Freitag, 8. August 2003

Aus dem Archiv: Andalucia Casa Pedro - Lecker! Wie im Hotel!

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2003/2004".

Irgendein picaro hat auf den Aushangkasten des „Andalucia Casa Pedro“ einen Aufkleber der spanischen Region mit dem wenig einladenden Namen Extremadura geklebt, und entsprechend wirkt das Äußere des Tapas-Lokals auch. Zwischen dem kleinen Häuschen und den parkenden Autos zwängt sich ein kaum begehbarer schmaler Bürgersteig, und selbst, wenn der Laden geöffnet ist, sieht die massive Alu-Glas-Eingangstür aus, als wollten die stolzen Spanier einem maurischen Angriff trotzen. Eher abweisend auch die Speisekarte, die draußen aushängt. Bei den zahlreichen Tapas läuft einem zwar das Wasser im Mund zusammen, bei den normalen Gerichten von Fisch über Kaninchen bis Zarzuela fehlen jedoch die Preise, dafür liest man den Hinweis, dass es sie nur auf Vorbestellung für zwei Personen gibt.

Drückt man dann beherzt die Klinke, steht man in einem Gastraum, der spanischer nicht sein kann. Ein liegender brauner Pappmaché-Toro in Neufundländer-Größe begrüßt einen mit kuhäugigem Blick. Das hellbraune Eichen-Gebälk, das die zahlreichen Sitznischen einrahmt, stammt zwar aus der deutschen Kneipen-Ausstattungs-Konfektion „Gemütlich“, spielt seine Rolle als spanische Mittelalter-Applikation allerdings mit eleganter grandeza. Ansonsten wirkt das Ambiente des Ladens edel und karg, schöne Film- und Sherryplakate schmücken in schwarzen Rahmen die weiß getünchten Wände, hier und da entdeckt man dekorative Weinflaschen, -schläuche und –krüge.

Schon kurz nach Öffnung füllt sich der Laden mit Werdener Stammgästen, die keinerlei Schwellenangst haben, sondern genau wissen, wie gut das Essen hier ist. Besonders beliebt ist im Sommer der Balkon, auf dem man nicht nur den Blick auf die Rückseite eines zu Apartments umgebauten antiken Fabrikgebäudes am Ruhrufer hat, sondern zwischen den Häusern hindurch auch auf das Stauwehr des Baldeneysees.

In der Tat legt man im „Andalucia Casa Pedro“ nur wenig Wert darauf, die Hauptgerichte zu verkaufen, die zwischen EUR 9 und 19 kosten, wie die Speisekarte dann doch verrät. Der ganze Stolz liegt auf den Tapas, die mit einem eine Seite langen, eng gedruckten Text über den sozio-gastronomischen Hintergrund eingeführt werden. Die Liste ist endlos, es gibt warme, kalte, welche mit Fleisch und welche mit Fisch und sie kosten zwischen EUR 4 und 9. Kellner und Köche kommen ins Schwitzen, wenn sie Datteln im Speckmantel, Fleischbällchen in Tomatensauce, mit Seehechtfarce gefüllte Paprikaschoten oder gegrillte Gambas an die Tische tragen. Rein vom Fassungsvermögen her konnte ich mir nur drei der pikanten Happen leisten. Die Aljoli verde (EUR 2,80), eine mit Kräutern herzhaft abgeschmeckte Knoblauchmayonnaise, wurde mit frisch aufgebackenem, noch heißem Baguette serviert. Orientalisch wirkten drei dicke mit Thunfisch gefüllte Blätterteigrollen, die ein wenig an türkische sigara erinnerten (EUR 4,80). Klassisch, karg und fantastisch waren die vier gegrillten Lammfiletkoteletts (EUR 8,50), die zusammen mit fein gewürzten Bartkartoffelecken und Aljoli verde auf den Tisch kamen. Den knochentrockenen Rosé aus der Rioja (1/4l EUR 4,50) hätte ich mir etwas lieblicher gewünscht, aber das ist Geschmackssache.

Am Nebentisch saßen zwei große Werdener Mädchen mit einem kleinen (ca. 6 Jahre). Die Kleine, sonst wahrscheinlich eher auf Süßigkeiten wie Nutella oder Smarties abonniert, konnte die pikanten exotischen Häppchen kaum erwarten. „Lecker!“, rief sie angesichts einer in roter Tomatensauce schwimmenden kleinen Schweinerei. Und dann: „Wie im Hotel!“
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Infos auf Facebook
Essen-Werden, Neukircher Mühle 29, Fon 40 35 77
Täglich 18-24 Uhr

Donnerstag, 7. August 2003

Aus dem Archiv: Bei Dario - Quell der Freude

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2003/2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr, nur noch die Trattoria Lo Spuntino.


Da, wo die Ruhr beginnt, sich zum Baldeneysee aufzustauen, ist das Flusstal besonders eng. Entsprechend schmal ist die Kupferdreher Straße, die sich zwischen den zum Teil recht alten schmucken Häusern des gleichnamigen Stadtteils zwängt, und besonders im Sommer gleicht das Verkehrsaufkommen dem quirligen Chaos eines italienischen Städtchens nach Ende des Siesta.

Treffpunkt der Kupferdreher Einwohnerschaft ist seit über 30 Jahren das Ristorante “Bei Dario”. Das kleine, alte Häuschen inmitten des Stadtteilzentrums atmet innen die Atmosphäre der Enge des Ruhrtals; frisch gestrichen wirkt es noch heute wie die Kulisse eines 70er-Jahre-Films. Wenn Zweimetermänner die Toilette aufsuchen wollen, sollten sie sehr gelenkig sein. (Ob Zweimeterfrauen die gleichen Probleme haben, habe ich aus Anstandsgründen nicht ausprobiert.) Ein allerliebstes Idyll ist die Terrasse, die man durch einen schmalen, gässchenartigen Weg links neben dem Haus erreicht. Die schmale Hälfte ist pergola-artig mit Wein überwachsen, den größeren Teil beschatten große Sonnenschirme. In zahlreichen Blumentöpfen sprießen bunte Blumen, aber auch Tomaten und wohlriechende Kräuter, die in der Küche gebraucht werden. Ein handelsüblicher Brunnen aus dem Baumarkt murmelt ein wenig lautstark vor sich hin.

Kulinarisch ist das Ristorante ein Quell der Freude. Dario Botteri verwöhnt seine Kundschaft mit “Schlemmereien aus Verdis Heimat Emilia”, wie er auf seinen Quittungsvordrucken behauptet, und in der Tat wird die Küche dem Land von frischer Pasta, Parmaschinken und Parmesankäse vollauf gerecht. Mittags lockt eine preiswerte Sonderkarte. Zudem lässt sich ein schneller Imbiss auch den ganzen Tag über in der zum Haus gehörenden Schnellpizzeria “Lo Spuntino” gegenüber einnehmen. Die Standardkarte bietet neben Antipasti, Suppen und Salaten Nudel- und Fleischgerichte. Eine Besonderheit ist die Rubrik “Krustentiere” mit Gamberoni-Gerichten zwischen EUR 17,50 und 24,50. Eine reichhaltige, 29 Positionen umfassende Pizzakarte (von EUR 4,50 bis 13 für die Pizza Scampi) befriedigt jene Kundschaft, die sich nicht überraschen lassen will. Für Kinder gibt es zwei Gerichte zu EUR 6,50, Schnitzel oder Seezungenfilets mit Gemüse und Kartoffeln, und zwei Nudelgerichte, eine kleine Portion Lasagne (EUR 4,50) oder Spaghetti Bolognese (EUR 4). Die Weinkarte bietet eine ausgewogene Auswahl italienischer Weine, darunter natürlich ein Sangiovese Superiore von Ceregio aus der Emilia-Romagna (EUR 22), aber auch schöne Weine aus dem Piemont und der Toskana.

