Sonntag, 24. September 2023

Dortmunder Saarlandstraßenviertel: Brunch im Tapa



Tanja und Pawel sind "Tapa".


Als Nicht-Dortmunder erinnert mich die Borussenstadt von allen Ruhrgebietsstädten am meisten an Berlin. Das mag daran liegen, dass ich den Eindruck habe, dass hier die Bausubstanz von vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als anderswo im Revier erhalten geblieben ist. Jedenfalls haben hier die die Vor- und Nachkriegsbauten eine geradezu hauptstädtische Höhe, mindestens gefühlte fünf Stockwerke, während es z.B. in Bochum gerade einmal drei zu sein scheinen. Das gilt sowohl für das glamouröse Kaiserstraßenviertel wie für die von urbanen Mythen umrankte Nordstadt, aber auch für das Saarlandtraßenviertel.




Chic im Saarlandtraßenviertel


Hier betreiben Tanja Gorodynska und ihr Mann Pawel das „Delikat Essen“, wo Pawel als Küchenchef eine temperamentvolle Küche zelebriert, die von ihrer Heimatstadt, dem legendären ukrainischen kulturellen Schmelztiegel Odessa und einem unverstellten Blick auf die Urlaubsküchen der Welt inspiriert ist. (Zum Bericht über das „Delikat essen“ klick hier). Im November letzten Jahres haben die beiden als weiteres Standbein das „Tapa“ in der Nachbarschaft eröffnet. Der Name des neuen Restaurants ist programmatisch. Er ist die Zusammenziehung der ersten Silben ihre Vornamen Tanja und Pawel und bekennt sich somit zu einer individuellen Autorenschaft des Angebots, bezeichnet aber auch jene international gewordene Häppchen-Küche, die in den südspanischen Ferienregionen ihren Ursprung hat.



Im goldenen Oktober sollte man noch die schöne Terasse nutzen.

In diesem Herbst starten sie mit einem Brunch, der an jedem Sonntag ab 12 Uhr eine auf einer speziellen Karte eine Auswahl von kleineren Speisen bietet, die man als spätes Frühstück oder auch als Mittagessen genießen kann. Der Genießer konnte letzten Sonntag schon vorab mit den Kollegen Silke, Tom und Michael die Kreationen probieren. Pawel bringt da ein ganzes Feuerwerk von Aromen auf die Teller, allesamt Gaumenschmeichler, die beweisen, dass gute Laune über die Zunge geht. Alles ist natürlich hausgemacht. Na gut, manchmal hat man eine andere Erwartung, wenn man die die Bezeichnungen der Gerichte liest, aber dann begreift man, was der Begriff Soul Food wirklich bedeutet. So muss sich der junge Elvis gefühlt haben, als ihm seine Mama nach einem anstrengenden Auftritt ein Bananenbrot gemacht hat. Nur dass hier pochierte Eier, Smörrebröd, Arme Ritter und Blinis viel raffinierter sind.

Eigentlich könnte man ja von zwei verschiedenen Portionen satt sein, doch die die Gerichte sind so verführerisch, das es dabei nicht bleibt.


Soul Food zur Mittagszeit
Brunch im Tapa Dortmund, 17.9.2023




Ei Benedict:
Brioche, selbstgemachte Hollandaise, pochiertes Bio-Ei, Graved Lachs



Ei Florentine:
Brioche, selbstgemachte Hollandaise, pochiertes Bio-Ei, Spinat


Blumenkohlrösti, Steinpilzcreme


Smörrebröd, Meerrettich-Frischkäse, kaltes Roastbeef,
Pfifferlinge, geräucherte Créme fraîche


Schakschuka mit 2 Bio-Eiern und Burrata


Arme Ritter, Bergkäse, Birnen-Mostarda


Quesadilla, Kidney Bohnen-Creme, Guacamole



Syrniki: Käsepfannkuchen, confierte Feigen, Créme fraîche


Spezial:
Ceviche – neu auf der Abendkarte


TAPA. Dortmund, 44139 Chemnitzer Str. 95. 0231/47415169 od. 0172-9705551. Di-Fr 16-23 Uhr, Sa 12-23 Uhr, So 12-21 Uhr. Mo Ruhetag. www.tapa-dortmund.de

Der Genießer bedankt sich für die Einladung.
Dank an Silke Albrecht für die Organisation.

