Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2009/2010".
Das Hotel hat den Restaurantbetrieb eingestellt.
Warum wird es mir immer so ganz anders ums Herz, wenn ich den Jägerhof betrete? Schon damals, als ich in Essen arbeitete, fuhr ich manchmal mit einigen Kollegen den langen Weg nach Kettwig, um in dem kleinen Speiseraum oder auf der lauschigen, überdachten Terrasse Mittag zu essen. Die familiäre Atmosphäre, die Familie Loeven nach wie vor in ihrem kleinen, biedermeierlichen 12-Zimmer-Hotel verbreitet, ergänzte die nostalgisch anmutende, hervorragende Hausmannskost in fast wehmütiger Harmonie. Immer noch ist die Mittagskarte unübertroffen. 9 Euro kosten die zweigängigen, täglich wechselnden „Stammessen“, die zusätzlich um eine weitere Mittagskarte ergänzt werden, auf der z.T. noch preiswertere Tellergerichte zu finden sind.
Die ruhrgebietstypische Mischung aus Gerichten der traditionellen gutbürgerlichen und der populären, schmackhaften und gesunden Mittelmeer-Küche findet sich auch auf der großen Karte wieder, die abends gilt. Dann wird der große Restaurantraum geöffnet. Naja, groß ist relativ, hat er doch lediglich die Ausmaße eines geräumigen Wohnzimmers. Dem Alter des Hauses entsprechend stilecht renoviert, mit einer durchbrochenen und verglasten Fachwerkwand, einem schönen alten Kachelofen und einem weißen Klavier, bietet er etwa 20 Gästen an sorgfältig eingedeckten Tischen Platz. Die schneeweiße Tischwäsche und glänzenden Gläser stehen im lebhaften Kontrast zu der roten Polsterbank, die den Raum einfasst. Dekorativ drapierte Barolo-Flaschen zeugen von Weinverstand. Dazu säuselt Norah Jones aus den Lautsprechern - ach!
Das Heimweh nach der guten, alten Zeit bringt mich dazu, so fabelhafte Sachen wie zwei Riesengarnelen ‚Provencial‘ mit kaltgepresstem Olivenöl, Zucchini, Tomaten und Knoblauch (14,90 Euro) oder Steinpilzrisotto mit Rauke und frischem Parmesan (11,50 Euro) zu ignorieren; wird doch mein Verlangen nach Mediterranem bereits durchs Amuse bouche gestillt, einer hervorragenden, knofel-süßen hausgemachten Aioli plus Frischkäsecréme und Oliven zum ofenfrischen Baguette.
Als Vorspeise gönne ich mir erst einmal eine Steinpilzsuppe unter der Capuccinohaube (5 Euro), und in der Tat, der Sahneklecks ist tatsächlich leicht mit Kaffee aromatisiert. Doch wirklich abgesehen habe ich es auf die sauren Schweinenierchen ‚Großmutter Art‘ mit Kartoffelschnee und kleinem Salat, einer vorbildlich Balsamicocréme-freien Zone (14 Euro).
Innereien findet man viel zu selten auf den Speisekarten der Restaurants. Das liegt anscheinend an der Unwissenheit des Publikums, das auf Rinderfilet, Hähnchenbrust und Schweinschnitzel fixiert ist und die Vorzüge dieser preiswerten Dinge gar nicht kennt. Gerade einmal Leber scheint akzeptiert. Dabei sind die Nierchen im Jägerhof ein Paradebeispiel dafür, wie delikat Innereien sein können. Superzart zergehen sie mir auf der Zunge, und die sämige Sauce, die für meinen Geschmack eine Spur saurer hätte sein können, lässt sich wunderbar mit dem Kartoffelschnee zu einem seidigen Brei vermischen, der Glücksgefühle verursacht wie Mutters Milch bei einem Baby.
Diese sinnliche Regression lässt sich beim Nachtisch fast noch toppen. Ich gieße die heiße Schokoladensauce, die separat zum Vanilleeis (5 Euro) serviert wird, löffelweise über das Eis, und sofort bildet sich eine süße Emulsion von betörendem Schmelz.
-kopf
Essen-Kettwig, Hauptstr. 23
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