Freitag, 1. September 2006

Aus dem Archiv: Rotisserie du Sommelier - Leichtigkeit des Seins

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2006/2007"
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Seit 2023 befindet sich hier "Teko by Lange Rodriguez".

Es ist eine unbezweifelbare Qualität einer Metropole wie Essen, wenn man mitten in der Stadt ein kulinarisches Paradies wie die Wegener Straße findet. In der kurzen Fußgängerzone zwischen Rüttenscheider und Alfredstraße tummeln sich im Sommer die Außenbereiche von einer Eisdiele, einem Sushi-Haus und Thomas Friedrichs Rôtisserie du Sommelier – auf Deutsch nach meinem berühmten Langenscheidt Jg. 1929 „Speisewirtschaft des Weinkellners“. Hier kommt man sich vor wie am Montmartre. Edle Gartenmöbel stehen unter dem Baum vor dem im schönsten Bistro-Stil eingerichteten Laden, neben dem Eingang mickert ein fingerdickes Olivenbäumchen fröhlich vor sich hin und auf den Halmen des Lavendelbusches im städtischen Betonkübel laufen winzige Ameisen Amok. Als sich dann noch ein Trüppchen temperamentvoller Mädels im besten Alter zum Feiern an die reservierte lange Tafel auf der Straße setzt, beginne ich innerlich zu pfeifen: „C’èst si bon...“

Bevor sich Thomas Friedrich diesen Traum von einem französischen Restaurant eingerichtet hatte, war er Küchenchef im Lorenz an der Rü direkt gegenüber. Als Mitglied im FC Ruhrgebiet, jener Mannschaft junger Wilder, die auf turbulenten Küchenpartys versucht, den Fußball mit der Kochkunst zu versöhnen, ist er auch mit der Region verbunden. Seine Art zu kochen ist begeisternd, frisch und modern und damit eine delikate Herausforderung der alteingesessenen Routiniers der französischen Küche in Werden, Kettwig und anderswo.

Besonderen Wert legt Thomas Friedrich auf die Auswahl seiner Produkte. Er bereitet nur Fische aus Wildfang zu, hält gute Kontakte zu regionalen Fleischlieferanten und setzt keine künstlichen Geschmacksverstärker oder andere ‚Hilfsmittel’ ein, wie er seinen Gästen auf der knapp gehaltenen Speisekarte verspricht. Die enthält ein drei- (EUR 33,50) oder fünfgängiges (EUR 57) Menü sowie ein paar ausgesuchte Vor- und Hauptspeisen und wird von Tagesangeboten ergänzt.

Meine Auswahl muss bedauerlicher Weise ein Akt des Verzichts sein. Ich verschmähe z.B. frische Felsenaustern mit Schwarzbrot und Schalottenessig (Stück EUR 2,50), Türmchen von foie gras mit Saumagen auf Rahmkraut mit Cassissauce (EUR 13,50) oder Stubenküken „demi-deuille“ auf Linsenmaultaschen mit sautiertem grünen Spargel (EUR 25), und greife stattdessen bei der Vorspeise auf einen Bestandteil des Menüs zurück und beim Hauptgang auf die Tageskarte. Die geeiste Crèmesuppe von frischen Erbsen mit einer Kugel schön in Minze gewälztem Lachstartar (EUR 8,50) bringt genau die Erfrischung, nach der ich bei den gefühlten 5263 Grad Fahrenheit des heutigen Abends nur so lechze – übrigens, um es vorweg zu nehmen, genauso wie der Erdbeerbecher mit hausgemachte Eis zum Dessert (EUR 7,50). Zudem füllt sie den Mund mit komplexen Aromen sowie abwechslungsreichen Texturen von seidenweich über saftig bis prickelnd pieksig. Der Kabeljau des Hauptgangs (EUR 22) ist tadellos à point auf der Haut gebraten und überrascht durch eine pikant blitzende, kaum wahrnehmbare, aber präsente Kruste. Er liegt auf einem Bett von mit Spinat gefülltem Tomatencouscous, gekrönt von einer knackig gebratenen Gamba und knisterndem Kropoekstroh - ein wunderbares Beispiel für die hohe Multikulti-Küche, für die wir Frankreich so lieben. Die beiden Kleckse weiße Olivenmousse mit dem Wort Sauce oder Mayonnaise zu bezeichnen, trifft die Sache nicht. Sie sind eine säuerlich-herbe Komplettierung von Fisch, Gamba und Couscous, ohne auch nur im Geringsten dick aufzutragen.

