Mittwoch, 17. August 2005

Aus dem Archiv: Essen im Industriedenkmal

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Einige der erwähnten Restaurants gibt es heute (2024) nicht mehr. Bitte die Anmerkungen in Klammern und die Adressenliste am Ende des Textes beachten.


Fine Dining in der Zechenhalle

Das Ruhrgebiet als Urlaubsregion, das klingt immer noch gewöhnungsbedürftig. Dabei verfügt das Revier mit der Route der Industriekultur über ein Merkmal, das es allen anderen Regionen gegenüber auszeichnet. Und selbstverständlich kann man in den zahlreichen Industriedenkmälern dieser Route mittlerweile auch ausgezeichnet essen und trinken.

Eine kulinarische Reise durch die Industriekultur von Peter Krauskopf.



Was war das für ein Aufstand, als anno 1981 ein Tatort-Kommissar namens Schimanski dem nationalen Fernsehpublikum die heruntergekommensten Ecken des Duisburger Hafens vorführte. Empörung machte sich besonders bei den Stadtoberen in Duisburg über den Schmuddelkommissar breit, die eigenartige Romantik wollte oder konnte niemand in den Bildern des Fernsehkrimis entdecken. Knapp 20 Jahre später war das dann anders. Der zum Superstar avancierte Schimanski feierte mit einer aufgemöbelten neuen Serie ein grandioses Comeback, und als Kulisse diente diesmal der Landschaftspark Nord, ein ehemaliges Duisburger Industriegebiet, in dem Landschaftsgestalter ganz bewusst die gigantischen Relikte der Schwerindustrie der wuchernden Natur überlassen oder zu attraktiven Freizeitarealen umgestaltet hatten.

Im Selbstbewusstsein des Ruhrgebiets war seit den 80er Jahren ein tief greifender Wandel eingetreten. Der Underground hatte schon längst den identitätsstiftenden Charme der zahlreichen alten, mittlerweile leer stehenden alten Industriegebäude erkannt, in Bochum kam es sogar zu einer handfesten Jugendrevolte im Kampf um ein Jugendzentrum in einer alten Fabrik. Die Kultur nahm Besitz von den ehemaligen Produktionsstätten, und mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark wurde diese Entwicklung bald auch von offizieller Stadtplanungsseite gefördert. Aushängeschild dieser Entwicklung ist die Zeche Zollverein in Essen. Von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, ist der in den späten 20er Jahren im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaute Förderturm mittlerweile zum Symbol für das moderne Ruhrgebiet geworden.

Das riesige ehemalige Zechenareal im Essener Norden ist Sitz von zahlreichen kulturellen Einrichtungen und anderen Institutionen geworden und hat mit dem Casino Zollverein auch eine gastronomische Einrichtung, die in ihrem Ambiente einzigartig ist. Kontraste bestimmen die Atmosphäre des Restaurants. In der ehemaligen Kompressorenhalle kollidieren gigantische Betonpfeiler mit filigranen Ausstattungsaccessoires, klobige Maschinenreste mit eleganten Gastronomiemöbeln, archaisches Bunkerfeeling mit barocker Lebensfreude. Aufgetischt wird hier eine sogenannte „New World Cuisine“, eine moderne Frischeküche mit internationalen Einflüssen, die man als einen Ausdruck der Weltoffenheit des Ruhrgebiets betrachten kann. So wundert es nicht, dass das Casino Zollverein und die dazugehörigen ebenfalls eindrucksvollen Veranstaltungsräume häufig von der Landesregierung zu Repräsentationszwecken genutzt werden.

Dem Hauptschalthaus im oben genannten Duisburger Landschaftspark Nord sieht man an, dass es diesem Vorbild nacheifert. Auch hier sind die Industrierelikte in den Raum integriert, doch wirkt dieses Restaurant weniger martialisch, im direkten Vergleich geradezu gemütlich. So wundert es nicht, dass auch die Küche bodenständiger ist. International gibt man sich auch hier, doch isst man hier gutbürgerlich mit einem Touch ins beliebte Mediterrane.

In Sachen heroisch-archaischer Erhabenheit kann es die ehemalige Henrichshütte in Hattingen, die heute zum Westfälischen Industriemuseum gehört, mit Zollverein durchaus aufnehmen. Besonders der ehemalige Hochofen wirkt wie ein bizarrer Dinosaurier des Stahlkochens. Das elegante Restaurant Henrichs, benannt nach dem Grafen, der die Hütte Mitte des 19. Jahrhunderts gründete, ist in der ehemaligen Gebläsehalle untergebracht, die als Museumsgebäude genutzt wird. Durch eine große Glaswand kann man in den Ausstellungsraum blicken, in dem große Maschinen, die einst beim Stahlkochen gebraucht wurden, ausgestellt sind. Wo einst schweißtreibend gearbeitet wurde, können sich heute die Gäste an einer mediterranen Küche mit asiatischem Einschlag und westfälischen Spezialitäten gütlich tun. In der anderen Hälfte des Museums ist ein großer Veranstaltungssaal mit Bühne untergebracht, so dass das Gebäude auch als Kulturzentrum genutzt wird.

