Der Essener Gastronom Franco Giannetti schafft es immer wieder, die Konzepte seiner Betriebe wie ein auf erfolgreiche Traumfabrikprodukte spezialisierter Hollywoodproduzent auf den Punkt zu bringen. In seinem edlen Stammhaus „Lucente“ und der rustikalen „Gastronomia Officina“ zelebriert er italienische Lebensart in ganz verschiedenen Facetten, im „KohleCraftWerk“ bietet er US-Streetfood zu Craftbeer-Spezialitäten an. Sein Grill-Room „Bistecca“ war bei seiner Eröffnung vor 12 Jahren in Deutschland eine Pionierleistung in Sachen Dry-Age-Fleisch und ist es bis heute. Als nach dem Kulturhauptstadt-Hype das „Casino Zollverein“ und die Gastronomie im Museum Folkwang in Schlingern gerieten, brachte er die beiden Essener Aushänge-Gastronomien wieder in sicheres Fahrwasser. Und zur Zeit arbeitet er daran, dem in Januar 2022 geschlossenen Rüttenscheider Kult-Café „Mondrian“ eine Zukunft zu geben.
2017 hatte Giannetti Lust, das Konzept eines Restaurants im französischen Stil zu realisieren. Er eröffnete auf der Huyssenallee in den Räumlichkeiten des legendären „Gallo“ (klick hier) „Paul’s Brasserie“, die er nach seinem mittlerweile leider verstorbenen Labrador benannte und dessen Konterfei zum Brand des Ladens geworden ist. Unter Brasserie versteht man ein eher unkompliziertes Lokal, nicht Imbiss-mäßig wie ein Bistro, aber nicht so steif wie ein Restaurant der Haute cuisine.
Als ich vor ein paar Tagen anlässlich eines Pressemenüs den Laden das erste Mal betrat, fragte ich mich, warum ich das nicht schon längst getan hatte. Vermutlich hatte ich befürchtet, dass ich mir wie Captain Picard in einer unwirklichen Scheinkulisse auf dem Holodeck des Raumschiffs Enterprise vorgekommen wäre. Tatsächlich zuckte angesichts des makellos modernen urbanen Designs, der für eine Brasserie typischen langen Bänke rundum und großen langen Theke sofort der Joe-Dassin-Hit „Au Champs-Elysées“ durch meinen Kopf, allerdings in der Ruhrgebietsvariante „O Huyssenallee“. Doch gleichzeitig spürte ich eine Individualität, die man sonst nur von inhabergeführten Läden kennt.
Denn in dem aus Dortmund stammenden Gastronomie- und Hotelfachmann Dennis Zerbe hat Franco Giannetti einen idealen Restaurantleiter für „Paul’s Brasserie“ gefunden. Schon beim Empfang merkte ich, Dennis ist die Seele des Hauses - oder besser gesagt, als Mädchen für alles für die persönliche Handschrift des Hauses zuständig. Zuvor hatte er als chef de rang oder Betriebsleiter in namhaften Betrieben gearbeitet, z.B. auf dem Kreuzfahrtschiff MS Europa, bei Heinz Winkler in Aschau und nicht zuletzt auch als Sommelier in Nelson Müllers „Schote“ ein paar hundert Meter weiter. Von Gründung an managt Dennis Zerbe zusammen mit Amin Emadi nicht nur den Service des „Paul's", sondern er schreibt auch die Speisekarten, ist für den begehbaren Weinschrank verantwortlich („Wir haben ausschließlich französische Weine und Getränke“) und macht den Einkauf. „Ich habe da völlig freie Hand“, sagt er.
Die Speisekarte von „Paul’s Brasserie“ erfüllt alle Vorstellungen von Traditionalität, die man von der französischen Küche haben kann. So wirkte unser Pressemenü wie ein Feinschmeckerseminar über die klassische Pariser Küche, das man bei einem Touristenbesuch in der französischen Hauptstadt nicht besser genießen kann. Dabei war die handwerkliche Qualität in Zusammenstellung und Zubereitung, mit der die Gerichte auf den Tisch kamen, besonders bestechend. Verantwortlich dafür war Maksim Zitnikov, seit Januar Küchenchef des Hauses.
