Sonntag, 29. Oktober 2023

Neu an der Bochumer Universitätsstraße: „Kantine Urban DiYner“ im Seven Stones Quartier


Seven Stones – dieser an keltische Mythen erinnernde Name des neuen Wohn-, Forschungs- und Geschäftsquartiers an der Universitätsstraße in Bochum geistert schon seit ungefähr einem Jahrzehnt durch die Stadtentwicklung der Stadt. Wenn man, in die ewige Auffahrten-Baustelle auf die hier auch Nordhausenring genannten A448 einbiegend, aus dem Augenwinkel heraus einen kurzen Blick auf das Areal warf, glaubte man lange Zeit, hier sei nur ein panzerkettenzerwühlter Truppenübungsplatz. Doch als ich jetzt das erste Mal zwischen den mittlerweile fertigen Neubauten stand, kam es mir vor, als hätte ich ein ins Gegenteil verdrehte Déjà-vu einer urbanen Zukunftsvision. Denn anders als vor über 40 Jahren, als mir als junger Ruhr-Uni-Student der damals groß in Mode stehenden Beton-Brutalismus des kaum fertigen Unicenters in Querenburg einen gewissen Schauder über den Rücken jagte, versetzte mich hier im nur wenige hundert Meter entfernten Wiemelhausen die elegante Architektur der durchaus ebenfalls gigantischen Gebäude nur in großäugiges Erstaunen. Hatte man einst das Gefühl, dass sich die damalige urbane Vision schon bei ihrer Entstehung überlebt habe, wirkt das heutige Seven Stones wie eine Art Anti-Unicenter: zukunftsweisend.

Die urbane Vision Seven Stones ist zwar schon bewohnt,
zum größten Teil jedoch noch Baustelle.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Seven-Stones-Investoren-Familie Kappel bei dieser ersten Klimaschutzsiedlung in Bochum auf nachhaltige Energie- und Wärmegewinnung durch Blockkraftwerke, Photovoltaikanlagen und Geothermie setzt. Und auch wenn zur Zeit auch die Räume zwischen den fertigen Bauten noch unwirtlichen Baustellencharakter haben - hier werden grüne Parks, ein Kinderspielplatz und sogar eine Streuobstwiese entstehen. Die Bewohner der Studenten- und anderen Wohnanlagen und die Leute, die in dem Ärztehaus und anderen Gewerbebauten arbeiten, sollen hier ein Höchstmaß an Lebensqualität vorfinden.

Christian und Patrick Farago

Und dazu gehört natürlich auch eine überzeugende gastronomische Versorgung. Um die zu realisieren, hat man in den Brüdern Christian und Patrick Farago zwei Persönlichkeiten gefunden, die den Spagat zwischen kulinarischem Anspruch und wirtschaftlicher Notwendigkeit mit dem erforderlichen Pioniergeist angehen. Die beiden stammen aus einer alten Bochumer Gastronomiefamilie. Der aus Ungarn stammende Vater der beiden betrieb einst u.a. das Haus Linden im Herzen des gleichnamigen Stadtteils. Sohn Patrick arbeitete erst als DJ, entdeckte schließlich, als er im Haus Linden aushalf, seine Leidenschaft fürs Kochen und absolvierte als Spätberufener bei Sternekoch Sascha Stemberg in Velbert eine ordentliche Ausbildung. Später erkochte er mit Christian Eckardt in Andernach selbst an zwei Michelinsternen mit und arbeitete bei verschiedenen illustren Adressen, unter anderem auch mit Philipp Diergardt im Kühlen Grund in Hattingen. Sein Bruder Christian, von Haus aus Unternehmensberater, ist in der Weinszene zwischen Wiemelhausen, Sylt und Mallorca unter seinem Hedonisten-Pseudonym Chris G. Cru wohlbekannt. Legendär sind die Verkostungs-Partys, die er mit seinem Weinclub Porto Bocho veranstaltet hat.