Genau diesen Zweck erfüllt auch die Rohrmeisterei in Schwerte. Die schmucke 1896 erbaute ehemalige Pumpstation der Dortmunder Wasserwerke am Ufer der Ruhr wurde von einer Bürgerinitiative als idealer Sitz eines Veranstaltungszentrum erkannt und mit liebevollem Einsatz ausgebaut. Das architektonisch sehenswerte Restaurant, das unter anderem dabei entstand, ist neben dem Casino Zollverein sicherlich das anspruchsvollste, das es in einem Ruhrgebiets-Industriedenkmal gibt. Was das Ambiente so aufregend macht, ist ein mit Glaswänden abgeteilter Innenraum, der die Tische der Gourmetabteilung beherbergt. Rundherum, an den im unverputzten Zustand belassenen Wänden, stehen die Tische der Bistroabteilung. Durch diesen Trick gelang es den Architekten, in der riesigen Halle eine angenehme Akustik und an den Tischen eine gemütliche Behaglichkeit zu produzieren, ohne den gewaltigen Halleneindruck zu schmälern. Die mediterrane Frischeküche des Lokals hat ihre kulinarische Basis in der traditionsreichen Senfmühle Peisert, die ebenfalls in der Rohrmeisterei ihren Sitz hat und auf handwerkliche Art und Weise Senfspezialitäten herstellt. (Ein Hinweis am Rande: Dass man es im Ruhrgebiet schon immer gern scharf mochte, zeigt auch die Alte Senffabrik in Mülheim. Auch hier wurde früher die braune Würzpaste hergestellt, jetzt ist hier ein gemütliches Kneipen-Restaurant untergebracht, das besonders durch seinen großen Biergarten besticht.)

Industriedenkmal, Kulturzentrum, kulinarische Tradition - auch die Lindenbrauerei in Unna vereinigt diese drei Kriterien einer typischen Ruhrgebietsgastronomie. Wie in Schwerte installierte auch hier ein Trägerverein ein Veranstaltungszentrum in einer ehemaligen Produktionsstätte. Doch wurde in Unna kein Stahl gekocht, sondern bis 1979 Bier gebraut. Diese Tradition wurde vor drei Jahren wieder aufgenommen. In einer kleinen Hausbrauerei stellen zwei Braumeister, die früher schon in der Lindenbrauerei tätig waren, ein naturtrübes Bier und andere Bierspezialitäten her, die exklusiv in der Kulturzentrumskneipe Schalander ausgeschenkt werden.

Quasi ein ästhetisches Gegenstück zu Zollverein ist die Zeche Zollern in Dortmund. Anders als bei der im kargen modernistischen Stil erbauten Essener Zeche herrscht bei dem von 1898 bis 1904 auf einem ehemaligen Gutshof erbauten Bergwerk in Bövinghausen noch der historistische Baustil der Gründerzeit vor. Türmchen und Giebel lassen das damals technisch modernste Bergwerk in Deutschland teilweise wie ein verwunschenes Märchenschloss aussehen. Das eiserne Jugendstiltor der großflächig verglasten Maschinenhalle ist wie der Förderturm von Zollverein eine Ikone der Industriekultur. Kulinarisch verwöhnt wird man auf Zeche Zollern im Restaurant Pferdestall. Auch hier geht es wie in der Architektur nostalgisch zu. Deftige Bergmannskost, modern interpretiert, wird zu moderaten Preisen aufgetischt.

Das größte Ensemble an Gastronomie in alten Industriegebäuden findet sich jedoch ohne Zweifel im Duisburger Innenhafen. Der kleine Abzweig des größten Binnenhafens der Welt jenseits der Schwanentorbrücke wirkt wie die Hamburger Speicherstadt im Kleinen. Unweit der Innenstadt gelegen, bündelt sich hier in eine vielfältige Museenlandschaft: das stadt- und kulturhistorische Museum, das Kindermuseum Atlantis, das Kunstmuseum Küppersmühle. Statt rußiger Lastkähne tummeln sich Segel- und Motorboote in den zur Marina umfunktionierten Hafenbecken. Die jüdische Gemeinde hat hier ihren Sitz, und für die noch vorhandenen Freiflächen hat der Stararchitekt Sir Norman Foster eine Bürobebauung geplant. Der Innenhafen ist in in Duisburg.

Doch nicht alle alten Speicher wurden von der Kultur okkupiert. Zahlreiche Kneipen und Restaurants wurden im ehemaligen Hafengebiet angesiedelt, um der alten Industrielandschaft urbanes Leben einzuhauchen. Besonders engagierte sich dabei die Brauerei Diebels, die mit ihrem Bierlokal Diebels im Hafen ein Aushängeschild für modern, rustikale Ruhrgebietsgastronomie geschaffen hat. Hier gibt es niederrheinische Bierspezialitäten zu einer deftigen, herzhaften Bratkartoffel-Küche. Im Sommer ist der schwimmende Ponton-Biergarten eine Attraktion. Direkt daneben kann man in eine perfekte Urlaubsatmosphäre eintauchen. Die Bodega del Puerto (geschlossen, 2024) inszeniert elegant und treffend die spanische Tapas-Welt. Ein paar Schritte weiter kann man sich in einer Filiale des Essener Mongo’s ein mongolisches Barbecue zu Gemüte führen. Etwas abseits beherbergt das älteste Haus Duisburgs das Restaurant Dreigiebelhaus (geschlossen, Stand 2024), und nicht weit davon entfernt entführt das Passt’scho (geschlossen, Stand 2024) in die verführerische Welt der Wiener Caféhäuser. Doch das sind längst nicht alle Kneipen, die man im Innenhafen findet. Ob Mexikaner oder Cocktailbar, ob Museumsgastronomie oder Hafenimbiss, man kann hier gut auf einem ausgiebigen Kneipenbummel versacken.

Wer Lust hat, in alten Industriedenkmälern nicht nur zu essen und zu trinken, sondern auch zu wohnen, dem sei die Lederfabrik in Mülheim empfohlen. Einst war die Stadt an der Ruhr ein Zentrum der deutschen Lederindustrie; davon erzählt das Ledermuseum an der Düsseldorfer Straße in Saarn. Der Rest der alten Fabrik ist heute ein Hotel mit Restaurant, in dem gerade einmal 52 Leute Platz finden. Die wöchentlich wechselnde Speisekarte bietet eine feine Frischeküche mit regionalen und mediterranen Einschlägen.

