Sonntag, 15. April 2007

Aus dem Archiv: Schokolade - Bittersüßes Glücksgefühl

Der Text erschien erstmals im "Wirtschaftsmagazin Ruhr 03/2007".
Die Konditorei Sindern ist seit 2024 und die Manufaktur "Pralinen meiner Stadt" seit 2023 geschlossen. Das Traditionsunternehmen August Krämer in Dortmund ist auch weiterhin erfolgreich; Patisseurin Monika Wechsler hat sich 2012 mit einer eigenen Chocolaterie selbstständig gemacht.
 

Schokolade
Bittersüßes Glücksgefühl

Nicht erst, seit in dem Kinofilm „Chocolat“ Juliette Binoche den schönen Johnny Depp mit bittersüßen Kreationen aus der mexikanischen Zauberbohne verführte, zergeht edle Schokolade in aller Munde. Im Ruhrgebiet gibt es eine Reihe kleiner Manufakturen, die ganz exklusive bittersüße Kostbarkeiten zubereiten.
Von Peter Krauskopf

Kein Hollywood-Regisseur oder Werbefilmer könnte sich so ein Ambiente schöner ausdenken. Dabei liegen die Räumlichkeiten der Schokolaterie und Likörfabrik August Krämer im Hinterhof eines eher unromantischen modernen Bürohauses am Dortmunder Schwanenwall; die ebenfalls dazugehörige Kornbrennerei befindet sich in Holthausen. Betritt man jedoch die Produktions- und Verkaufsräume hinter der blitzsauberen Glastür, taucht man in eine wunderbare Welt der Betörung und des Genusses ein. In großen alten Tonfässern reifen die Kräutermischungen heran, die der heutige Besitzer Hans-Hermann Krämer für die Liköre „Dortmunder Tropfen“, „Holthauser Fuchs“ und „August mit dem Schlips“ angesetzt hat. Seit vier Generationen sind die Traditionsspirituosen aus Dortmund nicht wegzudenken und prägen das kulinarische Profil der einstigen Bierstadt. Auf großen Präsentiertischen locken jedoch jene Kostbarkeiten, mit denen die Firma Krämer seit 2004 ihr exklusives Programm erweitert hat: Pralinen, Trüffeln, Täfelchen, Schokoladenbruch und Trinkschokoladen.

Leidenschaftliches Handwerk

Während Krämers Frau Carmen in einem Nebenraum mit Fertigung der von ihr entworfenen Faltschachteln beschäftigt, in denen Trüffeln, Nougatecken oder feinste Schokoladentäfelchen aufs Vernaschen warten, versieht in einem anderen Nebenraum die Patisserie-Meisterin Monika Wechsler ihr süßes Handwerk. In einem kupfernen Topf hat sie Kuvertüre erhitzt, jene Schokoladengrundmasse, die sie wie alle Pralinenhersteller fertig bezieht. Die belgische Firma Callebaut ist da eine Bezugsquelle von allerhöchster Qualität. Mit zwei langzinkigen Gabeln taucht sie einen handgeformten und feingewürzten Pralinenkern aus Karamell in die glänzend-zähe, dunkelbraune Flüssigkeit, um ihn anschließend in einer Schale mit Schokoladenstreuseln zu wenden. Bei jedem Handgriff sieht man der ehemaligen Patronne des Dortmunder Sternelokals „Art Manger" die unbändige Leidenschaft an, mit der sie bei der Sache ist.

Pikante Süßigkeiten

Ob Walnusstropfen, Honigzipfel oder Krämer’s Röschen mit Rosenwasser, ihrem Erfindungsgeist sind keine Grenzen gesetzt. Häufig runden die hausgemachten Liköre ihre Kreationen geschmacklich ab. Eine besondere Spezialität von Monika Wechsler sind die Pralinen, für die sie Schokolade mit Kräutern würzt, die man eher aus der mediterranen Küche kennt. Pfefferkaramell, Basilikumtrüffel und Chilibrüstchen heißen diese pikanten Verführungen; und aus Schokoladetäfelchen mit Lavendelblüten, Muskatnuss oder geriebenen Nelken lassen sich wunderbare Trinkschokoladen zubereiten.