Leitfarbe Pink. hier im Eingangsbereich






Die Ausstattung stammt vom "loman[s] interior design"

Der Kampf mit der Genehmigungs-Bürokratie hatte die Eröffnung von „Kantine Urban DiYner“ oder kurz Kantine, wie die Seven-Stones-Gastronomie heißt, ganz schön verzögert. Und so luden die beiden schon ein paar Tage vor dem jetzt stehenden Eröffnungstermin am 1. November 2023 zu einem kleinen Pressetermin, für den die Küche extra angeworfen wurde. Die Location zeigte sich schon in ihrem ganzen urbanen Chic, die ihr der Düsseldorfer und Dortmunder Innenausstatter „loman[s] interior design“ verpasst hat. Schon lange, bevor der Barbie-Film in den Kinos Furore, entschied man sich für die Leitfarbe Pink, die ähnlich wie das leuchtende Orange auf Zollverein in Essen oder im Bergbaumuseum Bochum den Gästen sagt, wo man ist.



Besuch bei Elias in der Küche, hier mit
Großküchen-Reporter Peter Erik Hillenbach

Die Bezeichnung Kantine ist durchaus Programm. Hier sollen sich die Seven Stones-Bewohner zuverlässig, schnell und gut zum Frühstück und am Mittagstisch verpflegen, und das auch zu annehmbaren Preisen und auf Vorbestellung. Abends wird das Restaurant für geschlossene Betriebs- oder Familienveranstaltungen, auch Menüabende mit befreundeten Gastköchen sind geplant. Aus der im Gastronomiewesen herrschenden Personalknappheit hat man eine Tugend gemacht. Die Kantine wird ein Selbstbedienungsrestaurant 2.0. Am Tisch scannt man mi dem Handy einen QR-Code und die die Speisekarte wird sichtbar. Durch Antippen geht die Bestellung an die Küche; auf einer Anzeigetafel wie auf einem Flughafen erscheint die Nachricht, dass das Essen fertig ist, und der Gast kann es abholen. (Aber keine Angst, auch ohne Handy muss man nicht verhungern, denn das Essen wird auf Wunsch auch am Tisch serviert, wie Christian Farago versichert.)


Wer den QR-Code scannt, bekommt die Speisekarte aufs Handy und kann bestellen. Wenn das Essen feritg ist, erscheint es auf der Anzeigentafel.

Genauso könnte auch die Massenverpflegung in der Uni-Mensa funktionieren. Doch das rational durchdachte Logistik-Konzept wird die geradezu anarchisch wirkende kulinarische Lust ergänzt, die Christian und Patrick an den Tag legen. Wenn sie über das Essen sprechen, so scheint es, die Kantine wäre ein Fine-Dining-Restaurant der Extraklasse. Gerichte mit Fisch, Fleisch oder Veggie soll es geben, verrückt und bodenständig zugleich und natürlich mit Patricks handwerklicher Grandezza zubereitet. Immer wieder scheint ihre enge Vernetzung zu Produzenten und Genusshandwerkern aus der Region durch, von denen sie ihre Produkte beziehen wollen, etwa zum Feinschmecker-Metzger Müller aus Wattenscheid oder zum ebenfalls dort ansässigen Pralinenhersteller. Auch die Weinkarte ist entsprechen exklusiv. 10 Weine umfasst sie, natürlich nur von persönlich befreundeten Winzern und ebenso persönlich ausgesucht.




Ausgewählte Produkte:
Kaviar von Sturia, Sardinen in Butter (!!!) und Bochumer Mineralwasser in der Mehrwegflasche

Für die vier Gänge, die Patrick und sein Mitarbeiter Elias für unseren Pressetermin auf den Tisch zauberten, griffen sie kochtechnisch und zutatenmäßig in die Vollen. Zu den Gängen gab es eine hervorragende Weinbegleitung. Wenn die alltägliche Produktion auch nur annähernd diese Qualität erreicht, ist das wahrlich sensationell, nicht nur für Bochum. Es scheint mir, dass eine streng funktionierende Gastronomie genau so ein emotionales Storytelling braucht. Schließlich muss die Kantine muss den genius loci, von dem Restaurants an gewachsenen Standorten profitieren, hier schließlich erst selbst noch schaffen. Hoffen wir, dass diese Herausforderung genauso wenig utopisch bleibt wie die urbane Vision von Seven Stones. (Übrigens: Der Name Seven Stones bezieht sich auf die sieben Betonklötze, die man bei Erschließung des Grundstücks ausgegraben hat.)

