Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.
Wenn man normalerweise den Namen eines Restaurants in eine Internet-Suchmaschine eingibt, wird man zu dessen Homepage geleitet. Sucht man nach der Pizzeria Pinocchio in Essen, so gelangt man auf die Homepage einer Dame, die ein ganz großer Fan dieses Ristorante ist und es deswegen empfiehlt. Man erfährt, dass die Dame nicht nur auf die amerikanische Patchworkkunst „Quilt“ steht, sondern eben auch auf die italienische Kochkunst vor den Toren der Grugahalle und ganz besonders auf den „freundlichsten Kellner Mario“.
Einen eigenen Internetauftritt hat Pinocchio nicht, und auch telefonisch ist es nur sehr schwierig zu erreichen. Weil eine überraschend große Anzahl an Gerichten auf Schiefertafeln steht, die ich bei meinem Besuch nicht abschreiben wollte, und es auch keine Speisekarte zum Mitnehmen gab, wollte ich telefonisch veranlassen, mir eine zu faxen. Doch niemand ging ans Telefon. Was, wenn ich den Gesellschaftsraum für 150 Personen für eine Festlichkeit hätte buchen wollen?
Versuchen wir es also ohne schriftliche Unterlagen. Um die Ausstattung des Pinocchio zu mögen, muss man wirklich ein großer Fan wie die oben erwähnte Patchwork-Dame sein. Der Gastraum muss wohl in den 60er Jahren entstanden sein und sieht auch heute noch so aus. Rotbraune Ziegel an den Wänden, enge Abteile für maximal vier Personen und eine seltsame Mischung von Landschaftsfotos an der Wand: das Yosemite Valley, das Monument Valley und sonstiges amerikanisch-mythischer Kitsch. Die Küche italienisch, natürlich: Pasta, Pizza und Salate, wie erwähnt viele hübsche Spezialitäten auf den Tafeln, meistens ebenfalls Pasta und Pizza. Ich stelle mir ein Menü zusammen und bin zum Teil positiv überrascht.
Besonders die Vorspeisenplatte (EUR 8,50) war superb. Da gab es Rindercarpaccio und Rucola und Parmesan, wie es sich gehört, Lachscarpaccio, Ziegenkäse, warmes Gemüse, große Oliven, Tomaten mit Basilikum und Mozzarella, und gekrönt wurde das Ganze von einem großen Stück Melone mit Schinken. Das war abwechslungsreich und schmeckte prima.
Als Hauptspeise gönnte ich mir Lammkoteletts mit Kräutern (EUR 14), den Befehl meines Chefredakteurs in den Ohren, beim Italiener nicht immer nur die Nudeln zu testen. Ich glaube, es waren fünf oder sechs Koteletts, zart und saftig gegrillt, dass man sie von den langen Knochen lutschen konnte als wären sie ein Eis am Stiel. Doch bei den Kräutern handelte es sich ausschließlich um Salbei, der der leider für meinen Geschmack zu säuerlichen Rotweinsauce zusätzlich einen bitteren Beigeschmack gab. Weniger wäre hier mehr gewesen. Dafür waren die eingelegten Knoblauchzehen, die in der Sauce schwammen, würzig pikant.
Das Semifreddo mit Nougat (EUR 4) zum Nachtisch war auf dem Teller zwar hübsch angerichtet, hatte jedoch nicht die Konsistenz einer selbstgemachten Spezialität. Den Appetit auf Süßes nach dem herben Hauptgang befriedigte es jedoch einigermaßen.
Als ich das Pinocchio verließ, hatten sich einige Gäste aus der Nachbarschaft auf den Stühlen auf dem Bürgersteig vor dem Haus niedergelassen. Ob die Internet-Dame dabei war, weiß ich nicht. Die klugen Leute aßen eine große Portion Trenette mit Pesto, die ich auch auf den Spezialitätenkarten entdeckt hatte, und tranken dazu einen hoffentlich ligurischen Weißwein. Als ich sah, mit welch sichtlichem Genuss sie die Nudeln verspeisten, kamen mir doch Zweifel, ob es richtig war, auf meinen Chefredakteur zu hören.
-kopf
Essen-Rüttenscheid, Norbertstr. 2
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