Freitag, 8. August 2003

Aus dem Archiv: Andalucia Casa Pedro - Lecker! Wie im Hotel!

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2004".

Irgendein picaro hat auf den Aushangkasten des „Andalucia Casa Pedro“ einen Aufkleber der spanischen Region mit dem wenig einladenden Namen Extremadura geklebt, und entsprechend wirkt das Äußere des Tapas-Lokals auch. Zwischen dem kleinen Häuschen und den parkenden Autos zwängt sich ein kaum begehbarer schmaler Bürgersteig, und selbst, wenn der Laden geöffnet ist, sieht die massive Alu-Glas-Eingangstür aus, als wollten die stolzen Spanier einem maurischen Angriff trotzen. Eher abweisend auch die Speisekarte, die draußen aushängt. Bei den zahlreichen Tapas läuft einem zwar das Wasser im Mund zusammen, bei den normalen Gerichten von Fisch über Kaninchen bis Zarzuela fehlen jedoch die Preise, dafür liest man den Hinweis, dass es sie nur auf Vorbestellung für zwei Personen gibt.

Drückt man dann beherzt die Klinke, steht man in einem Gastraum, der spanischer nicht sein kann. Ein liegender brauner Pappmaché-Toro in Neufundländer-Größe begrüßt einen mit kuhäugigem Blick. Das hellbraune Eichen-Gebälk, das die zahlreichen Sitznischen einrahmt, stammt zwar aus der deutschen Kneipen-Ausstattungs-Konfektion „Gemütlich“, spielt seine Rolle als spanische Mittelalter-Applikation allerdings mit eleganter grandeza. Ansonsten wirkt das Ambiente des Ladens edel und karg, schöne Film- und Sherryplakate schmücken in schwarzen Rahmen die weiß getünchten Wände, hier und da entdeckt man dekorative Weinflaschen, -schläuche und –krüge.

Schon kurz nach Öffnung füllt sich der Laden mit Werdener Stammgästen, die keinerlei Schwellenangst haben, sondern genau wissen, wie gut das Essen hier ist. Besonders beliebt ist im Sommer der Balkon, auf dem man nicht nur den Blick auf die Rückseite eines zu Apartments umgebauten antiken Fabrikgebäudes am Ruhrufer hat, sondern zwischen den Häusern hindurch auch auf das Stauwehr des Baldeneysees.

In der Tat legt man im „Andalucia Casa Pedro“ nur wenig Wert darauf, die Hauptgerichte zu verkaufen, die zwischen EUR 9 und 19 kosten, wie die Speisekarte dann doch verrät. Der ganze Stolz liegt auf den Tapas, die mit einem eine Seite langen, eng gedruckten Text über den sozio-gastronomischen Hintergrund eingeführt werden. Die Liste ist endlos, es gibt warme, kalte, welche mit Fleisch und welche mit Fisch und sie kosten zwischen EUR 4 und 9. Kellner und Köche kommen ins Schwitzen, wenn sie Datteln im Speckmantel, Fleischbällchen in Tomatensauce, mit Seehechtfarce gefüllte Paprikaschoten oder gegrillte Gambas an die Tische tragen. Rein vom Fassungsvermögen her konnte ich mir nur drei der pikanten Happen leisten. Die Aljoli verde (EUR 2,80), eine mit Kräutern herzhaft abgeschmeckte Knoblauchmayonnaise, wurde mit frisch aufgebackenem, noch heißem Baguette serviert. Orientalisch wirkten drei dicke mit Thunfisch gefüllte Blätterteigrollen, die ein wenig an türkische sigara erinnerten (EUR 4,80). Klassisch, karg und fantastisch waren die vier gegrillten Lammfiletkoteletts (EUR 8,50), die zusammen mit fein gewürzten Bartkartoffelecken und Aljoli verde auf den Tisch kamen. Den knochentrockenen Rosé aus der Rioja (1/4l EUR 4,50) hätte ich mir etwas lieblicher gewünscht, aber das ist Geschmackssache.

Am Nebentisch saßen zwei große Werdener Mädchen mit einem kleinen (ca. 6 Jahre). Die Kleine, sonst wahrscheinlich eher auf Süßigkeiten wie Nutella oder Smarties abonniert, konnte die pikanten exotischen Häppchen kaum erwarten. „Lecker!“, rief sie angesichts einer in roter Tomatensauce schwimmenden kleinen Schweinerei. Und dann: „Wie im Hotel!“
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Infos auf Facebook
Essen-Werden, Neukircher Mühle 29, Fon 40 35 77
Täglich 18-24 Uhr

Donnerstag, 7. August 2003

Aus dem Archiv: Bei Dario - Quell der Freude

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr, nur noch die Trattoria Lo Spuntino.


