Der Artikel erschien erstmalig in der
Zeitschrift "Ruhrgebeef No. 2" Frühjahr 2017
Umweltschützer kritisieren den Fleischkonsum in erster Linie deshalb, weil bei der Produktion dieses wertvollen Lebensmittels zu viele Ressourcen verbraucht werden. Wie man nachhaltigen Landschaftsschutz und die Erzeugung von exklusivem Rindfleisch sinnvoll miteinander verbinden kann, zeigen die halbwilden Rinder in den Auen von Ruhr und Lippe.
Von Peter Krauskopf
Als ich vor Jahren das erste Mal auf den idyllischen Feldwegen der Ruhrschleife von Hattingen-Winz-Baak spazieren war (klick hier), musste ich an einer Stelle herzhaft lachen. Zwei Schilder sahen aus, als wollte sich hier jemand mit typisch westfälischem Humor über dieses paradiesische Fleckchen Ruhrgebiet lustig machen. Auf einer verwitterten Holztafel stand handgeschrieben „Tal der Gesetzlosen“, und ein paar Schritte weiter warnte eine von einem professionellen Schildermacher hergestellte Blechtafel den einsamen Wanderer, vom Wege abzukommen: „Vorsicht – Freilaufende Auerochsen“.
Die erste Tafel, die vor drei Jahren dem legendären Pfingststurm Ela zum Opfer fiel, stammte noch aus den 1980er Jahren, als die Winz-Baaker den Ausbau der A44 stoppten. Ausgerechnet an der Ruhrhalbinsel sollte die sog. „DüBoDo“ den Fluss mit einer Brücke überqueren und so dieses wunderbare Landwirtschafts- und Naherholungsgebiet zerstören. Der Protest hatte Erfolg. Bis heute gibt es die Autobahn nicht.
Die Auerochsen hingegen gibt es wirklich. Doch wenn man sie sehen will, sollte man sich besser auf das gegenüber liegende Südufer der Ruhr zu Füßen der Isenburg begeben. Radfahrer auf dem dortigen Ruhrtalradweg staunen nicht wenig, wenn sie ihren Blick über den Fluss schweifen lassen und sich plötzlich wie in einem afrikanischen Nationalpark fühlen. Majestätisch schreitet da eine Herde imposanter Rinder von 45 Mutterkühen, ihren Kälbern und zwei Stieren zur Tränke zwischen den Buhnen. Es sind die Auerochsen des seit 1232 hier ansässigen Schultenhofes. Manchmal, aber nur im Sommer, macht Bauer Alfred Schulte-Stade für interessierte Gruppen richtig gehende Safaris zu den quasi wild lebenden Tieren (klick hier).
D.h., echte Auerochsen sind es nicht, denn dieses Wildrind, von dem alle Hausrindrassen abstammen, ist ausgestorben. Das letzte nachgewiesene Exemplar wurde 1627 erlegt. Doch in den 1920er Jahren machten sich die Brüder Heck daran, den Auerochsen zu rekonstruieren, indem sie aus den gängigen Hausrindern alle „zahmen“ Eigenschaften wieder zurück züchteten. So entstand eine Rasse, die landläufig wieder Auerochse genannt wird. Sie ist groß und robust, hat lange Hörner, kann verschiedene Farben haben und lässt sich kaum im Stall halten. (In der Nazi-Zeit erlebten sie eine besondere Wertschätzung, was nicht verschwiegen werden sollte. Doch das ist eine andere Geschichte. Anm. d. Verf.)
Auerochsen an der Ruhr
1993 legte sich Viehzüchter Alfred Schulte-Stade die Auerochsen zu. „Und zwar als Landschaftspfleger“, erklärt der mitteilsame, massige Zwei-Meter-Mann Anfang der Sechziger. Mit seinem Schultenhof, den der gelernte Koch in einen Biobetrieb und ein großes Catering-Unternehmen weiter entwickelt hat, konnte er wieder die Ruhrauen in Hattingen-Winz-Baak bewirtschaften, die lange Zeit der Wassergewinnung dienten, 120 Hektar weitgehend naturnahe Flussaue. „Und eine Beweidung durch Auerochsen war das beste Mittel gegen den Bärenklau.“ Die monströse Pflanze war in den 1970-er Jahren aus Innerasien eingeschleppt worden und hatte im Ruhrtal die besten Bedingungen vorgefunden. Sie vermehrte sich rasant und droht heute die einheimische Flora zu verdrängen. „Ihre Blüten sind stark selenhaltig, und die Auerochsen benötigen dieses Element zur Stärkung ihres Herzens“, weiß Schulte-Stade. So weiden sie die Pflanzen ab, aber so, dass der Bärenklau nicht wieder nachwachsen kann. Heute findet man auf Schulte-Stades Auerochsenweiden so gut wie keinen Bärenklau mehr.
