Seven Stones – dieser an keltische Mythen erinnernde Name des neuen Wohn-, Forschungs- und Geschäftsquartiers an der Universitätsstraße in Bochum geistert schon seit ungefähr einem Jahrzehnt durch die Stadtentwicklung der Stadt. Wenn man, in die ewige Auffahrten-Baustelle auf die hier auch Nordhausenring genannten A448 einbiegend, aus dem Augenwinkel heraus einen kurzen Blick auf das Areal warf, glaubte man lange Zeit, hier sei nur ein panzerkettenzerwühlter Truppenübungsplatz. Doch als ich jetzt das erste Mal zwischen den mittlerweile fertigen Neubauten stand, kam es mir vor, als hätte ich ein ins Gegenteil verdrehte Déjà-vu einer urbanen Zukunftsvision. Denn anders als vor über 40 Jahren, als mir als junger Ruhr-Uni-Student der damals groß in Mode stehenden Beton-Brutalismus des kaum fertigen Unicenters in Querenburg einen gewissen Schauder über den Rücken jagte, versetzte mich hier im nur wenige hundert Meter entfernten Wiemelhausen die elegante Architektur der durchaus ebenfalls gigantischen Gebäude nur in großäugiges Erstaunen. Hatte man einst das Gefühl, dass sich die damalige urbane Vision schon bei ihrer Entstehung überlebt habe, wirkt das heutige Seven Stones wie eine Art Anti-Unicenter: zukunftsweisend.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Seven-Stones-Investoren-Familie Kappel bei dieser ersten Klimaschutzsiedlung in Bochum auf nachhaltige Energie- und Wärmegewinnung durch Blockkraftwerke, Photovoltaikanlagen und Geothermie setzt. Und auch wenn zur Zeit auch die Räume zwischen den fertigen Bauten noch unwirtlichen Baustellencharakter haben - hier werden grüne Parks, ein Kinderspielplatz und sogar eine Streuobstwiese entstehen. Die Bewohner der Studenten- und anderen Wohnanlagen und die Leute, die in dem Ärztehaus und anderen Gewerbebauten arbeiten, sollen hier ein Höchstmaß an Lebensqualität vorfinden.
Und dazu gehört natürlich auch eine überzeugende gastronomische Versorgung. Um die zu realisieren, hat man in den Brüdern Christian und Patrick Farago zwei Persönlichkeiten gefunden, die den Spagat zwischen kulinarischem Anspruch und wirtschaftlicher Notwendigkeit mit dem erforderlichen Pioniergeist angehen. Die beiden stammen aus einer alten Bochumer Gastronomiefamilie. Der aus Ungarn stammende Vater der beiden betrieb einst u.a. das Haus Linden im Herzen des gleichnamigen Stadtteils. Sohn Patrick arbeitete erst als DJ, entdeckte schließlich, als er im Haus Linden aushalf, seine Leidenschaft fürs Kochen und absolvierte als Spätberufener bei Sternekoch Sascha Stemberg in Velbert eine ordentliche Ausbildung. Später erkochte er mit Christian Eckardt in Andernach selbst an zwei Michelinsternen mit und arbeitete bei verschiedenen illustren Adressen, unter anderem auch mit Philipp Diergardt im Kühlen Grund in Hattingen. Sein Bruder Christian, von Haus aus Unternehmensberater, ist in der Weinszene zwischen Wiemelhausen, Sylt und Mallorca unter seinem Hedonisten-Pseudonym Chris G. Cru wohlbekannt. Legendär sind die Verkostungs-Partys, die er mit seinem Weinclub Porto Bocho veranstaltet hat.
Der Kampf mit der Genehmigungs-Bürokratie hatte die Eröffnung von „Kantine Urban DiYner“ oder kurz Kantine, wie die Seven-Stones-Gastronomie heißt, ganz schön verzögert. Und so luden die beiden schon ein paar Tage vor dem jetzt stehenden Eröffnungstermin am 1. November 2023 zu einem kleinen Pressetermin, für den die Küche extra angeworfen wurde. Die Location zeigte sich schon in ihrem ganzen urbanen Chic, die ihr der Düsseldorfer und Dortmunder Innenausstatter „loman[s] interior design“ verpasst hat. Schon lange, bevor der Barbie-Film in den Kinos Furore, entschied man sich für die Leitfarbe Pink, die ähnlich wie das leuchtende Orange auf Zollverein in Essen oder im Bergbaumuseum Bochum den Gästen sagt, wo man ist.