Da, wo die Ruhr beginnt, sich zum Baldeneysee aufzustauen, ist das Flusstal besonders eng. Entsprechend schmal ist die Kupferdreher Straße, die sich zwischen den zum Teil recht alten schmucken Häusern des gleichnamigen Stadtteils zwängt, und besonders im Sommer gleicht das Verkehrsaufkommen dem quirligen Chaos eines italienischen Städtchens nach Ende des Siesta.

Treffpunkt der Kupferdreher Einwohnerschaft ist seit über 30 Jahren das Ristorante “Bei Dario”. Das kleine, alte Häuschen inmitten des Stadtteilzentrums atmet innen die Atmosphäre der Enge des Ruhrtals; frisch gestrichen wirkt es noch heute wie die Kulisse eines 70er-Jahre-Films. Wenn Zweimetermänner die Toilette aufsuchen wollen, sollten sie sehr gelenkig sein. (Ob Zweimeterfrauen die gleichen Probleme haben, habe ich aus Anstandsgründen nicht ausprobiert.) Ein allerliebstes Idyll ist die Terrasse, die man durch einen schmalen, gässchenartigen Weg links neben dem Haus erreicht. Die schmale Hälfte ist pergola-artig mit Wein überwachsen, den größeren Teil beschatten große Sonnenschirme. In zahlreichen Blumentöpfen sprießen bunte Blumen, aber auch Tomaten und wohlriechende Kräuter, die in der Küche gebraucht werden. Ein handelsüblicher Brunnen aus dem Baumarkt murmelt ein wenig lautstark vor sich hin.

Kulinarisch ist das Ristorante ein Quell der Freude. Dario Botteri verwöhnt seine Kundschaft mit “Schlemmereien aus Verdis Heimat Emilia”, wie er auf seinen Quittungsvordrucken behauptet, und in der Tat wird die Küche dem Land von frischer Pasta, Parmaschinken und Parmesankäse vollauf gerecht. Mittags lockt eine preiswerte Sonderkarte. Zudem lässt sich ein schneller Imbiss auch den ganzen Tag über in der zum Haus gehörenden Schnellpizzeria “Lo Spuntino” gegenüber einnehmen. Die Standardkarte bietet neben Antipasti, Suppen und Salaten Nudel- und Fleischgerichte. Eine Besonderheit ist die Rubrik “Krustentiere” mit Gamberoni-Gerichten zwischen EUR 17,50 und 24,50. Eine reichhaltige, 29 Positionen umfassende Pizzakarte (von EUR 4,50 bis 13 für die Pizza Scampi) befriedigt jene Kundschaft, die sich nicht überraschen lassen will. Für Kinder gibt es zwei Gerichte zu EUR 6,50, Schnitzel oder Seezungenfilets mit Gemüse und Kartoffeln, und zwei Nudelgerichte, eine kleine Portion Lasagne (EUR 4,50) oder Spaghetti Bolognese (EUR 4). Die Weinkarte bietet eine ausgewogene Auswahl italienischer Weine, darunter natürlich ein Sangiovese Superiore von Ceregio aus der Emilia-Romagna (EUR 22), aber auch schöne Weine aus dem Piemont und der Toskana.

Die Kunst der Küche offenbart sich besonders gut bei den täglich wechselnden Spezialitäten. Hier findet man dann Fischgerichte, aber auch Lammhaxe (EUR 11,80) oder Kaninchenrückenfilets in Weißweinsauce (EUR 13,80). Die Rotbarben in Weißweinsauce (EUR 13,80) waren schön kross angebraten und harmonierten sehr schön mit der säuerlichen Sauce, in typisch italienischer Manier wurden die leicht angedünsteten Gemüse auf einem Extra-Teller beigegeben. Die Tomatensuppe (EUR 4) von der Standardkarte war ein herzhafter Einstieg, und die Pannacotta mit Himbeersauce (EUR 6) zum Nachtisch erinnerte an Muttis Pudding früher daheim.
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Essen-Kupferdreh, Kupferdreher Str. 179

