Freitag, 18. August 2006

Aus dem Archiv: Slow Food Convivium Herne – Mittleres Ruhrgebiet

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".

Einer der jüngsten Zuggänge von Slow Food Deutschland ist das Convivium Herne – Mittleres Ruhrgebiet, das im Herbst 2005 in der Weinhandlung Julius Meimberg in Herne gegründet wurde. Treibende Kraft sind die Vettern Manfred und Hartmut Meimberg, die eine rege Aktivität initiiert haben. Jeden letzten Mittwoch im Monat treffen sich die meisten der ca. 30 Mitglieder und andere Interessierte zum sog. Schneckentreff im Weinrestaurant Julius in Herne. Bei diesen genussreichen Zusammenkünften steht immer ein Vortrag über ein kulinarisches Thema im Mittelpunkt. Dazu passend gibt es einen größeren oder kleineren Imbiss, der von Slow-Food-Mitgliedern zubereitet wird. Im Jahr 2006 sind noch Vorträge über Jürgen Dollases „Thesen zur „Kulinarischen Intelligenz“ (27.9.), Lebensmittelwerbung (29.11.) oder Festtagsessen zwischen Tradition und Lifestyle (27.12) geplant. Auf den Schneckentreffs werden auch ernährungspolitische Themen diskutiert wie etwa das Olivenöl-Manifest der Zeitschrift „Der Feinschmecker“ u.a. oder die Verwässerung des Öko-Gedankens durch die Bio-Richtlinien der EU.

Aber auch über die Schneckentreffs hinaus gibt es rege Aktivitäten. Im Frühjahr machte ein Ausflug ins ländliche Dorsten nach einer Metzgerei, die nur regional erzeugtes Fleisch verarbeitet, einem Ziegenhof und einem Spargelbauern den Teilnehmern viel Vergnügen. Im Herbst geht es in den Ennepe-Ruhr-Kreis, zum Archehof Ibing in Witten und ins Henriette-Davidis-Museum. Ein großer Erfolg war der dreiteilige Kochkurs, den Slow-Food-Mitglieder im Frühjahr bei den Stadtwerken Herne veranstalteten und der im Herbst eine Fortsetzung findet. Zudem arbeitet eine Gruppe besonders aktiver Mitglieder an dem von Slow Food Deutschland initiierten „Genussführer“ mit, einem Gasthausguide nach Vorbild des italienischen Osteriaführers.

Ein besonderes Anliegen von Slow Food ist die Förderung von regionalen Produkten und regionaler Küche, um die Vielfalt an Nahrungsmitteln und Geschmack zu erhalten. Das Ruhrgebiet ist in dieser Hinsicht eine besonders schwierige Region. Als Grenzland zwischen dem Rheinland und Westfalen, als Schmelztiegel von Einwanderern aus aller Herren Länder, als eine noch junge Region, in der die Industrie die traditionelle Landwirtschaft verdrängt und zu einer gigantischen Bevölkerungsexplosion geführt hat, die ganz besondere Versorgungsprobleme aufwirft, ist es zur Identitätsfindung notwendig, eine Ruhrgebietsküche zu definieren. Zu diesem Zweck erarbeitet das Slow Food Convivium Herne – Mittleres Ruhrgebiet ein „Manifest zu Kulinarik im Ruhrgebiet“.

Peter Krauskopf

Mittwoch, 16. August 2006

Aus dm Archiv: Bliss - Hohe Kunst der Schaumschlägerei

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".
Die Küchenleitung hat gewechselt. Heute (2024) betreibt Patrick Jabs die Kochschule und den Feinkostalden "lecker werden".