Die Kunst der Küche offenbart sich besonders gut bei den täglich wechselnden Spezialitäten. Hier findet man dann Fischgerichte, aber auch Lammhaxe (EUR 11,80) oder Kaninchenrückenfilets in Weißweinsauce (EUR 13,80). Die Rotbarben in Weißweinsauce (EUR 13,80) waren schön kross angebraten und harmonierten sehr schön mit der säuerlichen Sauce, in typisch italienischer Manier wurden die leicht angedünsteten Gemüse auf einem Extra-Teller beigegeben. Die Tomatensuppe (EUR 4) von der Standardkarte war ein herzhafter Einstieg, und die Pannacotta mit Himbeersauce (EUR 6) zum Nachtisch erinnerte an Muttis Pudding früher daheim.
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Essen-Kupferdreh, Kupferdreher Str. 179

Aus dem Archiv: Cipriani - Fellinische Lebensfreude

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Trastevere, jenseits des Tibers, heißt einer der romantischsten und ältesten Stadtteile Roms. Was für die Ewige Stadt der Tiber ist, ist für Essen bekanntlich die Ruhr. Und an deren jenseitigen Ufer liegt mit Werden ein Trastevere ganz eigener Art. Besonders die Grafenstraße versucht, ein wenig vom mittelalterlichen Charme der zivilisatorischen Wiege Essens zu bewahren, und auf dem Pflaster der schmalen Gasse versuchen das Café Werntges und das Eiscafé „La Dolce Vita“ an heißen Sommertagen mit Tischen und Stühlen fellinische Lebensfreude zu verbreiten. Mit dazu gehört auch die „Trattoria Little Italy“ von Signore Cipriani, die an der Ecke Körholzstraße in einem Neubau untergebracht ist, der mit seinen Giebeln und Fachwerkapplikationen Altstadt-Romantik im modernen Stil imitiert. Cipriani ist in der italienischen Gastronomie ein legendärer Name; ein Namensvetter des Werdener Wirtes war einst der Besitzer von „Harry’s Bar“ in Venedig und hatte den Cocktail „Bellini“, Champagner auf weißem Pfirsich, und das „Carpaccio“, rohes, dünn aufgeschnittenes Rindfleisch mit darüber gehobeltem Parmesankäse, erfunden.

Ob solch innovative Leistungen aus der Küche des Werdener Cipriani zu erwarten sind, sei einmal dahingestellt. Was angenehm auffällt, sind auf alle Fälle die dekorativ aufgemachten Nudelgerichte, die in gewisser Weise das kulinarische Pendant zu den Angeboten der Geschenke- und Küchenausstattungsläden in der näheren Umgebung sind. Die „Tagliatelle Nerone“ (EUR 9) – mit Tintenfischtinte geschwärzte Tagliatelle mit Lachs-Sahne-Sauce – sind ein optisches wie geschmackliches Gedicht. Sie stammen von der Standardkarte, die das übliche Repertoire italienischer Restaurants enthält: Pizza, Pasta, Fisch- und Fleischgerichte. Tagesgerichte werden auf einer Extra-Tafel angekündigt, die mit großer Geste zum Gast getragen wird, wenn der sie von weitem nicht lesen kann.

Und da finden sich dann Klassiker wie Antipasto misto (EUR 10,50), Kalbsleber Veneziana (EUR 13,50), Lammcarrée (EUR 14,50) oder Dorade (EUR 14,50). Bei Cipriani hat man auch große Lust, Dreier-Variationen auf den Tisch zu bringen: dreierlei Fisch als Tris de Pesce (EUR 14), Tris di Nudeln (genau so! EUR 9,50) oder Tris Dessert (EUR 7,50).

Das Nudelgericht des Tages war dann wieder eine Augenweide. Fünf üppige Tortelloni mit einer Spinat-Ricotta-Füllung (EUR 9) waren malerisch auf einem Wagenrad großen Teller angerichtet, mit Salbeiblättern farblich kontrastreich dekoriert und mit breiten Parmesan-Spänen bestreut. Schmecken taten sie auch; nicht zu mächtig, vermochten sie den Hunger in gerade richtiger Weise zu stillen.

Wer nicht die Ruhe hat, sich gemächlich bedienen zu lassen, kann es in der zum Hause gehörenden Stehpizzeria CipCip in der Wigstr. 19 auch schneller haben. Hier lassen sich die Pizzakreationen von Cipriani auch mit nach Hause nehmen. (Fon 45 13 99 97, Lieferung ab EUR 10 Bestellwert).
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Essen-Werden, Grafenstr. 36

Mittwoch, 6. August 2003

Aus dem Archiv: Amalfi - Alte Burschen Herrlichkeit

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004".
Die Pizzeria wird seit 2010 von der Familie Abdyli aus dem Kosovo betrieben.


Nur ein paar Fotos erinnern an das gleichnamige, kleine steinreiche Seeräuberstädtchen mit dem güldenen Dom an der legendären Steilküste südlich von Neapel; das Amalfi, Werdens älteste Pizzeria, ist zwar ganz illuster dem barocken Gebäude der Folkwangschule gegenüber gelegen, versteckt sich aber in einem 50er-Jahre-Wohnzweckbau und zeigt in seiner Weitläufigkeit beim mittäglichen Licht nur wenig Italo-Romantik. Die Wände zieren Wandgemälde von Alt-Werden und vermitteln fast Adenauersche Alte-Burschen-Herrlichkeit, wären dazwischen nicht die Tafeln mit den italienischen Schmankerln angebracht. Die Tagesannoncen bringen Frisches wie Fisch (z.B. Dorade EUR 16, preiswert gegenüber anderswo) oder Seltenes wie Kalbsnieren (EUR 13,50), auf die wir gleich noch zurückkommen. Abends, wenn es dunkel ist, mag es heimeliger sein. Dann strahlen die Tiffanyleuchten, und die Fotos von Promis und Tänzern verbreiten italienische Familiarität.

Zwanzig Pizze in den Varianten grande und piccola (zwischen EUR 2,85 und 8,50): hier isst der Musikstudent und nimmt vielleicht auch gern etwas mit. Uns aber stand trotz schmaler Spesen der Sinn nach Prassen und wir bestellten einen gemischten Vorspeisenteller (EUR 8,20), allerdings mit zwei Gabeln. Die Antipasti reichten auch dicke für zwei, waren vielfältig und lecker. Besonders hübsch waren dabei die Tomaten caprese mit ihren winzigen Mozzarellakügelchen, die je nach Laune des Betrachters an die etwas überdimensionierten Liebesperlen aus den Nuckelflaschen an den holländischen Raststätten oder an die pikante Fracht jener exotischen Käfer erinnerten, die ihre Exkremente aufrollen und auf dem Rücken mit sich herumschleppen – zumal, wenn sie vom dunklen Aceto balsamico benetzt waren. Allerlei gefüllte warme Gemüse schmeckten ebenfalls nach mehr.

„Wir haben täglich selbst gemachte Nudeln“, verheißt die Speisekarte viel versprechend, und so war es selbstverständlich, die empfohlenen Tortelloni mit Steinpilzen (EUR 8,95) zu probieren. Hocharomatisch, in einer mächtigen Sahnesauce, sättigten sie auf alle Sinne betörende Art, dass man nach dem Essen kaum noch hoch kam. Ähnlich befriedigend auch die Kalbsnieren: Nicht ganz so zart und deshalb etwas rustikaler als etwa in der Rüttenscheider Oase, aber wahlweise mit Nudeln oder Gemüse serviert, waren die säuerlichen Innereien an Appetitlichkeit kaum zu überbieten.

