Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2012".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Heute (2025) befindet sich hier "Paul's Brasserie" (klick hier).Massimo, der gemütliche Kellner, ist ganz Ohr, als ich ihn frage, welchen der norditalienischen Seen das im Pop-Art-Stil gehaltene große Fresko im Ristorante Gallo darstellen soll. Ich tippe auf den Gardasee, doch ich liege falsch. Es soll der Comer See sein. Nein, mit der Herkunft der Gallo-Betreiber habe das nichts zu tun, erklärt Massimo. „Der Chef hatte zufälliger Weise zwei Bilder, und nach diesen Vorlagen hat der Künstler dann das Wandgemälde komponiert.“
Vor vier Jahren hatte der Strukturwandel das Gallo ergriffen, und das alteingesessene Ristorante passte sich nicht nur bei der Einrichtung mit seinem eleganten und modernen italienischen Bistro-Stil den urbanen Gegebenheiten in Rufweite von Aalto-Theater, Philharmonie und RWE-Turm an. Auch die Küche des neuen jungen Küchenchefs Jan Sievers unterschiedet sich deutlich von der der Pizzeria, die das Gallo bis dato war – und stößt preislich in Höhen vor, die man sonst im Ruhrgebiet nur bei Sternerestaurants findet. Kaum ein Hauptgericht ist unter 30 Euro zu haben.
Von ganz besonderem Metropolen-Flair zeugt es, dass man am Nachmittag vor dem Restaurant nicht im Regen stehen muss, sondern auch zu nicht gängigen Zeiten etwas zu essen bekommt. Das Gallo hat samt Küche ab 12 Uhr durchgehend geöffnet. Da ich nach der Rush-Hour zur Mittagszeit um 15 Uhr herum der einzige Gast war, hatte Massimo genügend Zeit, mir die überraschenden Kreationen der Küche zu servieren und zu erklären.
Besonders freute mich, dass ein Lokal, das 25 Sorten Champagner auf der Getränkekarte hat, neben „Astice (Hummer) dello Chef“ (42 Euro) auch so etwas Bodenständiges wie Stockfisch anbietet. Obwohl der getrocknete Kabeljau aus Norwegen kommt, ist er besonders in südlichen Ländern wie Italien und Portugal beliebt, belehrte mich Massimo. Stockfischsalat (16,90 Euro) stand lapidar auf der Tafel mit den Tagesannoncen, doch was auf den Tisch kam, war ein kleines Kunstwerk, das optisch genauso überzeugte wie geschmacklich. Ein bunter gemischter Salat aus Blattsalaten, Sprossen und Tomaten war appetitlich, aber in übermundgroßen großen Stücken angerichtet und sorgsam abgeschmeckt. Eine bunte essbare Blüte gab dem Ganzen eine besonders dekorative Note. Neben diesem vegetarischen Teil war der Stockfisch platziert, der wie eine Brandade zubereitet war. Zerzupft und mit Kartoffelpüree vermischt war er richtig lecker und sättigend.
Der Fleischgang (31,90 Euro), den ich gewählt hatte, befriedigte voll und ganz das Kind im (Hobby)Koch. Dreierlei Sorten löffelweich geschmorte Bäckchen (vom irischen Weideochsen, vom Milchkalb und vom Iberico-Ferkel – zum Hineinlegen!) in Balsamicosauce waren malerisch um ein verspieltes Türmchen arrangiert, das aus bunten Talern von viererlei Polenta bestand: mit Spinat, Tomaten und Parmesan, weißer Schokolade (!) und Aceto-Balsamico. Massimo erklärte mir das gleich zweimal zum Mitschreiben. Damit das Türmchen Halt hatte, steckte antennengleich eine ungekochte Spaghetti darin und gab dem Ganzen das Aussehen einer futuristischen Skulptur. Dazu gab es noch Zuckerschoten und Morcheln in einem Sahnesößchen, die aber nicht gegen die Geschmacksvielfalt der Polenta ankamen.
Dreierlei Bäckchen
Auch das Dessert (14,90 Euro) zeugte vom unbändigen Spieltrieb der Küche. Die hauseigene Patisserie hatte eine Tasse aus Satongo-Schokolade, einer exklusiven Kuvertüre aus drei verschiedenen Kakao-Sorten, gebastelt und mit einem wunderbaren Mocca-Halbgefrorenen gefüllt. Dazu gab‘s noch ein Holunderblütengelee und eine Schoko-Mousse aus After Eight samt einer Lebkuchensauce. Und alles war natürlich äußerst liebevoll angerichtet.
Dessert
Ein wenig schlucken musste ich ja schon, als ich für dieses verspätete dreigängige Mittagessen inklusive Wasser, Kaffee und einem mäßigen Glas Nero d’Avola (horrende 8,90 Euro) eine Rechnung von über 83 Euro bekam. Aber das fuchste mich nicht lange. Denn erstens war ich auf Spesen unterwegs, wie so manch anderer Gast im Gallo wohl auch. Zweitens gab es zwischen den Gängen noch einige gelungene Überraschungen. Zum Beispiel zur Verdauung ein Pinnchen mit im Sherryfass gelagertem Chardonnay-Essig der Wiener Essig-Brauerei Gegenbauer oder zur Geschmacksneutralisierung ein Schälchen Himbeeren in drei Aggregatzuständen: als frische Frucht, als Sauce und als Sorbet. Zum Kaffee wurden hausgemachte Pralinés gereicht, die glatt den Nachtisch hätten ersetzen können. Darunter war ein allerliebstes, handgebasteltes Miniatur-Klavier aus Schokolade.
Und drittens: Selten hat mir ein Essen so viel Spaß gemacht.
-kopf
45128 Essen-Südviertel, Huyssenallee 7
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