Geht man auf die Internetseite des Restaurants „Bliss“, so entdeckt man unter dem Link „Galerie“ eine Reihe von Fotos, die Küchenchef Patrick Jabs beim Experimentieren mit der Molekularen Küche zeigen. Das ist eine vom spanischen Meisterkoch Ferran Adria erfundene, fast alchimistische Art zu kochen, bei der die Lebensmittel mit modernster Technik bis auf ihre molekulare Struktur zerstört und dann zu neuen Geschmacks- und Konsistenzkreationen wieder zusammengesetzt werden. Irgendwie wirkt das wie die Renaissance des Glaubens an die Grenzenlosigkeit des technisch Machbaren aus den 60er Jahren. Es scheint so, als gäben sich Produzenten von amerikanischer Weltraumnahrung (Wiener Schnitzel aus der Tube), japanischem Kunst-Krebsfleisch (Surimi) und veganem Ersatzfleisch (Seitan) ein Stelldichein. Verlässt man dann jedoch den virtuellen Raum des Internets und betritt das ganz reale Restaurant im Girardet-Haus, so ist man überrascht, einen todchicen Laden mit offener Showküche hinter einer Thekenvitrine zu sehen, in der ganz authentische Gasflammen aus dem Herd züngeln und sich die aufsteigenden Gerüche wie eh und je durch einen Rauchfang auf und davon machen können.

„Bliss“-Chef Patrick Jabs hat diesen Teil der Ausstattung von dem türkischen Vorgängerlokal „Savarona“ übernommen, und so bewahrt das „Bliss“ bei aller durchgestylten Eleganz auf der Höhe der Zeit die Zwanglosigkeit einer Imbiss-Stube. Und auf den Tellern ist durchaus richtiges Essen zu finden, hergestellt aus so hervorragenden Zutaten wie Bressehuhn oder Bigorre-Schwein. Aber auch hier wird Ferran Adrias Tradition und Bodenständigkeit zertrümmernder Küche Tribut gezollt, etwa wenn die Bressehuhnbrust, ein Produkt aus einer klar definierten französischen Appellation, mit australischen Gewürzen gefüllt wird.

Ganz in Adrias revolutionärem Sinn war das Amuse Gueule des kleinen Menüs, das ich mir von der knapp gehaltenen Karte zusammenstellte. Eine dreifache Paprika-Variation erwies sich als die hohe Kunst der Schaumschlägerei in verschiedenen Darreichungsformen. Der fluffige Paprikaschaum hatte noch die paprikaeigene orangerote Farbe und war von intensiv-betörendem Aroma. Der Paprikaterrine hingegen war die Farbe komplett entzogen worden, dafür war sie von der Konsistenz her fester und nicht weniger aromatisch. Die kleine Frühlingsrolle in der Mitte zeigte dann äußerst schmackhaft, wie man auf konventionelle Art mit der Paprika umgehen kann und wirkte mit ihrer knusprigen Garnitur wie ein Lehrbeispiel aus der Geschmacksschule des Restaurantkritikers Jürgen Dollase. Der Fischeintopf (EUR 7) war in Ordnung, die Meeresfrüchte- und Fischeinlage reichlich und in Geschmack und Konsistenz vielfältig. Allerdings kam mir die Brühe etwas dumpf vor, doch unter dem Motto „Selbst ist der Mann“ goss ich einfach ein Schlückchen von meinem Grauburgunder (0,25 l EUR 5) dazu und gab so der ganzen Sache die zuvor vermisste Spritzigkeit. Zum Hauptgang dann die bereits erwähnte „Australische Roulade vom Bressehuhn mit Frühlingslauchgemüse und Chorizoschaum“ (EUR 17,50), ein leicht exotisches Gericht, das zuerst einmal ohne weitere intellektuelle Anstrengung einfach hervorragend schmeckte, dann aber zum Nachdenken anregte. War doch die Basis für das pikante schaumige Sößchen tatsächlich die bekannte spanische Paprikawurst – unglaublich, aber die Technik macht’s möglich. Als Ausklang gab es dann ein Nougattörtchen mit pochiertem Pfirsich, süß und lecker (EUR 7,40), zu dem ich gern einen koffeinfreien Cappuccino zu mir genommen hätte. Doch den gab es leider nicht.
-kopf

Essen-Rüttenscheid, Girardetstr. 2-38 (Girardet-Haus)
Fon 0201. 95 98 55 95
Mo-Sa 17.30-23 Uhr. So Ruhetag

Freitag, 4. August 2006

Aus dem Archiv: Nesselrode - Château de Ruhr

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007"
Das Schlosshotel Hugenpoet steht unter neuer Leitung. Das Hotel-Restaurant firmiert niht mehr unter dem Namen "Nesselrode". Erika Bergheim betreibt seit 2021 ihr eigenes Restaurant "Pierburg".

