Sonntag, 29. Juni 2003

Aus dem Archiv: Mille Miglia - Milano oder Essen?

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003"
Das Resurant gibt es nicht mehr. Heute (2024) befindet sich hier das Ristorante Lucente.

Auch südlich des Giradetzentrums erweist sich die Rüttenscheider Straße als Gourmetmeile par excellence. “raum.eins” und “Mörchens Eis” sind Schlemmeradressen unterschiedlichster Art; das “Mille Miglia” lockt seit anderthalb Jahren zum Genuss. Früher war hier ein Wäsche-Fachgeschäft traditioneller Art zu finden, heute herrscht italienische Eleganz vor.

Im Sommer drängeln sich mittags beschlipste Rüttenscheider Geschäftsleute an zwei Biertischen auf dem Bürgersteig, um sich kurz und knapp an Kleinigkeiten wie San Daniele-Schinken mit Mozzarella (EUR 7,70), einer Pizza Parmaschinken, Rucola e Parmigiano (EUR 8) oder Gnocchi Gorgonzola (EUR 6,50) zu laben. Etwas ruhiger und vor allem eleganter ist es jedoch drinnen. Cremefarbene Wände mit übergroßen Schwarzweißfotos von der namensgebenden Italien-Rallye und dunkles, geschmackvolles Holzmobiliar versetzen den Gast nach Mailand oder sonst wohin. Auf dem mit rotem Marmor belegten Bartresen imponieren eine “Brasilia”-Kaffeemaschine und eine aus den 30-er Jahren stammende Aufschnitt-Maschine. Auf großen Tafeln werden die Tagesangebote annonciert, meistens frische Fischgerichte. Davon bestelle ich mir eine Fischsuppe (EUR 7,50) und gebratene Sardellen-Filets mit Salat (EUR 7). Auf ein Glas Wein (EUR 4-5) oder gar eine Flasche (EUR 17-40) verzichte ich auf Grund der frühen Tageszeit und nehme mit einer 0,75-l-Flasche San Pellegrino vorlieb (EUR 4). Während ich die mächtige Portion Fischsuppe auslöffele, die als Mittagsmahlzeit vollständig ausgereicht hätte und etwa der Hummersuppe in der “Kluse“ in Sachen Reichhaltigkeit in Nichts nachsteht, und mich frage, ob sie nicht ein wenig zu salzig ist, kommt noch der Teller voll mit frittierten Sardellenfilets - ausgenommen und ohne Kopf, aber mit Schwänzchen, damit man zugreifen und daran knabbern kann.

Und plötzlich wird aus dem Routine-Testbesuch in geheimer Mission ein gelungener Klatsch-und-Tratsch-Ausflug. Denn am Nebentisch haben sich zwei attraktive Rüttenscheiderinnen niedergelassen, die natürlich sofort von Patron Lorenzo Ruffelo (“Il Giradino”, “La Fontaine”) charmant beflirtet werden, während der arme Barmann nicht nur hinterm Tresen alle Arbeit machen muss. Erst als Signor Ruffelo das Haus verlassen hat, beschweren sich die beiden Damen, dass die Fischsuppe zu salzig war - natürlich beim Barmann. Das ist Wasser auf die Mühlen des Schwerstarbeiters. Am Anfang hätten sie ja noch einen guten Koch gehabt, den aber entlassen müssen, weil sein Lebenswandel den guten Ruf des Hauses geschädigt hätte, gesteht er den Damen, die aufmerksam zuhören. Jetzt seien zwei junge Burschen in der Küche zu Gange, die unkonzentriert seien und so gar nicht den Qualitätsansprüchen genügen würden, die er bei seiner Ausbildung bei großen Hotelkonzernen kennen gelernt hat. Dass Essen sei jetzt mal so und mal so. Er sei froh, dass er bald seinen eigenen Laden aufmachen könne. Wo der denn sei, wollten die interessierten Damen wissen. Nun ja, gestand der Mann, es würde kein Restaurant, sondern ein Fachhandel für Aquarienfreunde.