Weniger für Touristen als für Tagungsteilnehmer gedacht ist das Kultur- und Tagungshotel Alte Lohnhalle in der Zeche Bonifacius in Essen-Kray. Die alte Bausubstanz von Bonifacius steht in ihrer Jugendstilarchitektur der Zeche Zollern in Dortmund kaum nach, und entsprechend atmosphärisch angenehm sind Zimmer und Tagungsräume. In direkter Nachbarschaft, ebenfalls in stimmungsvollen alten Zechengebäuden untergebracht, befindet sich die Kneipe Wolperding mit ihrem großen Biergarten, wo es als Spezialität ganz besondere Brathähnchen gibt, und die Weinzeche, eine der größten Weinhandlungen des Ruhrgebiets. Jeden Monat finden dort Weinproben statt, bei denen das hervorragende Angebot der Weinzeche zum größten Teil gratis verkostet werden kann.

Zum Abschluss unserer kleinen kulinarischen Rundreise durch die Industriekultur soll es zu einem Juwel der klassischen Freizeitarchitektur gehen, Franky’s Wasserbahnhof (geschlossen, Stand 2024) in Mülheim. Der 1927 erbaute „Bahnhof ohne Gleise“ ist bis heute Um- und Einsteigeplatz für Ausflügler, die auf den Schiffen der „Weißen Flotte“ einen Bootsausflug auf der Ruhr machen wollen. Von außen macht er heute den Eindruck eines riesigen Kreuzfahrtschiffs im Trockendock, und die kulinarischen Events, die dort stattfinden, würden dem legendären Brat Pack um Frank Sinatra alle Ehre machen. Aber auch ohne Show sind Restaurant, Bar und Biergarten einen Besuch wert.

Casino Zollverein
Essen-Katernber5g
Gelsenkirchener Str. 181 (Zeche Zollverein Schacht XII)
fon 0201.83 02 40
https://casino-zollverein.de/

Hauptschalthaus
Emscherstr. 71
47137 Duisburg-Obermeiderich
fon 0203.41 79 91 80
https://www.hauptschalthaus.com/

Henrichs
Restaurant-Bar-Lounge im Industriemuseum Henrichshütte (1.Etage)
Werksstr. 31-33
45527 Hattingen
fon 0 23 24. 68 59 63
https://www.henrichs-restaurant.de/

Rohrmeisterei Schwerte
Ruhrstraße 20
58239 Schwerte
fon 0 23 04. 2 01 30 01
https://www.rohrmeisterei-schwerte.de/

Alte Senffabrik
Quellenstraße 20
45481 Mülheim-Saarn
Heute (2024) befindet sich hier die Trattoria Fati.
https://trattoria-fati.de/

Schalander
im Kultur- und Kommunikationszentrum Lindenbrauerei e.V.
Massener Str. 33-35
59423 Unna
fon 0 23 03. 2 5112 90
www.lindenbrauerei.de

Pferdestall
Zeche Zollern II/IV
Dortmund-Bövinghausen
Grubenweg 5
Fon 02 31.6 90 32 36
https://pferdestall.biz/

Innenhafen Duisburg
www.innenhafen-duisburg.de

Lederfabrik
Düsseldorfer Straße 269
45481 Mülheim an der Ruhr
Bis Sommer 2025 befindet sich hier die „Trattoria Mario“.
https://www.trattoria-mario.de/

Alte Lohnhalle Kultur- und Tagungshotel
Rotthauser Str. 40
45309 Essen-Kray
Fon 02 01. 85 76 57 70
https://www.alte-lohnhalle.eu/

Wolperding
Rotthauser Str.34
45309 Essen-Kray
Fon 02 01.5 57 95 99
http://www.wolperding-essen.de/

Weinzeche
Rotthauser Str.40
45309 Essen
Fon 02 01.55 00 24
https://weinzeche.de/

Franky’s im Wasserbahnhof
Mülheim a.d. Ruhr
Alte Schleuse 1
Geschlossen.
Es gibt nur noch das Franky’s im Wasserbahnhof Mintard.
https://www.frankys-wasserbahnhof.de/

Dienstag, 16. August 2005

Aus dem Archiv: Kumkapi - Türkische Toskana

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. heute (2024) befindet scih hier das nepalesische Restaurant "Namaste"


Es ist schon erstaunlich, was man aus den funktionalen Räumlichkeiten einer Bankfiliale alles machen kann. Hakan Yildiz hat vor etwa zwei Jahren eine ehemalige Schalterhalle an der Rellinghauser Straße zu einem großzügigen türkischen Restaurant umgebaut. Mediterrane, fast toskanische Eleganz verbindet sich mit orientalischen Accessoires, große Teppiche bringen Gemütlichkeit in den weitläufigen, luftigen Raum. In einem Separée kann man auf typisch orientalische Art auf weichen Polstern an niedrigen Tischen speisen. Ein weiterer Extra-Raum ist als Spielzimmer für Kinder eingerichtet. Bei gutem Wetter stehen Tische auf dem engen Bürgersteig vor dem Haus. Am Anfang war vorn an der Theke auch ein Imbiss-Bereich untergebracht. Doch den hat Hakan wieder abgeschafft. „Da war immer soviel los, dass wir kaum Kontakt zu unseren richtigen Gästen hatten.“ Mitnehmen kann man alle Speisen aber immer noch.

Wenn Hakan bedient, tut er das in einer typischen Mischung aus gastfreundlicher Herzlich- und levantinischer Überschwänglichkeit. Schnell erfährt man, dass er seit 16 Jahren im Gastrogeschäft ist und als Mitglied des Sponsorenvereins von Rot Weiß Essen als Caterer dort Gesellschaften von 1500 Menschen versorgt hat. Kaum hat er die Speisekarte gebracht, so lädt er auch dazu ein, an die Theke zu kommen und sich die Tagesgerichte anzusehen, wie es türkische Tradition ist. Bis drei Uhr gibt es einen Mittagstisch mit All-You-Can-Eat-Salatbüffet, doch die Gerichte werden auch bis in den späten Nachmittag verkauft, bis sie alle sind.