Kantinen-Essen
Kantine Urban DiYner, 24.10.2023 



Vorweg: Sekt Tradition Raumland



Beef Tatar von der Münsterländer Semerolle auf Brioche
mit Crème de Normandie und Sturia-Kaviar 
 


Sylvaner Gipskeuper von PaulWeltner, Franken


Label Rouge Lachs in Nussbutter mit Blumenkohl und Sauerampfer



Sauvignon Blanc vom Weingut Tement, Südsteiermark.
Spezialabfüllung für die Kantine



Kalbsbries Donut an gepickelter Mayonnaise und Rotweinjus



Spätburgunder von Rings, Pfalz

Cheesecake upside down, Himbeersauce, Crumble 
 


Pralinen aus Wattenscheid

 

Weitere Impessioenen





Kantine Urban DiYner. Universitätsstr. 110, 44799 Bochum. 0234/60141383. Frühstück ab 7 Uhr, Mittagstisch ab 11 Uhr. https://kantine.wtf/ .Weitere Infos auf Facebook und Instagram. Eröffnung: 1.11.2023

Der Genießer bedankt sich für die Einladung.
Dank an Michael Alisch für die Organisation.

Montag, 23. Oktober 2023

Slow Food Kochkurs: Herbstküche mit Kürbis, Apfel und Grünkohl

Es ist angerichtet!

„Herbstküche“ hieß das Motto, unter dem Slow Food Bochum am 20.10.2023 zu seinem zweiten Kochkurs in in diesem Jahr in die Lehrküche der Katholischen Erwachsenen- und Familienbildungsstätte eingeladen hatte. (Zum Bericht über den Frühjahrs-Kochkurs klick hier). Die Resonanz war überraschend gut. Elf Koch-Freundinnen und –Freunde fanden sich ein, und gemeinsam mit den Veranstaltern von Slow Food galt es schließlich, für insgesamt 15 Leute ein abwechslungsreiches Menü aus vier Gängen zu kochen.

Kürbis

Äpfel

Dreierlei Grünkohl

Dabei dreht es sich um saisonale und regionale Produkte. Für die Ravioli-Füllung des Hauptganges und das Dessert wurden Hokkaido- und Muskat-Kürbisse der Biogärtnerin und -händlerin Vera Gebauer in Witten verwendet (zum Bericht über ihren Laden klick hier). Die Äpfel und die drei Sorten Grünkohl der Vorspeisen stammten vom Wünnerhof in der Elfringhauser Schweiz in Hattingen (klick hier). Alle anderen Zutaten wurden in Bio-Läden der Region gekauft. Zu den Gängen getrunken wurden Apfelsäfte von Streuobstwiesen in Bochum und Umgebung (gekeltert bei Möller in Recklinghausen) und am Niederrhein (gekeltert von Van Nahmen in Hamminkeln klick hier). Als Aperitif wurden Sparkling Juicy Tea Weißer Tee-Tahiti Vanille-Quitte, Frucht Secco Apfel Quitte Bio und Morellen Sauerkirschsaft, alles alkoholfrei, sowie Cidre halbtrocken von Van Nahmen gereicht.