Der Name des Lokals wäre falsch, wenn der Rôtisseur Thomas Friedrich nicht auch ein guter Sommelier wäre. Weinfreunde werden an seiner Weinkarte viel Freude haben, doch man kann sich auch auf seine Empfehlungen der Tischweine verlassen. Der Blanc de Noir Dürkheimer Feuerberg von Brenneis-Koch aus dem Jahr 2004 (Glas EUR 6,50), den er zum Fisch empfiehlt, ist ein fruchtiger, fast orange-farbener Rosé und dokumentiert wie das ein oder andere Gericht bei aller Frankophilie einmal mehr Friedrichs Vorliebe für die Pfalz.
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Essen-Rüttenscheid, Wegener Str. 5

Aus dem Archiv: Püree - Kleine große Küche

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Schon die Bestätigung der Tischreservierung über die Internetseite des „Püree“ ist Ausdruck einer individuellen Behandlung des Gastes, deren Verbindlichkeit nirgendwo in anbiedernde Herzlichkeit umschlägt. Die E-Mail-Antwort ist zwar in ein vorbereitetes Formular eingetragen, jedoch so mit persönlichen, bei der Reservierung abgefragten Informationen über den Gast garniert, dass man sich einfach geschmeichelt fühlen muss. Betritt man dann das kleine Restaurant, wird man ebenfalls von dieser präzisen Professionalität umfangen. Die Kettwiger „Résidence“, das Mutterhaus des „Püree“ im gleichen Gebäude, hat dafür u.a. ihre beiden Michelinsterne bekommen.

Das gerade einmal 25 Plätze umfassende „Püree“ ist mit zurückhaltender Eleganz eingerichtet, die kaum irritiert. Die eng beieinander stehenden Tische fördern eine gedämpfte Konversation unter den Gästen, um nicht in allzu intime Berührung mit den Nachbarn zu kommen. Die daraus resultierende Konzentration auf das Wesentliche wird von den Argusaugen unterstützt, mit denen die in strenges Schwarz gekleideten, charmanten jungen Bedienungen den kleinen Saal überwachen, damit auch sofort jeder abgegessene Teller abgeräumt werden kann – ein offensichtlicher Tribut an die hohe Servicekultur der „Résidence“.

Beim Blick auf die erstaunlich moderaten Preise im „Püree“ fragt man sich allerdings, womit man sich diesen Luxus eigentlich erkauft hat. Das Wesentliche im „Püree“ ist das Essen, um das sich alles dreht. Es kommt wie jenes der „Résidence“ aus der Küche von Henri Bach und ist handwerklich genauso perfekt zubereitet und auf dem Teller angerichtet, ohne jedoch den ausladenden Repräsentationsgestus der großen Schwester aufzuweisen – eine kleine große Küche ohne modischen Schnickschnack.

Ein Teil der Gerichte von der gerade eine Seite umfassenden Karte ist zu einem viergängigen Menüvorschlag für EUR 35 zusammen gestellt, dem ich gern folge, während mein Co-Tester sich seine Speisenfolge à la carte zusammen stellt und preislich nicht darüber liegt. So leiten Zanderterrine mit getrockneten Tomaten und Salsa Verde (EUR 10) und Krustentierkroketten mit Gurkensalat (EUR 8) unser Abendessen ein. Die Füllung der Kroketten ist Dank der relativ großen Stückchen herrlich saftig, die Panade knusprig und würzig. Die allzu zurückhaltend gewürzte Zanderterrine entfaltet ihren geschmacklichen Charakter allerdings erst im Zusammenspiel mit der scharfen Salsa Verde und den vermutlich mit Traubenkernöl nussig aromatisierten Salatblättern der Garnitur. Prächtig dann die beiden Süppchen. Die Kartoffellauchcrème mit Shrimps (EUR 6) schmeckt nach Kartoffeln, Lauch und Shrimps – anders als durch diese Redundanz lässt sich der feine Geschmack nicht beschreiben. Ob der Eintopf von Edelfischen (EUR 7) tatsächlich in einem Topf gekocht wurde, mag man bezweifeln, doch die Fischsuppe hat Bouillabaisse-Format. In einem würzig-frischen Fischsud tummeln sich verschiedene Fisch- und Meerestier-Sorten, deren Unterschiede in Geschmack und Konsistenz beispielhaft herausgearbeitet sind. 