Dankbar für diesen unfreiwilligen Einblick hinter die Kulissen der Gastronomie denke ich, naja, da hat wohl die Fischsuppe in die Kategorie “mal so” gehört, während die Sardellen “mal so” waren.
-kopf

Essen-Rüttenscheid, Rüttenscheider Str. 212

Mittwoch, 25. Juni 2003

Aus dem Archiv: Zur Kluse - Wie bei Muttern

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004"

Ach, ist das schön hier! Nachdem sich das Auto über die Berenberger Mark immer tiefer in den märchenhaften Stadtwald geschlängelt hat, öffnet sich plötzlich der dunkle Forst zu einer liebreizenden Lichtung. Das ist der Parkplatz der "Kluse". Die Gaststätte selbst ist ein allerliebstes Hexenhäuschen neben der alten Klusenkapelle, umgeben von einem der schönsten Biergärten Essens. Märchenhaft ist auch die Geschichte der Irma, die um 1225 hier ihr Wesen trieb. Sie ließ sich zur Buße für eine Mordtat, die Graf Friedrich von der Isenberg auf dem Gewissen hatte, lebendig einmauern. Daher der Name des Ladens.

Im Sommer lässt sich hier Alt und Jung unter alten, himmelhohen Kastanienbäumen nieder; das gemütlich nach Landhausart eingerichtete Restaurant ist eher etwas für Regentage und den Winter. Rentnerpärchen, junge Familien mit Kindern, verliebte Jogger, drahtige Radfahrer und hin und wieder auch Geschäfts-Esser lassen sich deftige Wildspezialtäten und gutbürgerliche Hausmannskost schmecken. Auch für Freunde der verlängerten Mittagspause ist ein Ausflug in den Stadtwald die Anreise wert, denn den ganzen Nachmittag über werden die Schmankerln auf den Tisch gebracht. Neben einer Standardkarte mit solch Deftigkeiten wie "Berliner Kasseler mit Sauerkraut und Püree" (EUR 9,10), "hausgemachtem Sauerbraten mit Apfelrotkraut und Klößen" (EUR 11,70), Hirschgulasch "Zur Pirsch" (EUR 15,20) oder der "Broccolipfanne 'Kupferdreh'" (EUR 10), in der allerdings ganz dem vegetarischen Anspruch gemäß weder Kuh, Pferd noch Reh aufzufinden sind, gibt es eine üppige, täglich wechselnde Tageskarte.

Von der bestelle ich mir als Abwechslung zur ständigen italienischen "Fegato alla Veneziana" ganz multikulturell "Frische Kalbsleber 'Berliner Art' mit Zwiebeln, Apfelscheiben, Püree und Salatteller" (EUR 13) und bekomme einen wagenradgroßen Teller mit einem Schlag Püree, Kalbsleber, Zwiebeln, viel Sauce und einen extra Salatteller. Dass die Apfelscheiben fehlen, merke ich erst, als ich die mächtige Portion mit Appetit verschlungen habe. Herr Stoklossa, ein charmant-jovialer Irrwisch von Kellner, der gerade mit dem einen Arm die Omas am Nebentisch bedient, dem anderen zwei junge Muttis betört und mit dem dritten für einen Stammkunden Zigaretten am Automaten zieht, setzt sein breitestes Grinsen auf und meint: "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ich hätte Ihnen doch noch welche gebracht!" Ich darauf: "Ging nicht. 's war so lecker und ich hatte immer den Mund voll und mit vollem Mund spricht man doch nicht." Warum ich mir als Vorspeise noch eine "Atlantic Hummercremesuppe mit Remy Martin verfeinert und Sahnehaube" (EUR 3,90) bestellt habe, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich aus journalistischer Sorgfaltspflicht. Jedenfalls hatte ich so lange daran zu tun, das Hummerfleisch aus der bauchigen Löwenkopfterrine zu löffeln, dass ich es bedauerte, für diese Testesserei nicht nach Stunden bezahlt zu werden. (Wie ich dann versucht habe, die Aktion 36 einzuleiten - d.h. wieder in die Jeans Bundweite 36 passen zu wollen -, mir neue Laufschuhe gekauft habe, beim Jogging umgeknickt bin und vor Schmerzen ganz unmännlich geschrien habe - darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.)

