Mittwoch, 14. März 2012

Kochbücher: „Vegan for Fun“ von Attila Hildmann

Attila Hildmann: Vegan for Fun
192 Seiten, Format 25 x 28,5 cm
87 Fotos, gebunden, Schutzumschlag
Becker Joest Volk Verlag
ISBN 978-3-938100-71-4
Preis 24,95 Euro


Der Berliner Koch Attila Hildmann ist so was wie ein Shooting-Star unter den Köchen. Mit seiner Kochshow auf YouTube hat er sich nicht nur bei der Internet-Gemeinde eine Screen-Credibility gewonnen, sondern auch die konventionellen Medien wie Fernsehen und Radio sind auf ihn abgefahren. Denn Attila Hildmann kocht vegan, und diese Steigerung des Vegetarismus hat sich in ihrer Radikalität zu einer neuen Art der Jugendkultur entwickelt, die die Sehnsucht nach individueller Lebensweise, Spaß am Dasein und ethischer Correctness miteinander verbindet.

Folgerichtig heißt sein im letzten Jahr erschienenes Kochbuch „Vegan for Fun“ und ist vom Vegetarierbund Deutschland VEBU zum Kochbuch des Jahres 2012 gewählt worden. Nach allen Registern des Marketings wird Hildmann da als optimistisch-dynamischer Popstar dargestellt, der die vegane Lebensweise als idealen Life-Style lebt. Mit bleckenden Zähnen radelt der 30-jährige Deutsch-Türke kraftvoll zwischen Hinterhofkulisse und Berliner U-Bahn, ein ideales Rollenmodell für die urbane Jugend in den Metropolen und die neue kreative Klasse, das auf fundamentale Art etwa den in die Jahre gekommenen Küchen-Halbstarken Jamie Oliver und sein deutsches Abziehbild Tim Mälzer herausfordert. Vorher-Nachher-Bilder zeigen völlig unironisch, wie sich der einstmals pummelige Fleisch-und-Käse-Esser Attila Hildmann dank veganer Ernährung zum waschbrettbäuchigen Teenieschwarm entwickelt hat – und sicherlich auch zum Traumprinzen manch einer hausfraulichen Kochbloggerin. Dabei ist alles natürlich ganz easy und undogmatisch. Vegane Ernährung allein an einem oder zwei Tagen in der Woche helfe der individuellen Fitness wie der Lösung globaler Umwelt-Probleme, so die Botschaft.

Die Gründe, die Hildmann dafür anführt, wirken in ihrer Einfachheit wie die Quadratur des Kreises und Lösung aller Probleme. Zumal die gesundheitlichen Vorzüge der veganen Kost gerade von aktuellen wissenschaftlichen Studien erneut bestätigt werden, die nachweisen, dass der hohe Cholesteringehalt tierischer Produkte zu den weitverbreiteten Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt. Aber so simpel scheint mir die Sache nicht zu sein, denn z.B. bei der ebenso weit verbreiteten Gicht sind die Fleischersatz-Produkte aus Soja, die in der veganen Küche als Eiweiß-Spender zum Einsatz kommen, genauso gefährlich wie das Fleisch selbst.

Auch die ethische Seite des Veganertums scheint mir nicht so einfach zu sein, wie es in Hildmanns Buch dargestellt wird. Sicherlich, die unsäglichen Bedingungen bei der Massentierhaltung können einen schon zum Fleischverzicht zwingen. Doch das immer wieder angeführte Argument, die Treibhausgas-Ausstoß, der bei der Nutztierproduktion entstünde, sei weitaus höher als der aus dem Straßenverkehr, scheint mir ethisch zweifelhaft. Hier werden Lebewesen und Autos gegeneinander ausgespielt, etwas, was die Tiere nicht verdient haben. Der Vegetarismus und das Veganertum hat sich die Achtung vor den Tieren auf die Fahnen geschrieben, doch denkt man diesen Ansatz konsequent weiter, bedeutet er letztendlich die Ausrottung der Tiere. Denn wenn Tiere keinen Nutzen mehr für den Menschen hat, werden sie verschwinden. Bei den Wildtieren ist es schon fast so weit, und soll es den Nutztieren an den Kragen gehen. Die Propagierung des veganen Life-Styles scheint mir wie eine unbewusste Konditionierung des Menschen für eine tierlose Zukunft. Und die ist eine pessimistische darwinistische Vision: Weil das Vieh die Atemluft der im größer werdenden menschlichen Weltbevölkerung wegpupst, muss es verschwinden. Aber wer weiß, vielleicht ist das ja unausweichlich. Und dennoch: Ein verantwortlicher Fleischgenuss nach dem Motto „Erhalten durch aufessen“ scheint mir wesentlich ethischer.

Doch kommen wir zum Herzstück des Kochbuchs, den Rezepten. „Junge vegetarische Küche“ heißt das Buch im Untertitel, und „jung“ bedeutet, dass sich Hildmann weitgehend an internationalem Fast Food und Trend-Kost orientiert, wie sie das angepeilte junge Metropolen-Publikum seines Buches kennt. So finden sich unter den 50 Rezepten Burger (normal) und Tex-Mex-Burger mit Guacamole und Salsa, Curryketchup, Döner, Sushi oder Schaschlikspieße. Das in den Originalen verwendete Fleisch wird durch industriell hergestellte Ersatzprodukte wie Tofu oder Seitan ersetzt, Käse und Sahne ebenfalls durch Soja-Produkte oder Hafermilch. Damit unterscheidet sich Hildmanns Kochbuch grundlegend von dem jetzt schon zum vegetarischen Klassiker avancierten „Plenty“ (auf Deutsch: „Genussvoll vegetarisch“) von Yotam Ottolenghi grundlegend. Ottolenghi ersetzt Fleisch nicht einfach, sondern nutzt die weltweiten Traditionen des vegetarischen Kochens für eine eigenständige kreative Küche.

Und dennoch: Attila Hildmanns Rezepte sind lecker zu lesen, und manch eines wird der Genießer sicherlich nachkochen. Schließlich will er sich in Sachen vegetarischer Küche weiterbilden und auch dazu lernen. Ein Gericht hat er schon im Auge: die Carbonara. Schließlich hat sich selbst schon an einer vegetarischen Variante dieses italienischen Nudelklassikers versucht. Nur: Den Speck durch geräucherten Tofu zu ersetzen bringt für seine Gichtküche nichts. Und die Eier durch Hafermilch? Da bleibt von dem eigentlichen Gericht „Nudeln mit Speck und Ei“ ja überhaupt nichts mehr übrig. Sollte man es dann noch „Carbonara“ nennen?

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