Freitag, 23. Juli 2004

Aus dem Archiv: Capobianco - Zu früh, zu früh

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005".
Mittlerweile ist das Restaurant durchgehend geöffnet.


Es ist gar nicht so einfach, im nördlichen Teil jener ‚Niere’, die die Essener Innenstadt geografisch darstellt, am späten Nachmittag etwas zu essen zu bekommen. Selbst das „Capobianco“ macht nach seinem beliebten Mittagstisch von drei bis halb sechs zu, und wenn man dann vor dem Schaukasten mit dem vergilbten, welligen „Essen geht aus“ vom letzten Jahr steht, könnte man fast meinen, das hochgelobte Ristorante, mit dem sich die Brüder Capobianco seit 1997 in die Herzen ihrer Stammkundschaft gekocht haben, hätte überhaupt geschlossen. Wenn man endlich kurz vor sechs als erster und vorläufig einziger Gast den noch leeren Laden betreten kann, ist man erst einmal verwirrt und staunt.

Ein Labyrinth von eng aneinander stehenden Tischen mit bequemen, viel benutzten Rattanstühlen lässt das Auge keinen Fixpunkt finden. An den Seiten stehen hie und da ein paar antike Vitrinen, voll gestopft mit Weinflaschen und –kisten. Die Fresken mit nachempfundenen Motiven aus der Sixtinischen Kapelle an der Wand und die bunten Fliesen auf dem Boden, das Oberlicht, das durch eine große runde Dachluke als architektonischer Effekt den Raum erhellt - all das macht die Orientierung nicht leichter.

Leider fühlte sich niemand von der Belegschaft bemüßigt, dem hilflosen Gast einen Platz anzubieten, und so setzte ich mich beherzt an einen Tisch, auf dem kein „Reserviert“-Schildchen stand und von dem aus ich eine darüber hängende Angebotstafel mühelos entziffern konnte. Schließlich wurde ich doch mit einem herzlichen „Boungiorno, dottore“ begrüßt und mir wurde die Karte überreicht. Doch weder nach einer Salatkomposition mit gebratenen Pilzen und Parmesankäse (EUR 9,50), noch nach Tortellini al Gorgonzola (EUR 7,70), Filetsteak in Trüffelsauce (EUR 20,00) oder nach Hummerkrabben mit frischen Kräutern überbacken (EUR 20,50) stand mir der Sinn. Die geheimnisvollen Hieroglyphen auf der Angebotstafel forderten meinen Stolz aus Gourmet heraus. Also bestelle ich „Seeteufel in CHAMPANEZAFFERAN“ (EUR 19,50), und als Pastagang hausgemachte Orechietti mit Rucola und Parmaschinken in Cherrytomaten (EUR 9,90).

Stand möglicherweise Chef-Koch Camillo di Lucia nicht persönlich am Herd? Trotz der tadellosen frischen Zutaten machte die Zubereitung der Speisen einen unkonzentrierten und ungeduldigen Eindruck. In der salzigen, zu wenig eingekochten Nudelsauce befanden sich keine Cherrytomaten, sondern in Stücke geschnittene normale Tomaten, und die ausgesprochene Herbheit der Champagner-Safran-Sauce zum Fisch erklärte ich mir damit, dass der Koch vielleicht beim Ablöschen die Champagner- mit der Grappa-Flasche verwechselt hatte. (Dass unter dem Teller eine Seeteufelgräte klebte, und dass eine Rotte von Fruchtfliegen eine Attacke nach der anderen auf mein Weinglas flog, förderte den Appetit auch nicht wirklich.)

Nach dem Empfehlungen, die ich von verschieden Kollegen gehört hatte, war ich etwas enttäuscht. Aber warum geht man auch sofort nach Ladenöffnung als erster Gast in der Essener Innenstadt essen? Als ich das „Capobianco“ gegen sieben verließ, hatte sich eine ganze Reihe von glücklichen Gästen eingestellt. Alles hatte sich eingespielt, und der Patron machte charmant seine Honneurs. Und ab jetzt schmeckte das Essen sicher besser.

-kopf

Essen-City, Rottstr. 7
Fon 0201. 22 66 03
tägl. 12-24 Uhr
https://capobianco-ristorante.de/

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