Samstag, 16. September 2023

Neu in der Bochumer Nachbarschaft: Kleene Tocke

Biotop für sich: Das Tor zum Ehrenfeld

Drei Jahre hat es gedauert, bis die Baustelle auf der Hattinger Straße im Bochumer Ehrenfeld in diesem Sommer endlich fertig war. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nicht nur, dass man am Schauspielhaus endlich wieder die Stadt problemlos in Richtung Hattingen verlassen kann. Auch die Kanalisation wurde auf den neusten Stand der Technik gebracht, mit dem den immer häufiger auftretenden erwartenden Klimawandel-Erscheinungen Starkregen und Hitzesommer getrotzt werden kann. Durch ein wegweisendes System wird das Regenwasser nicht einfach in die Kanalisation abgeleitet, sondern in unterirdischen Rigolen und oberirdischen Mulden gesammelt, so dass es bei ansteigenden Temperaturen für Verdunstungskühle und für die noch zu pflanzenden Straßenbäume als Bewässerung genutzt werden kann. Damit wird das Ehrenfeld zu einem der ersten Schwammstadt-Biotope Bochums.


Dolce Vita auf schmalem Bürgersteig

Ein gastronomisches Biotop, das durch die neu angelegten Radwege und die Fußgängerquerung über die breite Hattinger Straße noch besser erschlossen wird, ist der Kiez rund um den Hans-Ehrenberg-Platz schon lange. Im Restaurantführer „Bochum geht aus 2024“ berichte ich in einer großen Reportage darüber. Eine der ältesten Locations am Platze und sozusagen das Tor zum Ehrenfeld ist das Haus Hattinger Straße 10, in dem sich 35 Jahre lang die Pizzeria „Rimini“ der Familie Tribuzio befand. In den 1980-er Jahren konditionierten wir uns hier hungertechnisch für überlange Schauspielhausabende oder zogen uns nach den diskussionsintensiven Redaktionssitzungen des Stadtmagazins MARABO zum geselligen Pizza-Essen zurück; später allerdings muss ich gestehen, habe ich das Ristorante aus den Augen verloren. Dass vor zwei Jahren nach dem Ende von „Rimini“ hier unter dem Label „Paco’s Tacos“ mexikanische Ketten-Kost angeboten wurde, ging dann völlig an mir vorbei - was sicherlich auch daran lag, dass die allgegenwärtigen Baustellenabsperrungen den Weg dorthin versperrten und die Corona-Lockdowns einem den Besuch von Gaststätten jeglicher Couleur sowieso vergällten.

Hell und luftig


Treffpunkt unter'm goldenen Fahrrad


Und jetzt das: „Kleene Tocke“ statt „Paco’s Tacos“. Unter diesem Namen hat sich in den letzten drei Wochen in kürzester Zeit der altmodische 60-er-Jahre Kubus mit den plakativen Grafittis zu einer wahren Blüte der Nachbarschaftsgastronomie entfaltet. Bei schönem Sommerwetter drängen sich schon tagsüber die Gäste an den Außentischen auf dem auch nach der Neugestaltung des Straßenraums immer noch viel zu schmalen Bürgersteig und verwandeln die Hattinger Straße in eine Art Via Veneto voller dolce vita. Hier trifft sich alles von den Fridays-for-Future-Kids bis hin zur forever jungen Generation Pedelec. Die zur Seite klappbaren Panorama-Scheiben lassen Luft und Licht ins Lokal, und der modische grüne Grasteppich an der Wand, auf dem demonstrativ ein vergoldetes Fahrrad hängt, wirkt wie ein Spiegelbild des wuchernden Pflanzenwuchses in den Wassermulden in der Mitte der Straße.

Hayri Nargili und Bilal Balyemec

Gemütlichkeit in der Kleenen Tocke

Geschichts-...
 
