Ich dachte, der Ausflug nach Essen-Frohnhausen in die „Hummelbude“ sei wie eine Reise in meine Kindheit und Jugend. Kaum 450 Meter von dem veganen Restaurant befindet sich die Alfred-Krupp-Schule, jenes Gymnasium, an dem ich vor langen Jahren mein Abitur gemacht habe. Mein Schulweg führte mich täglich an dem Haus Frohnhauser Ecke Lüneburger Straße vorbei. Damals befand sich da ein gehobenes Haushaltswarengeschäft, in dem ich einmal eine gläserne Nippes-Figur als Geburtstagsgeschenk gekauft habe.
Die größere Hälfte des Essener Stadtteils Frohnhausen liegt nördlich der A 40, die wie ein Äquator die Stadt quasi in den proletarischen Norden und den bürgerlichen, z. T. sogar großbürgerlichen Süden teilt. So liegt Frohnhausen sozusagen dazwischen. Es ist nicht so charmant wie quirlige Rüttenscheid hinter dem Klinikum, ähnelt aber manchmal dem harten Pflaster des grimmigen Altendorf jenseits des Essen-Wester Bahnhofs. Schon immer war es ein schillernder Nährboden für die Sumpfblüten einer regen Subkultur. Heute ist es im studentischen Milieu wegen seiner erschwinglichen Mieten beliebt und wird liebevoll „Fronx“ genannt, in Anspielung auf den New Yorker Stadtteil Bronx.
Kulinarisch gesehen ist Frohnhausen in meiner Erinnerung ein Paradies der Pommesbuden, die seit den 1960-er Jahren besonders entlang der Frohnhauser Straße aus dem Boden sprossen wie die Pilze und schließlich von den verschiedensten Immigranten-Kulturen im Ruhrgebiet okkupiert wurden. Heute sind sie ein schillerndes Spiegelbild der Küchen der Welt. Ein vegetarisches und veganes Angebot ist dazu eine hervorragend passende Ergänzung.
Was den Frohnhauser Fine-Dining-Bereich angeht, fällt mir eigentlich nur der legendäre „Kölner Hof“ ein, jene Traditionsgaststätte, aus der Heinz Furtmann und seine Frau Rosmarie eine der besten Adressen der Stadt machten, zu Beginn der 2010-er Jahre aber aus gesundheitlichen Gründen aufgaben (zu einer Rezension aus dem Jahr 2008 klick hier). So war ich doch ein wenig verwundert, als Nicole Hobach und Jonas Hußmann so demonstrativ auf die Fine-Dining-Ausrichtung ihrer „Hummelbude“ hinwiesen. Aber beide sind ausgebildete Köch*innen (ja, sie bekennen sich zu Diversität und Gendern) und haben in entsprechenden Gastronomien gearbeitet. Und es ist ihnen fast ein pädagogisches Anliegen, dass vegane Gerichte jenseits aller Imbiss-Bowls gut schmecken, gut aussehen und kultiviert serviert werden sollen, auch und besonders in Frohnhausen. Die Imbiss-Sparte decken sie dabei quasi mit ihrem täglich wechselnden Mittagstisch ab, den man auch mitnehmen kann, selbstverständlich in Leihgeschirr.
Nicole und Jonas sind davon überzeugt, dass nur eine vegane Ernährung, die ohne ressourcenintensive Tiermast auskommt, den notwendigen Beitrag zur Milderung der Klimawandelfolgen leisten kann. Das wollen sie ihren Gästen mit der „Hummelbude“ klar machen. Dabei gibt sich Jonas im Gespräch überhaupt nicht militant. Er hat großes Verständnis dafür, dass Leute die fade schmeckenden veganen Käse nicht mögen; auch Fleisch von artgerecht gehaltenen Weidetieren tabuisiert er nicht. Er räumt ein, dass es Menschen gibt, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht konsequent vegan könnten, und von der Gleichung „vegan = gesund“ hält er auch nichts. „Unsere Kuchen, die wir nachmittags anbieten, sind zwar wahnsinnig lecker“, schwärmt er, „aber sie bestehen in erster Linie aus Fett, Zucker und Weißmehl.“
Neben der veganen Ausrichtung ist die Regionalität für die „Hummebude“ ein wichtiges Standbein. Jonas und Nicole sind der Arbeit des Ernährungsrates und der Grünen Hauptstadt Essen verbunden; in ihren Selbstdarstellungen fallen Statements wie „Essen ist politisch“ auf, wie sie den Manifesten von Slow Food vorkommen. Das sei gewollt, stellt Jonas fest, doch leider fehle die Zeit, sich vereinsmäßig zu engagieren.
