Mittwoch, 17. August 2005

Aus dem Archiv: Essen im Industriedenkmal

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Einige der erwähnten Restaurants gibt es heute (2024) nicht mehr. Bitte die Anmerkungen in Klammern und die Adressenliste am Ende des Textes beachten.


Fine Dining in der Zechenhalle

Das Ruhrgebiet als Urlaubsregion, das klingt immer noch gewöhnungsbedürftig. Dabei verfügt das Revier mit der Route der Industriekultur über ein Merkmal, das es allen anderen Regionen gegenüber auszeichnet. Und selbstverständlich kann man in den zahlreichen Industriedenkmälern dieser Route mittlerweile auch ausgezeichnet essen und trinken.

Eine kulinarische Reise durch die Industriekultur von Peter Krauskopf.



Was war das für ein Aufstand, als anno 1981 ein Tatort-Kommissar namens Schimanski dem nationalen Fernsehpublikum die heruntergekommensten Ecken des Duisburger Hafens vorführte. Empörung machte sich besonders bei den Stadtoberen in Duisburg über den Schmuddelkommissar breit, die eigenartige Romantik wollte oder konnte niemand in den Bildern des Fernsehkrimis entdecken. Knapp 20 Jahre später war das dann anders. Der zum Superstar avancierte Schimanski feierte mit einer aufgemöbelten neuen Serie ein grandioses Comeback, und als Kulisse diente diesmal der Landschaftspark Nord, ein ehemaliges Duisburger Industriegebiet, in dem Landschaftsgestalter ganz bewusst die gigantischen Relikte der Schwerindustrie der wuchernden Natur überlassen oder zu attraktiven Freizeitarealen umgestaltet hatten.

Im Selbstbewusstsein des Ruhrgebiets war seit den 80er Jahren ein tief greifender Wandel eingetreten. Der Underground hatte schon längst den identitätsstiftenden Charme der zahlreichen alten, mittlerweile leer stehenden alten Industriegebäude erkannt, in Bochum kam es sogar zu einer handfesten Jugendrevolte im Kampf um ein Jugendzentrum in einer alten Fabrik. Die Kultur nahm Besitz von den ehemaligen Produktionsstätten, und mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark wurde diese Entwicklung bald auch von offizieller Stadtplanungsseite gefördert. Aushängeschild dieser Entwicklung ist die Zeche Zollverein in Essen. Von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, ist der in den späten 20er Jahren im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaute Förderturm mittlerweile zum Symbol für das moderne Ruhrgebiet geworden.

Das riesige ehemalige Zechenareal im Essener Norden ist Sitz von zahlreichen kulturellen Einrichtungen und anderen Institutionen geworden und hat mit dem Casino Zollverein auch eine gastronomische Einrichtung, die in ihrem Ambiente einzigartig ist. Kontraste bestimmen die Atmosphäre des Restaurants. In der ehemaligen Kompressorenhalle kollidieren gigantische Betonpfeiler mit filigranen Ausstattungsaccessoires, klobige Maschinenreste mit eleganten Gastronomiemöbeln, archaisches Bunkerfeeling mit barocker Lebensfreude. Aufgetischt wird hier eine sogenannte „New World Cuisine“, eine moderne Frischeküche mit internationalen Einflüssen, die man als einen Ausdruck der Weltoffenheit des Ruhrgebiets betrachten kann. So wundert es nicht, dass das Casino Zollverein und die dazugehörigen ebenfalls eindrucksvollen Veranstaltungsräume häufig von der Landesregierung zu Repräsentationszwecken genutzt werden.

Dem Hauptschalthaus im oben genannten Duisburger Landschaftspark Nord sieht man an, dass es diesem Vorbild nacheifert. Auch hier sind die Industrierelikte in den Raum integriert, doch wirkt dieses Restaurant weniger martialisch, im direkten Vergleich geradezu gemütlich. So wundert es nicht, dass auch die Küche bodenständiger ist. International gibt man sich auch hier, doch isst man hier gutbürgerlich mit einem Touch ins beliebte Mediterrane.