Samstag, 16. September 2023

Neu in der Bochumer Nachbarschaft: Kleene Tocke

Biotop für sich: Das Tor zum Ehrenfeld

Drei Jahre hat es gedauert, bis die Baustelle auf der Hattinger Straße im Bochumer Ehrenfeld in diesem Sommer endlich fertig war. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nicht nur, dass man am Schauspielhaus endlich wieder die Stadt problemlos in Richtung Hattingen verlassen kann. Auch die Kanalisation wurde auf den neusten Stand der Technik gebracht, mit dem den immer häufiger auftretenden erwartenden Klimawandel-Erscheinungen Starkregen und Hitzesommer getrotzt werden kann. Durch ein wegweisendes System wird das Regenwasser nicht einfach in die Kanalisation abgeleitet, sondern in unterirdischen Rigolen und oberirdischen Mulden gesammelt, so dass es bei ansteigenden Temperaturen für Verdunstungskühle und für die noch zu pflanzenden Straßenbäume als Bewässerung genutzt werden kann. Damit wird das Ehrenfeld zu einem der ersten Schwammstadt-Biotope Bochums.


Dolce Vita auf schmalem Bürgersteig

Ein gastronomisches Biotop, das durch die neu angelegten Radwege und die Fußgängerquerung über die breite Hattinger Straße noch besser erschlossen wird, ist der Kiez rund um den Hans-Ehrenberg-Platz schon lange. Im Restaurantführer „Bochum geht aus 2024“ berichte ich in einer großen Reportage darüber. Eine der ältesten Locations am Platze und sozusagen das Tor zum Ehrenfeld ist das Haus Hattinger Straße 10, in dem sich 35 Jahre lang die Pizzeria „Rimini“ der Familie Tribuzio befand. In den 1980-er Jahren konditionierten wir uns hier hungertechnisch für überlange Schauspielhausabende oder zogen uns nach den diskussionsintensiven Redaktionssitzungen des Stadtmagazins MARABO zum geselligen Pizza-Essen zurück; später allerdings muss ich gestehen, habe ich das Ristorante aus den Augen verloren. Dass vor zwei Jahren nach dem Ende von „Rimini“ hier unter dem Label „Paco’s Tacos“ mexikanische Ketten-Kost angeboten wurde, ging dann völlig an mir vorbei - was sicherlich auch daran lag, dass die allgegenwärtigen Baustellenabsperrungen den Weg dorthin versperrten und die Corona-Lockdowns einem den Besuch von Gaststätten jeglicher Couleur sowieso vergällten.

Hell und luftig


Treffpunkt unter'm goldenen Fahrrad


Und jetzt das: „Kleene Tocke“ statt „Paco’s Tacos“. Unter diesem Namen hat sich in den letzten drei Wochen in kürzester Zeit der altmodische 60-er-Jahre Kubus mit den plakativen Grafittis zu einer wahren Blüte der Nachbarschaftsgastronomie entfaltet. Bei schönem Sommerwetter drängen sich schon tagsüber die Gäste an den Außentischen auf dem auch nach der Neugestaltung des Straßenraums immer noch viel zu schmalen Bürgersteig und verwandeln die Hattinger Straße in eine Art Via Veneto voller dolce vita. Hier trifft sich alles von den Fridays-for-Future-Kids bis hin zur forever jungen Generation Pedelec. Die zur Seite klappbaren Panorama-Scheiben lassen Luft und Licht ins Lokal, und der modische grüne Grasteppich an der Wand, auf dem demonstrativ ein vergoldetes Fahrrad hängt, wirkt wie ein Spiegelbild des wuchernden Pflanzenwuchses in den Wassermulden in der Mitte der Straße.

Hayri Nargili und Bilal Balyemec

Gemütlichkeit in der Kleenen Tocke

Geschichts-...
 