Aus dem Archiv: Cipriani - Fellinische Lebensfreude

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Trastevere, jenseits des Tibers, heißt einer der romantischsten und ältesten Stadtteile Roms. Was für die Ewige Stadt der Tiber ist, ist für Essen bekanntlich die Ruhr. Und an deren jenseitigen Ufer liegt mit Werden ein Trastevere ganz eigener Art. Besonders die Grafenstraße versucht, ein wenig vom mittelalterlichen Charme der zivilisatorischen Wiege Essens zu bewahren, und auf dem Pflaster der schmalen Gasse versuchen das Café Werntges und das Eiscafé „La Dolce Vita“ an heißen Sommertagen mit Tischen und Stühlen fellinische Lebensfreude zu verbreiten. Mit dazu gehört auch die „Trattoria Little Italy“ von Signore Cipriani, die an der Ecke Körholzstraße in einem Neubau untergebracht ist, der mit seinen Giebeln und Fachwerkapplikationen Altstadt-Romantik im modernen Stil imitiert. Cipriani ist in der italienischen Gastronomie ein legendärer Name; ein Namensvetter des Werdener Wirtes war einst der Besitzer von „Harry’s Bar“ in Venedig und hatte den Cocktail „Bellini“, Champagner auf weißem Pfirsich, und das „Carpaccio“, rohes, dünn aufgeschnittenes Rindfleisch mit darüber gehobeltem Parmesankäse, erfunden.

Ob solch innovative Leistungen aus der Küche des Werdener Cipriani zu erwarten sind, sei einmal dahingestellt. Was angenehm auffällt, sind auf alle Fälle die dekorativ aufgemachten Nudelgerichte, die in gewisser Weise das kulinarische Pendant zu den Angeboten der Geschenke- und Küchenausstattungsläden in der näheren Umgebung sind. Die „Tagliatelle Nerone“ (EUR 9) – mit Tintenfischtinte geschwärzte Tagliatelle mit Lachs-Sahne-Sauce – sind ein optisches wie geschmackliches Gedicht. Sie stammen von der Standardkarte, die das übliche Repertoire italienischer Restaurants enthält: Pizza, Pasta, Fisch- und Fleischgerichte. Tagesgerichte werden auf einer Extra-Tafel angekündigt, die mit großer Geste zum Gast getragen wird, wenn der sie von weitem nicht lesen kann.

Und da finden sich dann Klassiker wie Antipasto misto (EUR 10,50), Kalbsleber Veneziana (EUR 13,50), Lammcarrée (EUR 14,50) oder Dorade (EUR 14,50). Bei Cipriani hat man auch große Lust, Dreier-Variationen auf den Tisch zu bringen: dreierlei Fisch als Tris de Pesce (EUR 14), Tris di Nudeln (genau so! EUR 9,50) oder Tris Dessert (EUR 7,50).

Das Nudelgericht des Tages war dann wieder eine Augenweide. Fünf üppige Tortelloni mit einer Spinat-Ricotta-Füllung (EUR 9) waren malerisch auf einem Wagenrad großen Teller angerichtet, mit Salbeiblättern farblich kontrastreich dekoriert und mit breiten Parmesan-Spänen bestreut. Schmecken taten sie auch; nicht zu mächtig, vermochten sie den Hunger in gerade richtiger Weise zu stillen.

Wer nicht die Ruhe hat, sich gemächlich bedienen zu lassen, kann es in der zum Hause gehörenden Stehpizzeria CipCip in der Wigstr. 19 auch schneller haben. Hier lassen sich die Pizzakreationen von Cipriani auch mit nach Hause nehmen. (Fon 45 13 99 97, Lieferung ab EUR 10 Bestellwert).
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Essen-Werden, Grafenstr. 36

Mittwoch, 6. August 2003

Aus dem Archiv: Amalfi - Alte Burschen Herrlichkeit

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004".
Die Pizzeria wird seit 2010 von der Familie Abdyli aus dem Kosovo betrieben.


Nur ein paar Fotos erinnern an das gleichnamige, kleine steinreiche Seeräuberstädtchen mit dem güldenen Dom an der legendären Steilküste südlich von Neapel; das Amalfi, Werdens älteste Pizzeria, ist zwar ganz illuster dem barocken Gebäude der Folkwangschule gegenüber gelegen, versteckt sich aber in einem 50er-Jahre-Wohnzweckbau und zeigt in seiner Weitläufigkeit beim mittäglichen Licht nur wenig Italo-Romantik. Die Wände zieren Wandgemälde von Alt-Werden und vermitteln fast Adenauersche Alte-Burschen-Herrlichkeit, wären dazwischen nicht die Tafeln mit den italienischen Schmankerln angebracht. Die Tagesannoncen bringen Frisches wie Fisch (z.B. Dorade EUR 16, preiswert gegenüber anderswo) oder Seltenes wie Kalbsnieren (EUR 13,50), auf die wir gleich noch zurückkommen. Abends, wenn es dunkel ist, mag es heimeliger sein. Dann strahlen die Tiffanyleuchten, und die Fotos von Promis und Tänzern verbreiten italienische Familiarität.

