Ich weiß nicht, ob man schon von einer Tradition sprechen kann, nur weil man zweimal das Gleiche tut. Jedenfalls hatte meinem Slow-Food-Freund Jochen und mir im letzten Jahr die Ente mit Rotkohl und Klößen, die Yolanta im „
Bistro Vincent“ an der Bochumer Universitätsstraße alljährlich an jedem Donnerstag im Advent mit so viel Liebe und Sachverstand zu einem wahren Sozialpreis zubereitet, so gut gefallen, dass wir den vorweihnachtlichen Schmaus in diesem Jahr mit Wonne wiederholten. Natürlich kamen wir auch diesmal mit Yolanta ins Gespräch, und besonders mit Jochen tauschte die Köchin aus Litauen zahlreiche auch ins Bizarre gehende kulinarische Anekdoten aus. Das Ergebnis war, dass Yolanta ihm ein großes Glas mit selbst gekochter Hühnerbrühe vermachte, die, soweit ich das verstanden hatte, von eigenen Hühnern stammte. Da Jochen das schwere Glas allerdings nicht im ÖPNV mit heim schleppen wollte, reichte er es, als wir das Bistro verlassen hatten, diskret an mich weiter. Schließlich habe ich es ja nur ein paar Schritte nach Hause.
Das auslösende Glas: Hausgemachte Hühnerbrühe von YolantaSchon auf dem Weg war mir klar, dass ich die seltene Brühe für ein Risotto verwenden wollte. In Erinnerung an Yolantas Geschichten von gebackenem Lammhirn und frittierten Hühnerfüßen kam mir die Risotto-Zubereitungsart
alla finanziera in den Sinn. Eigentlich stammt das Gericht aus der
cucina povera, denn der italienische Reisbrei wird dabei mit Innereien und jenen Überbleibseln serviert, die beim Präparieren von Kapaunen oder Ochsen entstehen – ganz nach der
From nose to tail-Philosophie, bei der das komplette Tier der Verwertung als Lebensmittel zugeführt wird, wenn es schon einmal geschlachtet ist. Erfunden vom historischen Maestro Martino im 15. Jahrhundert, wurde das Gericht im 19. Jahrhundert von Meisterkoch Giovanni Vialardi um wohlschmeckende Pilze ergänzt. Als piemonteser Spezialität bekam es den Namen
alla finanziera, nach den Zeremonialjacken, die von den Börsianern in Turin bei Feierlichkeiten getragen wurden.
Leber, Herzen und Mägen von der Gans Eine häufige Zutatenkombination, die ich im Internet fand, besteht aus Hähnchenmägen, Entenherzen, Kaninchenleber und Morcheln, aber auch Versionen mit ausschließlich Hühnerinnereien gab es. Immer dabei waren Hahnenkämme, eine Zutat, bei der ich Zweifel hatte, dass ich sie bekommen würde. Die beste Anlaufstelle dafür schien mir der Geflügel- und Wildhändler Bontrup auf dem Bochumer Wochenmarkt zu sein. Doch Senior-Chef Karl-Heinz klärte mich sofort auf, warum er mit Hahnenkämmen nicht dienen könne, nicht einmal auf Bestellung. „Wir schlachten unsere Hühner ja nicht selbst, und für die Betriebe, von denen wir sie beziehen, wäre es viel zu teuer, die Kämme fachgerecht zu entfernen und zu sammeln. Sie landen mit anderen Schachtabfällen sofort in der Tierfutterverwertung.“ Aber auch auf Kaninchenleber, für die der Marktstand bisher immer einen sichere Bank war, könne ich frühestens in einer Woche hoffen. Zur Zeit, so kurz vor Weihnachten, sei schließlich Gänsesaison, und mit diesem Geflügel sei man komplett ausgelastet. Also disponierte ich spontan um und beschloss,
Risotto alla finanziera mit Leber, Herzen und Mägen von der Gans zu machen, die massenhaft vorhanden waren. Auf Hahnenkämme verzichtete ich eben. Gänse haben schließlich keine Kämme.
Weitere Zutaten: Steinpilze, Cognac, Zwiebel, Kräuter, Trüffel Auch die Pilzzutat tauschte ich aus. Frische Morcheln sind bekanntlich erst wieder im Frühjahr zu haben, und so entschied ich mich, die 25 Euro, die im Essener Frischeparadies ein Tütchen mit getrockneten Morcheln gekostet hätte, lieber in ein paar Steinpilze und einen kleinen schwarzen Trüffel anzulegen – eine Komponente für das Gericht, die ich durchaus angemessen fand.