... und herkunftsbewusst

Hayri Nargili und Bilal Balyemec scheinen ein Händchen dafür zu haben, ruhrgebietstypische Nachbarschaftlichkeit in ein modernes Gastrokonzept zu verwandeln. Die beiden Philosophiestudenten haben schon im Wohngebiet auf der gegenüberliegenden Seite der Hattinger Straße mit dem Kiosk „Zum Philosophen“ einen ganz besonderen Treffpunkt realisiert, indem sie die ruhrgebietstypische Büdchen-Nostalgie mit der modernen Intellektualität des Hochschulstandortes Bochum und der türkischen Gartenhäuschen-Kultur verbanden. Auch der Plan, das legendäre „Biercafé“ auf dem Shakespeare-Platz an der Königsallee neu zu beleben, wird weiter verfolgt. Der Name „Kleene Tocke“ hört sich zwar ein wenig Berlinerisch an, ist aber eine alte mundartliche Bezeichnung für den Stadtteil Ehrenfeld. Auf diese Idee brachte sie der Lokalhistoriker Dirk Ernesti, der auch die Fotos aus dem alten Ehrenfeld für eine Galerie beisteuerte, die eine Glaswand des Lokals ziert. Diese historischen Reminiszenzen ergänzen sich wie selbstverständlich mit den türkischen Versatzstücken, die ebenfalls für Atmosphäre sorgen. Schöner lässt sich die von den Einwanderungskulturen geprägte Geschichte des Ruhrgebiets nicht auf den Punkt bringen.

Gerichte von der Schwiegermutter

Man isst mit goldenem Besteck

Und dazu gehört natürlich auch die Küche, die in der „Kleenen Tocke“ angeboten wird. Die ist natürlich wie bei Muttern – und stammt hier von Hayris Schwiegermutter. Die z.T. klassischen türkischen Gerichte der Karte werden von ihr vorbereitet: Tava Börek z.B., knusprig gebratener Blätterig mit Spinat-Füllung oder Kisir Salt mit Bulgur und Granatapfelkernen. Nachmittags gibt’s zu verschiedenen Kaffee-Spezialitäten hausgemachte Kuchen, z.B. Schoko oder Cheesecake, mit einer Auswahl ebenfalls hausgemachter Toppings. Eine umfangreiche Getränkekarte mit selbstgemachten Eistees, Limonaden und Cocktails und eine schön ausgewählte Weinkarte runden das Angebot ab.

Hausgemachter Eistee

Zwei nachmittägliche Besuche überzeugten den Genießer davon, auch in Zukunft in der „Kleenen Tocke“ einzukehren. Die beiden Gerichte, die ihm zu dieser nicht ganz typischen Zeit serviert wurden, waren einfach lecker: schön gewürzt, sättigend, farbenfroh angerichtet. Einmal gab’s dazu eine Apfelschorle, das andere Mal ein hausgemachter Holunder-Limetten-Eistee. Das Dessert war dann fast experimentell: einen Kuchen mit Olivenöl habe ich, so glaube ich, vorher noch nie gegessen.


Nachmittägliche Mittagessen
Kleene Tocke, 12. Und 13.9.2023




Oma’s Dolma
Geschmorte Paprika mit einer würzigen Tomaten-Reis-Füllung,
serviert mit einem Joghurt-Knoblauch-Dip 10,90 Euro



Kleener Salat
Bunter Beilagensalat mit Rucola, Feldsalat, Babyspinat, Cherrytomaten, frischen Kräutern und einem hausgemachtem Dressing 5,90 Euro



Icli Köfte
Bulgur-Klöße, gefüllt mit würzigem Hackfleisch und Walnüssen, serviert mit einem frischen Joghurt-Knoblauch Dip 11,90 Euro



Olivenöl-Pistazien-Zitronenkuchen mit Pistaziensauce 4,80 Euro

Cappuccino 3,40 Euro

Kleene Tocke Café und Bar. Hattinger Str. 10, 44789 Bochum. Tel. 0234/45267670. Di-Do 16-23 Uhr, Sa. 16-24 Uhr. So 14-22 Uhr. Mo Ruhetag. Im Internet nur auf Instagram.
 
Weitere Tipps aus der Bochumer Nachbarschaft klick hier
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Kult[UR]-Bude Zum Philosophen klick hier

Montag, 11. September 2023

Slow Food Bochum: Besuch in der Hummelbude in Essen


Slow Food Bochum ist ja immer auf der Suche nach Restaurants, die den ambitionierten Vorstellungen des Vereins von Lebensmitteln und Gastronomie entsprechen. Gut, sauber und fair ist da das Motto, das von der internationalen, ursprünglich in Italien entstandenen Genießergemeinschaft vorgeben wird. Im Laufe der Zeit sind unter dem Schlagwort „Essen ist politisch“ auch das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Regionalität und für die Notwendigkeit der Reduzierung des Fleischverbrauchs dazu gekommen. Gerade Restaurants, die schließlich ständig mit den Essgewohnheiten ihrer Kundschaft konfrontiert sind, können das jedoch nicht so einfach realisieren.