Zwanzig Pizze in den Varianten grande und piccola (zwischen EUR 2,85 und 8,50): hier isst der Musikstudent und nimmt vielleicht auch gern etwas mit. Uns aber stand trotz schmaler Spesen der Sinn nach Prassen und wir bestellten einen gemischten Vorspeisenteller (EUR 8,20), allerdings mit zwei Gabeln. Die Antipasti reichten auch dicke für zwei, waren vielfältig und lecker. Besonders hübsch waren dabei die Tomaten caprese mit ihren winzigen Mozzarellakügelchen, die je nach Laune des Betrachters an die etwas überdimensionierten Liebesperlen aus den Nuckelflaschen an den holländischen Raststätten oder an die pikante Fracht jener exotischen Käfer erinnerten, die ihre Exkremente aufrollen und auf dem Rücken mit sich herumschleppen – zumal, wenn sie vom dunklen Aceto balsamico benetzt waren. Allerlei gefüllte warme Gemüse schmeckten ebenfalls nach mehr.

„Wir haben täglich selbst gemachte Nudeln“, verheißt die Speisekarte viel versprechend, und so war es selbstverständlich, die empfohlenen Tortelloni mit Steinpilzen (EUR 8,95) zu probieren. Hocharomatisch, in einer mächtigen Sahnesauce, sättigten sie auf alle Sinne betörende Art, dass man nach dem Essen kaum noch hoch kam. Ähnlich befriedigend auch die Kalbsnieren: Nicht ganz so zart und deshalb etwas rustikaler als etwa in der Rüttenscheider Oase, aber wahlweise mit Nudeln oder Gemüse serviert, waren die säuerlichen Innereien an Appetitlichkeit kaum zu überbieten.

Gelungen war die Empfehlung von der immerhin zehn Positionen umfassenden Karte der offenen Weine. Der Brezza (O,2l EUR 3,60) ist ein prickelnder, fruchtiger Weißer der umbrischen Cantine Lungarotti, der seit ca. sechs Jahren die Weinfreunde im Revier begeistert.
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Zur Website klick hier
Essen-Werden, Bungertstr. 35, Fon 49 40 86
Mi, Do, So 12-23 Uhr, Fr, Sa 12-24 Uhr
Mo, Di geschlossen

Aus dem Archiv: Pinocchio - Zarte Koteletts, herbe Sauce


Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Wenn man normalerweise den Namen eines Restaurants in eine Internet-Suchmaschine eingibt, wird man zu dessen Homepage geleitet. Sucht man nach der Pizzeria Pinocchio in Essen, so gelangt man auf die Homepage einer Dame, die ein ganz großer Fan dieses Ristorante ist und es deswegen empfiehlt. Man erfährt, dass die Dame nicht nur auf die amerikanische Patchworkkunst „Quilt“ steht, sondern eben auch auf die italienische Kochkunst vor den Toren der Grugahalle und ganz besonders auf den „freundlichsten Kellner Mario“.

Einen eigenen Internetauftritt hat Pinocchio nicht, und auch telefonisch ist es nur sehr schwierig zu erreichen. Weil eine überraschend große Anzahl an Gerichten auf Schiefertafeln steht, die ich bei meinem Besuch nicht abschreiben wollte, und es auch keine Speisekarte zum Mitnehmen gab, wollte ich telefonisch veranlassen, mir eine zu faxen. Doch niemand ging ans Telefon. Was, wenn ich den Gesellschaftsraum für 150 Personen für eine Festlichkeit hätte buchen wollen?

Versuchen wir es also ohne schriftliche Unterlagen. Um die Ausstattung des Pinocchio zu mögen, muss man wirklich ein großer Fan wie die oben erwähnte Patchwork-Dame sein. Der Gastraum muss wohl in den 60er Jahren entstanden sein und sieht auch heute noch so aus. Rotbraune Ziegel an den Wänden, enge Abteile für maximal vier Personen und eine seltsame Mischung von Landschaftsfotos an der Wand: das Yosemite Valley, das Monument Valley und sonstiges amerikanisch-mythischer Kitsch. Die Küche italienisch, natürlich: Pasta, Pizza und Salate, wie erwähnt viele hübsche Spezialitäten auf den Tafeln, meistens ebenfalls Pasta und Pizza. Ich stelle mir ein Menü zusammen und bin zum Teil positiv überrascht.

Besonders die Vorspeisenplatte (EUR 8,50) war superb. Da gab es Rindercarpaccio und Rucola und Parmesan, wie es sich gehört, Lachscarpaccio, Ziegenkäse, warmes Gemüse, große Oliven, Tomaten mit Basilikum und Mozzarella, und gekrönt wurde das Ganze von einem großen Stück Melone mit Schinken. Das war abwechslungsreich und schmeckte prima.