Gelungen war die Empfehlung von der immerhin zehn Positionen umfassenden Karte der offenen Weine. Der Brezza (O,2l EUR 3,60) ist ein prickelnder, fruchtiger Weißer der umbrischen Cantine Lungarotti, der seit ca. sechs Jahren die Weinfreunde im Revier begeistert.
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Zur Website klick hier
Essen-Werden, Bungertstr. 35, Fon 49 40 86
Mi, Do, So 12-23 Uhr, Fr, Sa 12-24 Uhr
Mo, Di geschlossen

Aus dem Archiv: Pinocchio - Zarte Koteletts, herbe Sauce

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Wenn man normalerweise den Namen eines Restaurants in eine Internet-Suchmaschine eingibt, wird man zu dessen Homepage geleitet. Sucht man nach der Pizzeria Pinocchio in Essen, so gelangt man auf die Homepage einer Dame, die ein ganz großer Fan dieses Ristorante ist und es deswegen empfiehlt. Man erfährt, dass die Dame nicht nur auf die amerikanische Patchworkkunst „Quilt“ steht, sondern eben auch auf die italienische Kochkunst vor den Toren der Grugahalle und ganz besonders auf den „freundlichsten Kellner Mario“.

Einen eigenen Internetauftritt hat Pinocchio nicht, und auch telefonisch ist es nur sehr schwierig zu erreichen. Weil eine überraschend große Anzahl an Gerichten auf Schiefertafeln steht, die ich bei meinem Besuch nicht abschreiben wollte, und es auch keine Speisekarte zum Mitnehmen gab, wollte ich telefonisch veranlassen, mir eine zu faxen. Doch niemand ging ans Telefon. Was, wenn ich den Gesellschaftsraum für 150 Personen für eine Festlichkeit hätte buchen wollen?

Versuchen wir es also ohne schriftliche Unterlagen. Um die Ausstattung des Pinocchio zu mögen, muss man wirklich ein großer Fan wie die oben erwähnte Patchwork-Dame sein. Der Gastraum muss wohl in den 60er Jahren entstanden sein und sieht auch heute noch so aus. Rotbraune Ziegel an den Wänden, enge Abteile für maximal vier Personen und eine seltsame Mischung von Landschaftsfotos an der Wand: das Yosemite Valley, das Monument Valley und sonstiges amerikanisch-mythischer Kitsch. Die Küche italienisch, natürlich: Pasta, Pizza und Salate, wie erwähnt viele hübsche Spezialitäten auf den Tafeln, meistens ebenfalls Pasta und Pizza. Ich stelle mir ein Menü zusammen und bin zum Teil positiv überrascht.

Besonders die Vorspeisenplatte (EUR 8,50) war superb. Da gab es Rindercarpaccio und Rucola und Parmesan, wie es sich gehört, Lachscarpaccio, Ziegenkäse, warmes Gemüse, große Oliven, Tomaten mit Basilikum und Mozzarella, und gekrönt wurde das Ganze von einem großen Stück Melone mit Schinken. Das war abwechslungsreich und schmeckte prima.

Als Hauptspeise gönnte ich mir Lammkoteletts mit Kräutern (EUR 14), den Befehl meines Chefredakteurs in den Ohren, beim Italiener nicht immer nur die Nudeln zu testen. Ich glaube, es waren fünf oder sechs Koteletts, zart und saftig gegrillt, dass man sie von den langen Knochen lutschen konnte als wären sie ein Eis am Stiel. Doch bei den Kräutern handelte es sich ausschließlich um Salbei, der der leider für meinen Geschmack zu säuerlichen Rotweinsauce zusätzlich einen bitteren Beigeschmack gab. Weniger wäre hier mehr gewesen. Dafür waren die eingelegten Knoblauchzehen, die in der Sauce schwammen, würzig pikant.

Das Semifreddo mit Nougat (EUR 4) zum Nachtisch war auf dem Teller zwar hübsch angerichtet, hatte jedoch nicht die Konsistenz einer selbstgemachten Spezialität. Den Appetit auf Süßes nach dem herben Hauptgang befriedigte es jedoch einigermaßen.

Als ich das Pinocchio verließ, hatten sich einige Gäste aus der Nachbarschaft auf den Stühlen auf dem Bürgersteig vor dem Haus niedergelassen. Ob die Internet-Dame dabei war, weiß ich nicht. Die klugen Leute aßen eine große Portion Trenette mit Pesto, die ich auch auf den Spezialitätenkarten entdeckt hatte, und tranken dazu einen hoffentlich ligurischen Weißwein. Als ich sah, mit welch sichtlichem Genuss sie die Nudeln verspeisten, kamen mir doch Zweifel, ob es richtig war, auf meinen Chefredakteur zu hören.
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Essen-Rüttenscheid, Norbertstr. 2

Dienstag, 5. August 2003

Aus dem Archiv: Café Sprenger - Kaffeehaus mit Tradition

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004"

Seit 70 Jahren am Stadtwaldplatz – das Café Sprenger ist eine Institution. Der Mantel der Geschichte weht überall. Die Speisekarte hat den Charme der 50er Jahre und verspricht optisch ein Rendezvous am Nierentisch, der elegante Vorbau der ersten Etage mit seinen Panoramafenstern erinnert an die frühen 60er, die Innenraumgestaltung mit der braunen Auslegware und den rosa Deckchen repräsentiert den goldenen Sozialdemokratismus der 70er Jahre und diverse Ausstattungsdetails den Rest des Jahrhunderts. Doch bis man die Treppe in dieses Refugium der Essener Kaffeehauskultur erreicht hat, muss man durch den Verkaufsraum der Konditorei.

Hinter dem Tresen auf der linken Seite steht alles, was das süße Herz begehrt. Teilchen und Torten, Plätzchen und Kuchen, Schwarzwälder Kirsch und Windbeutel, Zitronenrolle und Cremeschnitten, aber auch Tiramisu und Himbeer-Joghurt-Sahneteilchen mit von Schokoladenstreifen durchzogenem mürbem Boden.

Der Tresen rechts hält die Vorräte bereit für das Frühstück, das nonstop, und für den Mittagstisch, der von 11.30 bis 14 Uhr serviert wird. So kommt es, dass Langschläfer, die sich an einem Stadtwaldfrühstück (Kännchen Kaffee, Brötchen, Vollkorn-, Roggenbrötchen, Käse- und Wurstaufschnittauswahl, Butter und gekochtes Ei EUR 8,15) oder einem American (Kännchen Kaffee, 2 Spiegeleier oder Rühreier mit Speck oder Schinken und Butter EUR 6,60) und Mittagspäusler, die sich an den gutbürgerlichen Gerichten von den Tafeln gütlich tun, einträchtig beisammen sitzen. Nur Pech, wenn man kurz vor zwei kommt. Dann kann es sein, dass die deftigen Schnitzel mit Salzkartoffeln und Gemüse oder die knackigen Salate alle sind und man mit hausgemachten Frikadellen mit warmem Speckkartoffelsalat und knusprigem Bauernbrot (EUR 6) vorlieb nehmen muss. Was aber auch nicht schade ist, denn die Frikadellen sind locker und saftig, was für den perfekten Brotanteil spricht, und der Kartoffelsalat würzig-pikant.

