Mittwoch, 2. Oktober 2013

Aus dem Archiv: Boris Geigenmüller - Ein gewisser Wahnsinn gehört dazu

Der Artikel erschein erstmals in "Bochum geht aus 2014".
Boris Geigenmüller arbeitet seit 2021 nicht mehr für den Livingroom.

 

Seit Frühjahr 2013 ist der 30-jährige Boris Geigenmüller alleiniger Küchenchef im Livingroom. Wenn man ihn fragt, wie er seine Küche in zwei Sätzen umschreiben würde, antwortet er mit einem Wort: „Lecker.“

Von Peter Krauskopf

Für Leute, die sich noch erinnern: Irgendwie hat der junge Koch, der mir im Livingroom gegenüber sitzt, etwas vom ehemaligen Tennisstar Michael Stich. Unter der zwischen Kurt Cobain und Justin Bieber changierenden Pilzkopf-Frisur strahlt ein jungenhaftes Lächeln, und man kann sich gut vorstellen, dass auf den Kochkursen, die er eine Zeitlang als freier Koch in Hamburger und Berliner Küchenstudios gegeben hat, die Damen ihren besonderen Spaß hatten - nicht nur wegen der feinen Herde, an denen er sich da bewegte. Und dann meint Boris Geigenmüller plötzlich: „Ich hätte durchaus gerne zwei Auszubildende. Aber das ist bei der heutigen Jugend gar nicht so einfach. Viele haben eine seltsame Vorstellung vom Kochberuf, manche kommen auch gar nicht.“ Und wir müssen beide über diese altväterliche Bemerkung grinsen.

Seit dem Frühjahr ist der 30-Jährige Küchenchef im Livingroom, dem führenden Restaurant in der Innenstadt mit Metropolen-Faktor, dem „schönsten Wohnzimmer Bochums“. Insgesamt hat er 13 Jahre in der Gastronomie auf dem Buckel. Geboren in Hattingen, stand für Boris schon früh fest, Koch zu werden. Seine Ausbildung machte er „beim Friedel“ Diergardt im Kühlen Grund, dem alteingesessenen Gasthaus in Hattingen. „Dann bin ich herumgetingelt, kam von Hölzken auf Stöcksken“, erinnert er sich. Für den großen Caterer Kofler arbeitete er zuerst in einem Frankfurter Restaurant, wurde dann nach Hamburg ins Curiohaus an der Rothenbaumchaussee versetzt. Anschließend blieb er noch als freier Koch ein halbes Jahr in Hamburg, knüpfte Kontakte und kam so in die Schweiz. Dort arbeitete er eine Sommer- und eine Wintersaison im mondänen Wintersportort St. Moritz. Nach einem Abstecher nach Italien, wo er zusammen mit Bekannten kochte und lebte, folgte wiederum eine Zeit als freier Koch, meist auf Messen in Hamburg, Berlin und Hannover. Viele Leute hat er in seinen Wanderjahren kennen gelernt, darunter so manchen Choleriker. „Aber ein bisschen Wahnsinn gehört zum Koch-Sein dazu“, fasst er seine Erfahrungen zusammen.

Vor drei Jahren hatte Boris schließlich die Nase voll vom Leben aus dem Koffer und zog zurück ins heimische Ruhrgebiet. Da kam eine Stellenanzeige als stellv. Küchenchef im Livingroom gerade recht, auf die er sich bewarb. „Am selben Abend kam noch der Anruf von Küchendirektor Ralph Curanz: Komm doch mal bitte vorbei, dann können wir uns mal unterhalten“, erzählt Boris. „Ralph kannte dann auch Leute, mit denen ich in der Schweiz zusammen gearbeitet hatte, und wir waren schnell auf einer Wellenlänge.“

Von Anfang an stand fest, dass Boris einmal die Küchenverantwortung im Livingroom komplett übernehmen würde. Im Frühjahr 2013 war es dann soweit, als sich Ralph Curanz aus Bochum verabschiedete. „Jetzt lastet die ganze Verantwortung auf meinen Schultern“, lacht er in komischer Verzweiflung, räumt aber ein: „Aber ich habe mit den beiden Inhabern Lukas Rüger und Seran Bahtijari zwei Leute im Rücken, die mich tatkräftig unterstützen.“