Dabei ist die Karte eine ausgiebige Lektüre wert. Die gesamte Vielfalt der türkischen Küche ist da vertreten. Salate wie Kumkapı Salatsı, gemischter Salat mit Muscheln und Walnüssen (EUR 8,90), Arnavut Ciğeri (eine warme scharfe Vorspeise mit Lammleber und Zwiebeln EUR 5,90), Grillgerichte wie Kuzu Pirzola (Lammkoteletts mit gegrillten Gemüsen, EUR 11,90), Pfannengerichte wie Tarides Kava (gebratene Krabben mit Knoblauch in Weißweinsauce EUR 11,90) und Ofengerichte wie Kumkapı Tandır (Lammschulter mit buntem Gemüse, Kartoffeln und besonderen Gewürzen EUR 10,50). Sogar Gerichte aus dem Wok sind im Angebot. „Wir haben aber auch Fisch wie Dorade oder Seewolf“, weiß Hakan eilig zu ergänzen. Besonderen Spaß macht die Weinkarte, in der zahlreiche türkische Weinspezialitäten ausgiebig beschrieben werden. Die preiswerteste Flasche, ein weißer Villa Doluca aus der einheimischen Sultaniye-Traube und der französischen Semillon, kostet EUR 11,90, der teuerste, der rote Öküzgözü aus einem exklusiven Anbaugebiet in Südostanatolien, gestandene EUR 54,90.

Ich aber lasse mich von der prächtigen Auslage des mit EUR 10,50 angemessen teuren Mittagstischs überzeugen. Einträchtig liegen da die heutigen Lammhaxen in einer großen Bratreine, farbenfroh garniert mit Auberginen-, roten und gelben Paprikastreifen. Auf dem Teller wird das Fleisch dann ergänzt durch eine sonnig orangefarbene Tomatensauce, einer Portion Reis und frittierten Kartoffelecken. Der herausragende Knochen ist mit Alufolie umwickelt, damit man ihn zum Abnagen in die Hand nehmen kann, was allerdings nicht nötig ist. Denn das Fleisch ist so zart geschmort, dass es fast vom Knochen fällt. Zum Nachtisch gibt es dann einen schaurig-schön süßen, mit frischen Früchten umlegten türkischen Kuchen (EUR 3,90) und einen Cappuccino, den ein Italiener nicht hätte besser machen können.

-kopf

Essen-Südviertel, Rellinghauser Str. 177

Sonntag, 14. August 2005

Aus dem Archiv: Lo Spuntino - Big Apple Kupferdreh

Der Text erschien erstmals in "Essen ghet aus 2005/2006".

Mein Gott, ist das ein Trubel. Fast alle Tische sind vollbesetzt, auf den wenigen freien stehen Reserviert-Schildchen mit präziser Uhrzeit im Halbstundentakt. Ein Trüppchen Arbeitskolleginnen auf Betriebsausflug tut sich an seinen Nudeln gütlich, ganze Familien stehen an, um auf ihre Mitnahmepizzen zu warten. Dauernd drängelt sich der Pizzabote mit seinen grünen Warmhaltekisten aus Styropor zur Tür, neue Gäste werden abgewimmelt weil alles voll ist, und nur ein fein gemachtes Liebespärchen wirkt mit seinen romantischen Blicken wie eine entrückte Insel der Ruhe. Sieht man bei Dämmerung in die festlich illuminierten Schaufenster, kommt einem Dario Botteris Kupferdreher Osteria Lo Spuntino wie ein New Yorker In-Lokal zu Weihnachten vor.

Zum Jahresbeginn 2005 hat Dario den Betrieb in dem kleinen engen Häuschen an der Kupferdreher Straße eingestellt, wo er seit eh und je die Bevölkerung des Stadtteils mit vorzüglicher italienischer Kost versorgt hatte, und zog komplett in die Räumlichkeiten seiner Mitnahme-Pizzeria Lo Spuntino gegenüber. Leider ging damit die hübsche Terrasse verloren, doch das neue Domizil hat dafür zwei Hinterräume, in denen kleinere Gesellschaften bedient werden können.

Darios große Beliebtheit liegt sicherlich an den knapp dreißig fantastischen Pizzen, die er anbietet. In wagenradgroßen 28 (EUR 3,50-8) oder diskuskleinen 20 Zentimetern (EUR 2-5,50) kann man sie vor Ort essen, mitnehmen oder sich nach Hause bringen lassen. Der dünn ausgerollte, knusprig sanft gebräunte Teig ist farbenfroh und reichhaltig belegt. Die Pizza Spuntino mit Parmaschinken, Krabben und frischem Blattspinat glich einem köstlichen kulinarischen Sonnenrad (groß EUR 6,50). Aber auch die Nudelgerichte mit obligatorischen Klassikern wie Spaghetti Bolognese (EUR 4), Lasagne (EUR 5,50) oder Gnocchi in Gorgonzolasauce (EUR 6)) sind nicht zu verachten.