Dass die Ruhr im gleichen kulinarischen und architektonischen Glanz wie die Loire funkelt, wird wohl niemand erwarten. Dennoch ist das Tal des Flusses, der einem ganzen Gebiet den Namen gibt, eines der schönsten in Deutschland, und das ein oder andere Schlösschen am Ufer ist gar nicht übel. Schloss Hugenpoet in Kettwig ist das besterhaltene Juwel dieser Art an der Ruhr. Das liegt sicherlich an der Nutzung des Barock- und Renaissancebaus von 1696 und früher als Hotel seit den 1950er Jahren. Das Haus ist eine wunderbare Location für jede Art von Repräsentation, sei es für Veranstaltungen der NRW-Landesregierung aus dem nahen Düsseldorf, sei es für private Hochzeiten, und gewissermaßen das feudale Pendant zum industriekulturellen Zollverein im Essener Norden.

Damit alles schön glänzt, hat Hausherr Michael Lübbert die Eingangshalle und Flure im letzten Winter ein wenig renovieren lassen. Farblich dominieren nun ein helles Blau, Ocker- und Goldtöne, und das rustikale, altfränkisch anmutende Mobiliar der Eingangshalle musste einer eleganten barocken Ausstattung weichen. Für das hauseigene Restaurant Nesselrode wurde sogar neues Tafelsilber von Robbe & Berking angeschafft.

Seit drei Jahren steht Erika Bergheim der Schlossküche vor. Einst hatte sie Berthold Bühler von der Résidence, mit dem sie Anfang der 1980er Jahre im Essener Sheraton-Hotel arbeitete, für den Herd entdeckt. Bevor sie die Küche auf Hugenpoet übernahm, war sie Stellvertreterin ihres Vorgängers Hans-Dietrich Marzi. Heute überzeugt sie die Fans der Haute Cuisine mit französisch inspirierten Kreationen. Ragout von Hummer und Seeteufel mit Trauben, jungem Lauch, Steinmorcheln und Gnocchi (EUR 32,50) oder Perlhuhnbrust mit Perigordtrüffel gebraten, Millefeuille von Waldpilzen und Kartoffelchips, wildem Broccoli und Feige (EUR 31) sind da nur Beispiele von der häufig wechselnden Karte. Einen guten Überblick über die Küchenleistung von Frau Bergheim bieten die Menüs (4 Gänge EUR 76, 6 Gänge EUR 95).

Zur Feier der Renovierung des Hauses überraschte sie im Frühjahr eine geladene Gästeschar mit einer exklusiven Speisenfolge. Mousse von Saubohnen mit karamellisiertem Knoblauch, luftgetrocknetem Wildschweinschinken und Ziegenfrischkäse mit Schlehenlikör mariniert ergaben eine Vorspeise von unterschiedlicher Konsistenz und delikater Geschmacksvielfalt. Die Essenz von Wildwassergarnelen mit gebratener Garnele und Tomaten-Zimconfit auf Safrancrostini machte Appetit auf den folgenden gegrillten Atlantikhummer mit mariniertem Weißkohl und einer Senffrüchte-beurre-blanc. Hier hätte vermutlich der stechende Ammoniakgeschmack des Hummers einen Sterne-Tester nicht überzeugt, die Auszeichnung zuzuteilen, genauso wenig wie die viel zu harten Farfalle, die zum nachfolgenden Saltimbocca vom Seeteufel serviert wurden. Den Nudeln sah man durchaus die liebevolle Handarbeit an, mit der sie zu hübschen Schmetterlingen gebunden wurden, doch in der Mitte waren sie einfach zu dick, als dass sie durchgaren konnten. Hinreißend dann die Variationen von der Milchziege, die wie kleine Probierpralinchen – größer sind die Fleischstücke dieser jungen Tiere nicht - auf dem Teller angerichtet waren: eine Crêpinette aus der Schulter mit Cumin-Glace, ein Stück aus der Keule in Zucchini gebraten, Kotelett und Leber mit Lorbeer gegrillt, dazu ein Patisson mit Gewürzrisotto gefüllt und Zitrusfrüchteschaum. Zum Abschluss gab es gleich zwei Desserts, ein erfrischendes Carpaccio von der Babyananas mit Currymousse und einem Ingwerreis sowie ein warmes Valrhona-Schokoladentörtchen mit einem Ximenez-Butterreis.