Nicht nur Ralph Curanz, sondern auch Michael Hau von der Orangerie im Stadtpark und Daniel „Herr B.“ Birkner haben 2013 aufgehört, in Bochum zu kochen, und mit den letzteren verschwanden auch die beiden in überregionalen Restaurantführen höchstdekorierten Restaurants der Stadt. Deren exklusives Küchenvermächtnis im Livingroom zu übernehmen, das sieht Boris Geigenmüller jedoch nicht. „Die beiden hatten sich ja vorgenommen, ein richtiges Programm zu kochen“, meint er. „Doch da wir können im Livingroom mit unseren hohen Durchgangszahlen nicht mithalten. Wir haben nicht die Absicht, in Richtung Sterneküche zu gehen.“

Was jedoch Absicht ist: „Wir wollen immer schön kochen.“ Lecker soll es sein, und den Leuten soll es Spaß machen, in den Livingroom zu kommen. Die Speisekarte entwirft Boris zusammen mit seinen 10 Mitarbeitern, da kann jeder seine Ideen einbringen. „Wenn wir das zusammen kochen wollen, sollten wir es auch zusammen gestalten“, ist das seine Devise. „Ich habe ja nicht immer die Weisheit mit Löffeln gefressen, und die anderen Jungs und Mädels haben auch ihre Erfahrungen.“

Auf einen bestimmten Küchenstil will sich Boris jedoch nicht festlegen lassen. „Ich lass mich von allen Einschlägen inspirieren“ erklärt er. „Ich lese viel, man lernt ja nie aus. Wichtig ist: frische Produkte, Spaß, und Aroma muss stimmen. Wir sind auch ein bisschen experimentell und probieren einige Sachen aus. Von den Grundbausteinen bauen wir aber immer auf die klassische Küche auf, mit ein paar verrückten Anschlägen, die wir mit einbauen.“ An die wilden Zeiten der Crossover-Küche, die in den Anfangsjahren im Livingroom, also lange vor seiner Zeit, herrschten, will er nicht unbedingt anknüpfen. „Das ist mittlerweile ziemlich out“, meint er. An Livingroom-Klassikern wie die Pasta Bruno Bruni, einem vegetarischen Nudelgericht mit Kirschtomaten, Rucola und Peperoncini, hält er jedoch fest. „Die kann man nicht absägen“, lacht er kopfschüttelnd. „Die werden einfach zu gerne nachgefragt.“

So gibt es immer wieder Anklänge an die italienische oder asiatische Küche, rein deutsche Gerichte wie etwa Königsberger Klopse kommen meist auf die Mittagskarte. „Der Mittagstisch bekommt im Livingroom eine immer größere Bedeutung“, weiß Boris. „Wir bieten zu einem sehr fairen Preis tolle Gerichte an.“

A und O der Livingroom-Küche sind die frischen Produkte. Wenn Boris zum Beispiel über Schweinefleisch redet, kommt seine Leidenschaft dafür voll zur Geltung. „So sind wir z.B. vom Iberico- auf das regionalere Duroc-Schwein umgestiegen“, erklärt er. „Das ist zwar eine amerikanische Rasse, wird aber in Thüringen gemästet.“ Für das eigentliche Schwein aus der Region, das Bunte Bentheimer, hat er bislang keinen überzeugenden Händler gefunden. „Wir haben auch das Schwäbisch-Hällische Schwein versucht, aber das Duroc ist gleichwertig. Es kommt immer auf die Produkte an. Beim Filet fand ich das Schwäbisch-Hällische ein bisschen besser, beim Kotelett das Duroc. Beim Bauch merkt man kaum einen Unterschied“, berichtet Boris von seinen Verkostungen. Auch hat er Proben vom Mangalitza aus Ungarn bekommen, aber das war schon wieder zu fettig. „Wenn der Herr Hau von der Orangerie das als kleine Portion in ein 9-Gang-Menü eingebaut hätte, hätte das funktioniert, aber bei uns als komplettes Gericht, das passt nicht“, stellte er fest. „Dieser Fettrand, diese glänzenden Lippen, da braucht man keinen Labello mehr!“

Wenn man mit Boris Geigenmüller spricht, merkt man wie glücklich er mit seiner neuen Position im Livingroom ist. Über seine Zukunft zerbricht er sich nicht groß den Kopf. Doch als sein Blick unter dem dunkeln Pony aus dem Fenster schweift, meint er beiläufig: „Vielleicht machen wir auch noch irgendwo hier gegenüber ein kleines Ding auf, wo zwei Leute ganz unprätentiös für zwanzig aufkochen. Mit zwei langen Tafeln und einem unkomplizierten Service. Da könnte man in zwei, drei Jahren drüber sprechen.“

 

 

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