Die Bezeichnung Kantine ist durchaus Programm. Hier sollen sich die Seven Stones-Bewohner zuverlässig, schnell und gut zum Frühstück und am Mittagstisch verpflegen, und das auch zu annehmbaren Preisen und auf Vorbestellung. Abends wird das Restaurant für geschlossene Betriebs- oder Familienveranstaltungen, auch Menüabende mit befreundeten Gastköchen sind geplant. Aus der im Gastronomiewesen herrschenden Personalknappheit hat man eine Tugend gemacht. Die Kantine wird ein Selbstbedienungsrestaurant 2.0. Am Tisch scannt man mi dem Handy einen QR-Code und die die Speisekarte wird sichtbar. Durch Antippen geht die Bestellung an die Küche; auf einer Anzeigetafel wie auf einem Flughafen erscheint die Nachricht, dass das Essen fertig ist, und der Gast kann es abholen. (Aber keine Angst, auch ohne Handy muss man nicht verhungern, denn das Essen wird auf Wunsch auch am Tisch serviert, wie Christian Farago versichert.)
Genauso könnte auch die Massenverpflegung in der Uni-Mensa funktionieren. Doch das rational durchdachte Logistik-Konzept wird die geradezu anarchisch wirkende kulinarische Lust ergänzt, die Christian und Patrick an den Tag legen. Wenn sie über das Essen sprechen, so scheint es, die Kantine wäre ein Fine-Dining-Restaurant der Extraklasse. Gerichte mit Fisch, Fleisch oder Veggie soll es geben, verrückt und bodenständig zugleich und natürlich mit Patricks handwerklicher Grandezza zubereitet. Immer wieder scheint ihre enge Vernetzung zu Produzenten und Genusshandwerkern aus der Region durch, von denen sie ihre Produkte beziehen wollen, etwa zum Feinschmecker-Metzger Müller aus Wattenscheid oder zum ebenfalls dort ansässigen Pralinenhersteller. Auch die Weinkarte ist entsprechen exklusiv. 10 Weine umfasst sie, natürlich nur von persönlich befreundeten Winzern und ebenso persönlich ausgesucht.
Ausgewählte Produkte:
Kaviar von Sturia, Sardinen in Butter (!!!) und Bochumer Mineralwasser in der Mehrwegflasche
Für die vier Gänge, die Patrick und sein Mitarbeiter Elias für unseren Pressetermin auf den Tisch zauberten, griffen sie kochtechnisch und zutatenmäßig in die Vollen. Zu den Gängen gab es eine hervorragende Weinbegleitung. Wenn die alltägliche Produktion auch nur annähernd diese Qualität erreicht, ist das wahrlich sensationell, nicht nur für Bochum. Es scheint mir, dass eine streng funktionierende Gastronomie genau so ein emotionales Storytelling braucht. Schließlich muss die Kantine muss den genius loci, von dem Restaurants an gewachsenen Standorten profitieren, hier schließlich erst selbst noch schaffen. Hoffen wir, dass diese Herausforderung genauso wenig utopisch bleibt wie die urbane Vision von Seven Stones. (Übrigens: Der Name Seven Stones bezieht sich auf die sieben Betonklötze, die man bei Erschließung des Grundstücks ausgegraben hat.)
Kantinen-Essen
Kantine Urban DiYner, 24.10.2023
Weitere Impessioenen
Kantine Urban DiYner. Universitätsstr. 110, 44799 Bochum. 0234/60141383. Frühstück ab 7 Uhr, Mittagstisch ab 11 Uhr. https://kantine.wtf/ .Weitere Infos auf Facebook und Instagram. Eröffnung: 1.11.2023
Der Genießer bedankt sich für die Einladung.
Dank an Michael Alisch für die Organisation.
Vielen Dank für die wunderbare Beschreibung.
AntwortenLöschenMacht Lust auf Kennenlernen.
Leider fehlt überall der Hinweis
"Hunde nicht erlaubt" wäre sehr sinvoll