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/torte.de/cafe_sprenger.html
Essen-Stadtwald, Frankenstr. 282
Fon 0201. 43 95 75 35
Di-Fr 9-18 Uhr, Sa, So 8-18 Uhr
Mo Ruhetag

Donnerstag, 31. Juli 2003

Aus dem Archiv: Restaurant Frintrop - Revier-Idyll und feine Küche

Das Restaurant schließt Ende Dezember 2024.
Der Text erschien erstmalig in „Essen geht aus 2003/2004“

Weit weg von den Verkehrsachsen des modernen Ruhrgebiets A40 oder A42 liegt Oberhausen-Dümpten wahrlich nicht, und dennoch glaubt man, in einer anderen Welt zu sein. Nachdem man durch einige Wohnstraßen gefahren ist, versetzt einen die Inschrift „Restaurant – Frintrop – Fremdenzimmer“ an einer Hausfassade vom Beginn des 20. Jahrhunderts in die Vergangenheit zurück. Ein Gasthaus, das als Kulisse für eine Ruhrgebiets-Fernsehserie dienen könnte, zwar immer wieder renoviert, aber typisch Revier eben. In den großen Sälen, die heute als Restaurant dienen, mag einst so mancher Stahlkocher Hochzeit oder Kommunion gefeiert haben; im alten Kneipenraum, heute als ‚Bistro’ bezeichnet, so mancher Kumpel sein Bierchen gezischt. Betritt man den Hof, will einem das Herz stehen bleiben. Auf der Wiese, auf der heute einladend Tische und Stühle unter Sonnenschirmen stehen, mag früher so manche Mutti die Wäsche getrocknet haben.

Hier kocht Hermann Frintrop schon seit Jahrzehnten, doch seine Küche hat nichts mit den Eigen- bzw. Unarten der Kumpelküche gemein. Frintrops feine Küche erwartet in dieser Umgebung eigentlich niemand, doch man bekommt sie. „Entenbrust in Himbeeressigsauce mit Schlosskartoffeln“ (EUR 21) oder „Lammrücken in Senf gebraten mit Kartoffelgratin“ (EUR 23) sind zwei von Frintrops Klassikern, die den Weg immer wieder auf die Karte finden. Dass sie nach altem Geld gut und gern um die 40 Mark kosten, mag ein schlichtes Kumpelgemüt echauffieren. Hermann Frintrop ficht das jedoch nicht an. „Nicht die gehobenen Restaurants sind teurer geworden“, weiß er, „sondern die angeblich preiswerten haben mit der Euro-Einführung überdurchschnittlich aufgeschlagen.“

In den Zeiten der Schnäppchenjagd weiß Frintrop seine Kundschaft mit einem Frühbucherrabatt zu ködern. Wer einen Werktag vor seinem Besuch das reguläre Tagesmenü zu EUR 44 bucht, spart satte EUR 11. Dann munden beispielsweise „marinierte Spargel mit Krebsschwänzen, Consommé mit gefüllten Crêpes, Lammnüsschen mit Meerrettichkruste, gefüllte Zucchini, Pestonudeln und Erdbeeren mit bayrischer Crème“ umso mehr.

Wer mittags nicht so ausgiebig tafeln möchte, kann auch auf kleinere Tagesspezialitäten wie die vegetarische „Wirsingroulade mit Nüssen in Kümmelcrème“ (EUR 9) oder „Gebratene Blutwurst mit Salat und Kartoffeldressing“ (EUR 9) zurückgreifen. Zum schönen Sommerwetter beim Testbesuch passte hingegen die „Daurade provençale“ (EUR 21). Der filetierte Fisch war herrlich kross angebraten, und dazu gab es eine der Ratatouille ähnliche Gemüsekombination. Auf südfranzösisches savoir vivre eingestellt, wollte ich mir ein Glas Rosé empfehlen lassen, bekam aber nur einen deutschen Weißherbst (EUR 5), der mir etwas zu lieblich erschien. Dabei rühmte schon der Gault Millau die hervorragend sortierte Weinkarte, und auch das Überraschungsmenü (EUR 66 p.p.), bei dem der Kunde sich einen Wein aussuchen kann, zu dem passend sieben Gänge zubereitet werden, wird immer wieder gern gewählt.

Die Empfehlung zum Dessert war ein Volltreffer. Die frischen Erdbeeren (EUR 8) kamen direkt vom Bauernhof nebenan und waren von köstlicher Süße.
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Oberhausen-Dümpten, Mühlenstr. 116, Fon 0208.870975. Mo-Sa 17-22 Uhr, So und feiertags 12-14 & 17-22 Uhr. Di Ruhetag. www.restaurant-frintrop.de

Aus dem Archiv: Schote - Eleganz und Harmonie

Der Artikel erschien erstmalig im Restaurantführer „Essen geht aus 2003/2004“.

Wenn der Name eines empfehlenswerten Restaurants In Rüttenscheid fällt, dann ist es immer wieder die „Schote“. Seit 1995 wird das Restaurant an der Emmastraße von Monika und Hans Klapdor geführt, und für den gelernten Metzger, Koch und Betriebswirt und seine Frau ist die Schote Sinnbild für Frische und Qualität, wie sie auf ihrer schönen Internetseite erklären.

Einst mögen die Räumlichkeiten des Restaurants eine der typischen Ruhrgebietseckkneipen gewesen sein, heute beeindrucken sie durch ihr farbenfrohes Design, das in gewissen Abständen immer wieder neu dekoriert wird. Der schwarze Tresen, schwarze Säulen und das dunkle Bistromobiliar heben den Kontrast zu den dominierenden Farben Blau und Grün hervor. Das modisch-mediterrane terracotta-orange, das zur Zeit allenthalben vorherrscht, suchten wir bei unserem Besuch vergebens. Eine gepflegte Stammkundschaft aus Rüttenscheid und auch von weiter weg beherrschte das Bild, häufig elegante Damen im modischen Outfit – die Rüttenscheiderin ist bekanntlich die Pariserin Essens.

Die Speisekarte gab sich so wenig mediterran wie die Ausstattung. „Zanderfilet in einer Kartoffelkruste“ (EUR 16,50), „Filetwürfel in Senf-Rübenkrautsauce mit frischem Wirsing“ (EUR 15,50), „Entenbrust auf Steinpilzsauce“ (EUR 18) – die Hauptgerichte kündeten eher von einer mitteleuropäischen Kochtradition und verbreiteten eine herbstliche Atmosphäre, obwohl es bei unserem Test-Besuch Frühsommer war. Kein Wunder, dass auf der Tageskarte Spargel angesagt war: „klare Spargelsuppe mit Flusskrebsen und Schinken“ (EUR 5,50) als Vorspeise oder „Schweinefilet mit frischem Spargel“ (EUR 19,50) als Hauptgericht.

Auch das Menü, das wir wählten, hatte Festtagsqualität und erinnerte irgendwie an Weihnachten, obwohl viele Elemente der Gänge saisonbedingt waren. Als amuse bouche gab es eine Variation von „Himmel und Erde“, die die Bestandteile Kartoffeln und Äpfel elegant miteinander kombinierte. Dem folgte als erster Gang eine Rehterrine mit marinierten Pfifferlingen, herzhaft und rustikal und dennoch in seiner feinen Säuerlichkeit angenehm appetitanregend. Der Lachs mit Spargel und Schnittlauchsauce kam eher leicht daher, obwohl es sich dabei um eine ordentliche Portion handelte. Als Höhepunkt gab es schließlich ein Lammcarrée mit Steinpilzen, bei dem sich die würzigen Aromen des Lamms mit den waldigen der Pilze perfekt ergänzten. Der Nachtisch war dann Sommer pur: Panna Cotta mit weißer Pfirsichsauce.

