Mittwoch, 25. Juni 2003

Aus dem Archiv: Zur Kluse - Wie bei Muttern

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004"

Ach, ist das schön hier! Nachdem sich das Auto über die Berenberger Mark immer tiefer in den märchenhaften Stadtwald geschlängelt hat, öffnet sich plötzlich der dunkle Forst zu einer liebreizenden Lichtung. Das ist der Parkplatz der "Kluse". Die Gaststätte selbst ist ein allerliebstes Hexenhäuschen neben der alten Klusenkapelle, umgeben von einem der schönsten Biergärten Essens. Märchenhaft ist auch die Geschichte der Irma, die um 1225 hier ihr Wesen trieb. Sie ließ sich zur Buße für eine Mordtat, die Graf Friedrich von der Isenberg auf dem Gewissen hatte, lebendig einmauern. Daher der Name des Ladens.

Im Sommer lässt sich hier Alt und Jung unter alten, himmelhohen Kastanienbäumen nieder; das gemütlich nach Landhausart eingerichtete Restaurant ist eher etwas für Regentage und den Winter. Rentnerpärchen, junge Familien mit Kindern, verliebte Jogger, drahtige Radfahrer und hin und wieder auch Geschäfts-Esser lassen sich deftige Wildspezialtäten und gutbürgerliche Hausmannskost schmecken. Auch für Freunde der verlängerten Mittagspause ist ein Ausflug in den Stadtwald die Anreise wert, denn den ganzen Nachmittag über werden die Schmankerln auf den Tisch gebracht. Neben einer Standardkarte mit solch Deftigkeiten wie "Berliner Kasseler mit Sauerkraut und Püree" (EUR 9,10), "hausgemachtem Sauerbraten mit Apfelrotkraut und Klößen" (EUR 11,70), Hirschgulasch "Zur Pirsch" (EUR 15,20) oder der "Broccolipfanne 'Kupferdreh'" (EUR 10), in der allerdings ganz dem vegetarischen Anspruch gemäß weder Kuh, Pferd noch Reh aufzufinden sind, gibt es eine üppige, täglich wechselnde Tageskarte.

Von der bestelle ich mir als Abwechslung zur ständigen italienischen "Fegato alla Veneziana" ganz multikulturell "Frische Kalbsleber 'Berliner Art' mit Zwiebeln, Apfelscheiben, Püree und Salatteller" (EUR 13) und bekomme einen wagenradgroßen Teller mit einem Schlag Püree, Kalbsleber, Zwiebeln, viel Sauce und einen extra Salatteller. Dass die Apfelscheiben fehlen, merke ich erst, als ich die mächtige Portion mit Appetit verschlungen habe. Herr Stoklossa, ein charmant-jovialer Irrwisch von Kellner, der gerade mit dem einen Arm die Omas am Nebentisch bedient, dem anderen zwei junge Muttis betört und mit dem dritten für einen Stammkunden Zigaretten am Automaten zieht, setzt sein breitestes Grinsen auf und meint: "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ich hätte Ihnen doch noch welche gebracht!" Ich darauf: "Ging nicht. 's war so lecker und ich hatte immer den Mund voll und mit vollem Mund spricht man doch nicht." Warum ich mir als Vorspeise noch eine "Atlantic Hummercremesuppe mit Remy Martin verfeinert und Sahnehaube" (EUR 3,90) bestellt habe, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich aus journalistischer Sorgfaltspflicht. Jedenfalls hatte ich so lange daran zu tun, das Hummerfleisch aus der bauchigen Löwenkopfterrine zu löffeln, dass ich es bedauerte, für diese Testesserei nicht nach Stunden bezahlt zu werden. (Wie ich dann versucht habe, die Aktion 36 einzuleiten - d.h. wieder in die Jeans Bundweite 36 passen zu wollen -, mir neue Laufschuhe gekauft habe, beim Jogging umgeknickt bin und vor Schmerzen ganz unmännlich geschrien habe - darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.)

Das größte Lob für die "Kluse" gab es jedoch am Tag später. Da besuchte ich mit meiner 86-jährigen Mutter das Lokal noch einmal, und die alte Dame aß den ganzen Teller mit "Weißkohlgemüse bürgerlich" (EUR 6,30) auf. "Das schmeckt hier wie zu Hause", meinte sie glücklich und zufrieden.
-kopf

Essen-Bredeney, An der Kluse 27b
Fon 0201. 44 17 17
tägl. ab 12 Uhr
https://www.zurkluse.de/

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