Sonntag, 25. Juli 2004

Aus dem Archiv: Gebrandenhof - Es ist ja nur Obst

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Das Anwesen wird 2017 nicht mehr gastronomisch genutzt.


Bis 1940 wurde der 1798 erbaute Bauernhof am Rande des Essener Stadtwaldes noch landwirtschaftlich genutzt, dann setzten der damalige Besitzer und seine Nachfolger auf die Gastronomie. Werner Rzepucha, der den Hof 1990 übernahm, machte aus dem stattlichen Fachwerkhaus schließlich das Schmuckstück, als das sich der Gebrandenhof heute dem Publikum präsentiert - mit Bierschwemme, Bauernstübchen, Galerie und Tenne für geschlossenen Gesellschaften und einem weitläufigen Biergarten. In einem gläsernen Anbau ist die Küche untergebracht, in dem man die Köche werkeln sehen kann.

Dass hier auf kulinarischem Gebiet etwas anderes passiert als in ähnlichen Ausflugslokalen, merkt man sofort, wenn man das alte Bauernhaus betritt. Wie an einem Marktstand werden die frischen Produkte, die die Küche verarbeitet, dem Gast dekorativ präsentiert. Offene Weinkisten mit guten Bordeaux-Weinen signalisieren, dass das rustikale Bachkieselpflaster des Hauses ein durchaus gehobenes lukullisches Parkett ist. So bodenständig Atmosphäre und Ambiente wirken, so weltläufig ist das Angebot, das die Speisekarte bietet. Eine traditionelle gutbürgerliche Küche wird hier mediterran interpretiert: zum Beispiel Seelachs mit Zucchini und Kirschtomaten auf Rosmarinbutter mit Wildreis (EUR 14,60) oder Rumpsteak gefüllt mit Kräuterschalotten auf Marsalareduktion mit gratinierten Rahmkartoffeln (EUR 18,90). Ein täglich wechselnder Mittagstisch und das samstägliche große Eintopf-Büffet ergänzen dieses Angebot.

Ohne lange zu zögern, schleppt Werner Rzepucha eine große Angebotstafel herbei, auf der jene Gerichte mit saisonalen Zutaten aufgelistet sind, die die Standardkarte nicht enthält. Leutselige schimpft er dabei übers Wetter, das die Biergartensaison dieses Jahr so verhagelt hat, und dass es deshalb nicht die Grillspezialitäten wie etwa die berühmte halbe Ente vom Grill gibt. Ich entscheide mich für ein Kartoffelsüppchen (EUR 4,50) und Fischfilet mit Pfifferlingen (EUR 17,50). Mit welcher Sorgfalt hier auf Kleinigkeiten geachtet wird, zeigte schon das Weißbrot, das als Appetitanreger gebracht wurde, herrlich duftend und wohlschmeckend. Das Süppchen entpuppte sich als ordentliche Portion in einer Löwenkopfterrine, sorgsam abschmeckt und pikant verfeinert. Den Fisch hätte es beim Italiener nicht besser geben können. Die beiden üppigen Filets waren wunderbar gebraten und wurden prächtig durch die Pfifferlinge ergänzt. Dennoch gab es noch Gemüse dazu, Zucchini und Broccoli, mit Biss gegart und mediterran mit Kräutern aromatisiert. Das Extraschälchen mit Kartoffeln schien fast schon zuviel, doch auch sie waren von perfekter Konsistenz und appetitanregend gewürzt.

Verschmitzt empfahl Werner Rzepucha einen Früchteteller zum Dessert und brachte schließlich einen dieser überdimensionierten Pasta-Teller á la Alfred Biolek voll frischer Wald-, Johannis- und Erdbeeren, dass es eine Pracht war (EUR 7,50). Als ich voller Skepsis äußerte, ob ich diese Riesenportion noch verkraften könnte, meinte er gönnerhaft: „Es ist ja nur Obst!“
-kopf

 Essen-Stadtwald. Wittenbergstr. 85

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