Die geschmorten Kalbsbäckchen mit Möhren und Rübchen (EUR 16) sind zweifellos der Höhepunkt des Abends. „Ai cucchiaio“, mit dem Löffel zu essen, umschreibt der Italiener die Weichheit eines Spitzenschmorbratens. Bei den Kalbsbäckchen, die Fleischsorte schlechthin zum Schmoren, fällt einem nur die respektlose Umschreibung „mit dem Strohhalm zu genießen“ ein, so zart, weich und aromatisch sind sie gelungen. Etwas mehr Biss weist die rosa gebratene Rehkeule mit Kohlrabi (EUR 17) auf, die sich vor allem im Zusammenspiel mit dem beigegebenen Pflaumenchutney entfaltet. Als Beilage für beide Fleischgerichte wird das den Namen des Hauses spendende Püree gereicht, ein mit rohen Kartoffeln raffiniert angereicherter Kartoffelbrei, den man mit den auf dem Tisch stehenden Dips noch eigenhändig geschmacklich variieren kann. Zum Dessert verlocken Kreationen wie Zwetschgentarte mit Portweinschaum und Stracciatella-Eis (EUR 8) oder Kirschparfait mit Minzsoße und Aprikosenkompott (EUR 7), doch wir nehmen mit der schmackhaft-schaumigen, aber unspektakulären Schokoladentrikolore mit Himbeereis vorlieb, die exklusiv zum Menü gehört.

Die auf der Karte empfohlenen Weine erweisen sich ebenfalls als unspektakulär, sind jedoch tadellose Essensbegleiter. 2004 Sauvignon Blanc Valensac aus dem Languedoc (0,25 l EUR 7), 2003 Riesling Pettental Gunderloch aus Rheinhessen (Glas EUR 6), 2001 Chianti Di Farnetella aus der Toskana (0,25 l EUR 13) und 2004 Blaufränkisch Birgit Braunstein aus dem Burgenland (Glas 8,40) sind solo genossen z.T. eher banal, unterstützen die Speisen jedoch wirkungsvoll.

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Essen-Kettwig, Auf der Forst 1

Aus dem Archiv: Café Sprenger - Erstes Haus am Stadtwaldplatz

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".

Wussten Sie, dass das Café Sprenger eigentlich Café Fritsch heißen müsste? Denn schon seit Jahren haben die Inhaber das Café an die Familie Fritsch verpachtet, und Sprenger steht nur noch außen am Haus. Auf der Speisekarte und auf dem Verpackungspapier für Brot, Torten und Kuchen hingegen steht Fritsch – um die Kundschaft langsam an den „neuen“ Namen zu gewöhnen, wie mir die Bedienung nach Anfrage mitteilt.

Die Einschätzung, dass die Kunden des über 70 Jahre alten Traditionshauses keine radikalen Änderungen mögen, scheint richtig zu sein. Seit meinem letzten Testbesuch im ersten Haus am Stadtwaldplatz hat sich kaum etwas verändert. Immer noch taucht man in die braun getönten 70er Jahre, wenn man die Treppe zum Gastraum im ersten Stock erklommen hat. Die großen Fenster des gläsernen Erkers, der von außen wie ein Eisenbahnstellwerk aus den 60er Jahren wirkt und einst der Gipfel der Moderne war, taucht alles in ein gemütliches Licht. Nur die Frühstückskarte mit den 50er-Jahre-Vignetten kann ich diesmal nicht finden – was nicht heißt, dass man hier ab 6 Uhr morgens nicht ausgezeichnet frühstücken kann. Dafür bringen die gelblichen und goldumrandeten Porzellanaschenbecher der Firma Asbach frühkindliche Erinnerungen ans Werbefernsehen zurück. „Im Asbach Uralt ist der Geist des Weines“ steht da, und mir fällt sofort die exaltierte Aussprache des Sprechers ein, der damals diesen Spruch artikulierte. Den Ruheständlern, die hier zur Mittagszeit ein geradezu quirliges Leben verbreiten, scheint diese Atmosphäre recht gut zu gefallen.

Und so spreche ich wie sie mit großem Appetit dem täglichen Mittagstisch zu, der heute aus einem Schweinefilettopf mit frischen (!) Champignons, Spätzle und Bohnensalat (EUR 7,50) besteht und genauso zubereitet ist, wie Mutter es zu Hause auch machen würde. Als Zugeständnis an die neue Zeit gönne ich mir zum Nachtisch eine Latte Macchiato, die formvollendet mit einem Glas klarem Wasser serviert wird (EUR 2,40). Gut gesättigt entschließe ich mich, für den Tortentest ein Stückchen Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Beim Schlangestehen an der Tortentheke kann ich mir den unteren Verkaufsraum ausgiebig ansehen. Links ist die Brottheke mit zahlreichen Spezialitäten wie etwa Senfsaatbrot, links eine Imbisstheke mit Nudel- und Kartoffelsalat, Frikadellen und Schnitzeln, und vor mir ein Schlemmerparadies aus Hefeteilchen, Nussecken, Obstkuchen und Sahnetorten. Ich kaufe mir ein Stück Trüffelbuttercrèmetorte (EUR 1,50), das später an der heimischen Kaffeetafel auf der Zunge zergeht.

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/torte.de/cafe_sprenger.html
Essen-Stadtwald, Frankenstr. 282
Fon 0201. 43 95 75 35
Di-Fr 9-18 Uhr, Sa, So 8-18 Uhr
Mo Ruhetag