Auf die Getränkeempfehlungen von Monika Klapdor war Verlass. Als Aperitif hatte uns ein „Bellini“ (Champagner mit weißem Pfirsichmark EUR 7,70) prächtig auf das Menü eingestimmt. Zum Lachs war ein cremiger 2001er Chardonnay Jean Belmont von der Loire (0,2l EUR 4,90) mehr als passend, während das Lamm von einem 2000er Barco Reale di Carmignano aus der Toscana (0,2l EUR 6) perfekt begleitet wurde.
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Essen-Rüttenscheid, Emmastr. 25

Mittwoch, 23. Juli 2003

Aus dem Archiv: Bei Gino - Überraschung, Überraschung

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2003/2004"
Heute (2024) befindet sich ein Restaurant "Bei Gino" im Alten Stiftshaus.

Von außen könnte man „Bei Gino“ glatt für eine Mitnahme-Pizzeria halten. Und auch innen ist es eng, doch wenn man die die dunkle Theke inmitten des Gastraums umgangen hat, kommt man in einen hübschen, hellen Wintergarten, der sich im Sommer zu einem idyllischen Hinterhof öffnet. Eine Terrasse mit Goldfischteich und fest gemauertem Grill, der allerdings schon länger nicht in Betrieb war, wie die Kletterpflanzen zeigen, und im Hintergrund ein Holzpavillon, in dem man auch bei schlechtem Wetter sitzen kann, überraschen den Gast. Auf den Balkonen der Nachbarhäuser recken sich zahlreiche Schüssel-Antennen nicht nur nach Berlusconi-Land. Aus dem Garten links hört man den Rasenmäher rattern, rechts spielen Kinder Fußball, und wenn der Ball über dem blickdichten Gartenzaun sichtbar wird, wartet man nur darauf, dass er herüber hüpft in die Suppe oder Spaghetti.

„Bei Gino“ trifft sich der ganze Stadtteil. Die meisten Gäste werden mit Handschlag begrüßt, der Hausherr mit grauem Bärtchen schlägt dabei häufig militärisch elegant die Hacken zusammen. Die Tagesangebote, die er freundlich und mit Stolz annonciert, wenn er der Speisekarte überreicht, sind überraschend umfangreich. Da dominieren zahlreiche Fischgerichte, die ich mir kaum merken kann, doch ich nehme mir vor, nach Lektüre der Standardkarte darauf zurückzukommen.

So übergehe ich „Carpaccio Fiorentino“ (zarte Rinderfiletscheiben, mariniert mit Parmesankäse, EUR 8,70), den „Insalata della Casa“ mit Thunfisch, Krabben und Mozzarella (EUR 6,70), die zahlreichen Pizze wie etwa „Tre Funghi“ mit Austernpilzen, Steinpilzen und Pfifferlingen (EUR 9,40) und Nudelgerichte wie „Pappardelle al Gambero“ mit Hummerfleisch in Knoblauchsauce (EUR 8), „Filetti d’Agnello al pepe“ (Lammfilet mit Pfefferkörnern in Sahnesauce, EUR 16,10) oder „Coda die Ropso alla Chef“ (Seeteufel mit Krabben und Estragon in Sahnesauce, EUR 15) und bestelle mir eine Vorspeisen-Portion Spaghetti mit Babymuscheln und eine gegrillte Dorade.

Und ich werde wieder überrascht, denn das Bestellte ist erstaunlich gut und schmeckt herrlich. Die Babymuscheln schwimmen in einem kräftigen Sud, bei dem – überraschenderweise - Lauch dominiert und der auch als Sauce fungiert. Die gegrillte Dorade erinnert mich an Fischplatten, die ich allerdings nicht in Italien, sondern auf den Kanarischen Inseln zu mir genommen habe. Der komplette Fisch, an den Seiten tief eingeschnitten, mit Kräutern gewürzt und Lauch garniert, wartet auf dem einen Teller darauf, verzehrt zu werden, auf einem anderen wird ein reichhaltiges, mit Käse überbackenes Gemüse- und Kartoffelgratin serviert. Die Stimmung steigt sofort ins Elysische, als die Leckereien vor mir stehen, zumal der offene Weißwein (EUR 4) ganz hervorragend dazu passt. Auch die Panna cotta mit Schokoladensauce (EUR 4,30) schmeckt fantastisch, kommt jedoch in ungleiche Scheiben geschnitten auf einem viel zu kleinen Dessertteller optisch nicht richtig zur Geltung.

Als ich die Rechnung bekomme, werde ich noch einmal überrascht. Die kleine Portion Muschel-Spaghetti ist mit EUR 7 in etwa so teuer wie andere Vorspeisen auf der Karte auch. EUR 20 für die Dorade bezahlen zu müssen, finde ich allerdings etwas happig. Doraden gibt es in anderen italienischen Restaurants in Essen zwischen EUR 16 und 18 preiswerter, ganz zu schweigen auf den Kanarischen Inseln. Da war die Portion doppelt so groß und halb so teuer.

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Essen-Stadtwald, Frankenstr. 263

Montag, 14. Juli 2003

Aus dem Archiv: Ange d’Or Junior - Flottes Zeitgeistmuseum

Der Text erschien erstmals in "Essen geht 2003/2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Junior ist gut. Seit 1990 gibt es das Ange d’Or Junior bereits, und die Vorgeschichte des skurrilen Edelrestaurants im Ruhrtal ist schon fast eine vergessene Legende. 1965 gründete Claude Huppertz das Ange d’Or und erkochte sich mit der Zeit zwei Michelinsterne. 1990 schließlich gab er die Sterne freiwillig zurück und überließ die Küchenhoheit seinem Sohn Claude junior. Aus dem Gourmettempel wurde ein modisch flottes Szenerestaurant, das nach wie vor einer fantastischen gehobenen Küche frönte, jedoch nicht mehr auf die kaum noch kalkulierbaren Qualitätsstandards der Sternetester schielen musste. Das war für das Publikum im Ruhrgebiet schon damals einfach zu teuer.

Seit 13 Jahren gibt sich das Ange d’Or Junior nun so wie es ist. An allen Ecken und Enden atmet der Laden den postmodernen Zeitgeist der End-Achtziger Jahre, als die Frauen pinkfarbene Kostüme mit Schulterpolstern trugen, bei Ikea schwarze Billy-Regale der Renner waren und sich sogar im Ruhrgebiet eine japanische Zubereitung von rohem Fisch namens “Sushi” und “Sashimi” durchzusetzen begann. Eine güldene Engelsputte weist auf dem hauseigenen Parkplatz mondänen Limousinen den Weg. Der Kamin steht für Gemütlichkeit, der Dielenboden ist abgelatscht wie in einer Studentenkneipe, aber die Theke lebt vom Kontrast von dunkler Farbe und metallischem Chrom. An den Wänden hängt eine kleine Ausstellung von Bildern wie aus jenen Tagen.

Ganz avantgardistisch gab es im Ange d’Or Junior schon damals eine asiatisch inspirierte Cross-Over-Küche, die heute immer noch modern ist. Die Karte wechselt monatlich. Sie liest sich wie ein multikulturelles Sammelsurium und wirkt in ihrer kulturellen Sorglosigkeit von geradezu kalifornischer Lässigkeit. Da steht das rheinisch-westfälische Nationalgericht “Himmel und Erde - gebratene Entenleber auf caramelisierten Äpfeln & Kartoffelschnee” (EUR 13) neben “Saté Spießen & Frühlingsrollen auf asiatischem Gurkensalat mit spicy Saucen” (EUR 11), “Oktopus ’Mykonos style’ auf Linsensalat” (EUR 11,50) neben “6 Weinbergschnecken ’Bourgogne style’ im Häuschen serviert” (EUR 8), “Ente aus dem Wok mit asiatischem Gemüse & Kartoffelstäbchen” (EUR 19,50) neben “Original Wiener Schnitzel mit Sauce Remoulade, Walbecker Spargel & Pommes rissolées” (EUR 21).

