Der Artikel erschien erstmals in "Essen geht aus 2022"
Neapel ist überall
Spätestens, seit die Neapolitanische Pizza von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde, hat sich der belegte Brotfladen neben dem Homemade Burger auch in deutschen Metropolen als hochwertiges Super Street Food etabliert. Die neuen Pizza-Läden „Nola“ im Südviertel und „60 seconds to Napoli“ in Rüttenscheid bringen den Trend endlich auch in den Essener Mezzogiorno.
Von Peter Krauskopf
„Leoparding“ heißt das Zauberwort, mit dem der rein optische Eindruck von Hochwertigkeit einer Pizza bezeichnet wird. Was der Banause als „angebrannt“ abtun würde, ist schließlich der Beweis dafür, dass der Teig aus einer perfekten Mischung aus bestem Weizenmehl und einer präzisen Menge Hefe besteht, die richtig durchgeknetet und genügend lange, d.h. durchaus mehr als einen Tag und länger, „gegangen“ ist - und dann bei einer Temperatur von über 400 Grad extrem kurz gebacken wird, so dass er noch im Ofen Blasen wirft, deren hauchdünne Oberflächen eben verbrannt-dunkle Flecken auf den Pizzarand zaubern. Der Rest des Teigs bleibt dabei ungemein locker, saftig und elastisch und ist so die ideale Unterlage für die hochwertigsten Beläge.
Brotfladen, die mitsamt den Auflagen gebacken werden, gehören seit jeher zur kulinarischen Tradition in den Straßen im östlichen Mittelmeerraum. Pide heißt Brot im Türkischen, pita im Griechischen, und die Italiener haben daraus Pizza gemacht. Besonders in Neapel, neben Palermo die orientalischste Metropole Süditaliens, kultivierte man diese Art des levantinischen Street Food. Und nicht das Teigbacken allein sorgte für eine unvergleichliche Delikatesse. Auf den Lavaböden rund um den neapolitanischen Hausvulkan Vesuv wuchsen einzigartige Tomaten, und die Wasserbüffel in der kampanischen Ebene lieferten die Milch für einen samtigen Mozzarella – obwohl die Sorte fior di latte, die qualitätsbewusste Pizzabäcker gern benutzen, von Kühen aus Agerola hoch über Amalfi stammt. Als dann angeblich ein begnadeter Piazzaiolo im Jahr 1889 der italienischen Königin die nach ihr benannte Pizza Margherita widmete, bei der die Auflagen Basilikum, Mozzarella und Tomaten die italienischen Nationalfarben grün, weiß und rot symbolisieren sollten, trat die Pizza ihren Siegeszug um die Welt an.
Dass dabei die originalen Qualitäten auf der Strecke blieben, liegt auf der Hand. Die Amerikaner pumpten den Teig zu einer zentimeterdicken Muscle-Version auf und belegten ihn mit seltsamen Dingen wie etwa Ananas. Imbissbuden an jeder Straßenecke sorgten für Masse statt Klasse, und die Tiefkühlpizza tat dann ihr Übriges. Zwar wurde sie in Italien erfunden, doch zum Weltmeister wurde damit ein Backpulver-Fabrikant aus Bielefeld. So war es kein Wunder, dass die UNESCO 2017 die original Neapolitanische Pizza zum immateriellen Weltkulturerbe erklärte, über das zwei Verbände mit Argusaugen wachen.
Anders als in anderen deutschen Metropolen dauerte es eine Weile, bis man im Ruhrgebiet die Neapolitanische Pizza entdeckte. Zwar engagierte sich der Bochumer Gastro-Großhändler Niggemann schon früh bei der Organisation des Wettbewerbs um die Pizza Trophy, doch die jungen Start-Up-Gastronomen des Ruhrgebiets widmeten sich erst einmal der Rettung des Burgers aus den Umarmungen der Fast Food-Ketten. Es sollte ausgerechnet Dortmund sein, wo in den letzten Jahren mehrere Pizzaläden für Furore sorgten. Einer davon war der mit dem programmatischen Namen „60 seconds to Napoli“, den Adrian Kuras und seine Freundin Bianca Sue Voigt 2019 gründeten. Der Erfolg war so überwältigend, dass man vor kurzem nicht nur in ein größeres Ladenlokal ziehen musste, sondern auch Filialen erst in Leipzig und seit Mai auch in Essen-Rüttenscheid eröffnete. Und das ist nicht alles. Die beiden fühlen sich so stark, dass in den nächsten Monaten bis zu 25 weitere Filialen in ganz Deutschland folgen sollen.
