Donnerstag, 29. Juli 2021

Off-Rü Gastronomie: Neues japanisches Restaurant Byakko in Essen-Rüttenscheid


Authentische japanische Küche:
Masanori Takase und sein Koch-Kollege Masamitsu Nakazawa

Nigiri Sushi mit Oktopus

Off-Broadway wurden ursprünglich die Theater in New York genannt, die nicht direkt an dem weltbekannten Kulturboulevard in Manhattan liegen und dennoch ein außergewöhnliches Programm haben. Es mag vielleicht etwas vermessen erscheinen, die Rüttenscheider Straße im gleichnamigen Essener Stadtteil mit dem Broadway zu vergleichen, aber zumindest kulinarisch und shoppingtechnisch ist die alte Verkehrsachse gen Süden eine durchaus beeindruckende Meile. Doch auch abseits der Rü gibt es in den Seitenstraße etwas wie eine Off-Szene für gutes Essen.


Japanisches jenseits der Rü

Zur Zeit kristallisiert sich die Kortumstraße zwischen Zweigertstraße und Haumannplatz trotz Großbaustelle als ein kulinarische Off-Rü-Hotspot heraus. Vor vier Jahren haben sich hier bereits Jeannette und Peter Schnitzler mit ihrem „Petite Cave“ angesiedelt (klick hier), und nun ist direkt gegenüber ein weiteres gastronomisches Juwel dazugekommen: das japanische Restaurant „Byakko“, auf Deutsch „Weißer Fuchs“, ein symbolischer Glücksbringer.

Eröffnet hatte der gebürtige Japaner Masanori Takase, der nach seiner Ausbildung zum Sushi-Meister in Japan u.a. bei einem Spitzenjapaner in Köln gearbeitet hatte, sein Sushi-Bistro schon im letzten Spätherbst. Doch dann kam ihm, wie der gesamten Gastronomie, der Lockdown dazwischen. Mit einem überzeugenden Take-Away-Angebot konnte er jedoch über die Monate, in denen kein Restaurantbetrieb erlaubt war, so etwas wie ein Stammpublikum heranbilden, das sich jetzt auch gern vor Ort bewirten lässt.


Die Location hatte in letzter Zeit eine bewegte Geschichte.

Die Küche, die Masanori Takase mit seinem Koch-Kollegen Masamitsu Nakazawa zubereitet, steht unter dem Motto „Die Harmonie von Tradition und Evolution“. Alle Gerichte und ihre Bestandteile wie etwa die Fischbouillon und andre Brühen werden handwerklich selbst hergestellt, so wie sie es in ihrer Ausbildung in Japan gelernt haben. So gelingt es, eine authentische japanische Küche auf den Tisch zu bringen, ohne dabei auf eine gewisse innovative Kreativität verzichten zu müssen. Allerdings wünscht sich Masanori Takase noch einen weiteren kompetenten Koch in seinem Team, um auch einen Mittagstisch und auch wieder ein Außer-Haus-Angebot anbieten zu können. „Doch jemanden zu finden ist in der momentanen Situation sehr schwierig“, meint er.


Zum Sushi schmeckt japanisches Bier.

Bei einem kleinen Presseessen konnte sich der Genießer von der Qualität der japanischen Gerichte und besonders der Nigiri Sushi überzeugen. Besonders imponierte die Vielfalt der Fische, die dabei verarbeitet wurden und die jedem Sushi seinen ganz individuellen Geschmack verliehen. Diese hochwertigen Produkte kann Masanori Takase nur aus verschieden Quellen beziehen, die leider nicht in Essen ansässig sind, wie er bedauert.

Kleines japanisches Sushi Menü
Byakko, Essen, 20.7.2012

Gomaae
Spinat mit Karotten, Sesam und Rucola
Vorspeise mit feinem Aroma

Agedashi
Frittierter Tofu in Fischbouillon mit geriebenem Rettich und Ingwer
Die Fischbouillon ist natürlich hausgemacht.

Karaage
Frittiertes Hähnchen mit zweierlei Saucen
Das Hähnchen war 24 Stunden mariniert.


