Freitag, 18. Juli 2008

Aus dem Archiv: Landhaus Am Staadt - Prosecco statt Pils

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2008/2009".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Heute (2024) befindet sich hier eine Filiale der Restaurantkette "12 Apostel".

Eigentlich müsste er ja ein Pils vor sich stehen haben. Doch der Ruheständler, der etwas einsam wartend auf der Terrasse vom Landhaus Am Staadt sitzt, hält sich an einer wohl gefüllten Sektflöte Prosecco fest, deren kühler Inhalt an diesem warmen Sommertag elegant das schlanke Glas beschlägt. Doch der gute Mann muss nicht lange warten, da erscheinen zwei Kumpel aus der Nachbarschaft und begrüßen ihn mit großem Halloo. In einer normalen Eckkneipe würden sie jetzt mit einem zünftigen Skatspiel beginnen, hier am grünen Ufer der Ruhr machen die Stammtischbrüder mit dem spritzigen Weißwein jedoch auf italienische Lebensart.

Überhaupt ist die Terrasse des traditionsreichen, heute überaus chicen Gasthofes so etwas wie eine Werden-Kettwiger Piazzetta. Bis zum Abend treffen sich hier Cabriofahrer, die sich mit ihren Prachtstücken den lauschigen Schuirweg hinunter bis über die Ruhrtalstraße hinweg ans Wasser gestürzt haben, Radfahrer vom alten Treidelpfad am Ruhrufer, Familien mit Kindern, Liebespaare, Szenevolk und Müßiggänger aller Art. Und jeder scheint für jeden ein Begrüßungs-Bussi bereit zu halten – wenn er nicht ein unbekanntes Gesicht mit intensivem Vorbeigucken ignoriert. Die Terrasse ist aber auch einmalig schön und kann bei Bedarf auf den kurz geschorenen Rasen ausgeweitet werden, der Streuobstwiesen-gleich mit Schatten spendenden Bäumen bestanden ist. Einziges Manko: Man kann das Wasser der Ruhr nicht sehen.

Die Räumlichkeiten des historischen Landhauses sind bestens für Familienfeiern aller Art geeignet, und das Catering bis 600 Personen macht einen großen Teil des Geschäfts aus. Die Restaurant- und Terrassenkarte führt der Örtlichkeit entsprechend eine übersichtliche Anzahl regionaler und mediterraner Gerichte auf, angefangen bei Matjesfilet mit roten Zwiebeln und Röstkartoffeln (9,50 Euro) bis hin zum Salatteller „Am Staadt“, einer Kreation aus verschiedenen Edelfischen an Blattsalaten mit Aioli (13 Euro). Also wage ich den rheinisch-italienischen Spagat. Zuerst eine Tomatensuppe, der ein Klecks Ingwermascarpone einen Blitzer exotische Schärfe verleiht (4,40 Euro). Dann Himmel und Erde mit französischer Blutwurst (11,50 Euro), das aussah wie eine von amerikanischen Wissenschaftlern konstruierte Ernährungspyramide: als Kohlehydrat-Basis ein dicker Haufen Kartoffelpüree (naja), darauf zur Fettversorgung die gebratene Blutwurst (großartig), und zum Schluss ein paar gebratene Apfelscheiben (viel zu wenig, um ein fruchtiges Vitamin-Gegengewicht zu bilden). Wie gut, dass ich mit einem runden, vanilligen Merlot (0,25l 5,50 Euro) aus dem beachtlichen Weinangebot das cremige Püree schluckfreundlich verdünnen konnte.

Zum Nachtisch wollte ich mir Parmesan mit Feigensenf gönnen (6,50 Euro), doch der aufmerksame Kellner wies darauf hin, dass heute eine italienische Käseplatte, ebenfalls mit einem Früchtesenf, im Angebot sei (6 Euro). Also nahm ich die drei Sorten Käse (zweie hart, eine weich) und spülte sie mit dem restlichen Wein hinunter.
-kopf
Essen-Werden, Ruhrtalstr. 111

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