Selbst innerhalb der Gerichte gibt es einen Clash der Esskulturen. Die ganz italienisch “Involtini” genannte kleinen Rouladen waren ganz bodenständig mit Senf, Speck und Zwiebeln gefüllt, so wie man es von zu Hause kennt, dazu gab es knackiges Sommergemüse, natürlich aus dem Wok, und Kartoffelgratin (EUR 19,50). Auf ähnliche Art wurden beim “Crazy Birma Huhn”, einem Ange-d’Or-Junior-Klassiker, asiatische und italienische Geschmackskomponenten raffiniert miteinender verbunden. Zusammen mit “Scampi und Gemüsenudeln” hätte man das köstlich pikante Curry-Hühnchen auch als “mare e monte” anbieten können.

Was wahre Begeisterung hervorrief, war der der Vorspeisenteller “Sashimi Deluxe” (EUR 17,50), der gut und gerne für zwei Personen reichte. Es gibt wohl keinen Japaner im Ruhrgebiet, bei dem man die “rohen Edelfische aus dem Atlantik” in solcher Qualität bekommt. Die dazu gereichte Meerrettich-Sauce Wasabi und besonders der Rosen-Ingwer waren von umwerfend zarter Pikanterie; und mit einem 2002er Gavi di Gavi von Gemma wurde ein Weißwein dazu empfohlen, der nicht besser hätte passen können. Überhaupt bietet die Weinkarte, passend zur Cross-Over-Ausrichtung der Küche, ein hervorragende Auswahl aus aller Herren Länder.

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Essen-Kettwig, Ruhrtalstr. 326-328

Aus dem Archiv: Oase - Melancholie auf hohem Niveau

Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2003/2004".
Das Restaurant nennt sich heute (2024) "Oase Uno".


Haben Sie vielleicht den Film “Solino” gesehen? Darin wird die fiktive Geschichte der ersten Pizzeria im Ruhrgebiet geschildert. Die gab es angeblich in Oberhausen; der Film versetzte sie nach Duisburg. Ich musste dabei sofort an die “Oase” denken, jenem Italiener in der Friederikenstraße, der seit 40 Jahren das Essener Südviertel mit seiner fantastischen Küche beglückt. In den 60er Jahren eröffnete Luigi Stefanuto eine Eisdiele, der er jedoch bald in eine Pizzeria umwandelte. Jahre lang hatte das Lokal den Charme eines Eiscafés, und noch heute erinnert der bunte Neonschriftzug über dem Eingang daran. Mittlerweile hat Fabrizio Stefanuto und seine Frau die Leitung von seinem Vater übernommen. Zwischenzeitig hatte er die “Oase Due” in Rüttenscheid aufgebaut, die jedoch längst unabhängig ist.

Ich weiß noch, wie es vor ein paar Jahren noch unmöglich war, eine Platz im Lokal zu bekommen. Wer unangemeldet kam, konnte nur mit Glück an einem Katzentisch untergebracht werden, und der Laden erinnerte an einen Stadtviertel-Treffpunkt auf höchstem kulinarischen Niveau. Allein die drei oder vier verschiedenen Sorten selbstgebackenes Brot, die sofort unaufgefordert auf dem Tisch standen, machten einem den Mund wässrig.

Lag es an dem heißen Sommertag, an unserer persönlichen Indisposition oder ganz einfach an der allgemeinen wirtschaftlichen Depression, dass beim jetzigen Besuch so eine melancholische Stimmung über dem nur an zwei Tischen besetzten Lokal lag? Am Essen jedenfalls konnte es nicht liegen.

Wie immer beim guten Italiener lohnt es sich, auf die wechselnden Tagesgerichte zu achten. Die sind in der “Oase” auf Tafeln annonciert, und so bestellten wir als Vorspeise gegrillten Montasio-Käse mit Radicchio (EUR 8,50), und als Hauptspeisen Kalbsnieren Trifolati (EUR 14) und Schweinefilet mit getrüffelter Zucchinisauce (EUR 16). Auch hätte mich das “Büffelfilet mediteranea” (EUR 19) gereizt, doch ich wollte keinen kulinarischen Crossover, sondern etwas Italienisches, und eine Dorade (EUR 18) gab es erst gestern. Auf der Standardkarte wären wir natürlich auch fündig geworden. Klassiker wie “Carpaccio” (EUR 8,70) oder “Vitello Tonnato” (EUR 8,70) als Antipasti, selbstgemachte Nudelspezialitäten (zwischen EUR 6,50 und EUR 10,50), eine bescheidene, aber prachtvolle Pizzaauswahl (zwischen EUR 4,50 und EUR 8 für eine Pizza mit Carpaccio und Trüffelöl) und einige schöne Fleisch- und Fischgerichte hätten uns sicherlich glücklich gemacht.

Anders als früher gab es nur profane Pizzabrötchen zum Entrée, doch die waren wirklich frisch und aus dunklem, herzhaftem Mehl gebacken. So einfach die folgende Vorspeise, die gut und gerne für zwei Personen reichte, war, sie schmeckte ausgezeichnet. Der gegrillte Montasio-Käse war mild und herzhaft zugleich, von halbflüssiger Konsistenz und harmonierte herrlich zu dem bitteren, gebratenen Radicchio-Salat. Die getrüffelte Zucchinisauce war ein Traum und erinnerte fast an eine pikante Art von Marzipan. Und die Kalbsnieren, in ihrer Festigkeit erstaunlich zart und angenehm säuerlich, glichen einer kultiviert-bürgerlichen Variante des rustikalen Innereien-Gerichtes. Zum Abschluss dann eine leichte, süße Creme Caramel (EUR 5) - perfekt!

Gern hätten wir Frau Stefanuto, die den Service leitet, am heutigen Abend etwas mehr Arbeit auch an anderen Tischen gegönnt. Dann hätten wir sicherlich den Abend bei einem Glas 93er Barbaresco (EUR 4,50) oder einer Flasche Pinot Grigo von Pighin (EUR 19) stimmungsvoll ausklingen lassen können. Doch wir machten uns auf den Heimweg. So brauchte der hübsche Bursche, der uns bediente, nicht länger die buntscheckigen Terrazzo-Fliesen zu zählen, die mich, je nach Ausfertigung, immer an große, mit Schinken gespickte Mortadellascheiben oder an eine aufgeschnittene Cassata mit ihren kandierten Früchtestückchen erinnern.
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Essen-Südviertel, Friederikenstr. 45-47
Fon 0201. 77 07 91
Di-So 12-14.30 & 18-23 Uhr, mo geschlossen
https://www.oase-essen.de/

Sonntag, 6. Juli 2003

Aus dem Archiv: La Barca - Chic in der Vorstadt

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004".

Dass Vorstadt-Italiener ausstattungsmäßig nicht unbedingt den Ruhrgebietskneipen-Charme der frühen 70er Jahre konservieren müssen, dafür ist “La Barca” in Holsterhausen ein ansehbares Beispiel. Allein die Terrasse, die vor zwei Jahren angebaut wurde, ist ein Musterbeispiel moderner Architektur und erinnert gleichermaßen an ein Schwimmponton und an eine Loft-Veranda. Zwischen den Häusern der Rühlestraße, allesamt graue soziale Wohnungsbauten von Ende der 50-er Jahre, bietet das dem Auge fast exotische Erholung. Innen sitzt man unter einem riesigen Kronleuchter, der allerdings nichts Barockes an sich hat, sondern ganz postmodern wirkt.