 

Nigiri Sushi

Mit Jakobsmuschel, Gegrilltem Aal, Rogen, Flambiertem Lachs, Makrele, 
Oktopus, Dorade, Lachs, Thunfisch, und Garnele,
dazu ein japanisches Omelette
Jedes Sushi hatte einen ganz eigenen Geshmack.


Soja-Sauce zum Eintunken



Sake als Absacker


Sushi Bistro Byakko. Kortumstraße 46a, 45130 Essen-Rüttenscheid. Tel. 0201-7993-9970. Di-Sa 18-22 Uhr. Letzte Bestellung für Speisen 21:15Uhr. So, Mo Ruhetag. www.byakko-essen.de

Der Genießer bedankt sich für die Presse-Einladung.

Montag, 26. Juli 2021

Urbane Landhausküche: Pasta mit Pfifferlingen à la (Ziegenfrischkäse-)Crème mit Riesling, Lardo und Estragon


Überarbeitete Version mit Paccheri und Riesling

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, dieses Gericht hier im Blog zu posten, schließlich hatte ich nur ein Rezept nachgekocht, das ich schon 2012 mit optimalen Bildern veröffentlicht hatte, und zwar als Pfifferlinge à la carbonara mit Bandnudeln (zum Rezept klick hier). Doch als das neue Bild auf Facebook so viel Aufmerksamkeit erregte, disponierte ich diesbezüglich um.


Allererste Version von 2012:

Pfifferlinge à la carbonara (klick hier)

Schließlich hatte ich das Rezept doch ziemlich verändert. Statt Tagliatelle wie damals brauchte ich diesmal einen Rest Calamarata auf, große aber kurze, relativ dickwandige Röhrennudeln, die gar gekocht von der Konsistenz her prima zu den geschmorten Pfifferlingen passten. Damals hatte ich eine klassische Carbonara zubereitet, die ich um die Pilze ergänzte. Ich ließ durchwachsenen Speck aus, schmorte darin die Pfifferlinge weich und goss dann mit Parmesan verkleppertes Ei dazu, ohne es stocken zu lassen. Das Ergebnis schmeckte phänomenal.

Zweite Version von Freitag mit Calamarata und Zitrone

Ich weiß nicht warum, aber diesmal hatte ich kein Ei im Haus. Zum Nachbarn zu gehen und mir eins auszuborgen, war mir denn doch zu peinlich. Also besann ich mich darauf, dass es in deutschen Restaurants Usus ist, die Carbonara statt mit Ei mit Sahne zu machen. Und da durch die Zugabe der Pfifferlinge es ja sowieso keine authentische Zubereitung war, konnte ich ja auch welche nehmen. Nur: auch Sahne hatte ich nicht im Haus. Also griff ich zum bewährten Ziegenfrischkäse, und kreierte kurzerhand die Pfifferlinge à la Ziegenfrischkäsecrème, die ich mich Zitronensaft säuerte und mit Französischem Estragon, der auf meinem Balkon sprießt, würzte. Auch dieses Ergebnis war phänomenal, das die Aufmerksamkeit, die das Foto auf Facebook weckte, auch tatsächlich verdiente.


Dritte Version mit Paccheri und Riesling

Das Gericht war so lecker, so dass ich beschloss, es am Sonntag noch einmal zu machen. Und wieder wurde es anders. Leider waren die Calamarata jetzt alle, und im Supermarkt meines Vertrauens bekam ich leider nur Paccheri, ebenfalls Röhrennudeln, die aber etwas größer sind und deren Wände dafür etwas dünner. Auch sie passten konsistenzmäßig bestens zu den geschmorten Pfifferlingen. Für die Crème nahm ich diesmal etwas weniger Ziegenfrischkäse, damit die goldene Farbe der Pilze besser zur Geltung kam. Und die Säure sollte nicht von schnödem Zitronensaft stammen, sondern von einem schönen Weißwein.


Kellerfund: Riesling vom Mittelrhein Jg. 2008

Im Keller fand ich dafür einen wunderbar ausgerieften Riesling aus dem Jahr2008 Devon S vom Weingut Toni Jost „Hahnenhof“ in Bacharach. Vor Jahren hatte ich mit Freunden mehrere Ausflüge an den Mittelrhein gemacht und auf dem wohl besten Weingut der Region bei Toni Jost auch Weinproben mitgemacht (klick hier). Eines der Mitbringsel von damals schlummerte noch immer im Regal, und jetzt sollte der 13 Jahre alte Tropfen dran glauben. Die Farbe war so gülden wie flüssiger Honig, und ich musste gleich an den guten alten Wein-Bariton Willi Schneider und seinen Gassenhauer „Wenn das Wasser im Rhein gold’ner Wein wär, ja dann möchte‘ ich so gern ein Fischlein sein“ denken.

