Dienstag, 11. September 2012

Aus dem Archiv: Orangerie im Stadtpark - Elegie der schönen Speisen

Der Text erschien erstmals in "Bochum geht aus 2013".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Michael Hau ist schon seit  längerer Zeit Küchenchef im "Parkhaus Hügel" in Essen.

An diesem lauen Spätsommerabend herrscht eine Art elegischer Thomas-Mann-Stimmung auf der Terrasse der Orangerie im Stadtpark. Die untergehende Sonne färbt den Himmel, der zwischen den hohen Bäumen hindurchschimmert, zart rosa. Man hört die gedämpften Stimmen der Herrschaften, die an zwei oder drei der eleganten Tisch sitzen, und manchmal die Schritte der Restaurantleiterin und Sommelière Britta Minder, wenn sie zum Nachschenken heran eilt oder gemeinsam mit einer Kollegin die Speisen aufträgt. Blickt man durch die Scheiben in den hell erleuchteten Saal der Orangerie, so kann man sich an langen, mit blinkenden Gläsern und schweren Bestecken akkurat eingedeckten Tafeln kaum satt sehen. So muss es gewesen sein, wenn man früher in Schweizer Grand Hotels Urlaub gemacht hat.

„Ich verstehe nicht, warum an solch schönen Abenden die Terrasse nicht voll besetzt ist“, wundert sich Küchenchef Michael Hau. In der Tat scheinen die Bochumer mit der besten Küche der Stadt immer noch zu hadern, und das, obwohl Michael Hau seit mittlerweile vier Jahren eine Kontinuität an den Tag legt, die sein Vorgänger in der Gastronomie im Stadtpark aus verschiedensten Gründen nicht aufbringen konnte. Haus Teller-Arrangements sind witzige Kunstwerke, die manchmal an barocke Stillleben erinnern. Immer verlässt er sich dabei auf die Schönheit seiner Produkte, und seine Zubereitungen sind nicht nur geschmacklich, sondern auch farblich wunderbar aufeinander abgestimmt. Dabei geht es ihm niemals an Klarheit ab. Die verschiedenen Aromen sind deutlich herausgearbeitet, es gibt keine grellen Effekte, aber immer wieder erstaunliche Überraschungen. Solidität und Gelassenheit prägen seine Arbeit in der Küche, und dabei entwickelt sich auf dem Teller ein Witz, den man dem zurückhaltenden Mann eigentlich gar nicht zutraut.

Erleben konnte ich das bei einer Aktion im Frühsommer, als Michael Hau zu Weinen aus dem spanischen Anbaugebiet Rueda ein wunderbares Menü kreierte. Aber statt in der spanisch-mediterranen Rezeptkiste zu kramen, griff ganz konträr auf die lokalen westfälisch-rheinischen Küchenwurzeln zurück. In bester Erinnerung habe ich das in Tatar vom neuen Matjes auf Rote-Bete-Graupen und geröstetem Rosinenstuten, das er auf dem Teller zu einem witzigen Sandwich stapelte, aus dessen Schichten vorwitzig ein Heringsschwanz hervorlugte. Oder das Seeteufelbäckchen, das versteckt unter einer Pumpernickelkruste auf einem Leipziger Allerlei thronte und ganz traditionell von einem Flusskrebs bewacht wurde. Für 59 Euro inklusive Weinbegleitung war das viergängige Menü geradezu ein Schnäppchen.

Am heutigen Abend wollte ich aber Gerichte von der Standardkarte probieren und wunderte mich doch ein wenig über die Preise. 26 bis 32 Euro kosteten die Hauptgänge, um die 15 Euro die Vorspeisen. So viel gibt der Bochumer höchstens auswärts aus. Doch das, was ich dann auf den Tisch bekam, war jeden Cent wert.

Ein hübsches Überraschungsei war der „Cappucino von Pfifferlingen“ (8,50 Euro), der zeigte, wie sehr das Auge mitisst. Serviert wurde das köstliche Pilzsüppchen in einer großen Kaffeetasse und sah auch aus wie ein Milchkaffee, entsprechend wurden meine Geschmacksknospen konditioniert. Im Mund dann die Überraschung, dass es recht pikant nach Pfifferlingen schmeckte. Es spricht für Michael Haus Kochkunst, dass nach der ersten Überraschung sofort eine große Befriedigung eintrat.

In einem asiatischen Dämpfeinsatz wurde die Vorspeise serviert: „Mit Zitronenblättern gebratene Garnelen mit rotem Curryschaum und hausgemachter Frühlingsrolle“ (17 Euro). Die optische Perfektion, mit der das Gericht angerichtet war, fand ihren Widerhall im Geschmack. Knackig die Garnelen mit sanftem Zitronenaroma, feurig der Curryschaum und herzhaft die kleine Frühlingsrolle. Britta Minder schenkte dazu ein Gläschen einfachen Riesling vom Rheingau-Klassiker Robert Weil aus. Die klare Eindeutigkeit des Weißweins wirkte neben der Schärfe des Currys sehr erfrischend, ohne ihr das Pikante zu nehmen.

Böhnchen und Lamm gehören ja zueinander, aber wenn es dann noch Dicke Bohnen sind, so ist die Kombination etwas ganz Exquisites. Beim Hauptgang (27 Euro) lag ein perfekt rosa gebratener ausgelöster Lammrücken auf einem Bett der grünen Kerne, bestrichen mit einer Zubereitung von Ziegenfrischkäse und getrockneten Tomaten, deren leichte Säuerlichkeit durch ein Süßkartoffelpüree und eine dehydrierte Birnenscheibe konterkariert wurde. Der Teroldego von Elisabeth Foradori (0,2l 9 Euro), die diese autochthone Rotweintraube aus Norditalien wiederentdeckt hat, stützte die Aromen des Hauptgangs elegant ab.

Das Dessert (9,50 Euro) war wieder ein optisches und geschmackliches Wunderwerk. Mit Fleur de Sel zubereitete Schokoladenblätter mit 75 Prozent Kakaogehalt waren abwechselnd mit einem leicht pikanten Ananas-Curry-Mus zu einem Türmchen geschichtet. In der Spitze stak ein Scheibe getrocknete Ananas und gab dem Ganzen das Aussehen einer kleinen aztekischen Sonnengottheit. Durch die pikante Würze bekam das Dessert eine exotische Note, ohne den Charakter einer Süßigkeit zu verlieren. Die Würze erforderte auch eine kräftige Weinbegleitung, und da war eine Trittenheimer Altärchen Riesling Auslese von Josef Rosch in Leiwen an der Mosel (5,50 Euro) genau das Richtige.
-kopf

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