Neben der Landschaftspflege liefern die Auerochsen aber auch erstklassiges Fleisch, das nachhaltiger kaum produziert werden kann. Die Herde lebt quasi wild das ganze Jahr auf der Weide, bekommt keinerlei Antibiotika und erledigt aufgrund der „Leichtkalbigkeit“ ihre Fortpflanzung völlig autonom. „Die Tiere brauchen keinen Tierarzt“, betont Schulte-Stade.
Auch werden sie durch die Schlachtung nicht in unnötige Aufregung versetzt, sondern sie werden geschossen. So wird ein Adrenalinausstoß vermieden, und das Fleisch bleibt zart. Überhaupt ähnelt es mehr dem Wildfleisch. Es hat einen kernig-würzigen Geschmack, und in Gegensatz zu dem gängigen Edelrindfleisch, dessen Qualität in der Fettmarmorierung liegt, ist es ziemlich fettfrei. Für die Weiterverarbeitung hat Alfred Schulte-Stade ein eigenes Schlachthaus eingerichtet.
Allerdings ist das Auerochsenfleisch nur äußerst begrenzt verfügbar, da nur der Überschuss an Tieren, den die Weiden nicht ernähren können, vermarktet wird. So wird das Fleisch nur über den Hofladen vor Ort und den kleinen Verkaufsladen in der Hattinger City verkauft. Die Kunden werden über die Verfügbarkeit durch einen Newsletter informiert, den man auf der Internetseite des Schultenhofs abonnieren kann.
Wie Bauer Schulte-Stade im Süden des Ruhrgebiets, setzt am Nordrand des Reviers die Vogelsang Stiftung ebenfalls auf Landschaftspflege durch Beweidung und ist so ganz nebenbei zu einem Züchter von edelstem Rindfleisch geworden. „Unsere eigentliche Aufgabe ist die Pflege von Flächen, die uns aufgrund der Landschafts-, Forst- oder artenschutzrechtlichen Eingriffsregelung als Ausgleichs- bzw. Ersatzflächen von der Industrie übertragen werden“, erklärt die Landschaftsarchitektin Britta Biermann, die sich um den Viehbestand auf den insgesamt 160 Hektar Stiftungsfläche im Ruhrgebiet kümmert, den satzungsmäßigen Auftrag.
So idyllisch der Stiftungssitz, ein exklusiv renovierter Gutshof in der Lippeaue bei Datteln, auch ist, zeigt seine Lage deutlich das Spannungsfeld, in dem die Stiftung arbeitet. Während südlich der Wesel-Datteln-Kanal als Wasserstraße der Industrie die Landschaft wie mit dem Lineal gezogen durchschneidet, mäandert nördlich die naturnah erhaltene Lippe gemächlich durch die Wiesen. Und um diese und auch andere Ausgleichflächen zu erhalten, setzt die Vogelsang Stiftung wie Bauer Schulte-Stade an der Ruhr Rinder ein.
Allerdings setzt man dabei weniger auf Auerochsen, von denen denen nur etwa fünf den Bewuchs einer renaturierten Halde in Dortmund in Schach halten. In der Lippeaue sind es Rinder der Rasse Aubrac. Die aschblonden Tiere stammen aus dem französischen Zentralmassiv, sind eine Kreuzung des vom Aussterben bedrohten Maraichine-Rindes von der Loire und dem Braunvieh aus den Alpen. Wie die Auerochsen sind die Tiere genügsam und widerstandsfähig.
„Wie bei Bauer Schulte-Stade, mit dem wir uns beraten haben, leben unsere Tiere ebenfalls ganzjährig unter nahezu wilden Bedingungen“, erklärt Britta Biermann. Sie ernähren sich ausschließlich von dem, was die Landschaft für sie bereithält: Gräser, Kräuter, Blätter, Eicheln. Nur im Winter erfolgt bei Bedarf eine Zufütterung mit eigenem Heu.
Aubrac-Rinder an der Lippe. Foto: Urbeef
Der unter diesen paradiesischen Bedingungen entstehende Überschuss an Rindern, der den landschaftspflegenden Charakter der Haltung nicht mehr gewährleisten würde, wird einmal im Jahr durch die Dattelner Metzgerei Hauwe geschlachtet. „Auch wir streben an, die Rinder durch Kugelschuss zu erlegen“, erklärt Britta Biermann, „doch da sind noch einige rechtliche Grundlagen zu klären.“
Dass bei so einer extensiven, frei von kommerziellen Zwängen stattfindenden Aufzucht der Rinder ein einzigartiges Fleisch entsteht, liegt auf der Hand. Um es zur vermarkten, wurde die Marke „Urbeef“ gegründet, die auch seit 2017 Fördermitglied von Slow Food ist. Aber wie die Auerochsen vom Schultenhof, ist das Urbeef der Vogelsang Stiftung sehr rar. Um zu erfahren, ob es verfügbar ist, muss man sich auch im Internet anmelden. Sofern vorhanden, wird es in der Vorweihnachtszeit in 10-Kilogramm-Paketen abgegeben. „Fürs nächste Jahr planen wir auch für den Sommer ein Grill-Paket“, verrät Britta Biermann.
Kontakt
www.der-schultenhof.de
www.urbeef.de
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