Der Ini-Kreis in der Hummelbude

So ist es nicht verwunderlich, das Slow Food Bochum über die Grenzen seines Einzugsgebiets, dem sog. Mittleren Ruhrgebiet, blicken muss, um fündig zu werden. Schon seit 2019 betrieben Nicole Hobach und Jonas Hußmann einen vegetarischen Imbiss, den sie jetzt zu einem Restaurant ausbauen konnten, das sie im Juni 2023 schließlich eröffneten. Ihr Angebot ist ambitioniert. Die beiden haben sich dem veganen Fine Dining verschrieben, d.h., sie präsentieren aufwändige Gerichte, die ohne tierische Zutaten auskommen. Dabei kommen sie den Vorstellungen von Slow Food sehr nahe, wie das Manifest, das sie ihrer Speisekarte voranstellen, verrät. Die verwendeten Zutaten sind regional, was aber nicht bedeutet, dass sie beim ortsansässigen Großhändler einkaufen, sondern direkt bei Produzenten aus der Nachbarschaft. Das Gemüse stammt von der Permakultur-Gärtnerei „Evergreen“ in Essen-Heidhausen, der Kaffee kommt von der Frohnhauser Rösterei „Arcangelo“, des Brot aus der „Blond Bakery“ in Essen-Rüttenscheid. (Für weiteres über die „Hummelbude“ bitte hier klicken).

Angenehme Atmosphäre

So machte sich also der Ini-Kreis von Slow Food Bochum letzten Mittwoch auf den Weg nach Essen-Frohnhausen. Und wir waren begeistert: Von der angenehmen, luftig-lichten Atmosphäre des modernen Restaurants, von der witzig-quirligen Bedienung und natürlich von dem fantastischen Essen. Nicole, Jonas und ihr Küchenchef Jan präsentierten eine fantasievolle und aromastarke Gemüseküche mit spanischen und exotischen Akzenten. Besonders imponierte dabei, dass völlig auf die gängigen Fleisch-Imitate verzichtet wurde, die dem Esser vorgaukeln sollen, er würde ein Steak oder ähnliches essen. Der Nachbau von Jakobsmuscheln aus Kräuterseitlingen war dabei nur witzig. Zwar sahen sie durchaus wie das Original aus, blieben aber das, was sie waren: Pilze.

Gegessen wurde das aktuelle viergängige Menü und die sog. Vorspeisen-Tapas. Nicht alles wurde fotografiert, genusowenig wurden die Weine dokumentiert. Es war ein wunderbarer kulinarischer Abend - auch wenn manchmal darüber diskutiert wurde, ob die Gemüse nicht hätten weicher gegart sein können.

Mit Slow Food in der Hummelbude
6.9.2023


Wasserkefir
Fermentiertes Getränk aus eigener Herstellung, verfeinert mit Früchten



Dinkel Empanadas
Kartoffel-Chili & ThunVischfüllung, Sommergemüse
Empanadas sind spanische oder südamerikanische Teigtaschen.




Baskischer Kartoffelsalat
Pimientos de Padron, geräucherte Paprika, Olive, Röstbrot


Coquille san Kräuterseitling
Zitronenfenchel, Algen Beurre Blanc, Kräuterseitling



Bunte Beten
knusprige Polenta, Umeboshi
Umeboshi sind eingeleget japanische Früchte, die im Deutschen auch Salzpflaumen genannt werde,


Gemüse Couscous
mit Macadamia-„Ziegenkäse“, Blumenkohl, Romanesco, Pflaumenchutney Harissa-Paprikapüree


Vanille Panna Cotta
Blaubeersalat, Lavendel Eiscreme

Espresso von Arcangelo


Hummelbude. 45144 Essen-Frohnhausen, Frohnhauser Str 219, Eingang um die Ecke. Tel. 0201/37640260. Mi-Sa 12-22 Uhr. So 14-22 Uhr. Mo, Di geschlossen. www.hummelbude.com

Samstag, 2. September 2023

Lecker Essen für Europa: Chartscho – Georgischer Rindertopf vom Auerochsenschwanz aus den Ruhrwiesen mit Grenobler Walnüssen, Chili, Korianderwurz und Schabzigerklee


