Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2009/2010".
Das Restaurant gibt es nicht mehr, Heute (2024) befindet sich im Alten Bahnhof Kettwig "Pino's Bar & Restaurant.
Ist das die Zukunft des Ruhrgebiets? Da betritt man als rüstiger Mittfünfziger ein Szenelokal im Essener Süden – und stellt fest, dass man der Jüngste ist! Jedenfalls ist es gegen halb sieben so, als das chice „Dreiviertel Zehn“ Treffpunkt für verschiedene Trüppchen von Oldies ist. Schließlich gehört es seit 2006 als Bestandteil des Alten Bahnhofs zu einem Bürgerzentrum und hat somit eine soziale Funktion zu erfüllen. Übrigens: Die Senioren in Kettwig sind ganz schön gut drauf, und die jüngeren Gäste kamen so gegen acht.
Die ehemalige Bahnhofshalle ist, wie anderswo auch, in ein modernes Bistro verwandelt worden. Überall schlägt einem Wiener Charme entgegen, nicht nur in den strahlenden Augen von Kellnerin Claudia, die allerdings eine echte Essenerin zu sein scheint. Als Mineralwasser bringt sie mir vor dem Essen „Vöslauer Prickelnd“, als Kaffee hinterher einen koffeinfreien Capuccino von Meinl. „Der Chef ist Österreicher“, klärt sie mich auf.
Der Blick auf die Karte bestätigt das. Das Hausgericht „Alter Bahnhof“ ist ein echtes Wiener Schnitzel vom Kalb mit Bratkartoffeln und Rucola in Balsamico (16 Euro) und entführt den Gast in die Zeit von Kaiser Franz Joseph II. Grazer Tafelspitz mit Meerettichcreme und Kürbiskernöl (9 Euro) gibt es auch. Die Tapas-Karte geht mit Serrano Schinken, Manchego Käse und luftgetrockneter Chorizo (je 3,90 Euro) sogar zurück zu Kaiser Karl V., denn der war auch König von Spanien.
Als Vorspeise bestelle ich mir aber etwas kleines Leichtes: gebratenen grünen Spargel mit Parmesan (4 Euro). Auch hier hat der Koch anscheinend mit viel Freude eine gehörige Portion Balsamicocréme, vermutlich aus einen Weichplastikflasche, draufgedrückt, und ich bin freudig überrascht, dass die süßsaure Würze so herzhaft zu dem knackigen Spargel und dem appetitanregenden Käse passt. Unter den „Kleinen Deftigkeiten“ regt die „Schnitzelbattle“ (12,50 Euro) meine Phantasie besonders an. Das „battling“ ist unter Ruhrgebietsköchen zur Zeit ja eine beliebte Beschäftigung, die dabei gemeinsam um die Wette kochen, aber wie kämpfen Schnitzel gegeneinander?
Ganz einfach, indem sie es nicht tun. Auf einer guten Portion Bratkartoffeln liegen ein nach Wiener Art mit Semmelbrösel, im „american style“ mit Cornflakes und auf Mailänder Art mit Parmesan panierte Schweineschnitzel, alle schön flach geklopft, wunderbar zart und entzückende Fleischbegleiter zu dem Glas Grünen Veltliner (0,2l 5 Euro) mit seinem hübschen „Pfefferl“. Leider ertrinkt der Beilagensalat ein wenig im – erraten - Balsamicodressing. Den Abschluss machen dann als eigenwillige Interpretation einer Wiener Spezialität die Sacherbrownies mit Walnusseis (5,50 Euro).
-kopf
Essen-Kettwig, Ruhrtalstr. 345
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