Ich hatte Maksims Kochkünste kennen gelernt, als ich vor einiger Zeit das Restaurant im Werdener Golfclub Haus Oefte besuchen konnte, das der gebürtige Usbeke eine Zeitlang gepachtet hatte. Auch er ist ein Sterneküchen-Veteran, war Souschef bei Erika Bergheim auf Schloss Hugenpoet, arbeitete im Hotel Traube-Tonbach und bei Juan Amador. Jetzt ist er Springer bei Franco Giannetti und kommt immer da zum Einsatz, wo er gebraucht wird. (Wobei mich die Besetzung in der Bilderbuch-Brasserie „Paul’s“ mit einem Koch namens Maksim aus einer ehemaligen Sowjetrepublik ein wenig zum Schmunzeln bringt. Wirkt das doch wie das Type-Casting durch einen der oben genannten Hollwoodproduzenten für einen Film über die Immigrantenszene im Paris der 1920-er Jahre…)
Nicht zu vergessen sei natürlich auch die Auswahl der Weine, die Dennis Zerbe in seiner Eigenschaft als Sommelier für uns heraus gesucht hatte. Sie gaben den Gerichten eine weitere Dimension.
Das Presse-Menü „Avec Plaisir“
Paul’s Brasserie. 27.5.2022
Huître
Fine de Claire et Gillardeau
Austern von der Kanal- und Atlantikküste sind der Inbegriff der französischen Luxus, hier stilecht mit Zitrone und zwei verschiedenen Vinaigretten serviert. Dennis Zerbe hätte uns gern eine dritte Sorte kredenzt um zu zeigen, wie unterschiedlich die Sorten im Geschmack sind. Doch die war in Essen nicht zu kriegen.
Entrée
Salade Niçoise
Ob der berühmte Salat Nizza wirklich aus der Stadt an der Côte d’Azur stammt oder eine Erfindung der Pariser Bistro-Küche ist, sei einmal dahingestellt. Bestechend war der feine, an Sushi erinnernde Thunfisch, der als exklusivste Zutat in der Salatbowl nicht minituriarisiert war. Entzückend die gekochten Wachteleier, allerliebst die winzige Kartoffelbrunoise, die unter den Bohnen zu Tage kam.
Soupe de Poissons “Pôchouse”
Diese Fischsuppe aus dem Burgund wird mit Süßwasserfischen zubereitet und ist weniger deftig als etwa die Bouillabaisse aus Marseille. Fein und optisch attraktiv der Flusskrebs dazu.
2020 Les Copines Adorent!, Mas du Chêne, Costière de Nîmes
Rebsorte: Vermentino
Plat
Rinderfilet Wellington
mit Duxelles, Nudelgratin und Sommergemüse
Der große Brocken Fleisch im Teigmantel schien wie aus der Zeit gefallen, ist aber ein großer Küchenklassiker aus dem 19. Jahrhundert, benannt nach einem britischen Feldherrn aus den napoleonische Kriegen. Das Filet, ursprünglich mageres Fleisch von in der Schlacht gefallenen Kavalleriepferden, wird mit Duxelles ummantelt, einem Püree aus Champignons, um das Austrocknen zu verhindern. Die geschmorten Sommergemüse sind eine klassische Beilage. Das Nudelgratin, mit Käsesahne überbackene Makkaroni, sind ebenfalls ein Klassiker der französischen Küche und passen zu der Rotweinsauce.
2015 Château Vannières, Bandol
Rebsorte: sehr alte Mourvèdre
Dessert
Tarte au Citron mit Gewürzkaffeemousse
Diese beiden Dessertklassiker wurden stilsicher durch die Weinbegleitung ergänzt. Die Fruchtigkeit der Rebsorte Petit Manseng des Süßweins passte gut zu der Zitronentorte. Der Portweinähnliche Rogomme spielte mit den Kaffee- und Gewürznoten der Mousse
2017 Uroulat, Jurançon. Rebsorte: Petit Manseng
Château de Chambert Rogomme Vin de liqueur, Cahors. Rebsorte: Malbec
Deko in der Theke
Paul´s Brasserie. Huyssenallee 7, 45128 Essen. Tel. 020126675976. Di-Fr 12-15 u.18-22.30 Uhr, Sa 18-22.30 Uh, So+Mo Ruhetag. pauls-brasserie.de
Der Genießer bedankt sich für die Presseeinladung.
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