In Sachen heroisch-archaischer Erhabenheit kann es die ehemalige Henrichshütte in Hattingen, die heute zum Westfälischen Industriemuseum gehört, mit Zollverein durchaus aufnehmen. Besonders der ehemalige Hochofen wirkt wie ein bizarrer Dinosaurier des Stahlkochens. Das elegante Restaurant Henrichs, benannt nach dem Grafen, der die Hütte Mitte des 19. Jahrhunderts gründete, ist in der ehemaligen Gebläsehalle untergebracht, die als Museumsgebäude genutzt wird. Durch eine große Glaswand kann man in den Ausstellungsraum blicken, in dem große Maschinen, die einst beim Stahlkochen gebraucht wurden, ausgestellt sind. Wo einst schweißtreibend gearbeitet wurde, können sich heute die Gäste an einer mediterranen Küche mit asiatischem Einschlag und westfälischen Spezialitäten gütlich tun. In der anderen Hälfte des Museums ist ein großer Veranstaltungssaal mit Bühne untergebracht, so dass das Gebäude auch als Kulturzentrum genutzt wird.

Genau diesen Zweck erfüllt auch die Rohrmeisterei in Schwerte. Die schmucke 1896 erbaute ehemalige Pumpstation der Dortmunder Wasserwerke am Ufer der Ruhr wurde von einer Bürgerinitiative als idealer Sitz eines Veranstaltungszentrum erkannt und mit liebevollem Einsatz ausgebaut. Das architektonisch sehenswerte Restaurant, das unter anderem dabei entstand, ist neben dem Casino Zollverein sicherlich das anspruchsvollste, das es in einem Ruhrgebiets-Industriedenkmal gibt. Was das Ambiente so aufregend macht, ist ein mit Glaswänden abgeteilter Innenraum, der die Tische der Gourmetabteilung beherbergt. Rundherum, an den im unverputzten Zustand belassenen Wänden, stehen die Tische der Bistroabteilung. Durch diesen Trick gelang es den Architekten, in der riesigen Halle eine angenehme Akustik und an den Tischen eine gemütliche Behaglichkeit zu produzieren, ohne den gewaltigen Halleneindruck zu schmälern. Die mediterrane Frischeküche des Lokals hat ihre kulinarische Basis in der traditionsreichen Senfmühle Peisert, die ebenfalls in der Rohrmeisterei ihren Sitz hat und auf handwerkliche Art und Weise Senfspezialitäten herstellt. (Ein Hinweis am Rande: Dass man es im Ruhrgebiet schon immer gern scharf mochte, zeigt auch die Alte Senffabrik in Mülheim. Auch hier wurde früher die braune Würzpaste hergestellt, jetzt ist hier ein gemütliches Kneipen-Restaurant untergebracht, das besonders durch seinen großen Biergarten besticht.)

Industriedenkmal, Kulturzentrum, kulinarische Tradition - auch die Lindenbrauerei in Unna vereinigt diese drei Kriterien einer typischen Ruhrgebietsgastronomie. Wie in Schwerte installierte auch hier ein Trägerverein ein Veranstaltungszentrum in einer ehemaligen Produktionsstätte. Doch wurde in Unna kein Stahl gekocht, sondern bis 1979 Bier gebraut. Diese Tradition wurde vor drei Jahren wieder aufgenommen. In einer kleinen Hausbrauerei stellen zwei Braumeister, die früher schon in der Lindenbrauerei tätig waren, ein naturtrübes Bier und andere Bierspezialitäten her, die exklusiv in der Kulturzentrumskneipe Schalander ausgeschenkt werden.

