Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2008/2009".
Es ist schon erstaunlich, wie viele Erinnerungen ich an Rino Frattesis La Grappa habe, obwohl ich zweifellos nicht zur Stammkundschaft dieses legendenumwobenen Edel-Italieners gehöre. Zu Beginn der 1980er Jahre, als Rino schon längst die volkstümliche Pizza von seiner Karte verbannt hatte, wollte der vor einigen Jahren verstorbene, nicht minder legendäre Filmproduzent und WAZ-Medienredakteur Michael Lentz das La Grappa zum Stammlokal des Vereins der Essener Fimemacher machen. Doch zu groß war damals der Unterschied zwischen uns Vertretern der alternativen Kultur und denen der etablierten Medien, die hier verkehrten.
Erst Jahre später erschloss sich mir dann Rinos Welt. Da sah das Ristorante schon so wie heute aus, im süditalienischen Überschwang mit fast orientalisch anmutendem Italo-Kitsch ausgestattet, enge Nischen, Weinkisten-Bretter und Spiegel an den Wänden, an der Decke die amalfitanische cupola imitierend. Ob damals schon zwischen den zahllosen Grappaflaschen der mit Goldbronze veredelte Kohleabbauhammer seinen Tribut an Rinos zweite Heimat zollte, weiß ich nicht. Aber wie heute zelebrierte er schon die Große Oper der italienischen Küche als fast selbstironische Operette und tischte die cucina alto-borghese mit internationaler Grandezza auf. Später sollte mich noch einmal eine so genannte Gourmet-Rallye ins La Grappa führen, bei der die Gäste für jeden Gang in ein anderes Essener Spitzenlokal kutschiert wurden. Als ich dabei Rino an meinen schon weit zurück liegenden Besuch erinnerte, quittierte er das sofort mit einem stoppeligen bacio auf meine ebenso stoppelige Wange.
Als ich jetzt eines Mittags das Ristorante betrete, hat sich kaum etwas verändert – nur dass gegenüber dem äußerlich schmucklosen 1950er-Jahre-Haus hinterm Bahnhof die neue Evonik-Konzernzentrale und der RWE-Tower gewachsen sind. Ein etwas fülliger gewordener Rino Frattesi steht wie früher an der Kasse. Immer mal kommt ein Taxi-Fahrer herein und bringt was. Zwei, drei Jünglinge mit lethargischem Blick geben die Kellner, in der Küche ist Hatim Srour, der geniale Küchenchef, zu Gange.
Das Business-Menü zu 38 Euro ist es, das mir als Tester ins Auge fällt, schließlich wurde die große abendliche Oper des Hauses an dieser Stelle schon oft genug gerühmt. Um aber die Flexibilität der Küche zu testen, beschließe ich, den Hauptgang, einen exklusiven Fisch, durch das Täubchen in Cassissauce (28 Euro) auszutauschen.
Um es kurz machen: Gang 1, ein Stockfisch-Süppchen mit zwei knackig gebratenen Jacobsmuscheln als Einlage, ist eine samtige Vermouth-Sahne mit kräftigem Fischgeschmack. Der Pasta-Gang, zwei mit Spargel gefüllte Maultaschen (sic! Wohl ein schwäbischer Gruß ans Nudelland-Italien) in Dattel-Tomaten (ein aromatisches Sößchen aus getrockneten Cherry-Tomaten) ist eine gelungene Kombination feiner und deftiger Aromen.
Dann kommt als Zwischengang ein kleines Löffelgericht: eine frische Himbeere mit einem Schuss „vierzig Jahre altem Balsamico“, wie der Kellner treuherzig versichert. Der Hauptgang, das Täubchen, ist schließlich von unnachahmlicher Delikatesse – aber anscheinend auf Business-Menü-Größe geschrumpft: ein Taubenbeinchen mit einem halben Brüstchen, ein Flügelchen und, ich glaube, etwas Leber, die super köstlich ist, samt einem Röschen Broccoli. „Tja“, kommentiert Rino unaufgefordert, „so ein Täubchen ist klein.“ Zum Nachtisch gibt es dann noch eine Crema Catalan.
Hatte ich zu Beginn des Essens noch die Hoffnung, heute preislich glimpflich davon zu kommen, macht mir Rinos leutselige Frage „Heute keinen Wein?“ einen Strich durch die Rechnung. Dabei legt er mir die Folianten-große, gebundene Weinkarte vor, die von Barolo bis Brunello alle italienischen Spitzenweine und die aus dem Rest der Welt enthält. Ich entscheide mich für einen 1995er Salice Salentino Donna Lisa von Leone de Castris, mit 75 Euro eher ein preiswertes Gewächs. Durch die aufmerksame Bedienung immer wieder nachgefüllt, ist mein Glas immer voll. Als ich schließlich um die Rechnung bitte, hebt Rino die Flasche ans Licht, murmelt etwas von einer halben Flasche und lässt diese dann mit den Worten „Dieser Wein ist nicht mein Geschmack!“ mit 40 Euro in die Rechnung einfließen. So ist das in Rinos Welt.