Die Speisekarte zum Mitnehmen zeigt deutlich, dass wir uns nicht in einer Schickimicki-Wohngegend befinden, sondern unter ganz normalen Menschen. So kommt denn auch so manche junge Mutti herein, die, des Kochens müde, eine Ration Pizza für die ganze Familie bestellt. 18 verschiedene Sorten gibt es, von der klassischen Pizza Margherita (EUR 4,30) über eine Pizza Vegetariana mit Spinat, Broccoli, Pilzen, Zwiebeln und Artischocken (EUR 6,90) bis hin zur Pizza Emilia-Romagna mit Tomaten, Mozzarella, Rucola, Parmaschinken und Parmesankäse (EUR 8,30). Die meisten Pizzen gibt es zum Mitnehmen auch als kleine Portion.

“Neue Pizza, neue Pasta, neue Preise!” steht groß auf der Speisekarte, und die im letzten “Essen geht aus” als zu teuer empfundenen Spaghetti Bolognese zu EUR 8,50 sind nirgends zu finden. Das preiswerteste Pastagericht “Spaghetti Aglio, Olio, Peperoncino” kostet EUR 5,90, das teuerste “Tagliatelle alla Pietro” mit Schweinfilet, Pfifferlingen und Chardonnaysauce EUR 8,90. Fleisch- und Fischgerichte wie “Saltimbocca alla romana” (EUR 13,90) oder mit Käse überbackenes “Seezungenfilet mit Spinat und Knoblauch” (EUR 13,90)runden das Angebot ab. Neben der Standardkarte gibt es noch eine monatlich wechselnde Spezialitätenkarte, die ganz besondere Schmankerln bietet. Zum Testen hielten wir uns jedoch an das Standardangebot. Nach wie vor ist die Tomatencremesuppe ein Hit (EUR 3,50); allerdings hätte man auch etwas anderes als Salz zum Würzen nehmen können. Prächtig mundeten dann die “Penne Puttanesca” (EUR 6,90). Die nach mit Tomaten, Oliven und Sardellen zubereiteten kurzen Röhrennudeln waren schön scharf - nach “Art der Huren” eben, wie der Name schon sagt.

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Essen-Holsterhausen, Rühlestr. 2,
Fon 0201. 77 74 59
Di-Sa 17-22 Uhr. So, Mo Ruhetag
https://labarca-essen.de/

Aus dem Archiv: G'nau im alten Stiftshaus - Duftende Schönheit

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004"
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Im Alten Stiftshaus befindet sich heute unter anderer Leitung  (2014) "Bei Gino".

Dass die Augen mitessen, ist eine alte Gastronomen-Weisheit. Und dass die Nase das wichtigste Geschmacksorgan ist, wissen nicht nur die Physiologen. Das "G'nau im alten Stiftshaus" bedient beide Sinnesorgane und bietet höchsten Genuss für Auge und Nase. Allein das Ambiente ist betörend. Das über tausend Jahre alte Gemäuer ist ein wunderbares Beispiel, wie mittelalterliche Architektur mit moderner Nutzung verbunden werden kann. So, wie das Haus ausgestattet ist, atmet es geradezu italienische Eleganz. Im Winter lässt Eigentümer Reiner Ziedorn häufig den mächtigen Kamin im Festsaal einheizen, im Sommer ist die geschmackvoll mit beeindruckenden Teakholz-Möbeln ausgestattete, bis zu 200 Plätze umfassende Terrasse mit ihren großen, schattenspendenden Bäumen eine ruhige Oase an der vielbefahrenen Rellinghauser Straße. Im Keller gibt es noch einen kleineren Raum in edlem Klosterdekor mit separater Bar, wo man nach einem Geschäftsessen dem umfangreichen Spirituosen- und Zigarrenangebot des Hauses ungestört zusprechen kann.

Die italienisch-mediterrane Küche bringt sämtliche Wohlgerüche des Mittelmeeres auf den Tisch. Ob Basilikum, Rosmarin oder Thymian, eine unaufdringliche und dennoch intensive Kräuterseligkeit umgibt den Gast. "Rucolasalat in Balsamicovinaigrette mit Tomaten, Oliven, Paprika und Croûtons" (EUR 7), "Carpaccio vom geräucherten Schwertfisch mariniert mit Thymianöl, dazu Raukesalat und bunte Bohnenkerne" (EUR 8,50) oder der "Toskanische Vorspeisenteller mit luftgetrocknetem Schinken, gegrilltem Sommergemüse und geräuchertem Lachs" (EUR 9) sind Vorspeisen, die auf der kleinen Standardkarte zu finden sind, "Rotbarbenfilet vom Grill mit Fenchel-Safrangemüse, Kräutersauce und buntem Reis" (EUR 17,50), "Saltimbocca vom Ochsenroastbeef mit luftgetrocknetem Schinken und Salbei gebraten, dazu Pinienkernspinat und Linguini" (EUR 18) oder "Rosa gebratene Barbarie-Entenbrust mit zweierlei gerösteten Paprika und Rosmarinkartoffeln" (EUR 18,50) die Hauptspeisen, die das schmackhafte, aber unkomplizierte Küchenkonzept eindrucksvoll illustrieren. Ein dreigängigiges Menü kostet EUR 28 pro Person.

Das kleine Abendmahl, das ich mir von der Tageskarte zusammenstellte, glich einer olfaktorischen Schulstunde. Der "provencalische Fischsuppe mit geriebenem Käse, Sauce Aioli und Croutons" (EUR 6,50) entströmten Düfte, die kaum eine Bouillabaisse in Marseille aufweist; besonders der Knoblauch der Aioli-Sauce kam mit pikantem Schmelz. Bei der "geschnetzelten Poulardenbrust mit Gnocchi, Paprika, Oliven, Tomatensauce und geriebenem Parmesan" (EUR 12,50) erfreute ebenso: Teilte man die Knödelchen mit der Gabel, kam ein wunderbar duftender Kern aus Basilikum zum Vorschein. Abgerundet und leider beendet wurde der Duftrausch durch die Aprikosensauce, mit der das "Trüffeleistörtchen mit Früchten der Saison" (EUR 5) serviert wurde. Es war, als schwebte man auf einer Wolke von Marillen-Seligkeit österreichischer Provenienz.

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Essen-Rellinghausen, Stiftsplatz 1

Sonntag, 29. Juni 2003

Aus dem Archiv: Mille Miglia - Milano oder Essen?

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004"
Das Resurant gibt es nicht mehr. Heute (2024) befindet sich hier das Ristorante Lucente.

Auch südlich des Giradetzentrums erweist sich die Rüttenscheider Straße als Gourmetmeile par excellence. “raum.eins” und “Mörchens Eis” sind Schlemmeradressen unterschiedlichster Art; das “Mille Miglia” lockt seit anderthalb Jahren zum Genuss. Früher war hier ein Wäsche-Fachgeschäft traditioneller Art zu finden, heute herrscht italienische Eleganz vor.

