Dienstag, 31. Januar 2006

Aus dem Archiv: La Frasca - Familiäre Allmachtsphantasie

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006"007"
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Hier müsste man Stammgast sein! Das an Gaumenfreuden erfahrene Ehepaar am Nebentisch ist äußerst entzückt, als Valter Ornatelli ihm eine Flasche von jenem Wein als verspätetes Neujahrsgeschenk überreicht, den es schon so oft mit Genuss gemeinsam in der familiären Atmosphäre des La Frasca getrunken hat. Denn zu Hause mag sie die Weine nicht, die er bevorzugt, besonders nicht die alten Bordeaux’, die er im Keller hat und deshalb immer alleine trinken muss. Warum sagt der gute Mann mir nicht einmal Bescheid?

Mittlerweile hat Frau Ornatelli mit resoluter Attraktivität das Gespräch übernommen, während ihr Mann sich wieder mit dem demütigen Lächeln des Küchen-Kreativen den anderen Gästen widmet. Ich überfliege schnell die preiswerten Mittagsangebote auf der Tafel und die Pizzaliste auf der Karte, mit denen Valter Ornatelli die kulinarischen Grundbedürfnisse der dicht bewohnten Nachbarschaft solide befriedigt, ignoriere sträflicher Weise die köstlich anzusehenden Auslagen in der gut gekühlten Vorspeisenvitrine, um mich dann für eine den Temperaturen entsprechenden winterlichen Speisenfolge zu entschließen.

Die halbe Portion mit Trüffeln gefüllter Agnolotti (EUR 6,50, normal EUR 9,50) ist allerliebst. Die kaum daumennagelgroßen frischen Nudeln, die sich lustig in dem tiefen Teller tummeln, verströmen das intensive Aroma des edlen Pilzes und sind mit einem Hauch Parmesan angenehm geschmacksverstärkt. Der offene Cabernet Sauvignon (0,25 l EUR 3,90) passt dazu ausgezeichnet.

Überrascht werde ich dann von dem in Rotwein geschmorten Tafelspitz (Manzo brasato alla lombarda, EUR 14,50). Die drei Scheiben des mürben Rindfleischs haben einen tadellosen Biss und sind mit einer schwarzroten, fast bis zur Überwürzigkeit eingekochten Sauce überzogen. Aber als Beilage liegen drei dicke mit einem Hauch Bechamelsauce verfeinerte Stangen Spargel daneben. Im Prinzip nicht übel, aber mitten im Januar? „Der kommt aus Kalifornien“, klärt mich Valter Ornatelli über die untypische Jahreszeit für die Verfügbarkeit dieses Gemüses auf. Doch wem will er nur mit so einer kulinarischen Allmachtsphantasie imponieren? Ich würde mir lieber eine der Saison entsprechende Beilage wünschen, vielleicht Fenchel, zumal der Spargel durchaus etwas holzig ist. Außerdem kann ich Spargel als regionale Spezialität in ausgezeichneter Qualität im Frühsommer geradezu exzessiv zu mir nehmen.

Zum Abschluss beschwichtigt allerdings der köstliche Nachtisch, eine mit roten Früchten aromatisierte Panna Cotta (EUR 4,80), rasch meine nicht wirklich tief empfundene Empörung.
-kopf

Dortmund, Märkische Str. 182

Montag, 30. Januar 2006

Aus dem Archiv: Incontro - Eleganz mit Schönheitsfehlern

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Was die Westfalenmetropole Dortmund gegenüber anderen großen Ruhrgebietsstädten auszeichnet ist, dass man auch zu so unorthodoxer Zeit wie dem späten Nachmittag in richtigen Restaurants essen kann. Wie z.B das Stravinski und das SBB Restaurant hat auch das Incontro ab Mittag durchgehend geöffnet. Das mag an der Lage liegen, schließlich ist die Kleppingstraße so etwas wie die Champs Elysées von Dortmund, und da sollte man so ein jederzeit geöffnetes, chices Bistro erwarten können.