Das größte Lob für die "Kluse" gab es jedoch am Tag später. Da besuchte ich mit meiner 86-jährigen Mutter das Lokal noch einmal, und die alte Dame aß den ganzen Teller mit "Weißkohlgemüse bürgerlich" (EUR 6,30) auf. "Das schmeckt hier wie zu Hause", meinte sie glücklich und zufrieden.
-kopf

Essen-Bredeney, An der Kluse 27b
Fon 0201. 44 17 17
tägl. ab 12 Uhr
https://www.zurkluse.de/

Aus dem Archiv: Il Mulino - Essen am Nachmittag

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Wer schon einmal versucht hat, nachmittags gegen vier in der Essener City etwas zu essen zu bekommen und dabei nicht in einem Kaufhausrestaurant zu landen, weiß, was Hunger heißt. Während die nördliche City zu dieser Zeit ziemlich tot ist, lohnt der Weg südwärts. Im alten Bankenviertel hinterm Grillotheater wird man auf der Suche nach offenen Restaurants fündig, und dann sogar noch in einem der architektonisch reizvollsten Gebäude der City. Einst im eleganten Stil der neuen Sachlichkeit und ruhrgebietstypisch komplett in Backsteinen erbaut, erzählt das Sparkassengebäude zwischen Hirschlandplatz und Lindenallee noch heute vom Bergbaureichtum Essens in den zwanziger Jahren. Von der Rathenaustraße, also von der Seite her, nähert man sich dem im Souterrain liegenden "Il Mulino", dessen Eingang nicht minder elegant wie der florentiner Dom mit schwarzweißen Marmorstreifen verkleidet ist. Betritt man dann das Lokal, so will man sich allerdings kneifen und fragt: "Wo bisse denn hier gelandet?!?" Denn für den großen, 120 Plätze umfassenden Gastraum hat man anscheinend mindestens zwei westfälische Wassermühlen entkernt, um mit den Fachwerkbalken ein rustikal-bäuerliches Ambiente zu zimmern.

Den leeren Magen muss diese architektonische Irritation jedoch nicht stören. Zwar kann es sein, dass die empfehlenswerte Antipasti-Theke am Nachmittag schon ziemlich abgegessen ist, aber alles, was auf der umfangreichen Karte steht, ist problemlos zu haben. Für den preiswerten Hunger lohnt eine der vielen Pizzen, wem es nach Fleisch oder Fisch gelüstet, ist ebenfalls mit den Standardangeboten bestens bedient. Im "Il Mulino" ist alles etwas preiswerter als im "L'Opera" im gleichen Gebäudekomplex um die Ecke.

Wer jedoch Lust auf Außergewöhnliches hat, sollte auf die Tafel mit den Tagesangeboten achten. Dort findet sich sich zum Beispiel so eine Spezialität wie "Bollito", Tafelspitz-ähnlich gekochtes Rindfleisch. Das wird ganz piemontesisch mit einer grünen Kräutersauce, der "bagnet verd", und Kartoffeln serviert (EUR 11) und ist so weich, dass es "ai cucchiaio", mit dem Löffel, gegessen werden kann. Nicht minder gut erweist sich auch die "Fegato Venezia" von der Standardkarte, die klassisch auf venezianische Art mit Zwiebeln zubereitete Leber (EUR 13,60).

Zum Essen am Nachmittag reichte ein Glas des offen ausgeschenkten Hausweines (EUR 3,50) aus. Wer abends ausführlich tafeln will, findet auf der umfangreichen Weinkarte selbstverständlich zahlreiche kleinere (EUR 20-40) und herausragende Tropfen (EUR 85-150).

"Essen geht aus"-Leser wird es interessieren: Als Appetithappen vor dem Essen gab es weder Butter noch Margarine, sondern eine würzige Kräuterquarkcreme. Dafür waren die trockenen Pizzabrötchen so wenig frisch wie die Kellner, die sich anscheindend am Nachmittag lieber vom harten Mittagsgeschäft ausgeruht hätten.

-kopf

Essen-Stadtmitte. Rathenaustr. 2,