Mittwoch, 12. Oktober 2011

Aus dem Archiv: Bistecca - Fleisch gewordene Energie

Der Text erschien ursprünglich in „Essen geht aus 2012“. Die Preisangaben sind von damals.

Es ist schon erstaunlich, zwischen welchen Antipoden sich die kulinarische Welt ideologisch bewegt. Auf der einen Seite sind in letzter Zeit Vegetarismus oder sogar Veganertum eine modische Alternative, um die Welt vor dem Untergang zu retten, andererseits ist in der Gastronomie der Fleisch-Sommelier, der durch die Weitergabe von finessenreichem Fachwissen den Gästen den Luxus-Fleischgenuss schmackhaft machen soll, mittlerweile ein anerkanntes Berufsbild. Und dann gibt es noch jene Genussfreunde, die durch bewusstes Aufessen das hochwertige Lebensmittel Fleisch in verantwortlicher Weise erhalten wollen. Sie haben eine artgerechte und nachhaltige und somit teure Tierhaltung im Sinn, deren Vielfalt jedoch nur existieren kann, wenn die entsprechende Nachfrage existiert. Sie sind bereit, für dieses Fleisch auch entsprechend hohe Preise zu zahlen – der nur gelegentliche Verzehr macht’s möglich.

Franco Giannettis Grill-Room Bistecca setzt bei der Vermarktung von teurem Fleisch jedoch nicht auf diese Political Correctness, sondern einen, wie mir scheint, anachronistischen hedonistischen Machismo. Vor anderthalb Jahren eröffnet, macht das Bistecca ausgerechnet mitten in der internationalen Finanzkrise den Eindruck, als wende es sich an die jene hungrigen Banker, gegen die die Nachhaltigkeitsapostel momentan so gern protestieren. Auf der Internetseite bleckt ein erotisches Model gierig die Zähne, und die totchice Location im komplett neugestalteten historischen Glückaufhaus ist wie ein moderner Herrenclub eingerichtet, mit Wurzelholztischen, im Pfeffer-und-Salz-Look bezogenen Tweed-Sesseln und den Trophäen einer Rinderzüchter-Gesellschaft. Über der Theke prangt wie in einem Wildwest-Saloon ein versilberter Bullenschädel, und die Pfeffermühlen auf den Tischen bestehen aus Kuhhörnern. In diesem coolen Ambiente bewegt sich Kellner No. 4 wie James Caan in Coppolas „Paten“ mit der katzenhaften Behändigkeit eines Mittelgewichtsboxers, öffnet elegant Weinflaschen und macht auch an der Coca-Cola-Flasche eine gute Figur.

Kulinarisch gibt es im Bistecca das momentan wohl exklusivste Fleischangebot in Essen. Es wird von den renommiertesten Züchtern in den USA, Irland, Argentinien, Frankreich und Australien bezogen. Im Bistecca wird das Fleisch auf neu entwickelten Grills „schockerhitzt“ und dann im Umluftofen auf einen der sieben Garzustände gebracht. Bei allen Fleischsorten ist der Fett-Marmorierungsgrad und die lange Abhängezeit in einer eigenen Reifekammer Maßstab der Qualität. Gipfel ist das Fleisch vom Wagyu-Rind. Ursprünglich hatten die Japaner bei der Mast ihres Kobe-Rindes ein Monopol auf diese Rasse, die sie wie ihren Augapfel hüteten. Doch in einer James-Bond-Aktion wurde das Erbgut des besten Zuchtbullen von Fleischindustrie-Spionen außer Landes gebracht und in Australien eine Konkurrenz-Population herangezüchtet. Heute ist Wagyu fast ein Massenprodukt der Premiumklasse.

Natürlich bestellte ich beim Testbesuch ein Wagyu-Steak, und zwar ein 200 g schweres Rib-Eye für 49 Euro. (Nebenbei: Ein entsprechendes Filet-Steak hätte fast 80 Euro gekostet.) Serviert wurde es nur mit leicht rosafarbenem Salz aus der Provence, als Beilagen empfahl mir James Caan Blattspinat mit Knoblauch (4 Euro) und die lässig als „Pommes“ bezeichneten streichholzdicken Pomme Julienne mit wunderbarem Kartoffelgeschmack (3,50 Euro). Von einer Sauce riet er mir ab, die sei bei dem kostbaren Fleisch ein Frevel.

Das Steak entpuppte sich als ein Bündel von Fleisch gewordener Energie. Obwohl mit 200 Gramm schon die kleinere Version, hätte mir die Hälfte auch gereicht, so sättigend und mächtig war das Ganze, im Mund ungemein zart, auf dem Teller dem Messer doch einigen Widerstand bietend. Sogar in der gerade einmal einen Zentimeter dicken Tranche konnte man die Fettadern deutlich erkennen. Dieser schiere Genuss konnte nur von klassischen Rinder-Wein begleitet werden, und so bestellte ich dazu ein Glas Chateau du Grand Mouëys (0,2l 9,50 DM), einen kleinen, aber typischen Bordeaux aus den Premières Côtes.

Neben den Fleischspezialitäten bietet das Bistecca aber auch zahlreiche Fischgerichte an, die auf dem Grill hervorragend gelingen. Es war schon recht verlockend, als ich zusehen durfte, wie James Caan am Nebentisch einen komplett an der Gräte zubereiteten Steinbutt vor den Augen der Gäste filetierte und ihnen dazu fachmännisch den Tipp gab, nie am Montag in einem Restaurant Fisch zu essen, da gäbe es nämlich keinen frischen. Als er mir die Tagesempfehlungen vortrug, worunter sich u.a. auch einige schöne Nudelgerichte befanden, erregte besonders eine Bouillabaisse (18,90 Euro) die Aufmerksamkeit, die ich dann auch als Vorspeise bestellte. Aus der deftigen Marseiller Fischsuppen-Spezialität hatten sie im Bistecca ein anmutiges Schäumchen mit wunderbarem Safranaroma gemacht, in dem ich auf den Punkt gegarte Jakobsmsucheln, Garnelen und Fischstücke fand. Die Rouille, die es dazu gab, war eine stilechte, kräftige Knoblauchsauce, mit der man die Suppe nach Gusto selbst würzen konnte und deren Nachhall dem folgenden Fleischgang durchaus zu Gute kam.

Auf ein Dessert verzichtete ich diesmal, wurde aber damit entschädigt, dass James Caan den warmen Milchschaum des Cappuccinos (4 Euro), den ich mir nur noch genehmigte, vor meinen Augen so lange in dem Milchkännchen rotieren ließ, bis er steif wie Eierschnee war.

Den Geschmack von bestem Fleisch auf der Zunge, hörte ich auf dem Heimweg im Autoradio die Werbung einer großen Supermarktkette. 100 Gramm Rindersteak aus der Hüfte wurden da für 1,19 Euro angeboten. Sollte ich über diesen „demokratischen“ Preis, der Fleisch für alle und jeden möglich macht, lachen oder weinen? Bei meinem Steak hatten 100 Gramm 24,50 Euro gekostet.
-kopf



www.bistecca-grillroom.de
45128 Essen-Rüttenscheid
Rüttenscheider Str. 2
02 01. 74 71 69 31
Mo-Sa 17.30-23 Uhr
Sonntag Ruhetag

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