Freitag, 12. August 2005

Aus dem Archiv: Zur Wolfsbachquelle - Verwunschen und zeitgemäß

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant gibt es leider nicht mehr.


“An Heissiwalds schönster Stelle liegt Dornröschens Wolfsbachquelle“ – mehr kann man auf der verwitterten Tafel vor dem idyllischen Fachwerkhäuschen von der Legende dieses magischen Ortes leider nicht mehr lesen. Vielleicht wird sich einmal ein kunsthandwerklich begabter Müßiggänger ein Töpfchen schwarzer Farbe besorgen und die in den Marmorstein gemeißelten Buchstaben des langen Gedichtes nachziehen. Schon zu fränkischen Zeiten war hier eine Kultstätte. Geht man durch den verwunschenen Biergarten, gerät man nach wenigen Schritten durch die Schluchten des Heissiwaldes an den Wolfsbach, der unten in Werden beim Landhaus Am Staadt in die Ruhr mündet.

„Gastlichkeit seit 1923“ verspricht das Firmenschild, und tatsächlich scheint im gemütlichen, verwinkelten Gastraum die Zeit stehen geblieben zu sein. Knarrende Holzdielen, einfache rustikale Tische und Stühle, Häkelgardinchen – nur die alte Standuhr mit ihrem Kasten aus aufgearbeitetem Weichholz tickt anders. Sie schlägt neune, doch es ist erst zwanzig vor acht.

Die Speisekarte ist alles andere als von gestern. „Hoffentlich können Sie das lesen“, meint die charmante Frau Bruckmann, als sie mir den fotokopierten, handgeschriebenen Zettel reicht. Liebevoll sind hier die Gerichte aufgelistet, eine zeitgemäße Mischung aus deutscher Hausmannskost (Schweinekrüstchen mit Champignons à la crème und Pommes frites, EUR 9,50) und mediterraner Aromenvielfalt (Kaninchenrückenfilet mit Oliven-Senfsauce, Gemüse und Risollee, EUR 14,50). Als Vorspeise wähle ich neuseeländische Muscheln mit Kräuterbutter überbacken (EUR 8,50) und als Hauptgericht Tafelspitz mit Bärlauchvinaigrette und Bratkartoffeln (EUR 11,80) von der Tafel mit den Tagesangeboten, die an dem Stützpfeiler mitten im Raum hängt.

Belohnt wurde ich mich einer leckeren handgemachten Mahlzeit. Das gute Dutzend pikanter, großer Pfahlmuscheln hätte der Tapaskarte eines jeden Spaniers alle Ehre gemacht und schmeckte hervorragend. „Vorsicht, der Teller ist heiß!“ hatte mich der der schlaksige junge Kellner gewarnt, und tatsächlich war in dem Geschirr so viel Energie gespeichert, dass selbst die frischen Zitronenschnitze, mit denen ich die Muscheln beträufelte, warm geworden waren. Der kernig-zarte Tafelspitz hingegen war eine kalte Zubereitung. Auch davon wurde ich fürsorglich im Voraus unterrichtet. Hätte ich das gekochte Rindfleisch warm haben wollen, so hätte ich die klassische österreichische Version des Gerichts mit Meerrettichsauce wählen können. Doch die angenehm säuerliche Bärlauchvinaigrette kam mir im Moment erfrischender vor und harmonierte, wie sich herausstellte, wunderbar mit dem milden Pfälzer Riesling, der im Glas funkelte (EUR 3,80). Neutralisiert wurden die ätherischen Öle des Bärlauchs schließlich beim Dessert von einem provençalischen Schokokuchen mit Walnusseis (EUR 4,50).
-kopf

Essen-Bredeney, Zeißbogen 33

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