Weindeuter und Genießer trinken sich die Große Straße schön
Wenn heute mit dem „
Still-Leben Ruhrschnellweg“ der größte Event der Kulturhauptstadt RUHR.2010 über die die Bühne geht, ist der Genießer nicht als Teilnehmer, sondern nur als Zuschauer dabei. Obwohl die Lange Tafel elementarer Bestandteil der Slow-Food-Idee ist, konnte er sich mit dem Gedanken, sich auf einer Autobahn kulinarisch zu betätigen, von Anfang an nicht richtig anfreunden. Der Abrieb von Millionen Autoreifen kann nicht das Salz in der Suppe sein. Und die Organisation des Events lässt kein zivilisiertes Essen, wie man es sich wünscht, auf der gesperrten Autobahn zu. Einen ambulanten Kocher zum Zubereiten von frischen Speisen darf man nicht aufbauen, nicht einmal einen Grill. Wein dürfte man nur aus Plastikgläsern und aus Plastikflaschen trinken – einem guten Tropfen ist das nicht zuzumuten. Verwunderlich ist das nicht. Um ein propagandistisches Bild aus dem Helikopter von der der gesperrten Autobahn mit feiernden Ruhris in die Tagessschau zu bekommen, ist Masse statt Klasse gefragt. Qualität, besonders die kulinarische, kann dabei ruhig auf der Strecke bleiben.
Der Genießer und sein Arbeitspensum
So kamen der Weindeuter und der Genießer auf die Idee, das „Still-Leben“ ganz anders zu begehen und sich die Große Straße auf ihre Weise schön zu trinken. Sie besorgten sich jene Weine, die sich über ihr Etikett als Ruhrpottweine definieren, ließen sich damit vom Mahlzeitvogel auf der Fußgangerbrücke über die A 40 am Bochumer Ruhrpark-Einkaufszentrum fotografieren und testeten sie in aller Ruhe im Garten des Weindeuters.
Der Mahlzeitvogel freut sich auf die Belohnung für seine Fotos
Das Etiketten-Trinken fiel ihnen leichter als gedacht. Nicht wenige Weinhändler im Ruhrgebiet haben Ruhrpottweine im Programm. Die
Weinagentur Bierwirth in Essen verkauft zwei Weine mit offiziellem Segen von RUHR.2010.
Vino Grande in Essen vertreibt eine Kulturhauptstadt-Sonderedition des portugiesischen „Fabbelhaft, und sogar die Supermarkt-Kette REWE hat zwei Kulturhauptstadtweine in den Regalen. Ebenfalls von der Kulturhauptstadt inspiriert sind die Selektionen, die
Julius Meimberg aus Herne für die Menüs der Köchegruppe „ReVier“ abfüllen lässt. Pionier des Ruhrpottweins ist zweifellos die Weinhandlung
Molitor in Recklinghausen. Ihre Editionen „Kunst“ und „Kohle“ sind von den Ruhrfestspielen inspiriert, ein Wein ist dem westfälischen Ruhrgebiet gewidmet, ein „Secco“ der kleinen Stiefschwester der A 40, der legendären Nord-Süd-Achse A 43.
Hier die Ruhrpottweine, wie sie der Genießer empfand:
• „ReVier“ 2008 Grüner Veltliner „Optimum“ vom Weingut Rabl, Kamptal, Österreich. Besticht durch Eigenwilligkeit und Charakter. (Julius Meimberg, Herne)
• „Vinum pro Vestphaliis“ 2005 Brachetto, Piemont, Italien. Urwüchsiger Trofen, der mit seiner Eigensinnigkeit die westfälische Sturheit widerspiegeln soll. (Molitor, Recklinghausen)
• „Kunst“ 2008 Riesling Trocken, Markus Molitor. Einstiegswein des Rieslingmeisters von der Mosel. (Molitor, Recklinghausn)
• „Kohle“ 2008 Barbera d’Asti, Rolf und Ilona Schulz, Piemont, Italien. Die Rebsorte Barbera hat ihren Namen nach der Schutzheiligen der Bergleute der hl. Barbara. (Molitor, Recklinhausen)
• „Kulturhauptsadtbewohner“ 2008 „Fabelhaft“. Niepoort, Douro, Portugal. Sonderabfüllung des eleganten portugiesischen Klassikers. (Vino Grande, Essen)
• „RUHR.2010“ 2009 Weißburgunder trocken, Reichsrat von Buhl. Pfalz, Deutschland. Glänzend gemacht, leicht zu trinken. (Weinagentur Bierwirth, Essen)
• „Ruhr.2010“ 2008 Spätburgunder trocken, Weingut Blankenhorn. Pfalz, Deutschland. Ebenfalls glänzend gemacht, einfach zu trinken.
• „43 Recklinghausen“ Secco. Nach Prosecco—Art auf die Flasche gebrachte Weißwein-Cuvée. Albert Molitor, Mosel, Deutschland. Erfrischend und prickelnd. Ist der A 43 gewidmet. (Molitor, Recklinghausen)
• „Kulturhauptstadt 2010“ 2009 Dornfelder halbstrocken. Nahe, Deutschland. Unspektakulärerer preiswerter Supermarktswein. (REWE)
• „Kulturhauptstadt 2010“ 2009 Riesling Classic. Mosel, Deutschland. Ebenfalls ein unspektakulärerer preiswerter Supermarktswein. (REWE)
Es gab auch noch Sekte von Molitor, die der
Weindeuter beschreibt.
Thema mit Variationen: Etiketten der 2010-Weine
Kuriosität am Rande: Inspirationsquelle für die Gestaltung der RUHR.2010-Etiketten war der „Fabelhaft“ von Niepoort. Normalerweise ziert die Flasche ein Etikett mit Zeichnungen von Wilhelm Buschs Unglücksraben Hans Huckebein in Form eines Briefmarkenbogens. Die Sonderedition „Kulturhauptstadtbewohner" ist eine farbige Variation davon. Die „RUHR.2010“-Weine der Weinagentur Bierwirth übernehemen das Niepoort-Design, ersetzen die Huckebein-Zeichnungen aber durch elegante Darstellungen von Ruhrgebiets-Wahrzeichen. Die REWE-Weine wiederum parodieren das auf plumpe Art, indem sie die Briefmarken mit den Wahrzeichen aus dem Rahmen purzeln lassen.
Die Arbeit ist getan
Jungs, wie ich Euch kenn, habt Ihr die Weine nicht nur verkostet, sondern auch verkasematuppt!
AntwortenLöschenIch hoffe, da reicht es heute noch für eine ordentliche Begehung der A40. Mal schauen, vielleicht treffen wir uns ja auf diesem kurzen Stück autofreier Strasse.
Mit Deinem Beitrag zur Veranstaltung A 40 sprichst Du mir aus dem Herzen. Ich würde gerne zumindestens trotzdem einmal gucken, leider hat mein Fahrrad eine Elektrohilfe, die wohl nicht erlaubt ist.
AntwortenLöschen3 Millionen Menschen auf der Autobhan - das war schon ein surreale Anblick. Und der Genießer war, ganz goethisch, "dabei gewesen" und konnte sich in der Masse majestätisch vorkommen. Aber nach 3 Kilometern Wandern auf dem harten Autobahnasphalt hat er jetzt Rücken. Es gibt Dinge, für die ist der Mensch nicht gemacht.
AntwortenLöschenUnd zum Thema "Weinprobe auf der Autobahn": Am Stand der Weinhandlung Molitor gab es Plastikgläser, die den verbotenen Glas-Gläsern zum Verwechseln ähnlich sahen. Nix für ungut - das war nur teures Symbol-Trinken.