Sonntag, 28. Juni 2009

Aus dem Archiv: Am Kamin - Beschaulich verdaulich

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2009/2010".
Das Restaurant existiert nicht mehr.
Seit 2017 befindet sich hier das indische Restaurant "Namasthe".

Von den vielen romantischen Winkeln in Werden ist der knappe 50 Meter lange Leinwebermarkt unweit der Folkwang-Hochschule einer der romantischsten. Das kurze Stück Fahrbahn dekorativ gepflastert, die kleinen alten Häuser aus dem 18. Jahrhundert mit Schiefer vertäfelt, atmet hier (wie auch anderswo) der vom Durchgangsverkehr geplagte Stadtteil biedermeierliche Beschaulichkeit. Die setzt sich auch im Inneren des alteingesessenen Restaurants „Am Kamin“ fort. Im Eingangsbereich verbreitet ein dunkler alter Tresen gemütliche Kneipenatmosphäre, im hinteren Restaurantteil scharen sich die Tische rund um den mitten im Raum stehenden namensgebenden Kamin. Die gesamte Einrichtung scheint vom Antikmarkt zu stammen, von der Likörvitrine bis zum Porzellan. Lediglich ein separater Gastraum für Gruppen bis 28 Leuten ist modern eingerichtet, trägt aber den Traditionsnamen „Im aulen Winkel“. Auf die lange Geschichte des Hauses ist man stolz und weist darauf hin, dass hier einst Promis wie das Ruhrgebietsoriginal Jürgen von Manger oder der Krimi-Regisseur Jürgen Roland eingekehrt sind. Da passt es auch, dass das Restaurant mit seiner „gehobenen deutschen Küche“ wirbt.

Betrachtet man jedoch die vorbildlich knapp gehaltene Karte mit drei Hauptgerichten, so erweckt eigentlich nur der Bürgermeistertopf, bestehend aus drei Medaillons von Rind, Schwein und Pute auf Bratkartoffeln mit Erbsen und Möhren und Sauce Hollandaise (15,90 Euro), den Appetit eines teutonischen Magens. Alles andere scheint mediterran bis französisch verfeinert, ganz so, wie das weit gereiste und weltoffene Werdener Publikum es mag: etwa der Feldsalat mit Walnuss-Himbeer-Dressing mit geräucherter Entenbrust und gerösteten Pinienkernen (9,80 Euro) oder die Fischsuppe nach Art des Hauses mit Sauce Rouille und Knoblauchbaguette (9,80 Euro). Richtig deutsch ist nur die Portionsgröße. Ob Vorspeise, Hauptgericht oder Dessert, jeder Gang allein ist ein komplettes Tellergericht, wie man es hierzulande liebt. 

Dennoch stellte ich mir ein Menü zusammen. Von der üppigen Portion mit Salbei gebratener Entenleber auf honiggewürztem Sauerkraut als Vorspeise (7,90 Euro) war ich schier begeistert. Die Leber, schön kross und saftig, war ein Genuss, der anschließend vom Lammrücken in Kräutersenfkruste mit grünen Bohnen in Knoblauchsahnesauce und Kartoffelplätzchen als Hauptgang (17,95 Euro) leider nicht getoppt wurde. Ein wenig streng schmeckte das Lamm, eigentlich nicht für meinen deutschen Gaumen geeignet. Zum Nachtisch dann hausgemachtes Tobleroneparfait mit Fruchtpüree und frischen Früchten (6,95 Euro): drei dicke Scheiben leckeres Schokoladeneis, die aussahen wie eine gute Portion Schweine- oder Rinderbraten.

Hätte ich vielleicht doch etwas Leichtes von der aktuellen Spargelkarte nehmen sollen?

-kopf

Essen-Werden, Leinwebermarkt 7