Höhepunkt des Angebots ist jedoch die Tageskarte, die handgeschrieben und fotokopiert der Standardkarte beiliegt. Drei Vorspeisen, zwei Nudelgerichte und fünf preiswerte Fisch- und Geflügelgerichte standen diesmal darauf. Das Carpaccio mit Rucola und Parmesan (EUR 7,50) sah so aus, wie ich es mir wünschte. Das rohe Rindfleisch hatte jene tiefe Röte, nach der das Gericht benannt ist, und war dezent vom gelben Parmesan gesprenkelt. In der Mitte thronte eine angemessene Portion Rucola. Dass das hübsche Gericht kaum angemacht war, schob ich auf die Hektik im Laden zurück, zumal ich dieses minimale Manko mit ein paar Tropfen Aceto balsamico und Olivenöl aus den Karaffen auf dem Tisch mühelos beheben konnte. Doch auch die Beilagengemüse zum Seeteufel „Primavera“ vom Grill mit Kräutern (EUR 10,50) kamen mir nicht zu Ende gebracht vor und waren nicht angewärmt. Aber vielleicht war das aber Absicht, denn sie schmeckten auch bei Zimmertemperatur vorzüglich. Der Fisch jedenfalls war tadellos gegrillt und mit einer pikanten Sauce hauptsächlich aus Frühlingszwiebeln überzogen. Die Zabaione (EUR 4) zum Nachtisch bewies dann, dass man in der Küche trotz aller Hektik im Laden genügend Muße zur Zubereitung dieses klassischen Desserts aufbrachte. Das Ei war mit der nötigen Geduld im Wasserbad schön schaumig geschlagen und bildete mit dem untergehobenen Marsala eine Bescherung, die ich nur allzu gern auslöffelte.
-kopf

Essen-Kupferdreh, Kupferdreher Str. 184,
Fon 48 69 91
Mi-Fr und So 12-15 Uhr und 17.30-22.30 Uhr, Sa  16.30-22.30 Uhr. Mo, Di geschlossen

Freitag, 12. August 2005

Aus dem Archiv: Zur Wolfsbachquelle - Verwunschen und zeitgemäß

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant gibt es leider nicht mehr.


“An Heissiwalds schönster Stelle liegt Dornröschens Wolfsbachquelle“ – mehr kann man auf der verwitterten Tafel vor dem idyllischen Fachwerkhäuschen von der Legende dieses magischen Ortes leider nicht mehr lesen. Vielleicht wird sich einmal ein kunsthandwerklich begabter Müßiggänger ein Töpfchen schwarzer Farbe besorgen und die in den Marmorstein gemeißelten Buchstaben des langen Gedichtes nachziehen. Schon zu fränkischen Zeiten war hier eine Kultstätte. Geht man durch den verwunschenen Biergarten, gerät man nach wenigen Schritten durch die Schluchten des Heissiwaldes an den Wolfsbach, der unten in Werden beim Landhaus Am Staadt in die Ruhr mündet.

„Gastlichkeit seit 1923“ verspricht das Firmenschild, und tatsächlich scheint im gemütlichen, verwinkelten Gastraum die Zeit stehen geblieben zu sein. Knarrende Holzdielen, einfache rustikale Tische und Stühle, Häkelgardinchen – nur die alte Standuhr mit ihrem Kasten aus aufgearbeitetem Weichholz tickt anders. Sie schlägt neune, doch es ist erst zwanzig vor acht.

Die Speisekarte ist alles andere als von gestern. „Hoffentlich können Sie das lesen“, meint die charmante Frau Bruckmann, als sie mir den fotokopierten, handgeschriebenen Zettel reicht. Liebevoll sind hier die Gerichte aufgelistet, eine zeitgemäße Mischung aus deutscher Hausmannskost (Schweinekrüstchen mit Champignons à la crème und Pommes frites, EUR 9,50) und mediterraner Aromenvielfalt (Kaninchenrückenfilet mit Oliven-Senfsauce, Gemüse und Risollee, EUR 14,50). Als Vorspeise wähle ich neuseeländische Muscheln mit Kräuterbutter überbacken (EUR 8,50) und als Hauptgericht Tafelspitz mit Bärlauchvinaigrette und Bratkartoffeln (EUR 11,80) von der Tafel mit den Tagesangeboten, die an dem Stützpfeiler mitten im Raum hängt.

Belohnt wurde ich mich einer leckeren handgemachten Mahlzeit. Das gute Dutzend pikanter, großer Pfahlmuscheln hätte der Tapaskarte eines jeden Spaniers alle Ehre gemacht und schmeckte hervorragend. „Vorsicht, der Teller ist heiß!“ hatte mich der der schlaksige junge Kellner gewarnt, und tatsächlich war in dem Geschirr so viel Energie gespeichert, dass selbst die frischen Zitronenschnitze, mit denen ich die Muscheln beträufelte, warm geworden waren. Der kernig-zarte Tafelspitz hingegen war eine kalte Zubereitung. Auch davon wurde ich fürsorglich im Voraus unterrichtet. Hätte ich das gekochte Rindfleisch warm haben wollen, so hätte ich die klassische österreichische Version des Gerichts mit Meerrettichsauce wählen können. Doch die angenehm säuerliche Bärlauchvinaigrette kam mir im Moment erfrischender vor und harmonierte, wie sich herausstellte, wunderbar mit dem milden Pfälzer Riesling, der im Glas funkelte (EUR 3,80). Neutralisiert wurden die ätherischen Öle des Bärlauchs schließlich beim Dessert von einem provençalischen Schokokuchen mit Walnusseis (EUR 4,50).
-kopf

Essen-Bredeney, Zeißbogen 33

Aus dem Archiv: Akropolis - Hellblau im Grünen

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Schon immer hatte mich die imposante Bruchsteinfassade des bestimmt über einhundert Jahre alten Hauses am Beginn der Hammer Straße gegenüber des freundlichen Fachwerkhotels mit dem schönen Namen Gastgeb beeindruckt. Besonders verlockend fand ich den Hinweis auf den terrassenartigen Biergarten am dicht bewachsenen Steilhang hinter dem Haus, in dem man an warmen Sommertagen bestimmt kühl und schattig sitzen kann. Doch als ich jetzt die Gelegenheit beim Schopfe griff, um im Akropolis einzukehren, war das Wetter schlecht. Als ich das Restaurant betrat, konnte der Gegensatz zum düsteren Äußeren kaum größer sein. Der in schönstem Hellblau gehaltene, mit allerlei charmantem Hellaskitsch ausgestattete Gastraum versetzte mich sofort ans warme Mittelmeer.