Quasi ein ästhetisches Gegenstück zu Zollverein ist die Zeche Zollern in Dortmund. Anders als bei der im kargen modernistischen Stil erbauten Essener Zeche herrscht bei dem von 1898 bis 1904 auf einem ehemaligen Gutshof erbauten Bergwerk in Bövinghausen noch der historistische Baustil der Gründerzeit vor. Türmchen und Giebel lassen das damals technisch modernste Bergwerk in Deutschland teilweise wie ein verwunschenes Märchenschloss aussehen. Das eiserne Jugendstiltor der großflächig verglasten Maschinenhalle ist wie der Förderturm von Zollverein eine Ikone der Industriekultur. Kulinarisch verwöhnt wird man auf Zeche Zollern im Restaurant Pferdestall. Auch hier geht es wie in der Architektur nostalgisch zu. Deftige Bergmannskost, modern interpretiert, wird zu moderaten Preisen aufgetischt.

Das größte Ensemble an Gastronomie in alten Industriegebäuden findet sich jedoch ohne Zweifel im Duisburger Innenhafen. Der kleine Abzweig des größten Binnenhafens der Welt jenseits der Schwanentorbrücke wirkt wie die Hamburger Speicherstadt im Kleinen. Unweit der Innenstadt gelegen, bündelt sich hier in eine vielfältige Museenlandschaft: das stadt- und kulturhistorische Museum, das Kindermuseum Atlantis, das Kunstmuseum Küppersmühle. Statt rußiger Lastkähne tummeln sich Segel- und Motorboote in den zur Marina umfunktionierten Hafenbecken. Die jüdische Gemeinde hat hier ihren Sitz, und für die noch vorhandenen Freiflächen hat der Stararchitekt Sir Norman Foster eine Bürobebauung geplant. Der Innenhafen ist in in Duisburg.

Doch nicht alle alten Speicher wurden von der Kultur okkupiert. Zahlreiche Kneipen und Restaurants wurden im ehemaligen Hafengebiet angesiedelt, um der alten Industrielandschaft urbanes Leben einzuhauchen. Besonders engagierte sich dabei die Brauerei Diebels, die mit ihrem Bierlokal Diebels im Hafen ein Aushängeschild für modern, rustikale Ruhrgebietsgastronomie geschaffen hat. Hier gibt es niederrheinische Bierspezialitäten zu einer deftigen, herzhaften Bratkartoffel-Küche. Im Sommer ist der schwimmende Ponton-Biergarten eine Attraktion. Direkt daneben kann man in eine perfekte Urlaubsatmosphäre eintauchen. Die Bodega del Puerto (geschlossen, 2024) inszeniert elegant und treffend die spanische Tapas-Welt. Ein paar Schritte weiter kann man sich in einer Filiale des Essener Mongo’s ein mongolisches Barbecue zu Gemüte führen. Etwas abseits beherbergt das älteste Haus Duisburgs das Restaurant Dreigiebelhaus (geschlossen, Stand 2024), und nicht weit davon entfernt entführt das Passt’scho (geschlossen, Stand 2024) in die verführerische Welt der Wiener Caféhäuser. Doch das sind längst nicht alle Kneipen, die man im Innenhafen findet. Ob Mexikaner oder Cocktailbar, ob Museumsgastronomie oder Hafenimbiss, man kann hier gut auf einem ausgiebigen Kneipenbummel versacken.

Wer Lust hat, in alten Industriedenkmälern nicht nur zu essen und zu trinken, sondern auch zu wohnen, dem sei die Lederfabrik in Mülheim empfohlen. Einst war die Stadt an der Ruhr ein Zentrum der deutschen Lederindustrie; davon erzählt das Ledermuseum an der Düsseldorfer Straße in Saarn. Der Rest der alten Fabrik ist heute ein Hotel mit Restaurant, in dem gerade einmal 52 Leute Platz finden. Die wöchentlich wechselnde Speisekarte bietet eine feine Frischeküche mit regionalen und mediterranen Einschlägen.