Wiebke, Peter und Jochen von Slow Food

Die Rezepte ausgesucht hatten Wiebke Rieck, Jochen Hoss und Peter Krauskopf von Slow Food Bochum, die auch durch den Kurs führten, tatkräftig unterstützt von Wiebkes Mann Torsten. Viel Anletung war bei den versierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern jedoch gar nicht nötig, die die Rezepte mit viel Spaß und Engagement routiniert umsetzten. So entwickelte sich der Kurs zu einer arbeitsintensiven aber entspannten Koch-Party, die allen eine Menge Spaß machte und im gemeinsamen Aufessen des Hergestellten einen genussvollen Höhepunkt und Abschluss fand.


Das Herbstküche-Menü
Slow-Food-Kochkurs, 20.10.2023 


Dreierlei Tapas vom Grünkohl





Salat mit Orange und Granatapfelkernen


Grünkohl-Pesto auf Pumpernickel


Grünkohl-Chips mit Limetten-Mayonnaise



Vorwitzige Zugabe vom Kürbis-Dessert

In der ursprünglichen Idee zu diesem Gericht werden die drei Fingerfood-Häppchen aus Grünkohl als Grundlage für das westfälische Herrengedeck Bier und Korn gereicht.
Für die Version im Kochkurs kamen drei verschiedene Sorten Grünkohl zum Einsatz. Der normale norddeutsche Grünkohl fand Verwendung für die im Ofen knusprig gedörrten Grünkohl-Chips, zu denen eine Limetten-Mayonnaise als Dip serviert wurde. Für das Pesto wurde Schwarzkohl verwendet, dessen regionale Varietät „Lippische Palme“ Passagier der Slow-Food Arche ist (klick hier). Der Salat besteht aus der Sorte Red Russian Kale, die in Kanada und in den USA als Superfood gilt und gern zu Smoothies verarbeitet wird.
Auf unseren Grünkohl-Teller hatte sich noch eine Variante des Kürbis-Dessert geschmuggelt, die zeigte, wie der süßsauer eingelegte Kürbis schmeckt, wenn er mehrere Wochen im Glas gezogen hat.

Zu den Rezepten der Grünkohl-Tapas klick hier.
Zum Ursprungsrezept mit vielen schönen Bildern klick hier

Apfel-Ziegenfrischkäse-Tartelettes

Die hübschen rosenförmigen Apfel-Ziegenkäse-Küchlein haben ihren Ursprung in Finnland. Dort werden sie als größere pikanter Apfel-Tarte gegessen, die „Omenainen vuohenjuustopiirakka“ heißt. Wir verwendeten dafür Äpfel der Sorte Santana, die sich wegen ihrer Konsistenz bestens zum Kuchenbacken eignet und aufgrund ihres Süße-Säure-Spiels hervorragend zu der mit Senf und Thymian abgeschmeckten Ziegenfrischkäse-Füllung passt.
Zum Rezept klick hier.
Zum finnischen Ursprungsrezept klick hier.
Zu einer süßen Variante der Röschen klick hier.


Herbstliche Kürbisravioli

Dass sich der Kürbis auch als Füllung für ein italienisches Nudelgericht eignet, zeigt dieses Rezept. Mit Salbei-Butter serviert, wirken die Ravioli fast klassisch. Köstlich schmecken sie aber auch mit Zimt und Zucker.
Zum Rezept klick hier


Kürbis süß-sauer eingelegt

Zum Dessert gab es ein altes Familienrezept von Jochen. Dazu werden Kübisstücke mit Zucker, Zimt, ngwer und Nelken in Zitronensaft eingelegt. Je länger es erzeiht, desto intensiver wird der Geschmack.
Zum Servieren als Dessert wurde der Kürbis mit einem Häubchen aus Vanille-Quark und Pumpernickel-Crumble versehen.
Wie der Kürbis schmeckt, wenn er längere Zeit gezogen hat, konnten wir bereits bei den Grünkohl-Tapas probieren.
Zum Rezept klick hier.


Impressionen



















Fotos: Torsten Rieck, Wiebke Rieck, Peter Krauskopf


Link zu Slow Food Bochum
Link zur Katholischen Erwachsenen- und Famileienbildungsstätte Bochum