Als ich das letzte Mal Ende Januar im „Café Vincent“ Mittagessen war, war es noch richtig Winter. Passend zur Jahreszeit hatte Jolanta Chartscho auf der Karte, einen wärmenden und energiereichen Rindertopf mit Walnüssen aus Georgien (klick hier). Diese ehemalige Sowjetrepublik liegt im Kaukasus, und so fiel mir als altem Karl-May-Leser sofort ein Zitat aus seinem eher unbekannten Text „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ ein, in dem der Bestsellerautor, Winnetou-Erfinder und Superheldensdarsteller selbstironisch seine Situation als Popstar des 19. Jahrhunderts schildert, der von seinen Fans verfolgt wird. Da erwähnt er in einem Nebensatz, dass sein Alter Ego, der Orientreisende Kara Ben Nemsi, eine Einladung zur Auerochsenjagd in den Kaukasus bekommen habe. Da war natürlich klar, dass ich dieses Chartscho nachkochen wollte – und zwar mit Auerochsenfleisch von den Ruhrwiesen des Schultenhofs bei Hattingen, das ich immer wieder gern zubereite. Ein paar schöne Grenobler Walnüsse hatte ich noch vom Weihnachtsmarkt übrig.

Auerochsen an der Ruhr in Hattingen

Dass Kara Ben Nemsi im 19. Jahrhundert wirklich Auerochsen hätte jagen können, ist so übertrieben wie Karl Mays PR-Masche, sich mit seinen Helden persönlich zu identifizieren. Seit dem 16. Jahrhundert ist der Auerochse, von dem alle heutigen Nutz-Rinder abstammen, schließlich ausgestorben. Das, was heute so bezeichnet wird, ist eine Rückzüchtung der Brüder Heck aus den 1920-er Jahren vom Zahmen ins Urige. Herausgekommen ist dabei eine recht wilde Rasse, die ausgerechnet den Nazis sehr gefiel, die damit die Wälder in den europäischen Ostgenbieten bevölkern wollten, die im zweiten Weltkrieg erobert werden sollten - als ebenbürtige Rindviecher für die Jagdflinten der arischen Übermenschen.

Karl May als Pseudo-Auerochsenjäger Kara Ben Nemsi

Soweit ist es zum Glück nicht gekommen. Die widerstandsfähigen und auf sich selbst gestellt leben könnenden Design-Rinder werden heute für zivilisatorisch fortschrittliche Aufgaben eingesetzt: zur Landschaftspflege von Weideflächen und somit zur Erhaltung der Kulturlandschaft. Die Herde von Bauer Schulte-Stade hält zum Beispiel die ehemaligen Wassergewinnungswiesen in der Ruhrschleife von Hattingen-Winz-Baak ökologisch intakt. (Zur Geschichte der wilden Rinder an der Ruhr klick hier). Wird die Herde zu groß, bringt Schulte-Stade das hervorragende Fleisch der überschüssigen Tiere in seinem Hofladen zum Verkauf.


Auerochsenschwanz und andere Zutaten


Und so wartete ich sehnlich auf den wöchentlichen Newsletter des Schultenhofs, ob endlich wieder Auerochsenfleisch im Angebot sei, doch ich musste mich mehr als ein halbes Jahr gedulden. Erst Mitte August gab es wieder welches. Eigentlich ist der Hochsommer ja nicht die ideale Saison für den Rindertopf, aber ich griff dennoch zu. Das Säckchen mit einem Rest Walnüsse hing immer noch am Haken in der Küche, und ehe der alle sein würde, wollte ich zur Tat schreiten.

Chartscho im Bistro & Café Vincent

Jolanta hatte zwar alle Zutaten ihres Chartscho – Rindfleisch, gehackte Walnüsse, Tomaten, Reis, Paprika-Chili-Dip Adscheko, Koriander und Lauchzwiebeln – angegeben, aber ein genaues Rezept kannte ich nicht. Ich suchte also im Internet und wurde im Blog „Magentratzerl“ fündig (klick hier). Blogbetreiberin Susanne stellt ein Mus aus pürierten Zwiebeln, Walnüssen und Tomatenmark her, mit dem die Brühe, die beim Kochen des Rindfleischs entsteht, eingedickt wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das beim Fleischkochen ausgetretene Rinderfett – im winterlich kalten Gebirge sicherlich eine wichtige Angelegenheit.