Gehobene urbane italienische Küche wird auf der großen Tafel angeboten, die die Kellner mit aufwendiger Grandezza an den Tisch des Gastes tragen: z.B. „Hummersuppe“ (EUR 7,50), „Taglioni mit schwarzen Trüffeln“ (EUR 17,90), „Schwarze Linguine mit Babypolypen“ (EUR 11,50) oder „Jungbullenfilet mit Winterpfifferlingen“ (EUR 19,50). Nachmittags jedoch scheinen die durchaus zahlreichen Gäste die gedruckte Standardkarte zu bevorzugen. An meinem Nachbartisch können zwei vom Shopping ermattete Grazien und ihr ständig redender männlicher Begleiter die üppigen Nudelgerichte und eine von der großen Pizzen (18 verschiedene von EUR 6,50-12) kaum bewältigen, bevor sie kalt geworden sind.

Mein „Salat mit Kaninchenleber und Ziegenkäse“ (EUR 11,50) kommt so rasch, dass ich die zuvor gereichten Pizzabrötchen mit Kräutercrème kaum kosten kann. Der gemischte Salat ist ganz schmackhaft angemacht, die Kaninchenleber kross gebraten aber kalt, der Käse noch kälter, so dass er sein Aroma erst entfaltet, als ich ihn aufgegessen habe. Und kaum bin ich damit fertig, steht schon meint Hauptgang auf dem Tisch, „Putensteak alla sorrentina mit Penne“ (EUR 11,50).

Ich hätte vorgewarnt sein können, schließlich schimpft Tim Mälzer im Fernsehen immer über das langweilige Putenfleisch, aber ich will unbedingt wissen, was „alla sorrentina“ ist: mit Käse überbacken. Also säbele ich mich durch eine riesige trockene Scheibe Putenbrust mit Käsehaube und esse dazu mit einer wenig pikanten Tomatensauce überzogene Penne. Die kurzen dicken Röhrennudeln sind z.T. zu jenen Päckchen zusammen gepappt, die mich zu Hause immer an kleine Stalinorgeln erinnern und entstehen, wenn man die Nudeln beim Kochen nicht genügend in Bewegung hält.

Auch beim Nachtisch lässt die Konzentration der Küche ein wenig zu wünschen übrig. Die „Gratinierten Früchte auf Orangenzabaglione mit Vanilleeis“ (EUR 8,50) sind zwar so prächtig anzusehen, dass mein Tischnachbar staunend vergisst, seine Begleitung zu beflirten, doch hätte die Zabaglione länger geschlagen werden und das Eis weniger kalt sein müssen, damit man es auch mit dem Löffel zerteilen kann. Schade.

@AU:-kopf

@DA:Mitte, Kleppingstr. 22

Fon 5 33 02 00
tägl. 11-1 Uhr, fr-so bis 3 Uhr (Küche bis 23 Uhr)

AE/DC/MASTER/VISA/Electronic Cash

v t m HG EUR 7

@Rang:

Samstag, 21. Januar 2006

Aus dem Archiv: Il Golfo - Luxus pur

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007".

Spricht man in Dortmund jemanden auf das Il Golfo an, macht sich häufig so etwas wie Schwellenangst bemerkbar. Das wäre so ein Schickimickiladen, wo nur Promis hingingen und der nicht für jeden da sei. Das ist ziemlich übertrieben. Mein Gott, Kinder, wir sind schließlich in Dortmund!

Was jedoch wahr ist: Ein Blick auf das Speisenangebot zeigt, dass das elegant-rustikale Il Golfo den Namen Gourmet-Italiener wirklich verdient. Das scheint sich für die Betreiberfamilie Gargiulo deshalb zu rechnen, weil sie die mittägliche Basiskost in das Bistro „Cantinetta“ nebenan ausgelagert hat. Die Standardkarte des Il Golfo umfasst alles, was das Herz an gehobener italienischer Küche begehrt, und auf der Tafel mit den Tagesannoncen stehen dann die richtigen Schmankerln, z.B. „Rinderfilet mit Gänseleber und Trüffeln in Madeira“ (EUR 23), „Lachs in Champagner mit Lachskaviar“ (EUR 18), aber auch Zeitaufwändiges wie geschmorte Kalbs- (Ossobuco, EUR 15) oder Lammhaxe (EUR 14).

Zwei Geschäftsfreunde am Nebentisch haben sich zur Feier ihrer Zusammenarbeit „Dorade all’acqua pazza“ (EUR 17) bestellt, eine besondere neapolitanische Zubereitungsart in einem Sud aus Knoblauch und Tomaten. Mit gekonnter Eleganz filetiert der Kellner die Fische am Tisch, und gleich nach dem ersten Bissen entfährt den Essern ein spontanes „Ist das lecker!“ aus den noch vollen Mündern.

