Als ich das letzte Mal Ende Januar im „Café Vincent“ Mittagessen war, war es noch richtig Winter. Passend zur Jahreszeit hatte Jolanta Chartscho auf der Karte, einen wärmenden und energiereichen Rindertopf mit Walnüssen aus Georgien (klick hier). Diese ehemalige Sowjetrepublik liegt im Kaukasus, und so fiel mir als altem Karl-May-Leser sofort ein Zitat aus seinem eher unbekannten Text „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ ein, in dem der Bestsellerautor, Winnetou-Erfinder und Superheldensdarsteller selbstironisch seine Situation als Popstar des 19. Jahrhunderts schildert, der von seinen Fans verfolgt wird. Da erwähnt er in einem Nebensatz, dass sein Alter Ego, der Orientreisende Kara Ben Nemsi, eine Einladung zur Auerochsenjagd in den Kaukasus bekommen habe. Da war natürlich klar, dass ich dieses Chartscho nachkochen wollte – und zwar mit Auerochsenfleisch von den Ruhrwiesen des Schultenhofs bei Hattingen, das ich immer wieder gern zubereite. Ein paar schöne Grenobler Walnüsse hatte ich noch vom Weihnachtsmarkt übrig.
Auerochsen an der Ruhr in Hattingen
Dass Kara Ben Nemsi im 19. Jahrhundert wirklich Auerochsen hätte jagen können, ist so übertrieben wie Karl Mays PR-Masche, sich mit seinen Helden persönlich zu identifizieren. Seit dem 16. Jahrhundert ist der Auerochse, von dem alle heutigen Nutz-Rinder abstammen, schließlich ausgestorben. Das, was heute so bezeichnet wird, ist eine Rückzüchtung der Brüder Heck aus den 1920-er Jahren vom Zahmen ins Urige. Herausgekommen ist dabei eine recht wilde Rasse, die ausgerechnet den Nazis sehr gefiel, die damit die Wälder in den europäischen Ostgenbieten bevölkern wollten, die im zweiten Weltkrieg erobert werden sollten - als ebenbürtige Rindviecher für die Jagdflinten der arischen Übermenschen.
Karl May als Pseudo-Auerochsenjäger Kara Ben Nemsi
Soweit ist es zum Glück nicht gekommen. Die widerstandsfähigen und auf sich selbst gestellt leben könnenden Design-Rinder werden heute für zivilisatorisch fortschrittliche Aufgaben eingesetzt: zur Landschaftspflege von Weideflächen und somit zur Erhaltung der Kulturlandschaft. Die Herde von Bauer Schulte-Stade hält zum Beispiel die ehemaligen Wassergewinnungswiesen in der Ruhrschleife von Hattingen-Winz-Baak ökologisch intakt. (Zur Geschichte der wilden Rinder an der Ruhr klick hier). Wird die Herde zu groß, bringt Schulte-Stade das hervorragende Fleisch der überschüssigen Tiere in seinem Hofladen zum Verkauf.
Auerochsenschwanz und andere Zutaten
Und so wartete ich sehnlich auf den wöchentlichen Newsletter des Schultenhofs, ob endlich wieder Auerochsenfleisch im Angebot sei, doch ich musste mich mehr als ein halbes Jahr gedulden. Erst Mitte August gab es wieder welches. Eigentlich ist der Hochsommer ja nicht die ideale Saison für den Rindertopf, aber ich griff dennoch zu. Das Säckchen mit einem Rest Walnüsse hing immer noch am Haken in der Küche, und ehe der alle sein würde, wollte ich zur Tat schreiten.
Chartscho im Bistro & Café Vincent
Jolanta hatte zwar alle Zutaten ihres Chartscho – Rindfleisch, gehackte Walnüsse, Tomaten, Reis, Paprika-Chili-Dip Adscheko, Koriander und Lauchzwiebeln – angegeben, aber ein genaues Rezept kannte ich nicht. Ich suchte also im Internet und wurde im Blog „Magentratzerl“ fündig (klick hier). Blogbetreiberin Susanne stellt ein Mus aus pürierten Zwiebeln, Walnüssen und Tomatenmark her, mit dem die Brühe, die beim Kochen des Rindfleischs entsteht, eingedickt wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das beim Fleischkochen ausgetretene Rinderfett – im winterlich kalten Gebirge sicherlich eine wichtige Angelegenheit.
