Als ich im Spätsommer von meinem Kuraufenthalt in Bad Liebenstein (klick hier) wieder nach Hause kam, waren die Pflanzen in den Kräuter- und Salattöpfen auf meinem Balkon ganz schön ins Kraut geschossen. Zum Teil waren die Halme bis zu 50 Zentimeter hoch, einige blühten noch, viele waren schon verwelkt. Also machte ich den Sensenmann, säbelte alles ab und band es zu einem dicken Strauß zusammen. Ich hängte ihn in der Küche auf und ließ in vollends trockenen. Schließlich duftete er durchaus interessant, denn es waren viele aromastarke Pflanzen darunter. Da könnte man sicherlich etwas draus machen.
Stroh aus den Kräuter- und Salattöpfen vom Balkon des Genießers.
Jetzt war es endlich soweit. Im Internet hatte ich gelesen, dass irgendein Spitzenkoch für ein Gericht Steinpilze so Redzepi-mäßig über Moos gegart hatte. Als ich am Freitag im Supermarkt recht große und den Umständen entsprechend auch schöne Steinpilze entdeckte, war es soweit. Ich kaufte einige und beschloss, sie über meinem Balkonstroh zu dünsten.
Steinpilze aus dem Supermarkt
Dazu ergänzte ich den Strauß mit den trockenen Halme mit einer großen Handvoll Estragon, der aus einem Blumentopf quoll, aber kurz vor dem winterlichen Eingehen stand, und einigen Rosmarin- und Thymianzweigen. Daraus machte ich in einer großen Pfanne ein dickes Polster für die Steinpilze, das ich zusätzlich noch mit Wacholderbeeren und schwarzen und Szechuan-Pfefferkörnern würzte, und goss alles mit soweit mit Brühe auf, dass die darauf liegenden Steinpilze nicht mit der Flüssigkeit in Kontakt kamen. Dann setzte ich die Pfanne auf den Herd, brachte alles zum Köcheln, setzte den Deckel auf und dämpfte die Steinpilze in etwa 20 Minuten gar.
Pfeffer und Wacholderbeeren bringen noch mehr Aroma.
Steinpilze im Stroh
Die Brühe, die dabei entstand, hatte es in sich. Sehr dunkel war sie, und alle Aromen waren vorhanden, die von den Steinpilzen und den Kräutern ausgingen. Erkennen konnte man sogar den scharfen und an Minze erinnernde ätherischen Geschmack der vertrockneten Goldmelisse oder Indianernessel, ein seltsam blühendes amerikanisches Kraut, das überraschenderweise aus einem Topf mit gemischten Salaten herausgekommen war und vom Balkon Besitz ergriffen hatte.
Aromaspender Indianernessel
Was aber alles dominierte waren bittere Gerbstoffe, die Gaumen und Zunge zusammenzogen wie ein junger ungepflegter, tanninhaltiger Côtes du Rhône. Den Pilzen selbst machte das aber nichts aus, sie blieben zart und duftig, und die Aromen brauchten nur noch durch etwas Fleur de Sel herausgekitzelt zu werden. Durchs Dämpfen hatten sie jedoch viel Flüssigkeit gezogen, und so legte ich sie in die Grillpfanne, um das Wasser heraus zu braten und sie mit einem hübschen Streifenmuster zu versehen.
Gedämpfte und gegrillte Steinpilze auf dem Risotto.
Das ausgelaugte Stroh konnte ich natürlich nicht zu Servieren verwenden, es war nicht essbar. Also kochte ich schnell nach einem bewährten Rezept (klick hier) Risotto aus getrockneten Pilzen und einigen Abschnitten meiner gedämpften Steinpilze. Die Brühe, mit der ich rezeptgemäß den Reis aufgoss, verlängerte allerdings mit zwei kleinen Kellen der gerbstoffhaltigen Steinpilzbrühe. Ihre Bitternis gab einen individuellen Geschmack, wurde aber durch die Butter und den geriebenen Käse, die ich unter den fertigen Pilzreis mischte, voll ausgeglichen. Auch der Käse war speziell. Ich nahm keinen schnöden Parmesan, sondern einen toskanischen Pecorino mit dem Namen „Il Fiorino“.
Pecorino "Il Fiorino"
Es war ein einzigartiges Risotto-Erlebnis, das bei diesem Experiment herauskam, irgendwie unbezahlbar. So also schmeckt mein Balkon! Fein, bitter, würzig - und hinterlässt ein nachhaltiges sanftes Kratzen im Hals.
Hier noch mal der Link zum Risotto-Rezept. Klick hier.
Und noch mal mit mehr Käse.
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