Das übergroß dimensionierte Haus RÜ 199 beherbergte seit seiner Fertigstellung immer wieder Gastronomien, die aus dem Essener Stadtteil nicht erwachsen waren. Die kölsche Kneipe Eigelstein hatte einigen Erfolg, doch ihre Nachfolger DAS SCHÖN, ein ambitioniertes Restaurantkonzept des Bochumer Bermudadreieck-Granden Christian Bickelbacher, und Roque’s Deli, ein luxuriöser Hähnchen-Grill der Dortmunder Vapiano-Macher Christian Roque und Sabine Koegel, konnten sich bei der Rüttenscheider Community nicht durchsetzen. Es tut fast etwas weh, wenn man sieht, dass Adrian Kuras die sündhaft teuren (und schönen) Interieurs des Vorgängers radikal entfernen ließ und die geräumige Location in einem reduzierten Industrial-Look ausstatten ließ. Doch sieht man auf die bei schönstem Wetter vollbesetzte Straßenterrasse, auf der sich anscheinend ganz Rüttenscheid die großartigen Pizzen schmecken lässt, kommt man zu dem Schluss, das Konzept stimmt. Pandemie hin oder her: „Es ist Dienstag, und wir haben den Umsatz eines Samstags“, konstatiert Adrian stolz.
Das Angebot von „60 seconds to Napoli“ auf der Rü entspricht exakt dem des Stammhauses in Dortmund. Aus Neapel stammende und dort ausgebildete Pizzabäcker arbeiten an zwei Gasöfen vom neapolitanischen Ofenbauer Stefano Ferrara. Der hausgemachte Teig hat eine Ruhezeit von sage und schreibe 72 Stunden, die Auflagen wie San-Marzano-Tomaten, Mozzarella, Salami etc. werden direkt aus Neapel importiert. Gebacken werden die Pizzen bei 485 Grad exakt 60 Sekunden – langer dauert die Reise ins Piazzaparadies nicht. Dass dabei kaum eine Pizza unter 10 Euro gibt, ist mehr als angemessen. Die teuerste mit Trüffeln kostet 18 Euro.
Entsprechend perfekt sehen die fertigen Produkte dann auch aus. Die Rezepte dafür lässt sich Adrian von seinem Freund und Produktentwickler Dominik Grzeschik kreieren. So stehen etwa 16 Pizzen auf der Standardkarte, jeden Monat kommen fünf Specials dazu. Den Klassiker Margherita gibt gleich drei Mal: einmal mit dem Kuhmilch-Mozzarella fior di latte, einmal mit Büffelmozzarella und einmal mit veganem Mozzarella. Auch Raritäten finden ihren Weg auf die Pizza, etwa die scharfe kalabresische Schmierwurst Nduja. Die Pizza von der Special-Karte, die ich mir zum Probieren aussuche, ist mit der Fenchelwurst Salsiccia und Friarelli, wildem Brokkoli belegt – und natürlich fior di latte, Provolone und Tasmanischem Bergpfeffer.
Fast wie der gastronomische Gegenentwurf zu „60 seconds to Napoli“ wirkt dagegen die Pizzeria „Nola“ am Isenberplatz im Südviertel. Auch die Adresse Emilienstraße 2 ist Essener Feinschmeckern wohlbekannt. Jahrzehntelang war der Straßenname Pate für das französische und später auch internationale Restaurant „Emile“, dann für das italienische „Emilio“. Doch dann stand das Lokal leer.