Im Mund war der Wein eine Wucht. Die lange Zeit hatte reife oxidative und Petrol-Töne entstehen lassen, der Devonschiefer des Bodens brachte eine unverkennbare Mineralität ein, und alles wurde von einer an Orangen erinnernden reifen Fruchtigkeit ergänzt. Eigentlich fast schon zu schade als reiner Essensbegleiter. Trotzdem landete ein guter Schuss des Elixiers in der Pfanne, in der die Pfifferlinge schmorten. Viel mehr braucht man nicht mehr zu sagen.


Rezept: Pasta mit Pfifferlingen à la (Ziegenfrischkäse-)Crème mit Riesling, Lardo und Estragon

2 Portionen

200 g Pfifferlinge
30 g Lardo oder anderen durchwachsenen Speck
1-2 Knoblauchzehen
1 Schalotte oder Frühlingzwiebel
1 Schuss Raps- oder Olivenöl
1 sehr guten Schuss Riesling bzw. anderen trockenen Wein (wahlweise Saft von ½ Zitrone)
2-3 Stengel Französischen Estragon
1-2 EL Ziegenfrischkäse
200 g Calamarata, Paccheri oder andere Pasta
Pfeffer, Salz
Mehl zum Waschen der Pfifferlinge

In eine großen mit Wasser gefüllten Schüssel 1-2 EL Mehl geben und umrühren. Pfifferlinge dazugeben und alls kräftig mit der Hand umrühren, bis das Mehl allen Sand von den Pilzen abgeschliffen hat. In ein Sieb abgießen, abbrausen und evtl. noch vorhandenen Schmutz mit dem Messer entfernen.
Lardo bzw. Speck in kleine Würfelschneiden. Mit Schuss Öl in einer großen Pfanne auslassen. Knoblauchzehen schälen und halbieren. Schalotte schälen und halbieren, zum Speck geben und mitschmoren lassen. Estragonblätter von den Stängeln streifen und aufbewahren. Stängel in Pfanne geben und mitschmoren. Ist der Speck glasig und etwas gebräunte, die tropfnassen Pfifferlinge dazugeben. Mit einem gehörigen Schuss Weißwein oder etwas Zitronensaft ablöschen, umrühren, Deckel auflegen und bei niedriger Hitze schmoren lassen.
Pasta in Salzwasser nach Packungsvorschrift al dente Kochen. Bei Calamarata oder Paccheri dauert das ca. 16 Minuten. So lange die Pfifferlinge schmoren lassen. Wenn nötig, etwas Nudelkochwasser dazugeben. . Gegen Ende der Schmorzeit die Estragonstängel entfernen und den Ziegenfrischkäse zufügen und flüssig werden lassen. Estragonblätter grob hacken und dazu geben, einige zurückbehalten. Die gar gekochten Nudeln mit einem Schaumlöffel aus dem Wasser heben und tropfnass zu den Pilzen geben, umrühren und etwas mitschmoren lassen.

Pasta mit Pfifferlingen auf vorgewärmte Teller verteilen, mit den restlichen Estragonblättern und Pfeffer aus der Mühle bestreuen.



Zum Rezept Pfifferlinge à la carbonara mit Bandnudeln klick hier
Zum Bericht über den Ausflug zum Weingut Toni Jost in Bacharach klick hier