Korianderwurz, Schabzigerklee und andere Zutaten

Gewürzt wird alles mit Korianderstengeln samt Wurzeln und Schabzigerklee. Die Verarbeitung von Korianderwurzeln kannte ich aus der thailändischen Küche (zu meinem Thai-Kochkurs klick hier), und ich wusste auch, dass ich sie im Asialaden bekommen konnte. Von Schabzigerklee hatte ich noch nie gehört, wurde dann aber im Reformhaus fündig, Das olivgrüne mehlfeine Pulver hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Bockshornklee und entfaltet ein wunderbares Aroma, einerseits von einer gewissen Zitrusfrische, andererseits von einer gewissen orientalischen Muffigkeit wie beispielsweise Kreuzkümmel. Schabzigerklee kommt in der georgischen Küche häufig vor, aber auch in anderen Gebirgsländern. So gibt es in der Schweiz einen damit gewürzten Schabzigerkäse, und er sorgt auch für den kernigen Geschmack von rustikalem Krustenbrot.

Für mein Chartscho hielt ich mich weitgehend an das Rezept von „Magentratzerl“. Statt Chilipaste nahm ich allerdings frischen Habanero-Chili zum Würzen. Mitten im Sommer verzichtete ich auch darauf, Rinderfett zum Geschmeidigmachen des Zwiebelmuses zu verwenden. Stattdessen gab ich eigenmächtig einen guten Schuss Rotwein dran – Georgien ist schließlich als Wiege des Weinbaus die älteste Weinregion der Welt.

Auerochsenschwanz

Das Rezept sieht ein Kilogramm Rinderhaxe vor, das so weich gekocht wird, bis das Fleisch vom Knochen fällt. Für meinen bescheidenen Singlehaushalt schien mir ein fleischiger Auerochsenschwanz von 750 Gramm völlig ausreichend, und in der Tat ergab er auch genügend Einlage für drei dicke Teller der wunderbaren, an ein Gulasch erinnernde sämige Rindfleischsuppe. Das Rezept sieht keine zusätzliche Sättigungsbeilage vor. Ich folgte dem und verzichtete ebenfalls etwa auf den Reis, mit dem Jolanta ihr Chartscho im Bistro servierte. Ich hielt das Ergebnis bei den Zutaten für eine absolut exklusives Gericht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es mit ein paar Salzkartoffeln und einem gemischten Salat ein fantastisches Mittagessen ergeben würde.


Rezept: Chartscho – georgischen Rindertopf mit Walnüssen

3-4 Portionen

1 Schwanz vom Auerochsen (ca 750 g)
1 dicke Zwiebel
1 Bund Koriander mit Wurzeln
150 g Walnusskerne
1 Stückchen Chilischote
2 TL gemahlener Schabzigerklee
1 EL Tomatenmark
3 Zehen Knoblauch
1 guter Schuss Rotwein
Salz, Pfeffer aus der Mühle

Den Auerochsenschwanz in grobe Stücke teilen. In einen Topf geben und mit kaltem Wasser bedecken. Aufkochen. Abgießen und das Fleisch abbrausen, damit eventuelle Knochenreste und der entstandene Schaum weggespült werden. Topf ebenfalls ausspülen. Fleisch hineingeben und erneut mit Wasser auffüllen, bis es 5 cm über dem Fleisch steht. Salzen. Zum Kochen bringen und dann auf kleinster Stufe ca. anderthalb Stunden köcheln lassen, bis das Fleisch so zart ist, dass es vom Knochen fällt. Ggf. Schaum abschöpfen.
Walnüsse knacken. Koriander waschen und die Wurzeln kräftig abbürsten. Die Zwiebel schälen und grob hacken. Chilischote von den Kernen befreien und in kleine Stücke hacken. Gehackte Zwiebeln und Chili zusammen mit Korianderstielen und Wurzeln, den Walnüssen und dem Schabzigerklee zu einer Paste pürieren. Einige Walnüsse für die Deko zurück behalten.
Tomatenmark mit dem Rotwein in einem Topf verrühren. Die Zwiebel-Walnusspaste zugeben und alles unter Rühren 15 Minuten garen. Wenn die Masse zu trocken wird, noch etwas Fleischbrühe oder Rotwein zugeben.
Das Fleisch aus der Brühe holen und vom Knochen lösen. Brühe bei guter Hitze auf 400 ml einkochen lassen. Knoblauch schälen und ganz fein hacken. Fleisch wieder in die Brühe geben, die Paste unterrühren. Knoblauch durch eine Presse drücken zu zufügen. Mit Salz abschmecken und alles aufkochen lassen.
Mit gehackten Korianderblättchen und Walnusskernen bestreut servieren.