Viel wichtiger aber scheint es mir, dass sie mit der „Hummelbude“ die Regionalität konsequent leben. Den weitesten Weg hat noch das Gemüse, das in der Küche verarbeitet wird, hinter sich. Es stammt aus der Permakultur-Gärtnerei Evergreen im schon niederbergischen Essener Stadtteil Heidhausen südlich der Ruhr. Das Brot stammt z.T. von der Blond Bakery aus Rüttenscheid. Der Kaffee wird bei Arcangelo ganz in der Nähe des Frohnhauser Marktes geröstet, das Geschirr stammt aus einer Frohnhauser Töpferei, die Trockenblumen auf den Tischen von einer Frohnhauser Floristin.
Anlass für die Einladung zum Presseessen war die Wiedereröffnung der „Hummelbude“ im Juni nach einem größeren Umbau. 2019 hatten Nicole und Jonas die Räumlichkeiten der ehemaligen „Dankbar“ in der Lüneburger Straße übernommen, und jetzt konnten sie sie dank des Kolpingwerkes, das in dem Gebäude ein Jugendwohnheim betreibt, bis zur Frohnhauser Straße erweitern. Bei der Ausgestaltung wurden sie von dem Architekten unterstützt, der einst schon den Sternetempel „Résidence“ in Kettwig gestaltete. Besonders gelungen empfand ich die komplette Rundum-Verglasung, durch die man den Eindruck hat, immer draußen zu sein, obwohl man drinnen sitzt. (Und schon bald bewunderte ich den Mut, so etwas Zerbrechliches in der „Fronx“ zu realisieren – angesichts der Clan-Auseinsetzung während der Gourmetmeile „Essen genießen“ in der Innenstadt und der nächtlichen riots in Frankreich in der letzten Zeit.)
Um das Konzept der Weltverbesserung durch Genuss zu verdeutlichen, wurde uns das aktuelle Menü präsentiert, erweitert durch zusätzliche Vorspeisen. Dazu wählte ich die alkoholfreie Getränkebegleitung. Trotz gelegentlicher Irritationen, die ich empfand, weil das Versprechen, das veganes Essen einfach gut schmecken muss, auf die Erwartungen eines professionellen Essennörglers traf, war die Überzeugungsarbeit durchaus gelungen. Fleisch vermisste ich an keiner Stelle. Doch war der Besuch der „Hummelbude“ keineswegs die erwartete Reise in meine Kindheit, sondern eher die in die kulinarische Zukunft.
Das Weltverbesserung durch Genuss-Menü
Hummelbude, 27. Juni 2023
Aperitif
Cremant vom PIWI-Kollektiv mit Minze und Gurke
Süß, sauer und prickelnd
Vorweg
Weizenbrot von der Blond Bakery und Roggenbrot aus eigener Produktion
Oliveneis
Der Roggensauerteig wurde vor 8 Jahren angesetzt.
Jasmin Oat Mocktail
Weißer Tee, Zitronensaft, Hafer-Sojadrink
Bao Buns
Gefüllt mit selbst fermentiertem Kimchi, Jackfruit und eingelegtem Gemüse
Die aus der chinesischen Küche stammenden gedämpften Teigtaschen waren u.a. mit Jackfruit gefüllte, einer Baumfrucht, die fleischähnliche Konsistenz hat. Schmeckte mit besser als letztes Jahr beim Inder.
Teriyaki Grün
Grüne Gemüse mit Teriyaki-Sauce
Die Teriyki-Sauce brachte exotischen Pfiff ins Gericht. Jonas überlegt, ob er die asiatischen Edamame-Bohne durch Ackerbohnen aus der Region ersetzt.
Umami Ragout
Tofuragout mit viel Tiefe
Früher war das Gericht als vegane Bolognese angekündigt, doch vermissten die Gäste die Nudeln. Die kräftige Sauce kann es mit jedem lang eingekochtem italienischen Ragù aus Hackfleisch aufnehmen.
Kombucha
Fermentierter Schwarzer Tee aus eigener Herstellung, verfeinert mit Sirup und Soda
Sellerie von Kopf bis Fuß
Sellerie im Salzteig, als Staude, Hafersauce, Himbeergel
„Unser Signature Dish um dir den Sellerie vorzustellen“ erläutert die Speisekarte. Optisch ein Genuss, und auch geschmacklich durchdacht. Leider gehört Sellerie nur bedingt zu meinen Gemüsefavoriten. Ein so raffiniert zubereitetes Kohlrabi- und Blumenkohlschnitzel hätte mich wahrscheinlich entzückt.
Hummelbude. 45144 Essen-Frohnhausen, Frohnhauser Str 219, Eingang um die Ecke. Tel. 0201/37640260. Mi-So und an Feiertagen 12-22 Uhr. Ruhetage Mi, Di. www.hummelbude.com
Der Genießer bedankt sich für die Einladung.
Dank an Michael Alisch für die Organisation.
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