Donnerstag, 22. Juli 2021

Neu in Essen: Arabesque auf der Rü


Kassim El-Hadi vor dem Arabesque auf der Rü

Seit genau 20 Jahren ist Kassim El-Hadis Restaurant „Arabesque“, (vorm. „Karamahne“) auf der Rellinghauser Straße im Essener Südviertel ein Juwel für arabisch-orientalische Küche. (Zum Bericht über eine Weinprobe bitte hier klicken.) Als kreativer Kopf der Küche und guter Geist im Hintergrund ist Kassims Frau Sarah Karim tätig. Sie entwickelt die wunderbaren Lamm- und Geflügelgerichte, die auf den kulinarischen Traditionen des Nahen Ostens basieren – und vor allem die zahlreichen Vorspeisen. Um die 70 der kleinen Mezze-Teller sind im Angebot, aus denen sich der Gast ganz individuell seine eigenen Vorspeisenplatten zusammenstellen kann. Sie sind eine ideale Begleitung zu den libanesischen Weinen, die Kassim El-Hadi exklusiv im Angebot hat. Die Weine werden nicht nur im Restaurant, sondern auch in seinem arabischen Shop ebenfalls in der Rellinghauser Straße verkauft, gemeinsam mit allerlei Zierrat wie aus tausend und einer Nacht. Und natürlich den zahllosen verschieden Sorten Arak, dem arabischen Anisbranntwein, die Kassim ebenfalls exklusiv im Angebot hat.

Jetzt endlich konnte Kassim El-Hadi nach langen Verzögerungen durch die Corona-Pandemie die zweite „Arabesque“ in Essen eröffnen, und zwar direkt auf der Rüttenscheider Straße. Das Lokal mit bis zu 120 Plätzen eignet sich wie kein anderes auf der Rü dafür, denn es beherbergte lange Zeit das edle türkische Restaurant „La Turka“. Dessen Betreiber Yavuz Cagritekin und seine Partnerin Seda beschlossen jedoch, die Landeshauptstadt Düsseldorf zu erobern (klick hier), und so konnte Kassim die Location schließlich übernehmen.

Moderne orientalische Eleganz
 


Arabische Lampen aus dem Shop

Moderne orientalische Eleganz bestimmt die Einrichtung der „Arabesque auf der Rü“, ergänzt durch die folkloristischen Lampen aus Kassims Shop. Die Dekoration einer Wand erinnert an das babylonische Ischtar-Tor und verweist auf seine irakische Herkunft. Das kulinarische Angebot ähnelt weitgehend dem des Stammhauses auf der Rellinghauser Straße, doch wird hier ausdrücklich Wert auf die Lamm- und Hähnchen-Gerichte gelegt. 



Große Auswahl an libanesischem Wein und arabischem Arak

Bei einem kleinen Pressetermin konnte sich der Genießer von der tadellosen Zubereitung der Fleischspezialitäten überzeugen. Lammfilet und –lachse sowie das marinierte Hähnchen wurden mit farbenfrohen arabischen Beilagen, pikanten Pasten, betörenden Saucen und Basmatireis serviert. Doch der Genießer muss gestehen, sein Herz bzw. seine Zunge hat er an die verschiedenen Vorspeisen verloren.

Kassim El-Hadi mit libanesischem Rotwein vor der Nachbildung des babylonischen Ischtar-Tors.
 
Presse-Menü im Arabesque auf der Rü
15.7.2021

Vorspeisen

Auberginenröllchen mit Granatapfelkernen

Mtebbel
Paste aus gegrillten Auberginen,
Sesamsauce und Olivenöl


Moussaka arabische Art

Auberginensalat

Hendebe
angemachter Löwenzahn


Falafel
frittierte Kicherbsen-Bällchen


Püree mit Hähnchenfleisch

Tabbule
Petersilie mit Tomaten, Zwiebeln, Weizenschrot, 
Lauchzwiebel, Minze, Zitrone und Olivenöl

Hummus

 
Muhammara
Paste aus Walnuss, Paprika,
 
Zwiebeln und Olivenöl
 
Hauptgänge 
 
Hähnchen in Orangensauce
 
Lammfilet in Käsesauce

Lammlachse in Granatapfelsauce mit Avocadocréme

Dessert

Obstsalat

Kunafa - Engelshaar mit 
Frischkäse und Pistazien

Crème brülée arabische Art
 
Arabesque auf der Rü. Rüttenscheider Str. 176, 45131 Essen. Tel. 0201/37645866 u. 0201/8228822. Di-So 17.30-22 Uhr. Mo Ruhetag. www.arabesque-essen.de 

Der Genießer bedankt sich für die Presse-Einladung.

