klick hier).
Unwillkürlich musste ich an diese alten Geschichten denken, als ich neulich vom Presse-Kollegen Michael Alisch die Einladung zu einem kleinen Menü im neueröffneten „Casa de Disfrutar“ bekam, das auf der Rü südlich der Brücke über die A52 liegt, nicht weit von der „Fischerei“ (klick hier und hier) und fast schon in Bredeney. Früher war hier ein Grieche. Die Betreiber Babak Jawaheri und Rui Biscaia da Costa gehören in gewisser Weise ebenfalls zu den Heroen der Rüttenscheider Gastronomie, genauso wie die oben genannten „Italiener“.
Den seit 30 Jahren an den verschiedensten Stellen und Städten tätigen Babak Jawaheri, eigentlich ein gebürtiger Iraner, verbindet man seit seiner Zeit im „Emilio“ im Essener Südviertel mit italienischer und seit dem Rüttenscheider „Pelayo“ mit spanischer Küche. Kennen gelernt habe ich ihn, als er 2016 das ebenfalls spanische Restaurant „La Mesa“ in Bochum-Stahlhausen eröffnete (klick hier und hier). Rui Biscaia da Costa, ein gebürtiger Portugiese, galt schon immer als Experte für mediterrane Küche. Sein Kellerrestaurant „La Cena“ am Haumannplatz war nicht nur in Rüttenscheid ein Geheimtipp. Die Fischplatte, die ich dort vor Jahren probieren konnte (Bericht von 2005 klick hier und von 2009 klick hier) ist heute in meiner Erinnerung immer noch das Referenzmodell für Gerichte dieser Art.
Nachdem Babak das „La Mesa“ an einen neuen Betreiber übergeben hatte (klick hier) machte er einen Art Sabbatical-Jahr. Rui zog es nach dem „La Cena“ in die Gastronomie nach Brüssel. Die Eröffnung des „Casa de Disfrutar“ ist also für beide eine Art Comeback in Rüttenscheid. Dabei muss ich an die „Expendables“-Filme denken, für die der unverwüstliche Sylvester Stallone ein ganzes Ensemble aus in Ehren ergrauten Action-Stars aus den 1990-er Jahren um sich versammelt hatte. Auch der auf die 60 zugehende Babak als Geschäftsführer und der immerhin 73-jährige Rui als Küchenchef lassen noch einmal ganz schön die Muskeln spielen. Der Name ihres Restaurants „Casa de Disfrutar“, übersetzt „Haus des Genießens“, weckt schließlich Assoziationen an das Spitzenhaus „Disfrutar“ in Barcelona, das immerhin mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist.
Aber keine Angst, das was Rui auftischte, war keine überkandidelte Drei-Sterne-Küche, sondern bestes mediterranes Fine Dining, ganz in der Tradition der Rüttenscheider Nobel-Italiener, wie ich es aus meinen Besuchen in der Vergangenheit kannte. Bei den Fischgerichten kam auch wieder die Erinnerung an die Fischplatte von einst zum Vorschein. Die Bouillabaisse duftete intensiv nach Safran, und der herrlich frische Wolfsbarsch war perfekt gegart.
Ein mediterranes Menü vom Altmeister
11.6.2023, Casa de Disfrutar
Vorweg: Mascarpone und Brot
Spargelrisotto
Beim Risotto scheiden sich bekanntlich die Geister. Wieviel Biss der Reis haben muss und wie flüssig das komplette Gericht sein sollte, ist schon fast eine philosophische Frage. Unstrittig bei Ruis Gericht war nur die wunderbare Spargel-Aromatik, die alle Einwände vergessen machte.
Gegrillte Jakobsmuscheln auf Dicken Bohnen
Dicke Bohnen, in Italien fave und in Frankreich fèves genannt, sind ein feines Sommer-Gemüse. In der Gastronomie sind sie unbeliebt, denn sie machen viel Arbeit. Von einem Riesenberg Schoten blieben nur eine Handvoll Kerne übrig, und elegant werden sie erst, wenn man sie auch noch von der ledrigen Haut befreit. Hier wurde sich die Mühe gemacht, und heraus kam eine seltene Delikatesse, perfekt in der Kombination mit der Jakobsmuschel.
Bouillabaisse
Die Aromenvielfalt Südfrankreichs spiegelte sich in dieser Fischsuppe, die eine elegantere Suppentasse verdient hätte. Dazu gab es die traditionellen Beilagen Rouille und Brot.
Fisch und Gemüsebeilage waren in Top-Form serviert und bildeten eine perfekte Kombination.
Pannacotta mit Früchten
Ein Klassiker zum Dessert
Die Weinbegleitung
Casa de Disfrutar. Rüttenscheider Str. 286, 45131 Essen. Tel. 0201 38438938. Di-Sa 17-22 Uhr. So, Mo geschlossen.
Der Genießer bedankt sich für die Einladung.
Dank an Michael Alisch für die Organisation.