Irgendwie hatte der gute Kellner heute nicht seinen besten Tag. Als er den obligatorischen Begrüßungs-Ouzo auf den Tisch stellen wollte, stieß er fast die Tischdekoration um, als er am Nebentisch abräumte, kullerte ihm klackend ein Olivenkern aufs Laminat, und als ich zum Nachtisch den griechischen Joghurt mit Honig und Walnüssen (EUR 3) bestellte, wusste er gar nicht, dass dieses Dessert auf der Karte stand. Kein Wunder, denn sie weist allein 99 Positionen zum Essen auf, mit den Getränken sind es über 150. Hier findet der Griechenlandurlauber alles, was sein Herz begehrt: Vorspeisen wie Dolmadakia (gefüllte Weinblätter kalt EUR 3,50, warm EUR 5,50), Zaziki (EUR 3,50) oder Saganki (gegrillter Schafskäse EUR 6), Fleischgerichte vom Grill wie Gyros (EUR 9,80), Bifteki (EUR 10,80), Lamm und Steaks, Moussaka aus dem Backofen (EUR 9,50). Für Kinder und Senioren gibt es extra kleine Gerichte. So wunderte ich mich nicht, dass sich das Lokal bald mit Familien füllte, teils mit erwachsenen, teils mit kleinen Kindern.

Auch ich kapitulierte schnell vor der Riesenauswahl und zog es vor, von der vorgeschalteten Empfehlungskarte zu bestellen. Flusskrebsschwänze in Tomatensauce (EUR 6) schienen mir als Vorspeise verlockend, und schon bald wurde mir ein simpel angerichteter Teller gebracht. Ein schönes Häufchen, wie sich herausstellte recht bissfester Flusskrebsschwänze lag in einem bestimmt einen halben Zentimeter dicken Saucenspiegel, der mit seinem leuchtenden Rot Kräuterwürze und süß-saure Tomatenfruchtigkeit versprach, stattdessen aber nur den Hang des Kochs zum Salztopf hielt. Versöhnlicher stimmte dann der Hauptgang, ein gemischter Lammteller vom Grill (EUR 15). Zwei aus dem Lammkarree geschnittene Koteletts waren schön mit Zitrone beträufelt, das durchgebratene, lecker gewürzte Lammsteak unterschied sich aber kaum von dem gleichgroßen Filet. Dazu gab es knackig gekochtes Gemüse und einen rustikalen Salatteller. Der griechische Joghurt, den ich dann doch noch zum Dessert bekam, war nach orientalischer Art kräftig mit Gelatine eingedickt. Mit Honig überzogen und Walnüssen garniert, bildete er einen nahrhaften Abschluss der deftigen Mahlzeit.

-kopf


Essen-Werden, Hammer Str. 2

Dienstag, 9. August 2005

Aus dem Archiv: Jedermann’s - Landhaus mit Terrasse

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Resuarnt gibt es nicht meher. Heute (2024) befindet sich hier das Tapasrestaurant Buena Vida.

Bis Anfang 2005 hieß das repräsentative Lokal am Beginn der Laupendahler Landstraße noch La Terrazza, doch die ehemaligen Betreiber sind in die Werdener Innenstadt gezogen, um dort ein neues Restaurant aufzumachen. Jetzt steht der Laden unter neuer Leitung und heißt Jedermann’s.

Die beeindruckende Terrasse mit ihren hohen Kiefern ist immer noch da, doch an diesem verregneten Sommertag verbreitet sie jene Melancholie, die leeren Terrassen an verregneten Sommertagen nun einmal eigen ist. Hurtig springe ich in den geräumigen Wintergarten-artigen Vorbau und frage mich, ob ich als Einzelgast überhaupt etwas zu essen bekomme. Denn da tafelt eine etwa 25-köpfige elegante Hochzeitsgesellschaft mit blonder Braut und smartem Bräutigam, bei deren Anblick ich mich in eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung versetzt fühle. Doch der Kellner weist mich freundlich in den großen, eigentlichen Gastraum, in dem mich eine ganz besondere Atmosphäre umfängt. Die hölzerne Wandvertäfelung, das Fußbodenlaminat, das Meublement, die Tischwäsche und der Blumenschmuck, alles besticht durch einen rustikal-eleganten Landhausstil und changiert bei angenehmem Dämmerlicht in modischen Hellbraun-, Apricot- und Lachs-Tönen. Eine offene Flügeltür lässt den Blick in einen kleineren Gesellschaftsraum zu, in dem ein bemalter Bauernschrank zu erkennen ist. Ein Kinderstuhl beweist, dass auch kleine Gäste willkommen sind.

Der Blick auf die Karte legt nahe, den Restaurantnamen Jedermann’s mit dem Begriff Cross over ins neudeutsche Küchenlatein zu übersetzen. Neben einer leichten Frischeküche herrschen mediterrane Gerichte vor, häufig mit einem asiatischen Einschlag. Und als ich die Gerichte auf dem Tisch stehen habe, bemerke ich, dass man in der Küche meisterhaft die Kunst des kulinarischen Ikebana versteht. Hübscher kann man Mahlzeiten wohl kaum anrichten.

Die kleine Sellerierahmsuppe mit Kokosmilch und Bündnerfleisch (EUR 4,50, groß EUR 5,50) kam in einem großen Suppenteller, der durch einen einfachen Trick ins Transzendente erhoben wurde. Eine dünne Grissinistange teilte ihn in eine Yin- und eine Yang-Hälfte. In die weiße Suppe war mit pikantem Pesto ein marmorartiges Muster gemalt. Exotisch-süß schmeckte das ganze, und die Grissinistange war ein willkommenes Hilfsmittel, die dünnen Bündnerfleisch-Streifen auf den Löffel zu bugsieren. Hätte ich es würziger gewollt, hätte ich mich aus der eleganten Pfeffermühle und dem gläsernen Salzstreuer auf dem Tisch bedienen können.