Nischen-Markt

Dass solch exotische Rezepturen beim bewusst genießenden Publikum immer größeren Anklang finden, mag daran liegen, dass mit der Vereinheitlichung der Schokoladenherstellung in Europa auch andre Fette als Kakaobutter bei der Herstellung von Schokolade verwendet werden dürfen und von der Industrie immer mehr auf synthetische Aromastoffe zurückgegriffen wird. Im Schatten solch preiswerter Massenprodukte hat sich ein Nischen-Markt für exklusive Schokolade entwickelt, der auf Ursprünglichkeit und Raffinesse setzt. Bereits die mittelamerikanischen Maya und Azteken hatten ihre „Xocoatl“ mit Pfeffer scharf gewürzt. Als dann die spanischen Konquistadoren den Kakao nach Europa brachten, brauchte es einige Zeit, bis sich das bittere Genussmittel beim Publikum durchsetzte. Erst als man auf die Idee kam, es mit Zucker oder Honig zu süßen und mit Milch anzureichern, kam der Durchbruch - erst als Naschwerk für die reicheren Schichten, seit nach dem zweiten Weltkrieg auch als alltägliche Süßigkeit für große und kleine Leckermäuler.

Gesundes Naschwerk

Der gegenwärtige Trend zur edlen und vor allem hochprozentigen Schokolade wird sicherlich auch durch den gesundheitlichen Wert gefördert, den Wissenschaftler in letzter Zeit besonders betonen, obwohl bereits im 19. Jahrhundert Schokolade als Aphrodisiakum und Kräftigungsmittel in Apotheken verkauft wurde. Doch der braune Stoff wirkt nur dann heilsam, wenn er, wie sich für Medizin gehört, bitter ist. So wird der Effekt, gegen Herzkrankheiten zu helfen, durch die Milch in der normalen Schokolade wieder aufgehoben, genauso wie die Fähigkeit, vor Karies zu schützen, durch die Zuckermengen ad absurdum geführt wird.

Regionalprodukte

Das Produkt der, mit dem die Schokolaterie August Krämer ihre Verbundenheit zum Ruhrgebiet besonders unterstreicht, ist die „Dortmunder Kohle". „In Dortmund wird keine Kohle mehr gefördert, dennoch war das schwarze Gold eines der wichtigsten Güter für die Ruhrmetropole und ihre Bewohner“, erklärt Geschäftsführer Heinz-Hermann Krämer. Die Praline ist einem Stück echter Kohle sehr ähnlich und hat einen würzigen Geschmack, den ihr ein Schuss „August mit dem Schlips“ verleiht.

Die Idee, mit einer Praline ein exklusives regionales Produkt zu entwickeln, hatte auch der Essener Koch Jonas Deperieux gehabt. Zusammen mit den Marketing-Leuten Axel Toll und Ralf Kottmann gründete er die Firma „Pralinen meiner Stadt", die anlässlich der Kulturhauptstadt 2010 ihre erste Edition für die Stadt Essen herausgebracht hat.

Pralinen meiner Stadt

Der Sitz der Firma ist längst nicht so elegant wie der von August Krämer, sondern eine zweckmäßig eingerichtet Küche im Frischezentrum Essen, wo Deperieux den Party-Service Jonas Catering betreibt und gelegentlich Kochkurse gibt. Extra für die Pralinenproduktion hat er die Patisseurin Angela Sulkowski eingestellt, und die zeigt, wie die Pralinen meiner Stadt hergestellt werden. Wie auch bei Krämer, wird die Kuvertüre in Form von daumennagelgroßen Pellets von Callebaut aus Belgien bezogen. Sie werden eingeschmolzen und in Modeln gegossen, so dass kleine würfelförmige Schokoladenförmchen. Die füllt Angela dann in Handarbeit mit einer flüssigen Füllung und verschließt sie mit einem Deckel.