Auch ich erfreue mich an den seltenen Annoncen auf der Tagestafel, verschmähe aber die feudale „Fasanenbrust auf Salat“ (EUR 11,50) als Entrée und bestelle den rustikalen „Mangold mit Schafskäse“ (EUR 7), ein Gericht, das mir als Vorspeise noch nicht untergekommen ist. Das spinatähnliche Gemüse kenne ich bislang nur als Beilage. Interessant, aber wenig lieblich schmeckt das bäuerische Gericht, und ein dickes Stück Knoblauch unterstreicht die Herbheit des Ganzen. Ich bewundere den Mut, es auf die Karte zu setzen. Eher von pikanter Süße und damit weitaus weniger herausfordernd sind da schon die „Langustenschwänze mit Pasta“. Allerdings ist die Languste das teuerste Schalentier überhaupt und stellt preislich sogar häufig den Hummer in den Schatten. Ob ihr schmackhaftes, leicht trockenes Fleisch den stolzen Preis von EUR 28 für einen Teller (allerdings selbstgemachter) Nudeln mit (durchaus gelungener) Tomatensauce und (immerhin üppigen) Meeresfrüchten wert ist oder ob es auch ein paar einfache Scampi getan hätten, sei einmal dahingestellt. Aber wenn man schon die Schwellenangst überwunden hat, ist beim Gourmet-Italiener auch Luxus angesagt. Man gönnt sich ja sonst nichts.
-kopf
Dortmund-City, Rosental 12
Fon 0231. 57 12 75
täglich 12-15 & 17.30-1 Uhr
http://www.ilgolfo.de/ristorante.html

Donnerstag, 19. Januar 2006

Aus dem Archiv: Haus Mentler - Faire Chabrol in Kirchhörde

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 1006/2007"
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Als ich zur Vorbereitung des Testbesuchs im Haus Mentler die Speisekarte auf der Internetseite  studierte, vermutete ich, dass es vor Ort noch eine zusätzliche Spezialitätenkarte geben müsse. Zwar standen der Saison entsprechende Gerichte wie „Wildschweinfilet mit Morchelsauce, Rotkohl und Knödeln“ (EUR 17), „Hirschrücken mit Waldpilzen, gefüllter Preiselbeerbirne, Rotkohl und Knödeln” (EUR 19,85) und der viel gerühmte „Grünkohl mit Kasseler, Mettwurst und Röstkartoffeln“ (EUR 9,85) auf dem Programm, doch ich war von anderen, ähnlichen Hotelgasthöfen im Dortmunder Süden eine individuellere regionale und saisonale Ausrichtung gewöhnt. Als ich schließlich in einem der als antike Küche, moderner Wintergarten oder modischer Stube eingerichteten Gasträume des schmucken Fachwerkhauses saß, wurde ich eines besseren belehrt. Eine Zusatzkarte gab es nicht, auch keine Weinkarte. Stattdessen informierte mich ein Werbeflyer darüber, dass das Haus wohlgemut ins WM-Jahr starten wolle, und zwar unter dem Motto „lecker – leicht – locker“.

Als Rotwein empfahl man mir einen kalifornischen Cabernet Sauvignon (0,2 l EUR 7), der sich erwartungsgemäß als wahrer Gaumenschmeichler erwies und in Farbe, Fruchtigkeit und Fassaroma geradezu großartig mit der „Rotkohlsuppe mit Orangen-Zimtsahne“ (EUR 4) harmonierte. So fühlte ich mich dazu ermuntert das zu tun, was der Franzose „faire chabrol“ nennt. Ich goss den letzten Rest Suppe, der sich partout nicht mehr auslöffeln lassen wollte, mit einem Schuss Wein auf und trank die Tasse einfach aus. Doch auch zur „Entenbrust rosa gebraten an eigenem Jus mit Broccoli und pommes-gratin“ (EUR 16,50) machte der Wein eine gute Figur. Das tadellose Fleisch, in seiner Festigkeit allerdings der knackigen Gemüsebeilage ebenbürtig, war hübsch auf einem rechteckigen Designer-Teller angerichtet, bei dem man aufpassen musste, dass das Messer beim Ablegen nicht vom wellenförmig verzerrten Tellerrand rutschte und in den ziemlich flüssigen Jus plumpste. Das heiße, in einem Extraschälchen servierte und durchaus schmackhafte Kartoffelgratin war leider ein fast unüberbrückbarer Temperaturkontrast zum lauwarmen Fleisch. Den Abschluss des Menüs bildete ein einfaches, gleichwohl vitaminreiches Dessert, ein „Früchtecarpaccio“ aus frischem Obst mit Himbeersauce und Vanilleeis im Mandelmantel (EUR 6,85).
-kopf