Begleitet wurde die Speisenfolge mit Weinen, der der Nahe-Winzer und Restaurantkritiker Armin Diel für den Abend extra mitgebracht hatte. Der 2004er Pinot Blanc und die 1999er Cuvée Victor aus Grau- und Weißburgunder bewiesen, welch ein Genuss ein Weißwein ist, wenn er in einem hervorragenden Restaurant punktgenau temperiert serviert wird. Die 2004er Fassprobe der 2004er Cuvée Caroline aus Spätburgundern verschiedener Lagen war leider nicht verfügbar. Stattdessen hatte Diel versehentlich einen Dornfelder mitgebracht, wofür er sich auch entschuldigte. Eigentlich gab es dazu aber keinen Grund, denn der Wein entsprach allen Ansprüchen.

-kopf


Essen-Kettwig, August-Thyssen-Str. 51

Mittwoch, 2. August 2006

Aus dem Archiv: Seitenblick - Kaffee-Kultur

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".
Das Café gibt es nicht mehr. In den Räumlichkeiten befindet sich seit 2020 das chnesische Restaurant "Genki Bar & Restaurant".

Langsam gießt Dominik Kramp vor den Augen des Gastes das heiße Wasser in den Porzellanfilter auf dem 0,38-l-Kännchen. Darin befindet sich der für diesen Filter extra grob gemahlene Kaffee der Sorte Maragogype, der einen feinen Duft verbreitet. Nach ein paar Sekunden ist der Kaffee fertig gebrüht, und dem Genuss steht nichts mehr im Wege. Der säure- und koffeinarme Maragogype (Kännchen EUR 3,90) ist neben dem Vilcabamba (mild, aber mit hohem Koffeingehalt, Kännchen 3,90) oder dem Jamaica Blue Mountain (der teuerste Kaffee der Welt, Kännchen EUR 7,80) eine jener Kaffeespezialitäten, die das Seitenblick von einem kleinen Kaffeeröster im badischen Staufen bezieht. Dazu gibt es selbstverständlich täglich wechselnde hausgemachte Kuchen, die unangeschnitten 45 cm im Durchmesser haben.

Seit März 2006 befindet sich das eigenwillige Kaffeehaus von Dominik Kramp und seinem Partner Bernhard Schunk in der Trentelgasse direkt gegenüber der dicht begrünten Schreinerei des Grillo-Theaters. Der in rustikalem Chic eingerichtete Laden mit der Ganzjahresterrasse erweitert das gastronomische Angebot rund um das Schauspielhaus durch eine sanft-alternativ Bio-Variante und ist dank der kundenfreundlichen Öffnungszeiten für Frühstücksfreunde, Mittagesser und Theaterbesucher mit spätem Hunger gleichermaßen einladend.

Neben den Kaffeespezialitäten gibt es selbstverständlich auch zahlreiche Tees. Cola sucht man auf der Getränkekarte vergeblich. Dafür sorgt ein umfangreiches Fruchtsaftangebot für die Gesundheit, ein noch größeres an erlesenen Bränden und Likören für den Genuss. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Gast der Weinkarte widmen. Sorgfältig ausgewählte Weine hauptsächlich aus Deutschland mit dem Schwerpunkt Baden findet man hier, aber auch spritzige Weiße aus Österreich und Frankreich oder schöne Rote aus Spanien oder Bordeaux.

Für den kleinen und etwas größeren Hunger bietet das Seitenblick eine deftige Stullenkarte. Auf hausgemachtem Brot gibt es pikante Aufstriche wie Möhren-Ingwer-Crème (EUR 3,10) oder Griebenschmalz mit Apfelstückchen (EUR 2,50). Wem es nach etwas Warmem gelüstet, dem kann eine hübsche Batterie von Flammekueche zwischen EUR 4 und 8,90 den Magen füllen. Eine wechselnde Wochenkarte hält individuelle Spezialitäten bereit, wie etwa ein Gericht mit dem hübschen Namen „Deutsch-Afrikanische Freundschaft“ (EUR 7,50): selbst gemachte Löwenzahnspätzle überbacken mit Erdnusssauce sind eine schmackhafte Alternative zur üblichen Lasagne.

-kopf

Essen-City, Trentelgasse 2