Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2006/2007".
Die Küchenleitung hat gewechselt. Heute (2024) betreibt Patrick Jabs die Kochschule und den Feinkostalden "lecker werden".
Geht man auf die Internetseite des Restaurants „Bliss“, so entdeckt man unter dem Link „Galerie“ eine Reihe von Fotos, die Küchenchef Patrick Jabs beim Experimentieren mit der Molekularen Küche zeigen. Das ist eine vom spanischen Meisterkoch Ferran Adria erfundene, fast alchimistische Art zu kochen, bei der die Lebensmittel mit modernster Technik bis auf ihre molekulare Struktur zerstört und dann zu neuen Geschmacks- und Konsistenzkreationen wieder zusammengesetzt werden. Irgendwie wirkt das wie die Renaissance des Glaubens an die Grenzenlosigkeit des technisch Machbaren aus den 60er Jahren. Es scheint so, als gäben sich Produzenten von amerikanischer Weltraumnahrung (Wiener Schnitzel aus der Tube), japanischem Kunst-Krebsfleisch (Surimi) und veganem Ersatzfleisch (Seitan) ein Stelldichein. Verlässt man dann jedoch den virtuellen Raum des Internets und betritt das ganz reale Restaurant im Girardet-Haus, so ist man überrascht, einen todchicen Laden mit offener Showküche hinter einer Thekenvitrine zu sehen, in der ganz authentische Gasflammen aus dem Herd züngeln und sich die aufsteigenden Gerüche wie eh und je durch einen Rauchfang auf und davon machen können.
„Bliss“-Chef Patrick Jabs hat diesen Teil der Ausstattung von dem türkischen Vorgängerlokal „Savarona“ übernommen, und so bewahrt das „Bliss“ bei aller durchgestylten Eleganz auf der Höhe der Zeit die Zwanglosigkeit einer Imbiss-Stube. Und auf den Tellern ist durchaus richtiges Essen zu finden, hergestellt aus so hervorragenden Zutaten wie Bressehuhn oder Bigorre-Schwein. Aber auch hier wird Ferran Adrias Tradition und Bodenständigkeit zertrümmernder Küche Tribut gezollt, etwa wenn die Bressehuhnbrust, ein Produkt aus einer klar definierten französischen Appellation, mit australischen Gewürzen gefüllt wird.
Ganz in Adrias revolutionärem Sinn war das Amuse Gueule des kleinen Menüs, das ich mir von der knapp gehaltenen Karte zusammenstellte. Eine dreifache Paprika-Variation erwies sich als die hohe Kunst der Schaumschlägerei in verschiedenen Darreichungsformen. Der fluffige Paprikaschaum hatte noch die paprikaeigene orangerote Farbe und war von intensiv-betörendem Aroma. Der Paprikaterrine hingegen war die Farbe komplett entzogen worden, dafür war sie von der Konsistenz her fester und nicht weniger aromatisch. Die kleine Frühlingsrolle in der Mitte zeigte dann äußerst schmackhaft, wie man auf konventionelle Art mit der Paprika umgehen kann und wirkte mit ihrer knusprigen Garnitur wie ein Lehrbeispiel aus der Geschmacksschule des Restaurantkritikers Jürgen Dollase. Der Fischeintopf (EUR 7) war in Ordnung, die Meeresfrüchte- und Fischeinlage reichlich und in Geschmack und Konsistenz vielfältig. Allerdings kam mir die Brühe etwas dumpf vor, doch unter dem Motto „Selbst ist der Mann“ goss ich einfach ein Schlückchen von meinem Grauburgunder (0,25 l EUR 5) dazu und gab so der ganzen Sache die zuvor vermisste Spritzigkeit. Zum Hauptgang dann die bereits erwähnte „Australische Roulade vom Bressehuhn mit Frühlingslauchgemüse und Chorizoschaum“ (EUR 17,50), ein leicht exotisches Gericht, das zuerst einmal ohne weitere intellektuelle Anstrengung einfach hervorragend schmeckte, dann aber zum Nachdenken anregte. War doch die Basis für das pikante schaumige Sößchen tatsächlich die bekannte spanische Paprikawurst – unglaublich, aber die Technik macht’s möglich. Als Ausklang gab es dann ein Nougattörtchen mit pochiertem Pfirsich, süß und lecker (EUR 7,40), zu dem ich gern einen koffeinfreien Cappuccino zu mir genommen hätte. Doch den gab es leider nicht.
-kopf
Essen-Rüttenscheid, Girardetstr. 2-38 (Girardet-Haus)
Fon 0201. 95 98 55 95
Mo-Sa 17.30-23 Uhr. So Ruhetag
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