Dortmund-Kirchhörde, Schneiderstrasse 1

Dienstag, 17. Januar 2006

Aus dem Archiv: Bonsmann’s Hof - Westfälische Elegie

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007".

Es ist jetzt zwölf Jahre her, seit ich das Landhotel Bonsmann’s Hof zum ersten Mal als Restauranttester besucht habe, und mir kommt es vor, als ob die Zeit stehen geblieben sei. Noch immer beherrscht ein beruhigendes Lindgrün den großen, nach Art des niederen Landadels fein eingerichteten Gastraum im Anbau des 200 Jahre alten Fachwerkhauses. Der davor gesetzte Wintergarten hat hingegen ein rustikales, bäuerliches Ambiente. Alles strahlt mit der gedämpften Aura des viel Benutzten, aber liebevoll Gepflegten. Die tief stehende Wintersonne scheint durch die Fenster und verbreitet eine geradezu elegische Atmosphäre, die im Gegensatz zur Geschäftigkeit des jugendlichen, familiär gewandten Servicepersonals steht. Auch der große Parkplatz vor dem Haus macht deutlich, dass hier in der Regel mehr los ist als an diesem Montagmittag. Besonders sonntags kommen viele Stammgäste wegen der besonderen Menükarte und haben ihre festen Tische.

Bonsmann’s Hof ist Mitglied der Aktion „NRW kulinarisch“ und hat sich der westfälischen Küche verschrieben. Neben der Standardkarte, die auch den Bedürfnissen des Hotelbetriebs Rechnung trägt und eine knappe englische Übersetzung aufweist, gibt es eine wechselnde Saisonkarte. „Gut durch den Winter“ lautet deren Motto beim Testbesuch Anfang des Jahres und bietet deftige Gerichte wie „Kümmelsteak vom westfälischen Landschweinrücken auf geschmortem Wirsing mit Bratkartoffeln“ (EUR 14,00) oder „Knuspriger Gänsebraten (nur von ganzen Gänsen) mit Grünkohl und Bratkartoffeln“ (EUR 19,00). Ich entscheide mich für „Zarte Lammfilets auf Dicke Bohnen mit Bratkartoffeln“ (EUR 22,50) und bin überrascht. Nicht die geringste mediterrane Assoziation drängt sich auf. Die drei Lammfilets, von denen nur das dickste innen rosa ist, stellen sich westfälisch stilecht als knoblauchfreie Zone dar, und auch bei den Würzkräutern der Bohnen handelt es sich nicht etwa um die südfranzösischen Garrigue-Aromaten Thymian oder Lavendel, sondern um Petersilie und das gute alte Bohnenkraut, durch das Bohnen einfach nur nach Bohnen schmecken. Der offene badische Spätburgunder(0,2 l EUR 4,90), den ich mir dazu bestellt habe, passt ganz passabel, doch bietet die umfangreiche Weinkarte eine ganze Reihe weiterer deutscher und internationaler Spezialitäten, darunter gleich zwei sündhaft teure Bordeaux’ mit dem klingenden Namen Rothschild: den Mouton und den Lafite. Als Vorspeise hatte ich mir die hübsche „Suppentrilogie“ (EUR 7,50) bestellt, und in drei Mini-Löwenkopfterrinen samt Sesamstange und Kaffeelöffelchen wurden eine „Festtagskraftbrühe“ mit Eierstich und Gemüse, eine Fischrahmsüppchen mit Safran und Fenchel und eine Zucchinicremesuppe serviert. Ein gelungener variantenreicher Einstieg.
-kopf

Herdecke, Wittbräucker Str. 38
Fon 0 23 30.7 07 62
Mi-Sa 12-15 & 17.30-22 Uhr, So 12-15 & 17.30-21 Uhr. Mo, Di geschlossen.
https://bonsmannshof.de/

Freitag, 13. Januar 2006

Aus dem Archiv: Overkamp Gastronomie - Blutwurst bei die Fische

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007".