Gewürzt wird alles mit Korianderstengeln samt Wurzeln und Schabzigerklee. Die Verarbeitung von Korianderwurzeln kannte ich aus der thailändischen Küche (zu meinem Thai-Kochkurs klick hier), und ich wusste auch, dass ich sie im Asialaden bekommen konnte. Von Schabzigerklee hatte ich noch nie gehört, wurde dann aber im Reformhaus fündig, Das olivgrüne mehlfeine Pulver hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Bockshornklee und entfaltet ein wunderbares Aroma, einerseits von einer gewissen Zitrusfrische, andererseits von einer gewissen orientalischen Muffigkeit wie beispielsweise Kreuzkümmel. Schabzigerklee kommt in der georgischen Küche häufig vor, aber auch in anderen Gebirgsländern. So gibt es in der Schweiz einen damit gewürzten Schabzigerkäse, und er sorgt auch für den kernigen Geschmack von rustikalem Krustenbrot.
Für mein Chartscho hielt ich mich weitgehend an das Rezept von „Magentratzerl“. Statt Chilipaste nahm ich allerdings frischen Habanero-Chili zum Würzen. Mitten im Sommer verzichtete ich auch darauf, Rinderfett zum Geschmeidigmachen des Zwiebelmuses zu verwenden. Stattdessen gab ich eigenmächtig einen guten Schuss Rotwein dran – Georgien ist schließlich als Wiege des Weinbaus die älteste Weinregion der Welt.
Das Rezept sieht ein Kilogramm Rinderhaxe vor, das so weich gekocht wird, bis das Fleisch vom Knochen fällt. Für meinen bescheidenen Singlehaushalt schien mir ein fleischiger Auerochsenschwanz von 750 Gramm völlig ausreichend, und in der Tat ergab er auch genügend Einlage für drei dicke Teller der wunderbaren, an ein Gulasch erinnernde sämige Rindfleischsuppe. Das Rezept sieht keine zusätzliche Sättigungsbeilage vor. Ich folgte dem und verzichtete ebenfalls etwa auf den Reis, mit dem Jolanta ihr Chartscho im Bistro servierte. Ich hielt das Ergebnis bei den Zutaten für eine absolut exklusives Gericht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es mit ein paar Salzkartoffeln und einem gemischten Salat ein fantastisches Mittagessen ergeben würde.
Rezept: Chartscho – georgischen Rindertopf mit Walnüssen
3-4 Portionen
1 Schwanz vom Auerochsen (ca 750 g)
1 dicke Zwiebel
1 Bund Koriander mit Wurzeln
150 g Walnusskerne
1 Stückchen Chilischote
2 TL gemahlener Schabzigerklee
1 EL Tomatenmark
3 Zehen Knoblauch
1 guter Schuss Rotwein
Salz, Pfeffer aus der Mühle
Den Auerochsenschwanz in grobe Stücke teilen. In einen Topf geben und mit kaltem Wasser bedecken. Aufkochen. Abgießen und das Fleisch abbrausen, damit eventuelle Knochenreste und der entstandene Schaum weggespült werden. Topf ebenfalls ausspülen. Fleisch hineingeben und erneut mit Wasser auffüllen, bis es 5 cm über dem Fleisch steht. Salzen. Zum Kochen bringen und dann auf kleinster Stufe ca. anderthalb Stunden köcheln lassen, bis das Fleisch so zart ist, dass es vom Knochen fällt. Ggf. Schaum abschöpfen.
Walnüsse knacken. Koriander waschen und die Wurzeln kräftig abbürsten. Die Zwiebel schälen und grob hacken. Chilischote von den Kernen befreien und in kleine Stücke hacken. Gehackte Zwiebeln und Chili zusammen mit Korianderstielen und Wurzeln, den Walnüssen und dem Schabzigerklee zu einer Paste pürieren. Einige Walnüsse für die Deko zurück behalten.
Tomatenmark mit dem Rotwein in einem Topf verrühren. Die Zwiebel-Walnusspaste zugeben und alles unter Rühren 15 Minuten garen. Wenn die Masse zu trocken wird, noch etwas Fleischbrühe oder Rotwein zugeben.
Das Fleisch aus der Brühe holen und vom Knochen lösen. Brühe bei guter Hitze auf 400 ml einkochen lassen. Knoblauch schälen und ganz fein hacken. Fleisch wieder in die Brühe geben, die Paste unterrühren. Knoblauch durch eine Presse drücken zu zufügen. Mit Salz abschmecken und alles aufkochen lassen.
Mit gehackten Korianderblättchen und Walnusskernen bestreut servieren.
Es ist sehr lecker!
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