Ist eigentlich ein Brauner: Zum Grünen Gaul
Für das, was der Kneipenfachmann gern Szenegastronomie nennt, hat Bochum in den letzten vierzig Jahren mit der Etablierung des Bermudadreiecks Maßstäbe in Deutschland gesetzt. Mit den Läden in der südwestlichen Innenstadt hat es die Studenten von ihrem weit entfernten Raumschiff Ruht-Universität in die Innenstadt geholt. Aus den einstmals alternativen Kneipenmachern sind längst etablierte Gastro-Unternehmer geworden, deren Wirken über die engen Grenzen des Dreiecks Viktoria-, Kortum-, Brüderstraße und Kerkwege weit hinausreicht.
Vorne Kneipe...
20 oder 25 Jahre ist es jetzt aber auch schon her, dass sich auf der anderen Seite von Bahndamm und Viktoriastraße das Ehrenfeld als Alternative zur Alternative entwickelte. Herzstück des neuen Szeneviertels war das Orlando, das schon bald über seine schwullesbische Kern-Klientel hinaus einen legendären Ruf hatte. Nach einem Betreiberwechsel sank der Stern jedoch, bis der Laden eine Zeitlang schließlich leer stand. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mich dort mit Armin Rohde zum Interview fürs Stadtmagazin MARABO traf und der dem Rollenfach „Schwerer Mann“ zuzurechnende Schauspieler wie ein Riesenbaby in einer halb durchgesägten Zinkbadewanne hockte, die als stylishes Sitzgerät diente.
...hinten Speiserestaurant
Im „Grünen Gaul“, der seit Anfang Dezember seine edle Stallung im ehemaligen Orlando hat, sind es ausgediente Kirchenbänke, auf denen die Gäste zum Essen Platz nehmen können. „Die hat der Tischler Marlo Rodekirchen aus Bochum-Linden aufgearbeitet“, erklärt Restaurantleiter Patrick Steinkamp, als er mir stolz die Räumlichkeiten der neuen Kneipe zeigt. Von der neuen Einrichtung bin ich genauso beeindruckt wie damals, als ich zum ersten Mal das Orlando betrat. Geheimnisvolle Dunkelheit und strahlende Lichteffekte setzen die postmoderne Atmosphäre eines Fantasy-Pubs frei, der ohne Probleme als Kulisse für eine Netflix-Serie dienen könnte.
„Zum Grünen Gaul“ gehört zur Livingroom Gastro Gmbh, die mit dem Livingroom, dem Five und im weiteren Sinne dem Franz Ferdinand am Stadtpark für die gehobene Gastronomie in der Bochumer Innenstadt steht. Befürchtungen, das Imperium verleibe sich nun auch das Ehrenfeld ein, sind schnell vom Tisch. Die drei, mit denen ich am Stammtisch über die neue „Schank- und Speisewirtschaft“ spreche, kommen mir vor wie eine muntere Patchwork-Familie am Küchentisch. Die Erfahrungen, die sie vorher in den Betrieben des Mutterhauses gesammelt haben, sind die Basis dafür, dass der „Grüne Gaul“ in den letzten sechs Wochen so fantastisch angelaufen ist. Patrick Steinkamp und Jana Steffan, die sich die Betriebsleitung teilen, haben vorher im Franz Ferdinand gearbeitet; Anne Ziel war lange Zeit stellv. Küchenchefin bei Boris Geigenmüller im Livingroom. Mit dazu gehören auch noch die zweite Köchin Dorothee Gentner und Tibor Werzl vom Five, der für die imponierende Weinkarte zuständig ist.
Anna, Jana und Patrick schmeißen den Laden
Auf die Frage, wem der Name „Zum Grünen Gaul“ eingefallen ist, antwortet Küchenchefin Anne ausweichend mit der entwaffnenden Logik einer Germanistikstudentin: „Alliterationen sind immer gut.“ Und Jana erklärt das Konzept so: „Wir wollten eine Kneipe machen, in die wir auch selbst gehen wollen.“ Nachdem sie auch noch ihr Alter (27) verrät, bin ich gespannt, was mir im Laufe des Abends blühen würde – und atme schließlich auf: Mehr als die Hälfte der Gäste, die in Windeseile die Säle an diesem Mittwochabend füllen, gehört zur, sagen wir mal, Generation Ü 47 ½. „Der Grüne Gaul“ ist eine Kneipe für alle.
Maskottchen muss sein
Ob das an der Küche liegt? Die ist erfrischend unmediterran und unasiatisch und hat so gar nichts mit den gängigen Grill-, Burger- und Currywurst-Papptellern zu tun, auf die das kulinarische Ruhrgebiet so gern reduziert wird. „Wir machen deutsche Küche“, meint Anne, und wenn sie nicht sitzen würde, würde sie wohl die Hände in die Hüften stemmen. Für Leute, die sich nur eine Unterlage für Bier oder Wein bzw. fürs Herrengeck mit Dinkelkorn aus der Brennerei Ehringhaus schaffen wollen, steht der Hungerturm auf dem Tresen. Das ist die für proletarische Kneipen im Ruhrgebiet und Berlin typische Vitrine mit Gewürzgurken, Frikadellen und Soleiern, ergänzt um ein paar Schmackofatze wie Hirschschinken oder Wildsalami.
Der Hungerturm...
...mit Soleiern...
...und Frikadellen
Auf der Speisekarte finden sich herzhafte Hausmannskost, klassische Gerichte, die heutzutage nach Exotik des Alltags schmecken, beiläufig durchmischt mit vegetarischen Variationen: Rindertatar, Sülze, Kotelett, Rostbeff (sic!), Hechtklößchen. Und es herrscht eine provokante Lust am Schweren; hier geht es nicht um light, sondern um lecker. Wie erwähnt, werden diese Speisen ergänzt um eine beeindruckende Weinkarte mit klassischen deutschen und internationalen Weinen. Dazu kommt eine schöne Auswahl an Bieren.
Jana und Patrick
Von dem Menü, zu dem mich Patrick einlud, war ich tief beeindruckt. Es war sorgfältig gekocht und hatte kulinarischen Witz. Bei allem Bekenntnis zur Bodenständigkeit, manchmal hätte ich mir vielleicht einige frisch-fruchtige Himmelsblitze gewünscht, so dass ich den Heimweg von Überraschungen beseelt hätte antreten könne. So fühlte ich mich immerhin stark genug, um es mit Armin Rohde als „Schwerer Mann“ aufnehmen zu können. Auch nicht übel.
Das Schank- und Speisewirtschafts-Menü
Legierte Grünkohlsuppe mit Brotwürfeln, Honigmöhren und Maggikraut
(6,50 €)
(6,50 €)
Rindertatar „klassisch angemacht“
Bio-Eigelb mit Haus-Brot und eingelegten Gemüsen (13,50 €)
(Für die Dame hinten gibt es das auch vegetarisch)
(Für die Dame hinten gibt es das auch vegetarisch)
Hechtklößchen mit Blumenkohl, Butterbröseln, Hechtkaviar, Gartenkresse (18,50 €)
Im Glas: 2017 Riesling VDP. Gutswein, Dr. Bürklin-Wolf, Pfalz (5,50 €)
Blaue Stunde im Grünen Gaul
Zum Grünen Gaul. Alte Hattinger Straße 31, 44789 Bochum. Tel. 0234/97645666. Di- Sa ab 17 Uhr, So und feiertags ab 12. Warme Küche bis 23 Uhr. Montag Ruhetag. www.zumgruenen gaul.de
Kennzeichnung: Der Genießer bedankt sich für die Einladung zum Presse-Menü.
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