Vorgekochte Gänsemägen Ragout in der Pfanne Bei der Zubereitung des Innereienragouts folgte ich den Empfehlungen eines Rezeptes aus der Süddeutschen Zeitung. Die Hähnchenmägen, die dort vorgesehen waren, sollten vor der weiteren Verwendung in Essigwasser vorgekocht und dann die harte Innenhaut entfernt werden. So eine harte Innenhaut fand ich bei den Gänsemägen aber nicht, sie waren kompakte, fettfreie Muskelstücke Fleisch. Da ich irgendwo gelesen hatte, dass sie gern zäh würden, kochte ich sie dann ebenfalls in Essigwässer in einem guten Stündchen weich. Fertig gegart waren sie herrlich mürb, hatten bei aller Zartheit noch einen schönen Biss und schmeckten jetzt schon fantastisch. Ich musste an das Gänseinnereienragout denken, das neulich in „
Wegermann’s Bio-Landhaus“ serviert wurde. Die Zubereitung des Ragouts war dann recht einfach. Erst briet ich die in Streifen geschnittenen Innereien scharf an, nahm sie dann aus der Pfanne und schmorte dann im gleichen Fett Zwiebeln und Steinpilze, die ich mit Cognac ablöschte. Dann tat ich die gebratenen Innereien wieder dazu und ließ alles in der Pfanne in etwas Geflügelbrühe schön ziehen. Die Details stehen unten.
Schön schlotziger Risotto Das fertige Ragout hätte bestimmt auch zu Bandnudeln gepasst, püriert wäre es sicherlich ein fantastischer Aufstrich für Crostini geworden. Hier sollte es aber
Risotto alla finanziera werden, und so bereitete Ich den Reis nach meinem bewährten Risotto-Rezept zu, siehe unten. Und hier kam schließlich die hausgemachte Hühnerbrühe von Yolanta zum Einsatz. Den Risotto verfeinerte ich nach einem Trick, den der katalanische Koch Isaac Saiz Rosell aus dem Waltroper „
Auszeit“ verraten hatte, zusätzlich zum Parmesan noch mit etwas Gorgonzola. Reis und Ragout auf vorgewärmten Tellern angerichtet, den Trüffel darüber gehobelt , war der
Risotto alla finanziera von der Gans ein Festschmaus, der einfach unbeschreiblich war.
Im Glas ein 22 Jahre alter BaroloUnd der natürlich eine ebenbürtige Weinbegleitung brauchte. Aus meinem Keller förderte ich eine mittlerweile 22 Jahre alte Flasche Barolo Leon von der Cascina Luisin hervor. Einst hatte ich drei Flaschen des edlen Stoffs aus dem Jahrgang 2001 gekauft. Die erste trank ich 2011 zu gebratenem Kalbsherz nach einem Rezept von Vincent Klink (damals schon eine Innerei,
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Rezept: Risotto alla finanziera von der Gans Ragout:75 g Gänseleber
75 g Gänsemägen,
75 g Gänseherzen,
1 kleine Zwiebel
30 g Steinpilze
3 Zweige Thymian
3 Zweige Majoran
30 ml Cognac oder Brandy
5 Petersilienstängel
30 ml Weißweinessig
Olivenöl
Salz, schwarzer Pfeffer,
20 ml Geflügelfond
1 kleiner Trüffel oder mehr
Die Gänseleber, -mägen und –herzen abwaschen. Von Fett, Sehnen und Adern befreien. Die Mägen halbieren und in Salzwasser mit Essig in 70 Minuten weich kochen.
Steinpilze abbürsten und würfeln. Zwiebel in kleine Würfel schneiden. Thymian- und Majoranblätter abzupfen und etwas hacken.
Gekochte Mägen, Leber und Herzen in Streifen schneiden und kräftig in Olivenöl anbraten. Aus der Pfanne nehmen.
Eventuell vorhandene Flüssigkeit einkochen lassen und etwas Öl nachgießen. Zwiebelwürfel darin anschwitzen. Steinpilzwürfel mit den Kräutern und die Innereien dazugeben. Etwas braten und mit Cognac ablöschen und verdampfen lassen. Mit Geflügelfond aufgießen, die angebratenen Innereien dazugeben und etwas köcheln lassen.
Risotto: 1 Tasse Risottoreis
1 Schuss Weißwein
¾ l gute Brühe
1 kleine Zwiebel, fein gewürfelt
1 kleine Knoblauchzehe
2 EL geriebener Parmesan
35 g Butter
25 g Gorgonzola
Öl
Pfeffer, Salz
Brühe zum Kochen bringen. Öl in einem großen Topf erhitzen und die Zwiebelwürfel darin anschwitzen. Reis dazu geben und ebenfalls etwas anschwitzen. Mit einem Schuss Weißwein ablöschen und den Wein komplett verdampfen lassen. Nach und nach mit Brühe auffüllen und den Reis 17 bis 20 Minuten gar kochen lassen. Zerdrückten Knoblauch dazugeben und etwas mitkochen lassen. Risotto vom Feuer nehmen. Butter, Gorgonzola und Parmesan unterrühren. Mit Pfeffer und ggf. Salz abschmecken.
Anrichten: Pfeffer aus der Mühle
Petersilie gehackt
Trüffel
Risotto auf vorgewärmte Teller geben, Ragout darüber geben. Mit gehackter Petersilie und Pfeffer aus der Mühle bestreuen. Trüffel darüber hobeln.