Weniger für Touristen als für Tagungsteilnehmer gedacht ist das Kultur- und Tagungshotel Alte Lohnhalle in der Zeche Bonifacius in Essen-Kray. Die alte Bausubstanz von Bonifacius steht in ihrer Jugendstilarchitektur der Zeche Zollern in Dortmund kaum nach, und entsprechend atmosphärisch angenehm sind Zimmer und Tagungsräume. In direkter Nachbarschaft, ebenfalls in stimmungsvollen alten Zechengebäuden untergebracht, befindet sich die Kneipe Wolperding mit ihrem großen Biergarten, wo es als Spezialität ganz besondere Brathähnchen gibt, und die Weinzeche, eine der größten Weinhandlungen des Ruhrgebiets. Jeden Monat finden dort Weinproben statt, bei denen das hervorragende Angebot der Weinzeche zum größten Teil gratis verkostet werden kann.

Zum Abschluss unserer kleinen kulinarischen Rundreise durch die Industriekultur soll es zu einem Juwel der klassischen Freizeitarchitektur gehen, Franky’s Wasserbahnhof (geschlossen, Stand 2024) in Mülheim. Der 1927 erbaute „Bahnhof ohne Gleise“ ist bis heute Um- und Einsteigeplatz für Ausflügler, die auf den Schiffen der „Weißen Flotte“ einen Bootsausflug auf der Ruhr machen wollen. Von außen macht er heute den Eindruck eines riesigen Kreuzfahrtschiffs im Trockendock, und die kulinarischen Events, die dort stattfinden, würden dem legendären Brat Pack um Frank Sinatra alle Ehre machen. Aber auch ohne Show sind Restaurant, Bar und Biergarten einen Besuch wert.

Casino Zollverein
Essen-Katernber5g
Gelsenkirchener Str. 181 (Zeche Zollverein Schacht XII)
fon 0201.83 02 40
https://casino-zollverein.de/

Hauptschalthaus
Emscherstr. 71
47137 Duisburg-Obermeiderich
fon 0203.41 79 91 80
https://www.hauptschalthaus.com/

Henrichs
Restaurant-Bar-Lounge im Industriemuseum Henrichshütte (1.Etage)
Werksstr. 31-33
45527 Hattingen
fon 0 23 24. 68 59 63
https://www.henrichs-restaurant.de/

Rohrmeisterei Schwerte
Ruhrstraße 20
58239 Schwerte
fon 0 23 04. 2 01 30 01
https://www.rohrmeisterei-schwerte.de/

Alte Senffabrik
Quellenstraße 20
45481 Mülheim-Saarn
Heute (2024) befindet sich hier die Trattoria Fati.
https://trattoria-fati.de/

Schalander
im Kultur- und Kommunikationszentrum Lindenbrauerei e.V.
Massener Str. 33-35
59423 Unna
fon 0 23 03. 2 5112 90
www.lindenbrauerei.de

Pferdestall
Zeche Zollern II/IV
Dortmund-Bövinghausen
Grubenweg 5
Fon 02 31.6 90 32 36
https://pferdestall.biz/

Innenhafen Duisburg
www.innenhafen-duisburg.de

Lederfabrik
Düsseldorfer Straße 269
45481 Mülheim an der Ruhr
Bis Sommer 2025 befindet sich hier die „Trattoria Mario“.
https://www.trattoria-mario.de/

Alte Lohnhalle Kultur- und Tagungshotel
Rotthauser Str. 40
45309 Essen-Kray
Fon 02 01. 85 76 57 70
https://www.alte-lohnhalle.eu/

Wolperding
Rotthauser Str.34
45309 Essen-Kray
Fon 02 01.5 57 95 99
http://www.wolperding-essen.de/

Weinzeche
Rotthauser Str.40
45309 Essen
Fon 02 01.55 00 24
https://weinzeche.de/

Franky’s im Wasserbahnhof
Mülheim a.d. Ruhr
Alte Schleuse 1
Geschlossen.
Es gibt nur noch das Franky’s im Wasserbahnhof Mintard.
https://www.frankys-wasserbahnhof.de/

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