Samstag, 17. Juli 2021

Aus dem Archiv: Neue Pizza-Konzepte im Essener Süden

 
Der Artikel erschien erstmals in "Essen geht aus 2022"


Neapel ist überall

Spätestens, seit die Neapolitanische Pizza von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde, hat sich der belegte Brotfladen neben dem Homemade Burger auch in deutschen Metropolen als hochwertiges Super Street Food etabliert. Die neuen Pizza-Läden „Nola“ im Südviertel und „60 seconds to Napoli“ in Rüttenscheid bringen den Trend endlich auch in den Essener Mezzogiorno.

Von Peter Krauskopf

„Leoparding“ heißt das Zauberwort, mit dem der rein optische Eindruck von Hochwertigkeit einer Pizza bezeichnet wird. Was der Banause als „angebrannt“ abtun würde, ist schließlich der Beweis dafür, dass der Teig aus einer perfekten Mischung aus bestem Weizenmehl und einer präzisen Menge Hefe besteht, die richtig durchgeknetet und genügend lange, d.h. durchaus mehr als einen Tag und länger, „gegangen“ ist - und dann bei einer Temperatur von über 400 Grad extrem kurz gebacken wird, so dass er noch im Ofen Blasen wirft, deren hauchdünne Oberflächen eben verbrannt-dunkle Flecken auf den Pizzarand zaubern. Der Rest des Teigs bleibt dabei ungemein locker, saftig und elastisch und ist so die ideale Unterlage für die hochwertigsten Beläge.

Brotfladen, die mitsamt den Auflagen gebacken werden, gehören seit jeher zur kulinarischen Tradition in den Straßen im östlichen Mittelmeerraum. Pide heißt Brot im Türkischen, pita im Griechischen, und die Italiener haben daraus Pizza gemacht. Besonders in Neapel, neben Palermo die orientalischste Metropole Süditaliens, kultivierte man diese Art des levantinischen Street Food. Und nicht das Teigbacken allein sorgte für eine unvergleichliche Delikatesse. Auf den Lavaböden rund um den neapolitanischen Hausvulkan Vesuv wuchsen einzigartige Tomaten, und die Wasserbüffel in der kampanischen Ebene lieferten die Milch für einen samtigen Mozzarella – obwohl die Sorte fior di latte, die qualitätsbewusste Pizzabäcker gern benutzen, von Kühen aus Agerola hoch über Amalfi stammt. Als dann angeblich ein begnadeter Piazzaiolo im Jahr 1889 der italienischen Königin die nach ihr benannte Pizza Margherita widmete, bei der die Auflagen Basilikum, Mozzarella und Tomaten die italienischen Nationalfarben grün, weiß und rot symbolisieren sollten, trat die Pizza ihren Siegeszug um die Welt an.

Dass dabei die originalen Qualitäten auf der Strecke blieben, liegt auf der Hand. Die Amerikaner pumpten den Teig zu einer zentimeterdicken Muscle-Version auf und belegten ihn mit seltsamen Dingen wie etwa Ananas. Imbissbuden an jeder Straßenecke sorgten für Masse statt Klasse, und die Tiefkühlpizza tat dann ihr Übriges. Zwar wurde sie in Italien erfunden, doch zum Weltmeister wurde damit ein Backpulver-Fabrikant aus Bielefeld. So war es kein Wunder, dass die UNESCO 2017 die original Neapolitanische Pizza zum immateriellen Weltkulturerbe erklärte, über das zwei Verbände mit Argusaugen wachen.

Anders als in anderen deutschen Metropolen dauerte es eine Weile, bis man im Ruhrgebiet die Neapolitanische Pizza entdeckte. Zwar engagierte sich der Bochumer Gastro-Großhändler Niggemann schon früh bei der Organisation des Wettbewerbs um die Pizza Trophy, doch die jungen Start-Up-Gastronomen des Ruhrgebiets widmeten sich erst einmal der Rettung des Burgers aus den Umarmungen der Fast Food-Ketten. Es sollte ausgerechnet Dortmund sein, wo in den letzten Jahren mehrere Pizzaläden für Furore sorgten. Einer davon war der mit dem programmatischen Namen „60 seconds to Napoli“, den Adrian Kuras und seine Freundin Bianca Sue Voigt 2019 gründeten. Der Erfolg war so überwältigend, dass man vor kurzem nicht nur in ein größeres Ladenlokal ziehen musste, sondern auch Filialen erst in Leipzig und seit Mai auch in Essen-Rüttenscheid eröffnete. Und das ist nicht alles. Die beiden fühlen sich so stark, dass in den nächsten Monaten bis zu 25 weitere Filialen in ganz Deutschland folgen sollen.