„Wir wohnen beide hier in der Nähe und sind immer hier vorbeigekommen“, sagt Lukas Hömberg, der eigentlich einen Klimaanlagenbetrieb leitet und gemeinsam mit dem Oliver Langer das „Nola“ betreibt. „Das schien uns der ideal Standort für unseren Traum von einem Restaurant für neapolitanische Pizza“, ergänzt Oliver, der zuvor in zahlreichen Positionen in der Gastronomie gearbeitet hat. Mit dem Bezug zum Straßennamen machten sie Schluss und benannten ihr Lokal nach einer Stadt in der Nähe von Neapel, die bekannt für ihren Gemüseanbau ist. Dann bauten sie den Laden komplett um und verwandelten ihn in eine hübsche kleine, genauso zeitgemäß wie gemütlich wirkende Pizzeria. Die größte Herausforderung war der Einbau des Pizzaofens in den Gastraum. Gute zweieinhalb Tonnen wiegt das rustikale Stück, ebenfalls vom neapolitanischen Ofenbauer Stefano Ferrara. „Allerdings wird unser Ofen nicht mit Gas betrieben, sondern mit Holz“, meint Oliver. „Das erfordert viel mehr Fingerspitzengefühl.“
Dass sie nach der Eröffnung von „Nola“ im Herbst letzten Jahres den Restaurantbetrieb wegen der Pandemie gleich wieder einstellen mussten, war auf der anderen Seite auch eine Chance. Durch das Mitnahmeangebot im Lockdown konnten sie sich eine Stammkundschaft aufbauen, die jetzt umso lieber in den Laden kommt. Eine im Stadtteil verankerte Adresse, das ist schließlich ihr Ziel.
Aber eigentlich ist eine neapolitanische Pizza viel zu schade, um sie mit nach Hause zu nehmen und dort abgekühlt zu essen. Schließlich sind Lukas und Oliver als Pizzabäcker ausgebildet. Sie haben Kurse in Deutschland besucht und einen zertifizierten Pizzaiolo aus Neapel kommen lassen, bei dem sie sich in ihrem Betrieb weiterbilden konnten und der ihre Mitarbeiter, die aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis stammen, unterrichtete. „Wir haben auch einen Mitarbeiter, der vorher in Imbissen gearbeitet hat“, erzählen sie. „Der musste alles vergessen, was er vorher gemacht hatte.“
Auch der Teig im „Nola“ ist hausgemacht, hat mindestens eine Ruhezeit von zwölf, doch meistens sogar von 36 Stunden. Gebacken werden die Pizzen bei über 400 Grad in etwa einer Minute und warten natürlich mit dem schönsten „Leoparding“ auf. Auch die im „Nola“ verarbeiteten Produkte stammen aus Italien, allerdings kaufen Lukas und Oliver sie bei einem Großhändler für italienische Erzeugnisse. „Uns ist wichtig, dass alles übersichtlich bleibt“, meinen sie. „11 Pizzen, 3 Weine, 3 Biere und ein paar alkoholfrei Getränke: Viel größer soll unser Angebot gar nicht werden.“
Regelmäßig gibt es neue Pizzen auf der Karten. „Die kreieren wir selbst, nach unserem Geschmack“, erklärt Oliver. Die Hauspizza „Nola“ ist in klassischer Geschmackskombination mit Birnen, Walnüssen, Grogonzola und Olivenöl belegt, aber ohne Tomatensauce. Die Pizza, die ich zum Probieren bestelle, ist ganz neu und ohne Schnickschnack: mit der Fenchelbratwurst Salsiccia, fior di latte und Parmesan belegt – und hier selbstverständlich mit Tomatensauce. Und die ist besonders fein und von überzeugender Würze. Es sind nur passierte, leicht gesalzene Tomaten der Sorte San Marzano, von den Fratelli D’Acunzi mit der geschützten Herkunftsbezeichnung Pomodori S. Marzano Dell‘ Agro Sarnese-Nocerino DOP - vom Fuße des Vesuvs.
60 seconds to Napoli, Rüttenscheider Str. 199, 45131 Essen https://60secondstonapoli.de/
Nola, Emilienstraße 2, 45128 Essen, (am Isenbergplatz) https://bockauf.pizza/
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