Der Risotto mit Meeresfrüchten und Scampi auf Zitronengras und zweierlei Pesto (EUR 12,50) erweis sich ebenfalls als optisches Kunstwerk. Der weiße Reis und die cremefarbigen Muscheln und Tintenfische kontrastierten wunderbar mit dem grünen Pesto und dem roten, auf einen bambusartigen Zitronengraszweig gespießten aufgebratenen Scampo, der die Sache krönte. Für italienische Vorstellungen war der Risotto vielleicht nicht flüssig genug, doch hätte der Reis bei Tim Mälzer im Fernsehen problemlos eine tadellose Figur gemacht. Und schmecken tat er allemal. Besonders das Pesto sorgte immer wieder für überraschende Akzente. Zum Abschluss gab es dann ein hausgemachtes Mohn-Honigparfait auf kleinem Ananasragout (EUR 6,80), das den frühherbstlichen Spätsommertag trefflich interpretierte.

So verlies ich glücklich und zufrieden das Jedermann’s, und auch die Hochzeitsgesellschaft löste sich auf. Ich bewunderte die schmale Belegschaft, die die große Gruppe unaufgeregt bedient hatte und auch mich darüber nicht vergessen hatte.

-kopf

Essen-Werden, Laupendahler Landstr. 11
 

Montag, 8. August 2005

Aus dem Archiv. Trattoria SalVino - Angenehme Lebensart

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant exisiert nicht mehr.

„Welche Nationalität Sie auch haben, leben Sie italienisch!“ Salvatore Puglisi ist ein Freund von solch kulinarischen Lebensweisheiten, die er auf der Speisekarte seiner Trattoria SalVino untergebracht hat. Auch das Motto des extravaganten Weinsammlers Hardy Rodenstock findet man da in abgewandelter Form: „Das Leben ist zu kurz, um etwas Schlechtes zu trinken!“

Es ist eine äußerst angenehme Lebensart, die Puglisi im seit ein paar Jahren verkehrsberuhigten Herzen Holsterhausens realisiert. Vor kurzem erst hat er das ehemalige Il Terrazzo erneut übernommen und geschmackvoll aufgemöbelt. Alles strahlt warm in toskanischen Terracotta-Tönen. Innen sitzt man auf modernen hellbraunen Lederstühlen, draußen auf der Terrasse an der Papestraße auf eleganten Holz-Klappstühlen. So wie der Laden aussieht, könnte er die Rüttenscheider Straße aufwerten. Puglisi lacht. „Die Miete ist fast schon genauso teuer!“

Seine Speisen allerdings nicht. Pizza sucht man auf der knappen Karte vergebens. Stattdessen gibt es eine sorgsam ausgesuchte Auswahl an Antipasti (Vorspeisen), wozu auch die Salate gehören, und Secondi Piatti (Hauptgerichte), wozu neben ein wenig Fleisch und Fisch hauptsächlich die Nudeln gehören. Hübsch sind die kleinen Vor-Vorspeisen um die EUR 3,90, Pecorino oder Parmaschinken, getrocknete Tomaten oder eingelegter Schafskäse.

Den hatte ich mir gegen den ersten Hunger bestellt, was sich als unnötig herausstellte, denn es gab vorab ein Körbchen leckeres Sesambaguette mit einem Töpfchen Kräuterrahm, an dem ich mich mit Appetit gütlich tat. Auch der Rucolasalat mit gerösteten Pinienkernen und Parmesansplittern war selbst in der kleinen Version (EUR 4,30, groß EUR 6,30) eine geschmackvoll sättigende Portion, was nicht zuletzt an der pikanten Honig-Senf-Vinaigrette lag. Als Hauptgericht verzichtete ich auf Saltimbocca alla Romana (EUR 13,90) oder Saltimbocca vom Seeteufel (EUR 14,50), sondern wählte ein mit EUR 8,90 recht preiswertes Nudelgericht: Pasta mit gebratenen Lammspitzen und Paprikastreifen in einer feinen Tomatensauce mit Kräutern der Provence. Die simple Zusammenstellung überzeugte durch ihre Herzhaftigkeit. Ich glaube, man könnte das Gericht zu Hause problemlos nachkochen. Allerdings würden bei mir die Nudeln etwas weicher.
-kopf

Essen-Holsterhausen, Gemarkenstr. 50

Sonntag, 7. August 2005

Aus dem Archiv: Casa Michele - Befreiender Salbei

Der Text erschien erstmalig in „Essen geht aus 2005/2006“.

Ob es angemessen ist, mit einer tief in der Brust sitzenden Erkältung ein Restaurant zu testen, sei einmal dahingestellt. Um herauszubekommen, wie pfiffig die Bedienung ist, dafür ist es jedoch eine gute Voraussetzung. „Haben Sie etwas mit Salbei?“, frage ich eingedenk der schleimlösenden Wirkung des Würzkrautes die kleine italienische Kellnerin, die so aussieht, als sei sie von Patron Michele Forgione nur dazu engagiert, seinen männlichen Gästen den Kopf zu verdrehen. Doch dann bin ich perplex. Die italienische Schönheit weiß erstens nicht nur, was Salbei ist, sie weiß zweitens auch, wozu es am besten schmeckt und drittens, was in der kleinen Küche von Küchenchef Stefano Pentagsola vorgeht. „Ich kann Ihnen Kalbsleber mit Salbei zubereiten lassen“, antwortet sie prompt.

Mit Müh’ und Not hatten wir am Samstagabend noch einen Platz im kleinen Casa Michele bekommen, das etwas versteckt in einem kurzen Seitenarm der Bredeneyer Straße liegt. Lässigkeit und Eleganz gehen hier eine Einheit ein. Die kunstvoll verblassten Fresken an der Wand sehen aus, als stammten sie tatsächlich aus einer toskanischen Villa, und davor tummelte sich tout Bredeney mit Kind und Kegel, reiche Ruheständler ebenso wie junge schöne Berufsanfänger. Es gibt halt so’ne und solche Vorstädte in Essen.