Die Overkamp Gastronomie ist einer jener prachtvollen Landgasthöfe im Süden Dortmunds, die in den letzten Jahrzehnten einen ungeahnten Aufschwung erlebt haben. Um den historischen Kern des alten Hotels legen sich zahlreiche neuere Anbauten wie die Schalen einer Zwiebel und bieten Platz für zahlreiche unterschiedlich ausgestattete Gasträume. Alles ist tadellos in Schuss gehalten, freundlich und hell, und es herrscht in dem Großrestaurant ein geschäftiger Betrieb wie in einer Bahnhofshalle. Besonders die gut situierten Ruheständler aus der Umgebung kommen hier gern zum Mittagessen, aber auch Familien mit Kindern, Business-Luncher oder zahlreiche andere Gäste, die die ausgezeichnete Küche schätzen.

Die umfangreiche, fast zehn Seiten starke Speisekarte, bietet auf den ersten Blick eine Misstrauen erregend große Auswahl wie beim Chinamann. Doch sofort wird klar, dass man hier für eine „abwechslungsreiche Glutamatküche“ nichts übrig hat. Dafür bürgt schon das kleine Label „Slow Food“, das die Karte ziert. Schon seit Jahren ist die Overkamp Gastronomie Mitglied dieser Maßstäbe setzenden Vereinigung für den bewussten Genuss. Die Abteilung „Vital-Küche“ mit leckeren und gesunden Gerichten ist ein Ausdruck dafür. Aber auch sonst herrscht eine Frischeküche vor, die Achtung vor den Produkten, Spaß an moderner Esskultur und Bewusstsein für die westfälische Kochtradition verrät. Die separate Weinkarte bietet eine große internationale Auswahl und ist besonders bei den deutschen Weinen kenntnisreich kommentiert.

Schon bevor ich wusste, was ich essen wollte, hatte ich mich für ein Viertel 2001 Eitelsbacher Marienholz Riesling halbtrocken (EUR 5,70) entschieden, dann aber keine Probleme, sogar im Menüangebot etwas dazu Passendes zu finden. „Westfälischer Trüffel“, d.i. hausgemachte Gänselebermousse im Pumpernickelmantel auf Rieslinggelee und Blattsalat, „Zanderfilet auf Graupenrisotto mit Blutwurst und Rübenkraut“ und „Maronenmousse in Haselnussbisquit“ hätten einzeln bestellt EUR 33,80 gekostet, waren als „Kleine Speisefolge“ aber für EUR 25 zu haben. Die Gänselebermousse und das Rieslinggelee aromabetonend wohl temperiert, die modische wie traditionelle Fisch-Blutwurst-Kombination von entzückend süßen Rübenkraut-Blitzen konterkariert, der Nachtisch ein Gedicht aus der Konditoreiabteilung – selten habe ich in Dortmund so gut und preiswürdig gegessen.

-kopf

Dortmund-Höchsten, Am Ellberg 1 (Wittbräucker Str. 633)
Fon 0231. 46 27 63
Mi-So 9-23 Uhr, Mo, Di Ruhetag
https://www.overkamp-dortmund.de/restaurant/

Mittwoch, 11. Januar 2006

Aus dem Archiv: SBB Restaurant - Sozialdemokratischer Realismus

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007"
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Über die Rasthaus-ähnliche Lage des SBB Restaurants an der Westfalendamm genannten B1 ist schon viel gelästert worden. Sogar „Gastromultiplex“ wurde das Ensemble aus dem eigentlichen Restaurant, dem japanischem „Edo“ und der Cocktailbar „Meyer-Lansky’s“ genannt, nicht ohne genüsslich hinzuzufügen, dass die Betreibergesellschaft SBB gleich nebenan auch noch ein Autohaus führt und für die Parkhäuser in Dortmund verantwortlich ist. Seit über fünfundzwanzig Jahren ist das SBB Restaurant eine gute Adresse in Dortmund, und die Ende der sozial-liberalen 70er Jahre modern gewesene Einrichtung hat heute eine geradezu nostalgische, für jüngere Leute befremdliche Patina angenommen. Die zahlreichen langjährigen Stammgäste, die herzlich begrüßt werden, wissen das jedoch zu schätzen und scheinen noch heut das Herz am rechten sozialdemokratischen Fleck zu haben. Die Herren mit eisgrauen Ben-Cartwright-Koteletten, die Damen mit getafteten Flughafen-Frisuren, sind sie dem Genuss nicht abgeneigt, aber ohne den hedonistischen Chi-Chi der letzten zwanzig und ohne die Schnäppchenjäger-Mentalität der letzten sieben Jahre. Weltoffen und hausbacken zugleich ist man, wie der junge formvollendete türkische Kellner mit schönstem Revier-Akzent oder die Japanerin im Kimono, die aufgeregt aus dem „Edo“ nebenan hereingeschneit ist, um etwas nachzufragen.