Es ist schon erstaunlich, wie viele Erinnerungen ich an Rino Frattesis La Grappa habe, obwohl ich zweifellos nicht zur Stammkundschaft dieses legendenumwobenen Edel-Italieners gehöre. Zu Beginn der 1980er Jahre, als Rino schon längst die volkstümliche Pizza von seiner Karte verbannt hatte, wollte der vor einigen Jahren verstorbene, nicht minder legendäre Filmproduzent und WAZ-Medienredakteur Michael Lentz das La Grappa zum Stammlokal des Vereins der Essener Fimemacher machen. Doch zu groß war damals der Unterschied zwischen uns Vertretern der alternativen Kultur und denen der etablierten Medien, die hier verkehrten.
Erst Jahre später erschloss sich mir dann Rinos Welt. Da sah das Ristorante schon so wie heute aus, im süditalienischen Überschwang mit fast orientalisch anmutendem Italo-Kitsch ausgestattet, enge Nischen, Weinkisten-Bretter und Spiegel an den Wänden, an der Decke die amalfitanische cupola imitierend. Ob damals schon zwischen den zahllosen Grappaflaschen der mit Goldbronze veredelte Kohleabbauhammer seinen Tribut an Rinos zweite Heimat zollte, weiß ich nicht. Aber wie heute zelebrierte er schon die Große Oper der italienischen Küche als fast selbstironische Operette und tischte die cucina alto-borghese mit internationaler Grandezza auf. Später sollte mich noch einmal eine so genannte Gourmet-Rallye ins La Grappa führen, bei der die Gäste für jeden Gang in ein anderes Essener Spitzenlokal kutschiert wurden. Als ich dabei Rino an meinen schon weit zurück liegenden Besuch erinnerte, quittierte er das sofort mit einem stoppeligen bacio auf meine ebenso stoppelige Wange.
Als ich jetzt eines Mittags das Ristorante betrete, hat sich kaum etwas verändert – nur dass gegenüber dem äußerlich schmucklosen 1950er-Jahre-Haus hinterm Bahnhof die neue Evonik-Konzernzentrale und der RWE-Tower gewachsen sind. Ein etwas fülliger gewordener Rino Frattesi steht wie früher an der Kasse. Immer mal kommt ein Taxi-Fahrer herein und bringt was. Zwei, drei Jünglinge mit lethargischem Blick geben die Kellner, in der Küche ist Hatim Srour, der geniale Küchenchef, zu Gange.
Das Business-Menü zu 38 Euro ist es, das mir als Tester ins Auge fällt, schließlich wurde die große abendliche Oper des Hauses an dieser Stelle schon oft genug gerühmt. Um aber die Flexibilität der Küche zu testen, beschließe ich, den Hauptgang, einen exklusiven Fisch, durch das Täubchen in Cassissauce (28 Euro) auszutauschen.
Um es kurz machen: Gang 1, ein Stockfisch-Süppchen mit zwei knackig gebratenen Jacobsmuscheln als Einlage, ist eine samtige Vermouth-Sahne mit kräftigem Fischgeschmack. Der Pasta-Gang, zwei mit Spargel gefüllte Maultaschen (sic! Wohl ein schwäbischer Gruß ans Nudelland-Italien) in Dattel-Tomaten (ein aromatisches Sößchen aus getrockneten Cherry-Tomaten) ist eine gelungene Kombination feiner und deftiger Aromen.
Dann kommt als Zwischengang ein kleines Löffelgericht: eine frische Himbeere mit einem Schuss „vierzig Jahre altem Balsamico“, wie der Kellner treuherzig versichert. Der Hauptgang, das Täubchen, ist schließlich von unnachahmlicher Delikatesse – aber anscheinend auf Business-Menü-Größe geschrumpft: ein Taubenbeinchen mit einem halben Brüstchen, ein Flügelchen und, ich glaube, etwas Leber, die super köstlich ist, samt einem Röschen Broccoli. „Tja“, kommentiert Rino unaufgefordert, „so ein Täubchen ist klein.“ Zum Nachtisch gibt es dann noch eine Crema Catalan.
Hatte ich zu Beginn des Essens noch die Hoffnung, heute preislich glimpflich davon zu kommen, macht mir Rinos leutselige Frage „Heute keinen Wein?“ einen Strich durch die Rechnung. Dabei legt er mir die Folianten-große, gebundene Weinkarte vor, die von Barolo bis Brunello alle italienischen Spitzenweine und die aus dem Rest der Welt enthält. Ich entscheide mich für einen 1995er Salice Salentino Donna Lisa von Leone de Castris, mit 75 Euro eher ein preiswertes Gewächs. Durch die aufmerksame Bedienung immer wieder nachgefüllt, ist mein Glas immer voll. Als ich schließlich um die Rechnung bitte, hebt Rino die Flasche ans Licht, murmelt etwas von einer halben Flasche und lässt diese dann mit den Worten „Dieser Wein ist nicht mein Geschmack!“ mit 40 Euro in die Rechnung einfließen. So ist das in Rinos Welt.
-kopf
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