60 seconds to Napoli

Das übergroß dimensionierte Haus RÜ 199 beherbergte seit seiner Fertigstellung immer wieder Gastronomien, die aus dem Essener Stadtteil nicht erwachsen waren. Die kölsche Kneipe Eigelstein hatte einigen Erfolg, doch ihre Nachfolger DAS SCHÖN, ein ambitioniertes Restaurantkonzept des Bochumer Bermudadreieck-Granden Christian Bickelbacher, und Roque’s Deli, ein luxuriöser Hähnchen-Grill der Dortmunder Vapiano-Macher Christian Roque und Sabine Koegel, konnten sich bei der Rüttenscheider Community nicht durchsetzen. Es tut fast etwas weh, wenn man sieht, dass Adrian Kuras die sündhaft teuren (und schönen) Interieurs des Vorgängers radikal entfernen ließ und die geräumige Location in einem reduzierten Industrial-Look ausstatten ließ. Doch sieht man auf die bei schönstem Wetter vollbesetzte Straßenterrasse, auf der sich anscheinend ganz Rüttenscheid die großartigen Pizzen schmecken lässt, kommt man zu dem Schluss, das Konzept stimmt. Pandemie hin oder her: „Es ist Dienstag, und wir haben den Umsatz eines Samstags“, konstatiert Adrian stolz.

Das Angebot von „60 seconds to Napoli“ auf der Rü entspricht exakt dem des Stammhauses in Dortmund. Aus Neapel stammende und dort ausgebildete Pizzabäcker arbeiten an zwei Gasöfen vom neapolitanischen Ofenbauer Stefano Ferrara. Der hausgemachte Teig hat eine Ruhezeit von sage und schreibe 72 Stunden, die Auflagen wie San-Marzano-Tomaten, Mozzarella, Salami etc. werden direkt aus Neapel importiert. Gebacken werden die Pizzen bei 485 Grad exakt 60 Sekunden – langer dauert die Reise ins Piazzaparadies nicht. Dass dabei kaum eine Pizza unter 10 Euro gibt, ist mehr als angemessen. Die teuerste mit Trüffeln kostet 18 Euro.

Entsprechend perfekt sehen die fertigen Produkte dann auch aus. Die Rezepte dafür lässt sich Adrian von seinem Freund und Produktentwickler Dominik Grzeschik kreieren. So stehen etwa 16 Pizzen auf der Standardkarte, jeden Monat kommen fünf Specials dazu. Den Klassiker Margherita gibt gleich drei Mal: einmal mit dem Kuhmilch-Mozzarella fior di latte, einmal mit Büffelmozzarella und einmal mit veganem Mozzarella. Auch Raritäten finden ihren Weg auf die Pizza, etwa die scharfe kalabresische Schmierwurst Nduja. Die Pizza von der Special-Karte, die ich mir zum Probieren aussuche, ist mit der Fenchelwurst Salsiccia und Friarelli, wildem Brokkoli belegt – und natürlich fior di latte, Provolone und Tasmanischem Bergpfeffer.

Fast wie der gastronomische Gegenentwurf zu „60 seconds to Napoli“ wirkt dagegen die Pizzeria „Nola“ am Isenberplatz im Südviertel. Auch die Adresse Emilienstraße 2 ist Essener Feinschmeckern wohlbekannt. Jahrzehntelang war der Straßenname Pate für das französische und später auch internationale Restaurant „Emile“, dann für das italienische „Emilio“. Doch dann stand das Lokal leer.