Eine Karte gibt es nicht, nur eine Tafel an der Wand mit Gerichten, die anscheinend immer gleiche Zutaten neu variieren. Perlhuhn, Kalbsleber und Lammhüfte hatte Kollege Thielmann bereits im letzten „Essen geht aus“ zitiert – heuer sind die Zutaten und Beilagen ausgetauscht. Das ist durchaus positiv zu sehen, denn diese für die italienische Kochtradition typische Konfektionierung bringt eine Routine in die Küche, die dann als Qualität auf dem Teller landet.

Bestes Beispiel dafür war unser gemischter Vorspeisenteller (EUR 11), der kaum Überraschungen auf den Tisch brachte, dafür aber höchste Befriedigung auf die Zunge. Die pikant eingelegten Gemüse waren eine perfekte Einstimmung auf die Hauptgänge. Zum einem waren das dünn geschnittene, ganz kurz gebratene Rindfleischscheiben auf einem Bett von Rucola (EUR 16,50), gewürzt mit Parmesan. Auch hier zeigte sich die handwerkliche Perfektion der Küche, die das Fleisch so zurückhaltend behandelte, dass seine Qualitäten erhalten blieben. Meine Kalbsleber (EUR 14,50) – perfekt à point gebraten und mit Mangold als Beilage – war eine Variation der „Fegato alla veneziana“ von der Tafel und zerging auf der Zunge. In der Tat war sie mit reichlich Salbei versehen, was eine entsprechend befreiende Wirkung auf meine Atemwege hatte. Und das Schöne daran: Nicht die Schweizer hatten es erfunden, sondern es war ein italienisches Abendessen.
:-kopf

Casa Michele. Essen-Bredeney, Bredeneyer Str. 122. Tel 0201/411327. Täglich 16-23 Uhr.Kein Internet. (Daten Stand 20.6.2024)

Donnerstag, 4. August 2005

Aus dem Archiv: Fischerhaus am See - Wie zu Hause

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant heißt heute (2024) "See-Bar".


„Komm, wir gehen ins Fischerhaus!“ Diese Losung hört man häufig unter den Spaziergängern, die sich auf dem Leinpfad an der Ruhr in Heisingen ergehen. Das Restaurant im schmucken Haus des Ruhrverbandes ist ein beliebtes Ziel für Radler, Rentner und sonstige Leute, die ganz unprätentiös, aber in anheimelnder Umgebung einkehren wollen. Besonders im Sommer ist die balkonartige Terrasse, von der man einen schönen Ausblick auf den regen Bootsverkehr auf dem sich zur Ruhr verdünnenden Baldeneysee und die Fahrradbrücke nach Kupferdreh hat, eine besondere Attraktion. Die nette freundliche Bedienung verbreitet eine familiäre Wohlfühl-Atmosphäre, nicht nur, weil sie fließend Ruhrdeutsch spricht.

Kaffee, Kuchen, kleine und große Gerichte den ganzen Tag über – das Angebot ist Ruhrgebiet pur. Die Schweineleber (EUR 9,50) heißt „Tante Käthe“, die Rinderroulade (EUR 10,50) ist „bürgerlich“, eine kleine Schnitzel- und Steak-Parade lacht einem entgegen. Keine mediterrane Irritation hat sich auf die Karte verirrt, wenn man einmal von den Calamaris „Don Alfredo“ (EUR 9,10) und den Tomaten mit Mozzarella (EUR 6,50), die es allerdings nur im Sommer gibt, absieht. Höhepunkt an luxuriöser Exotik ist der Bananensplit (EUR 4,50) mit einer ganzen (!) Banane und das mit Fruchtsalat aus der Dose garnierte gemischte Eis (EUR 3,50) zum Dessert.

Natürlich wird man auch dem Namen „Fischerhaus“ gerecht und bietet einige Fischgerichte an. Für die Fischsuppe „Baldeney“ (EUR 9,90) schwimmen einträchtig Seelachs, Rotbarsch und Shrimps in einem Gemüse-Rahmsüppchen, Forelle (EUR 10,90) wird „blau“ oder nach Art der „Müllerin“ zubereitet. Für den Fischteller „Fischerhaus“ (EUR 15,50) werden verschiedene Fischsorten in einem Olivenöl-Butter-Gemisch gebraten oder gedünstet und dann mit Blattspinat und Salzkartoffeln serviert.

Und dennoch: Ich entscheide mich für den Rheinischen Sauerbraten (EUR 10,50) und werde nicht enttäuscht. Alles ist wie bei Muttern. In einem Glasschälchen wird gut gekühltes Apfelkompott mit einem Klecks Preiselbeeren serviert, auf dem Teller liegen in einer richtig kräftig süß-sauren Sauce zwei große leckere Scheiben Rinderbraten und zwei Knödel. Geradezu verschwenderisch wirken die Mandelsplitter, mit denen das Fleisch garniert ist.

Mit halbem Ohr höre ich einer jungen Frau am Nebentisch zu, die ihre Schwiegereltern mit allerlei Katastrophengeschichten unterhält, die ihrer weitläufigen Bekanntschaft auf Flugreisen in die große weite Welt widerfahren sind: wie eine Mutter unglücklicher Weise in einem Luftloch ihrem Baby eine heiße Tasse Kaffee über den Kopf goss oder wie das Flugzeug, das eine Kollegin in die DomRep brachte, auf dem Rückflug abstürzte. Und während mir mein Leibgericht auf der Zunge zergeht, denke ich genüsslich: Wie schön ist es doch, dass du diesen Sommer zu Hause geblieben bist!

-kopf

Essen-Heisingen, Stauseebogen 37,
Fon 4 66 83 03
Mi-Sa 11-22 Uhr So 12-20 Uhr, Mo-Di geschlossen
https://see-bar.com/