Deckel-Bildchen

Was die Pralinen individuell macht, sind die Füllungen und die Bilder von bekannten Essener Bauwerken aus weißer und dunkler Schokolade, die zum Schluss auf die Pralinen aufgetragen werden. „Die Füllungen habe ich komponiert, die Bilder von einem Grafiker entwickeln lassen“, erklärt Deperieux. Das erforderte einen gewissen Aufwand, schließlich musste es ja gelingen, die Bilder in Schokolade zu realisieren. Für die „Edition Essen“ wurde der Förderturm von Zollverein ausgewählt (gefüllt mit kohlenschwarzer Zartbitter-Schokolade), die Villa Hügel (Champagner-Trüffel), die Grugahalle (Himbeertrüffel) und das Aalto-Theater (Green-Tea-Trüffel).

Um die Exklusivität der Pralinen zu unterstreichen, werden sie nur in einer eleganten Viererbox über einige wenige Verkaufsstellen in Essen vermarktet. „Sie sind jedoch auch als Kundenpräsent für Firmen, die sich mit Essen besonders verbunden fühlen, hervorragend geeignet.“

Konditorenhandwerk

Eigentlich ist die Pralinenproduktion ein Teil des Konditorenhandwerks. Ein schönes Beispiel dafür ist Andreas Sindern, der in einem Gewerbegebiet in Recklinghausen eine exklusive und exquisite Konditorei betreibt. Das internationale Renommee seines Vaters, der ein Standardwerk zur Konditorenausbildung geschrieben hat, ermöglichte ihm, bei „sieben der zehn besten Konditoren der Welt“ Erfahrungen zu sammeln, u.a. beim Feinkostspezialisten Fauchon in Paris, beim spanischen Schokoladenkönig Escobár in Barcelona und bei der italienischen Dolce-Eminenz Massari in Brescia. Und selbstverständlich stehen auch Stationen in den Schokoladen- und Trüffelparadiesen Schweiz und Belgien und im Zuckerl-Staat Österreich in seiner Ausbildungsvita. Heute lehrt er selber an großen Konditorenschulen und als einer von vier Konditoren mit eigenem Betrieb ist er Mitglied der renommierten Köche-Vereinigung Eurotoques.

Qualität der Grundstoffe

Andreas Sindern ist eigentlich Spezialist für Marzipanverarbeitung. Besonders froh ist er, in der Lübecker Firma Minden & Bruhns einen Lieferanten für Marzipanrohmasse gefunden zu haben, der noch traditionell arbeitet. Da werden Mandelmasse, Puderzucker und ein bisschen Wasser noch richtig gekocht und nicht nur durch den Mixer gejagt. Ähnlich ist es auch bei der Schokolade, die er verarbeitet. Auch da legt er Wert auf beste Qualität der Rohmasse, die er zu Tafeln und Trüffeln veredelt, möchte aber auf Soja-Lecithin als Inhaltstoff z.B. nicht verzichten. „Das gibt der Schokolade genau die Konsistenz, die ich haben möchte“, erklärt er.

Und die ist wichtig, damit die Genießer das werden, was er will: „Schokoholiker“. Nicht, das Schokolade im körperlichen Sinne süchtig machen würde. Das konnte selbst die Wissenschaft bisher nicht nachweisen. Aber eines machen die kleinen braunen Verführer, gleichgültig, ob süß, bitter oder pfeffrig, ganz bestimmt: glücklich. Und was, als einen Moment des Glückes, sollte man sich hin und wieder nicht gönnen?

Aug. Krämer Kornbrennerei GmbH
Schwanenwall 31 - 35
D-44135 Dortmund
Tel. 0231/ 527777
https://www.august-kraemer.de/

Pralinen meiner Stadt GbR
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Konditorei Andreas Sindern
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