Als Hauptspeise gönnte ich mir Lammkoteletts mit Kräutern (EUR 14), den Befehl meines Chefredakteurs in den Ohren, beim Italiener nicht immer nur die Nudeln zu testen. Ich glaube, es waren fünf oder sechs Koteletts, zart und saftig gegrillt, dass man sie von den langen Knochen lutschen konnte als wären sie ein Eis am Stiel. Doch bei den Kräutern handelte es sich ausschließlich um Salbei, der der leider für meinen Geschmack zu säuerlichen Rotweinsauce zusätzlich einen bitteren Beigeschmack gab. Weniger wäre hier mehr gewesen. Dafür waren die eingelegten Knoblauchzehen, die in der Sauce schwammen, würzig pikant.

Das Semifreddo mit Nougat (EUR 4) zum Nachtisch war auf dem Teller zwar hübsch angerichtet, hatte jedoch nicht die Konsistenz einer selbstgemachten Spezialität. Den Appetit auf Süßes nach dem herben Hauptgang befriedigte es jedoch einigermaßen.

Als ich das Pinocchio verließ, hatten sich einige Gäste aus der Nachbarschaft auf den Stühlen auf dem Bürgersteig vor dem Haus niedergelassen. Ob die Internet-Dame dabei war, weiß ich nicht. Die klugen Leute aßen eine große Portion Trenette mit Pesto, die ich auch auf den Spezialitätenkarten entdeckt hatte, und tranken dazu einen hoffentlich ligurischen Weißwein. Als ich sah, mit welch sichtlichem Genuss sie die Nudeln verspeisten, kamen mir doch Zweifel, ob es richtig war, auf meinen Chefredakteur zu hören.
-kopf

Essen-Rüttenscheid, Norbertstr. 2

Dienstag, 5. August 2003

Aus dem Archiv: Café Sprenger - Kaffeehaus mit Tradition

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004"

Seit 70 Jahren am Stadtwaldplatz – das Café Sprenger ist eine Institution. Der Mantel der Geschichte weht überall. Die Speisekarte hat den Charme der 50er Jahre und verspricht optisch ein Rendezvous am Nierentisch, der elegante Vorbau der ersten Etage mit seinen Panoramafenstern erinnert an die frühen 60er, die Innenraumgestaltung mit der braunen Auslegware und den rosa Deckchen repräsentiert den goldenen Sozialdemokratismus der 70er Jahre und diverse Ausstattungsdetails den Rest des Jahrhunderts. Doch bis man die Treppe in dieses Refugium der Essener Kaffeehauskultur erreicht hat, muss man durch den Verkaufsraum der Konditorei.

Hinter dem Tresen auf der linken Seite steht alles, was das süße Herz begehrt. Teilchen und Torten, Plätzchen und Kuchen, Schwarzwälder Kirsch und Windbeutel, Zitronenrolle und Cremeschnitten, aber auch Tiramisu und Himbeer-Joghurt-Sahneteilchen mit von Schokoladenstreifen durchzogenem mürbem Boden.

Der Tresen rechts hält die Vorräte bereit für das Frühstück, das nonstop, und für den Mittagstisch, der von 11.30 bis 14 Uhr serviert wird. So kommt es, dass Langschläfer, die sich an einem Stadtwaldfrühstück (Kännchen Kaffee, Brötchen, Vollkorn-, Roggenbrötchen, Käse- und Wurstaufschnittauswahl, Butter und gekochtes Ei EUR 8,15) oder einem American (Kännchen Kaffee, 2 Spiegeleier oder Rühreier mit Speck oder Schinken und Butter EUR 6,60) und Mittagspäusler, die sich an den gutbürgerlichen Gerichten von den Tafeln gütlich tun, einträchtig beisammen sitzen. Nur Pech, wenn man kurz vor zwei kommt. Dann kann es sein, dass die deftigen Schnitzel mit Salzkartoffeln und Gemüse oder die knackigen Salate alle sind und man mit hausgemachten Frikadellen mit warmem Speckkartoffelsalat und knusprigem Bauernbrot (EUR 6) vorlieb nehmen muss. Was aber auch nicht schade ist, denn die Frikadellen sind locker und saftig, was für den perfekten Brotanteil spricht, und der Kartoffelsalat würzig-pikant.

-kopf

/torte.de/cafe_sprenger.html
Essen-Stadtwald, Frankenstr. 282
Fon 0201. 43 95 75 35
Di-Fr 9-18 Uhr, Sa, So 8-18 Uhr
Mo Ruhetag