Montag, 20. Juli 2009

Aus dem Archiv: Goldener Anker - Utopie des Alltäglichen

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2009/2010".

Was mag an diesem lauen Sommerabend gefeiert werden? Dads 60. Geburtstag? Oder das Examen der ältesten Tochter? Jedenfalls hat die Familie sich für den Anlass perfekt in zwanglose Schale geworfen. Die schlanke Mutter in ein hochelegantes kleines Graues, die hübschen Töchter und der Sohn mit gestylter Frisur in hochwertiges Casual Wear, und Dad trägt lässig seinen Genießerbauch unter dem offenen weißen Hemd. Die Familie ist nicht der einzige Besucher in Björn Freitags „Goldenem Anker“ in Dorsten. Das Gourmet-Lokal ist richtig gut besucht.

Seit 1997 kocht der heute 36-jährige Björn Freitag im alteingesessenen Dorstener Familienbetrieb, übernahm ihn nach dem Tod seines Vaters und machte das stattliche Gasthaus zu einer der besten Adressen im Ruhrgebiet. Seit 2001 hat der „Goldene Anker“ einen Michelin-Stern, genauso wie das Haus seines Kollegen Frank Rosin ganz in der Nähe. Die beiden rund gewordenen Ex-„Jungen Wilden“ haben das westfälische Dorsten zur Gourmethauptstadt der Metropole Ruhr gemacht und kochen in der TV-Sendung „Fast Food-Duell“ auf SAT.1 abwechselnd mit einem Lieferdienst um die Wette.

All das erfahre ich von einer charmanten blonden „Saaltochter“ im schwarzen Hosenanzug bei einer kleinen Führung durch das alte, westfälische Gasthaus, zu der sie mich nach dem Essen leutselig einlädt. Innen ist es mit internationaler Coolness modern eingerichtet. Die Accessoires rot, lila und silber, die Polsterbänke in milchkaffeebraunem Leder. Die Decke wird durch dezente Beleuchtungseffekte in ein changierendes Farbenspiel getaucht. Im Keller befindet sich ein fensterloser Gesellschaftsraum, der mich mit seiner roten Deko an den Nicole-Kidman-Film „Moulin Rouge“ erinnert. Richtig witzig ist im ersten Stock eine kleine Altan-ähnliche Plattform am Ende einer 50er-Jahre Wendeltreppe, früher einmal der Flurbereich einer Einliegerwohnung. Hier steht eine kleine Tafel für acht bis zehn Gäste.

Beim Blick auf die Karte freue ich mich, im Ruhrgebiet zu sein. So ein reelles Preis-Leistungs-Verhältnis wird man in einem Sterne-Restaurant in einer anderen Region wohl kaum finden. Nur zwei Hauptgänge von sechsen kosten über 30 Euro (z.B. St. Pierre aus dem Austernfondue mit Safranair und Pal choi 34 Euro), das Feinschmeckermenü mit drei Gängen 49 Euro, mit sechs Gängen 88 Euro, die begleitenden Weine je nach Anzahl der Gänge 22 bis 46 Euro. Die Beschreibungen der Gerichte scheinen dem bescheidenen Gemüt des Ruhrgebietlers angepasst und erinnern an den Speisezettel einer grundsoliden, aber utopischen Betriebskantine: T-Bone Steak vom neuseeländischen Hirsch mit Selleriepüree und Pfefferkirschen (28 Euro) oder Filet vom U.S.Beef mit Zartweizenrisotto und Saubohnen (38 Euro).

Unser Interesse wird jedoch vom Feinschmeckermenü geweckt, denn das verspricht bei den Zutaten regionale Verbundenheit und bei der Zubereitung kreative Fantasie. Sechs Gänge stehen dabei insgesamt zur Auswahl, und so bestellen wir zweimal das Drei-Gänge-Menü, um alles zu probieren.

Als Amuse Bouche sensibilisierte erst einmal ein Stückchen gebratene Entenbrust auf Trüffelmilch die Geschmacksnerven, begleitet von einem Espresso-Tässchen Kartoffelschaum. Fast hatte man das Gefühle, den Kaffee danach als Aperitif zu bekommen. Zuerst kam ein Knuspersandwich vom Wildlachs (hübsch crunchy die Kruste auf dem Fisch) mit Thunfischschaschlik (very spicy mit Pimientos mariniert, leider etwas metallisch im Geschmack) und Räucherbsenpüree. Die Alternative dazu war die Variation vom Dorstener Spanferkel (zwei superzarte, unterschiedlich gegarte Stücke Fleisch) mit Rote Bete-Relish und Björns Sauerkraut (hausgemacht und gar nicht sauer).

Dann wurden der geangelte Steinbutt (ein saftiges Wattebäuschchen) mit Ketakaviar und Belugalinsen im Krustentierschaum und Filet und Tafelspitz vom Kalb mit Stielmus (diese Ruhrgebietsspezialität war als eine Art warmes Pesto angemacht) und Trüffeljus aufgefahren. Als Zwischengang gab es noch geeiste Gänseleber auf Schalottenkonfit mit Trüffelkartoffel. Von den begleitenden Weinen entsprach ein Basilikumchampagner auf Erdbeersorbet der sommerlichen Atmosphäre, und eine Akazienholz gereifter österreichischer Grauburgunder erweis sich als ideale Begleiter zu Fleisch und Fisch.

Als Dessert schloss eine sanfte Crème brulée mit knackiger Kruste auf pikante Art den Magen. Die Alternative, Tahiti-Vanille-Panna cotta mit Blaubeerparfait und karamellisiertem Trüffel war ein schwüler, süßer, perfekt dekorierter Nachtischtraum, bei dem die namensgebende feine Panna Cotta sich tapfer gegen die anderen Zutaten behaupten musste.

-kopf 

Dorsten, Lippetor 4
Fon: 0 23 62. 2 25 53
Mi-Sa 18-23 Uhr, So-Di geschlossen
https://bjoern-freitag.de/

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