Auch die Speisekarte des SBB Restaurants ist inhaltlich wie preislich von unprätentiösem Luxus bestimmt. „Languste Thermidor“ (EUR 21,50) bildet seit einem Vierteljahrhundert den nach wie vor schmackhaften Gipfel, aber auch Bodenständiges wie „Rahmgeschnetzeltes mit frischen Champignons in Weißwein und Rahm, Rösti“ (EUR 13,80) ist im Angebot. Dass ich das Hauptgericht aus dem Menüangebot und die Suppe aus der Standardkarte kombinieren wollte, war kein Problem. Die gelungene „Fischrahmsuppe mit Rahm und Pernod“ (EUR 8,50) versetzte mich in jenes prickelnde Paris, von dem einst Georg Stefan Troller im Fernsehen berichtete, und die halbe gebratene Wildente mit winterlichem Gemüse (EUR 18,80) war ebenfalls ein Genuss. Nicht nur, dass der Rosenkohl herrlich zartbitter auf der Zunge zerging, das Wildgeflügel war auch fachgerecht entbeint, so dass ich als in bürgerlichen Tischsitten wenig bewanderter Bergmannssohn die krosse Haut und das saftige Fleisch mühelos mit Messer und Gabel bewältigen konnte. Jetzt verstand ich, warum im SBB Restaurant das Kommen und Gehen im Lauf des Abends immer geschäftiger wurde.
-kopf

Dortmund, Westfalendamm 166

Dienstag, 10. Januar 2006

Aus dem Archiv: Stravinski - Feudaler Genuss in coolem Ambiente

Der Text erschien erstmals in "Dortmund geht aus 2006/2007".

Der Kellner zierte sich wie der Haushofmeister eines Rokokofürsten und verdrehte in gespielter Empörung die Augen: „Nein, das kann die Küche nicht verraten!“ Dabei hatte ich doch nur gefragt, ob Küchenchef Thomas Barsties der „Schaumsuppe von Edelpilzen mit geräucherter Entenbrust“ (EUR 4,50) einen Schuss Cognac zufügen ließe. Denn das intensive Aroma des Süppchens befriedigte nicht nur die Geschmackspapillen auf meiner Zunge, sondern regte darüber hinaus auch meine Phantasie als Hobbykoch an. Was will man mehr?

Leute-Gucken konnte ich an diesem frühen Freitagabend im Stravinski leider nicht. Zwei junge Frauen verließen gerade, als ich kam, das Lokal, nachdem sie sich nach einem Shoppingausflug bei einem Caffe Latte Macchiato an den auf den Bistro-Tafeln annoncierten Kuchen gütlich getan hatten, und das Konzerthaus hatte spielfrei, so dass sich kein Musikfreund die Zeit bis zum Konzert mit einem guten Essen vertreiben lassen wollte. Erst nach einer Weile erschien eine entspannte Familie unter der Führung eines jovialen Opas, die anscheinend das hochelegante, bis zur Coolness moderne Ambiente des Restaurants in der Konzerthauspassage mit der preiswürdigen Frische- und unkomplizierten kleinen Küche zu würdigen wusste. Also nahm ich Blickkontakt mit dem Namenspatron des Lokals auf den großformatigen Fotos an der Wand auf und es fielen mir einige spanische Musiker seiner Generation wie der Cellist Pablo Casals und der Gitarrist André Segovia ein – in Barcelona wäre dieser schöne Neo-Art-Déco-Laden rappelvoll.

