Der Artikel erschien erstmalig in "Essen geht aus 2013".
Drei junge Wilde habe sie in der Küche, meint Heike Nöthel-Stöckmann, die Chefin des alteingesessenen Restaurants „Am Kamin“ in Mülheim, beiläufig. Seit Kurzem ist ihr 24-jähriger Sohn Sven Küchenchef, der bei seinem Vater, dem Düsseldorfer Sternekoch Peter Nöthel im „Hummer-Stübchen“ und bei Stemberg in Velbert seine Erfahrungen gesammelt hat. Und Sven hat sich zwei gleichaltrige Compañeros in die Kombüse des biedermeierlichen Hutzelhäuschens aus dem Jahr 1732 in Winkhausen geholt: Bastian Werthmann, der schon unter Aufsicht von Henri Bach in der Kettwiger „Résidence“ die legendären Ochsenbäckchen für die Gourmetmeile „Essen verwöhnt“ schmoren durfte und Tobias Schäfers. Gemeinsam toben sie sich die drei mit den neuen Kochtechniken aus, sei es Sous Vide oder Garen bei Niedrigtemperatur. So sticht mir auch sofort der 36 Stunden gegarte Schweinbauch im Pata-Negra-Sud mit Käse-Eis (11 Euro) auf der Speisekarte ins Auge, den ich gern probieren würde. Leider gehört er nicht zu dem viergängigen Sommermenü, das ich auch äußerst verführerisch finde und eigentlich keinen Gang austauschen will. „Kein Problem“, meint Heike Nöthel-Stöckmann, „wir schaffen das schon.“ So bekomme ich zwischendurch eine Probierportion des butterzarten Fleisches und dazu auch noch ein Keulchen vom Stubenküken in einem knusprigen, orientalisch anmutenden Mandelkleid mit Blumenkohl – Klasse!
Doch der Reihe nach. 42 Euro für ein viergängiges Menü inkl. Weinbegleitung, das vor Fantasie und Aromenvielfalt nur so birst – auch das ist in Mülheim möglich. Noch bevor es richtig losgeht, gibt es erst einmal selbstgebackene Brioches, dazu neben normaler Butter auch Olivenbutter und zwei pikante Pralinen aus Blauschimmelkäse und Pfifferlings-Essenz. Dann kommt erst das eigentliche Amuse Bouche, eine Selleriecrème, garniert mit Linsensalat, Miniaturtomaten und Wachtel-Spiegelei. Der erste Gang ist ganz saisonal ein Wildkräutersalat mit Pfifferlingen und Espuma von der Kapuzinerkresse, gekrönt von einer essbaren Blüte. Dem folgt dann das exotische Kokos-Ingwersüppchen, süß und pikant. Das darauf folgende Päuschen wird durch die oben erwähnten Probierhäppchen von Schweinebauch und Stubenküken überbrückt, die mit großzügigen 5 Euro zu Buche schlagen.
Dann kommt der Hauptgang: „Rücken vom Durocschwein im Holzkohlesud, Ratatouille ‚einmal anders‘ und Kartoffel2“. Hinter dieser experimentellen Speisekarten-Lyrik verbirgt sich eine furiose optische und geschmackliche Dekonstruktion der klassischen Ratatouille. Aus Aubergine, grüner, roter und gelber Paprika haben die Wilden in der Küche aromatische Pürees gemacht und dann pastos auf den Teller gestrichen wie Van Gogh die Ölfarben auf die Leinwand. Ergänzt wird das Ganze nicht weniger farbenfroh mit gebratenen Zucchini, geschmolzenen Tomaten und violetten und gelben Kartoffeln. Krönung des Ganzen ist der Rücken vom Durocschwein, einer roten Schweinerasse, die Anfang des 19. Jahrhunderts an der amerikanischen Ostküste entstanden ist.
Zum Dessert gab es schließlich einen geschmorten Pfirsich mit Amaretto-Streusel und Zitronen-Thymianeis. Und auch die Weinauswahl war ausgezeichnet. Zu den Pfifferlingen servierte Heike Nöthel-Stöckmann einen Riesling vom Nahe-Weingut Herrmannsberg, zum exotischen Süppchen einen kräftigen südafrikanischen Sauvignon Blanc, zu den Zwischengängen einen Sauvignon Blanc vom Sattlerhof aus der Südsteiermark und zur Ratatouille keinen Südfranzosen, sondern einen Merlot aus der Pfalz von Andreas Bender. Autofahrer müssen sich hier leider im bitterlichen Verzicht üben.
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