... und herkunftsbewusst

Hayri Nargili und Bilal Balyemec scheinen ein Händchen dafür zu haben, ruhrgebietstypische Nachbarschaftlichkeit in ein modernes Gastrokonzept zu verwandeln. Die beiden Philosophiestudenten haben schon im Wohngebiet auf der gegenüberliegenden Seite der Hattinger Straße mit dem Kiosk „Zum Philosophen“ einen ganz besonderen Treffpunkt realisiert, indem sie die ruhrgebietstypische Büdchen-Nostalgie mit der modernen Intellektualität des Hochschulstandortes Bochum und der türkischen Gartenhäuschen-Kultur verbanden. Auch der Plan, das legendäre „Biercafé“ auf dem Shakespeare-Platz an der Königsallee neu zu beleben, wird weiter verfolgt. Der Name „Kleene Tocke“ hört sich zwar ein wenig Berlinerisch an, ist aber eine alte mundartliche Bezeichnung für den Stadtteil Ehrenfeld. Auf diese Idee brachte sie der Lokalhistoriker Dirk Ernesti, der auch die Fotos aus dem alten Ehrenfeld für eine Galerie beisteuerte, die eine Glaswand des Lokals ziert. Diese historischen Reminiszenzen ergänzen sich wie selbstverständlich mit den türkischen Versatzstücken, die ebenfalls für Atmosphäre sorgen. Schöner lässt sich die von den Einwanderungskulturen geprägte Geschichte des Ruhrgebiets nicht auf den Punkt bringen.

Gerichte von der Schwiegermutter

Man isst mit goldenem Besteck

Und dazu gehört natürlich auch die Küche, die in der „Kleenen Tocke“ angeboten wird. Die ist natürlich wie bei Muttern – und stammt hier von Hayris Schwiegermutter. Die z.T. klassischen türkischen Gerichte der Karte werden von ihr vorbereitet: Tava Börek z.B., knusprig gebratener Blätterig mit Spinat-Füllung oder Kisir Salt mit Bulgur und Granatapfelkernen. Nachmittags gibt’s zu verschiedenen Kaffee-Spezialitäten hausgemachte Kuchen, z.B. Schoko oder Cheesecake, mit einer Auswahl ebenfalls hausgemachter Toppings. Eine umfangreiche Getränkekarte mit selbstgemachten Eistees, Limonaden und Cocktails und eine schön ausgewählte Weinkarte runden das Angebot ab.

Hausgemachter Eistee

Zwei nachmittägliche Besuche überzeugten den Genießer davon, auch in Zukunft in der „Kleenen Tocke“ einzukehren. Die beiden Gerichte, die ihm zu dieser nicht ganz typischen Zeit serviert wurden, waren einfach lecker: schön gewürzt, sättigend, farbenfroh angerichtet. Einmal gab’s dazu eine Apfelschorle, das andere Mal ein hausgemachter Holunder-Limetten-Eistee. Das Dessert war dann fast experimentell: einen Kuchen mit Olivenöl habe ich, so glaube ich, vorher noch nie gegessen.


Nachmittägliche Mittagessen
Kleene Tocke, 12. Und 13.9.2023




Oma’s Dolma
Geschmorte Paprika mit einer würzigen Tomaten-Reis-Füllung,
serviert mit einem Joghurt-Knoblauch-Dip 10,90 Euro



Kleener Salat
Bunter Beilagensalat mit Rucola, Feldsalat, Babyspinat, Cherrytomaten, frischen Kräutern und einem hausgemachtem Dressing 5,90 Euro



Icli Köfte
Bulgur-Klöße, gefüllt mit würzigem Hackfleisch und Walnüssen, serviert mit einem frischen Joghurt-Knoblauch Dip 11,90 Euro



Olivenöl-Pistazien-Zitronenkuchen mit Pistaziensauce 4,80 Euro

Cappuccino 3,40 Euro

Kleene Tocke Café und Bar. Hattinger Str. 10, 44789 Bochum. Tel. 0234/45267670. Di, Mi, Do 14-23 Uhr. Fr, Sa. 16-24 Uhr. So 14-22 Uhr. Mo Ruhetag. Im Internet nur auf Instagram.
 
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1 Kommentar:

  1. Heute erstmal dort gewesen alles super lecker und Bedienung sehr nett kann man nur weiter empfehlen 🤗

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