Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2008/2009".
Wer ein sterngekröntes Haus wie das Restaurant Rosin besucht, kauft sich nicht nur einfach ein gutes Essen. Ein Stern bedeutet auch, dass gut geschultes Personal immer und überall zu Stelle ist, Wein und Wasser nachschenkt, bevor das Glas leer ist, entfaltete Servietten entfernt, bevor sie als störend empfunden werden. In der sozialdemokratisierten Welt des Ruhrgebiets ist die hohe Kunst des Sich-Bedienen-Lassens vielleicht nicht so ausgeprägt wie anderswo, und so mancher Gast, der seine kulinarische Prägung an den Selbstbedienungs-Büffets der Ferienhotels bekam, schreckt vielleicht bei dem selbstverständlichen Engagement der Kellnerschaft in der Sterne-Kategorie zusammen wie der Gelegenheits-Jet-Setter an den Türen des Flughafens, die sich vor ihm wie von Geisterhand öffnen.
Im Restaurant Rosin war es die unbeirrbare Emsigkeit, mit der verschiedene Bedienungskräfte jeden auf die Tischwäsche gefallenen Brotkrümel sofort entfernten, die uns immer wieder überraschte und als Nebeneffekt dem Zwang zu jeglicher Tischkonversation enthob. Dabei machte das rot geklinkerte Haus in Dorsten-Wulfen von außen eher den Eindruck von identifikationsträchtiger, kleinbürgerlicher Behaglichkeit. Innen umfing uns dann dieser Sterne-Luxus, der sich nach einer gewissen Eingewöhnung und vor allem nach dem Kosten der ersten Gerichte jedoch als äußerst reell erwies.
Edles Schwarzweiß dominierte den Gastraum. Schwarz war der Flügel, an dem ein junger Pianist im weißen Hemd live für easy listening sorgte, schwarz waren die italienischen Schieferplatten, die als Servierteller auf den weißen Tischdecken lagen, schwarz waren die eleganten Anzüge, die die jungen Kellnerinnen zu weißen Blusen trugen. Dafür, dass das Ganze nicht zu steif erschein, sorgte jedoch ihr schelmisches Lächeln. Das zeigte, dass es sich im Grunde um charmante, freche Girlies handelte, die uns hier als brave Pinguinmädchen entgegentraten und die ihr Handwerk aus dem Effeff beherrschten. Und auch als Frank Rosin, der einst als Junger Wilder begann, an den Tisch trat, um seine Honneurs zu machen, entpuppte er sich als mittlerweile raumfüllender Patron, der in Sachen Herzlichkeit und Sprachduktus seine Zugehörigkeit zum Ruhrgebiet nirgendwo leugnete und ganz bodenständig das Ende der effekthascherischen Molekularküche prophezeite. Dabei erinnerte uns so manches Schmackofatz, mit dem er uns überraschte, an die Schaumschlägereien des spanischen Molekularkochs Ferran Adria.
Schmackofatz bezeichnet in der Küchenphilosophie Frank Rosins das, was man in Bayern Schmankerl nennt, eine köstliche Kleinigkeit, die ihre Wurzel in der regionalen Küche hat. Rosin serviert fast ein halbes Dutzend solcher Schmackofatze als kleine Zwischengänge zu seinen Menüs. So wurden aus den vier Gängen, die wir bestellten, locker neun einzigartige Ausflüge in die verschiedensten kulinarischen Welten. Wo anders könnten sich z.B. türkische Einflüsse auf der Karte eines Sterne-Restaurants wieder finden als im Ruhrgebiet? Lammbratwurst, Bergforelle, Avocadocrème wurden in einer Vorspeise so geschmackvoll zelebriert wie zu Zeiten der türkischen Sultane, ein dem Caçik ähnlicher Gurkensalat und ein Ayranschäumchen waren mit Kreuzkümmel und Limette typisch osmanisch gewürzt. Ferkelbauch und Hummer zogen sich in verschiedenen eleganten Darreichungsformen und Aggregatzuständen durch die zweite Vorspeise, einfach geräuchert oder kross gebraten, gekocht oder als raffiniertes Süppchen. Gänseleberparfait mit Kaffeekrokant und zweierlei von der Orange waren keineswegs eine süße Nachspeise, sondern ein pikanter Zwischengang, die Orange wiederum ganz verschieden zubereitet. Die Fleischgerichte waren ein Gedicht an zarter Saftigkeit: ein fast weihnachtlich anmutendes Hirschkalb im Früchtebrotmantel mit alten Feigen und Wirsing und US Beef mit gebackener Schalotte, Rosenkohl, Sellerie und Krokette vom Wulfener Käse, ein gelungener Tribut an die westfälische Region.
Zu jedem Gang empfahl Sommelière Susanne Spies einen speziellen Wein, darunter Raritäten wie einen griechischen Rotwein aus der autochthonen Rebsorte Agiorgitiko, Klassiker wie einen spontanvergorenen Riesling von Heymann-Löwenstein von der Mosel oder einen Mallorquinischen Chardonnay. Und zwischendurch die Schmackofatze, klein, lecker und von kulinarischem Witz: Fenchelmousse mit Strauchtomate, Anis-Beluga-Linsen mit mediterranem Salamibrot, Basilikumschaum-Gazpacho, Sashimi von der Wassermelone und ein Vordessert von Maracuja und Nougat, dass den süßen Kontrast zum eigentlichen Nachtisch, Birnenvesper vom Blauschimmelkäse mit hausgemachter Tafel Schokolade, bildete.
So luxuriös alles war, so gut schmeckte es auch, und man hatte niemals das Gefühl, hier wird einem etwas vorgemacht. Und dennoch: Ein wenig Zauberei muss dabei gewesen sein. Wir durften jeden Gang immer dann wählen, wenn er an der Reihe war, und in kürzester Zeit stand er auf dem Tisch. Wie hat die Küche das bloß bei den aufwendigen Gerichten gemacht?
-kopf
Dorsten-Wulfen, Hervester Str. 18
Fon 0 23 69.43 22
Di-Sa ab 18.00 Uhr, So & Mo geschlossen
https://www.frankrosin.de/
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