Rasch brachte mein serviler Kellner den Hauptgang, ein „Duett von Reh und Kaninchen“ (EUR 16,20). Passend zum Raum-Design waren Fleisch und Beilagen auf dem elliptischen Teller fast japanisch abstrakt arrangiert, mundeten aber wie aus der feudalen Küche eines Jagdschlösschens in Mitteleuropa. Die beiden Fleischstücke waren mit einem Karottenstreifen zu einer Einheit vermählt, behaupteten jedoch ihren individuellen Geschmack genauso wie die hübsch anzusehenden Gemüse und das Kartoffel-Sellerie-Püree. Nach diesem Genuss mochte ich der Dessertempfehlung des Kellners, „Crème Brûlée mit Cassis-Sorbet“ (EUR 5,90) nur allzu gern glauben und wurde auch nicht enttäuscht.

Dortmund-Brückstr. 21 (in der Konzerthauspassage)
Fon 0231. 58 44 98 50
Die-Fr ab 11.30-14.30 Uhr, So, So, Mo geschlossen. Sonderöffnungszeiten an Konzerttagen.
https://restaurantstravinski.de/

Aus dem Archiv: Haus Goldschmieding - Revier für Schnäppchenjäger

Der Text war geschrieben für "Dortmund geht aus 2006/2007".
Das Restaurant ist geschlossen.


„Haben Sie einen Gutschein?“ Eine Spur zu lautstark hallt diese Frage durch das Kaminzimmer vom Haus Goldschmieding, das am späten Abend zum Glück nur noch spärlich besetzt ist. Woran mag der Kellner bloß erkannt haben, dass wir keine normalen Gäste sind? An meinem billigen Aftershave aus dem Supermarkt? Oder an dem bei e-bay erstandenen gebrauchten Markenschuhwerk meiner Begleitung? Oder ist die gehobene Gastronomie im Ruhrgebiet so auf den Schnäppchenjagd-Hund gekommen, dass jedes unbekannte Gästepaar gleich als Schnorrer verdächtig ist?

Dabei verbreitet die antike Einrichtung des Schlösschens mit dem eindrucksvollen Renaissancekamin eine ganz andere, gediegene Jagdatmosphäre. Einst als Sommerresidenz des aus Irland stammenden Schlotbarons Mulvany eingerichtet, erinnert der biedermeierliche, hochherrschaftliche Speisesaal sofort an die letzte Jane-Austen-Lektüre.

Saisonbedingt beherrschten bei unserem Besuch neben westfälischen und klassischen Gerichten Wildgerichte die Speisekarte. Dass ein Fasan nicht zu den saftigsten Braten gehört, war zu erwarten. Doch man sollte erwarten können, dass bei dem stolzen Preis von EUR 25,50 für „Geschmorten französischen Fasan auf Champagnerkraut mit glacierten Trauben und Mousselinkartoffeln“ die Küche jene seit Jahrhunderten bekannten Techniken beherrscht, mit denen man dieses Manko des Wildgeflügels bewältigt. Auch die „Galantine von der Nanteiser Ente auf Quittenkompott mit kleinem Salatbukett“ (EUR 10,50) überzeugte als Vorspeise wenig. Der Mantel aus Entenfleisch war so fest, dass er sich kaum schneiden ließ, und die Füllung war eine allzu kompakte, wenig luftige Masse. Ausgezeichnet hingegen war der „Zopf vom schottischen Lammrücken auf weißem Bohnenpüree, Lavendeljus und blauen Kartoffelkrapfen“ (EUR 26,90), butterzart und in der Präsentation auch hübsch anzusehen. Im „Aufgeschlagenen Kürbiscremesüppchen auf Quitten und Hummermedaillon“ (EUR 10,50), als Vorspeise durchaus pikant und schmackhaft, hätte man sich über etwas mehr Hummer gefreut. Zum Abschluss teilten wir uns eine „Dessertvariation Goldschmieding“ (EUR 10,50), einen Streifzug durch die süßen Nachtische des Hauses, der aber kaum einen geschmacklichen Nachhall hinterließ. Überhaupt: Vom ganzen Menü blieb später nur der Duft der offenen Weine in Erinnerung (Tempranillo 0,2 l EUR 6, Bordeaux 0,2 l EUR 8).

Als die Rechnung für das durchwachsene Menü kam, hätten wir uns durchaus gewünscht, einen Gutschein gehabt zu haben. Denn der Spesensatz als Tester für „Dortmund geht aus“ reichte bei weitem nicht aus, das gar nicht mal so üppige Mahl zu begleichen.

-kopf


Castrop-Rauxel, Dortmunder Str. 55