Nola

„Wir wohnen beide hier in der Nähe und sind immer hier vorbeigekommen“, sagt Lukas Hömberg, der eigentlich einen Klimaanlagenbetrieb leitet und gemeinsam mit dem Oliver Langer das „Nola“ betreibt. „Das schien uns der ideal Standort für unseren Traum von einem Restaurant für neapolitanische Pizza“, ergänzt Oliver, der zuvor in zahlreichen Positionen in der Gastronomie gearbeitet hat. Mit dem Bezug zum Straßennamen machten sie Schluss und benannten ihr Lokal nach einer Stadt in der Nähe von Neapel, die bekannt für ihren Gemüseanbau ist. Dann bauten sie den Laden komplett um und verwandelten ihn in eine hübsche kleine, genauso zeitgemäß wie gemütlich wirkende Pizzeria. Die größte Herausforderung war der Einbau des Pizzaofens in den Gastraum. Gute zweieinhalb Tonnen wiegt das rustikale Stück, ebenfalls vom neapolitanischen Ofenbauer Stefano Ferrara. „Allerdings wird unser Ofen nicht mit Gas betrieben, sondern mit Holz“, meint Oliver. „Das erfordert viel mehr Fingerspitzengefühl.“

Dass sie nach der Eröffnung von „Nola“ im Herbst letzten Jahres den Restaurantbetrieb wegen der Pandemie gleich wieder einstellen mussten, war auf der anderen Seite auch eine Chance. Durch das Mitnahmeangebot im Lockdown konnten sie sich eine Stammkundschaft aufbauen, die jetzt umso lieber in den Laden kommt. Eine im Stadtteil verankerte Adresse, das ist schließlich ihr Ziel.

Aber eigentlich ist eine neapolitanische Pizza viel zu schade, um sie mit nach Hause zu nehmen und dort abgekühlt zu essen. Schließlich sind Lukas und Oliver als Pizzabäcker ausgebildet. Sie haben Kurse in Deutschland besucht und einen zertifizierten Pizzaiolo aus Neapel kommen lassen, bei dem sie sich in ihrem Betrieb weiterbilden konnten und der ihre Mitarbeiter, die aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis stammen, unterrichtete. „Wir haben auch einen Mitarbeiter, der vorher in Imbissen gearbeitet hat“, erzählen sie. „Der musste alles vergessen, was er vorher gemacht hatte.“

Auch der Teig im „Nola“ ist hausgemacht, hat mindestens eine Ruhezeit von zwölf, doch meistens sogar von 36 Stunden. Gebacken werden die Pizzen bei über 400 Grad in etwa einer Minute und warten natürlich mit dem schönsten „Leoparding“ auf. Auch die im „Nola“ verarbeiteten Produkte stammen aus Italien, allerdings kaufen Lukas und Oliver sie bei einem Großhändler für italienische Erzeugnisse. „Uns ist wichtig, dass alles übersichtlich bleibt“, meinen sie. „11 Pizzen, 3 Weine, 3 Biere und ein paar alkoholfrei Getränke: Viel größer soll unser Angebot gar nicht werden.“

Regelmäßig gibt es neue Pizzen auf der Karten. „Die kreieren wir selbst, nach unserem Geschmack“, erklärt Oliver. Die Hauspizza „Nola“ ist in klassischer Geschmackskombination mit Birnen, Walnüssen, Grogonzola und Olivenöl belegt, aber ohne Tomatensauce. Die Pizza, die ich zum Probieren bestelle, ist ganz neu und ohne Schnickschnack: mit der Fenchelbratwurst Salsiccia, fior di latte und Parmesan belegt – und hier selbstverständlich mit Tomatensauce. Und die ist besonders fein und von überzeugender Würze. Es sind nur passierte, leicht gesalzene Tomaten der Sorte San Marzano, von den Fratelli D’Acunzi mit der geschützten Herkunftsbezeichnung Pomodori S. Marzano Dell‘ Agro Sarnese-Nocerino DOP - vom Fuße des Vesuvs.

60 seconds to Napoli, Rüttenscheider Str. 199, 45131 Essen https://60secondstonapoli.de/
Nola, Emilienstraße 2, 45128 Essen, (am Isenbergplatz) https://bockauf.pizza/

Mittwoch, 14. Juli 2021

5 Jahre Bauernstube auf dem Buchholz-Hof: Tapasabend in Essen/Mülheim

Update 2023: André Becker kocht seit August 2023 im Golfclub Haus Oefte in Essen-Kettwig. Klick hier.

Bodenständiger Luxus in der Bauernstube

Fünf Jahre ist es jetzt her, dass André Becker die „Bauernstube auf dem Buchholz-Hof“ übernahm. Zuvor hatte er als Koch am Grill im Essener „Bistecca“ und im kurzlebigen „Victor’s“ an der Bochumer Viktoriastraße die hohe Kunst des Edelsteak-Bratens zelebriert, doch schließlich fand er in der Restauration nahe des Essen-Mülheimer Flughafens seine kulinarische Heimat.

Der große Bauernladen des Buchholz-Hofes an der Meisenburgstraße in Essen Kettwig ist weitbekannt. Was aber nur wenige wissen: Sobald man in die Einfahrt zum Parkplatz abbiegt, befindet man sich auf Mülheimer Stadtgebiet. Fährt man ein paar Meter weiter, erreicht man eine große Reithalle mit der dazugehörigen „Bauernstube“.

André Becker hat gut Lachen.

André Becker hat hier in den letzten fünf Jahren aus der Verpflegungsstation für Pferdesportler ein Lokal mit bodenständiger Küche gemacht. Er bietet unprätentiöse, teils deftige Hausmannskost an, die er jedoch mit der Raffinesse eines Koches zubereitet, der in Spitzenrestaurants an der Ahr oder in Baiersbronn sein Handwerk erlernte. Das wissen seine Gäste zu schätzen. So hat er für die kommende Saison im Herbst allein 400 Bauerngänse vorbestellt, wohlwissend, dass er damit gar nicht auskommen wird.


Rinderrouladen, Sauerbraten und
Königsberger Klopse gibt es auch für Zuhause.

Neben der Alltagskost gönnt sich André Becker regelmäßig Menü-Abende wie etwa den „Tapasabend“, zu dem er am letzten Freitag den Genießer einlud. Tapas – diese Bezeichnung sollte man allerdings nicht ganz so ernst nehmen „Diese spanischen Häppchen sind doch immer dasselbe“, meint André Becker und lacht dabei so schelmisch wie der Fernsehmoderator Elton. So war der Tapasabend in Wirklichkeit Degustationsmenü in sieben Gangen plus Amuse Gueulle durch die europäische Küche, bei dem so edle Produkte wie Kaviar, Hummer, Trüffel oder Fleisch vom Galloway-Rind verarbeitet wurden, für knapp 70 Euro zu einem sensationellen Preis. Das kam völlig unprätentiös und tadellos zubereitet auf den Tisch, dass es eine Lust war, alles aufzuessen. Zumal man durch die Panoramascheiben eine luxuriöse Aussicht auf die Reithalle hatte, wo mehr oder wenig versierte Reiterinnen auf ihren Rössern die hohe Schule durchexerzierten.

Tapasabend
Bauernstube auf dem Buchholz-Hof, 9.7.2021

Vorweg ein Glas Champagner

Amuse Gueulle
Kaviar auf Blini mit Wachtelei


Carpaccio vom kanadischen Rinderfilet
mit 24 Monate gereiftem Parmesan

Der italienische Klassiker in bester Qualität.

Thunfisch-Tatar mit Melonensalsa

Eine ungemein erfrischende Produktkombination.

Spargelquiche mit Hummer

Die Quiche bestand nicht wie erwartet aus Mürbeteig, sondern aus Rührei. Zusammen mit Spargel und Hummer eine samtig-knackige Köstlichkeit.

Gnocchi mit frischem Trüffel

So edel ist italienische Küche im Ruhrgebiet.

Galloway-Burger mit Galloway-Currywurst

Ein unwiderstehlicher Gruß aus dem Ruhrgebiet.

Kalbsfilet in Portweinsauce, frischen Pfifferlingen und Kartoffelpüree

Klassisch gut und der Saison entsprechend.

Crème brûlée von der Kokosnuss

Ananas war auch noch dabei…

Bauernstube, Am Buchholz 12, (Buchholz-Hof), 45470 Mülheim an der Ruhr. André Becker Mobil: 01 78 – 34 67 530. Mi, Fr 12-21 Uhr. Do, Sa. & So. 12-18 Uhr. Mo, Di Ruhetage. www.bauernstube-mh.de

Der Genießer bedankt sich für die Presse-Einladung.