Im Sommer drängeln sich mittags beschlipste Rüttenscheider Geschäftsleute an zwei Biertischen auf dem Bürgersteig, um sich kurz und knapp an Kleinigkeiten wie San Daniele-Schinken mit Mozzarella (EUR 7,70), einer Pizza Parmaschinken, Rucola e Parmigiano (EUR 8) oder Gnocchi Gorgonzola (EUR 6,50) zu laben. Etwas ruhiger und vor allem eleganter ist es jedoch drinnen. Cremefarbene Wände mit übergroßen Schwarzweißfotos von der namensgebenden Italien-Rallye und dunkles, geschmackvolles Holzmobiliar versetzen den Gast nach Mailand oder sonst wohin. Auf dem mit rotem Marmor belegten Bartresen imponieren eine “Brasilia”-Kaffeemaschine und eine aus den 30-er Jahren stammende Aufschnitt-Maschine. Auf großen Tafeln werden die Tagesangebote annonciert, meistens frische Fischgerichte. Davon bestelle ich mir eine Fischsuppe (EUR 7,50) und gebratene Sardellen-Filets mit Salat (EUR 7). Auf ein Glas Wein (EUR 4-5) oder gar eine Flasche (EUR 17-40) verzichte ich auf Grund der frühen Tageszeit und nehme mit einer 0,75-l-Flasche San Pellegrino vorlieb (EUR 4). Während ich die mächtige Portion Fischsuppe auslöffele, die als Mittagsmahlzeit vollständig ausgereicht hätte und etwa der Hummersuppe in der “Kluse“ in Sachen Reichhaltigkeit in Nichts nachsteht, und mich frage, ob sie nicht ein wenig zu salzig ist, kommt noch der Teller voll mit frittierten Sardellenfilets - ausgenommen und ohne Kopf, aber mit Schwänzchen, damit man zugreifen und daran knabbern kann.

Und plötzlich wird aus dem Routine-Testbesuch in geheimer Mission ein gelungener Klatsch-und-Tratsch-Ausflug. Denn am Nebentisch haben sich zwei attraktive Rüttenscheiderinnen niedergelassen, die natürlich sofort von Patron Lorenzo Ruffelo (“Il Giradino”, “La Fontaine”) charmant beflirtet werden, während der arme Barmann nicht nur hinterm Tresen alle Arbeit machen muss. Erst als Signor Ruffelo das Haus verlassen hat, beschweren sich die beiden Damen, dass die Fischsuppe zu salzig war - natürlich beim Barmann. Das ist Wasser auf die Mühlen des Schwerstarbeiters. Am Anfang hätten sie ja noch einen guten Koch gehabt, den aber entlassen müssen, weil sein Lebenswandel den guten Ruf des Hauses geschädigt hätte, gesteht er den Damen, die aufmerksam zuhören. Jetzt seien zwei junge Burschen in der Küche zu Gange, die unkonzentriert seien und so gar nicht den Qualitätsansprüchen genügen würden, die er bei seiner Ausbildung bei großen Hotelkonzernen kennen gelernt hat. Dass Essen sei jetzt mal so und mal so. Er sei froh, dass er bald seinen eigenen Laden aufmachen könne. Wo der denn sei, wollten die interessierten Damen wissen. Nun ja, gestand der Mann, es würde kein Restaurant, sondern ein Fachhandel für Aquarienfreunde.

Dankbar für diesen unfreiwilligen Einblick hinter die Kulissen der Gastronomie denke ich, naja, da hat wohl die Fischsuppe in die Kategorie “mal so” gehört, während die Sardellen “mal so” waren.
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Essen-Rüttenscheid, Rüttenscheider Str. 212

Mittwoch, 25. Juni 2003

Aus dem Archiv: Zur Kluse - Wie bei Muttern

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004"

Ach, ist das schön hier! Nachdem sich das Auto über die Berenberger Mark immer tiefer in den märchenhaften Stadtwald geschlängelt hat, öffnet sich plötzlich der dunkle Forst zu einer liebreizenden Lichtung. Das ist der Parkplatz der "Kluse". Die Gaststätte selbst ist ein allerliebstes Hexenhäuschen neben der alten Klusenkapelle, umgeben von einem der schönsten Biergärten Essens. Märchenhaft ist auch die Geschichte der Irma, die um 1225 hier ihr Wesen trieb. Sie ließ sich zur Buße für eine Mordtat, die Graf Friedrich von der Isenberg auf dem Gewissen hatte, lebendig einmauern. Daher der Name des Ladens.

Im Sommer lässt sich hier Alt und Jung unter alten, himmelhohen Kastanienbäumen nieder; das gemütlich nach Landhausart eingerichtete Restaurant ist eher etwas für Regentage und den Winter. Rentnerpärchen, junge Familien mit Kindern, verliebte Jogger, drahtige Radfahrer und hin und wieder auch Geschäfts-Esser lassen sich deftige Wildspezialtäten und gutbürgerliche Hausmannskost schmecken. Auch für Freunde der verlängerten Mittagspause ist ein Ausflug in den Stadtwald die Anreise wert, denn den ganzen Nachmittag über werden die Schmankerln auf den Tisch gebracht. Neben einer Standardkarte mit solch Deftigkeiten wie "Berliner Kasseler mit Sauerkraut und Püree" (EUR 9,10), "hausgemachtem Sauerbraten mit Apfelrotkraut und Klößen" (EUR 11,70), Hirschgulasch "Zur Pirsch" (EUR 15,20) oder der "Broccolipfanne 'Kupferdreh'" (EUR 10), in der allerdings ganz dem vegetarischen Anspruch gemäß weder Kuh, Pferd noch Reh aufzufinden sind, gibt es eine üppige, täglich wechselnde Tageskarte.

Von der bestelle ich mir als Abwechslung zur ständigen italienischen "Fegato alla Veneziana" ganz multikulturell "Frische Kalbsleber 'Berliner Art' mit Zwiebeln, Apfelscheiben, Püree und Salatteller" (EUR 13) und bekomme einen wagenradgroßen Teller mit einem Schlag Püree, Kalbsleber, Zwiebeln, viel Sauce und einen extra Salatteller. Dass die Apfelscheiben fehlen, merke ich erst, als ich die mächtige Portion mit Appetit verschlungen habe. Herr Stoklossa, ein charmant-jovialer Irrwisch von Kellner, der gerade mit dem einen Arm die Omas am Nebentisch bedient, dem anderen zwei junge Muttis betört und mit dem dritten für einen Stammkunden Zigaretten am Automaten zieht, setzt sein breitestes Grinsen auf und meint: "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ich hätte Ihnen doch noch welche gebracht!" Ich darauf: "Ging nicht. 's war so lecker und ich hatte immer den Mund voll und mit vollem Mund spricht man doch nicht." Warum ich mir als Vorspeise noch eine "Atlantic Hummercremesuppe mit Remy Martin verfeinert und Sahnehaube" (EUR 3,90) bestellt habe, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich aus journalistischer Sorgfaltspflicht. Jedenfalls hatte ich so lange daran zu tun, das Hummerfleisch aus der bauchigen Löwenkopfterrine zu löffeln, dass ich es bedauerte, für diese Testesserei nicht nach Stunden bezahlt zu werden. (Wie ich dann versucht habe, die Aktion 36 einzuleiten - d.h. wieder in die Jeans Bundweite 36 passen zu wollen -, mir neue Laufschuhe gekauft habe, beim Jogging umgeknickt bin und vor Schmerzen ganz unmännlich geschrien habe - darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.)

Das größte Lob für die "Kluse" gab es jedoch am Tag später. Da besuchte ich mit meiner 86-jährigen Mutter das Lokal noch einmal, und die alte Dame aß den ganzen Teller mit "Weißkohlgemüse bürgerlich" (EUR 6,30) auf. "Das schmeckt hier wie zu Hause", meinte sie glücklich und zufrieden.
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Essen-Bredeney, An der Kluse 27b
Fon 0201. 44 17 17
tägl. ab 12 Uhr
https://www.zurkluse.de/

Aus dem Archiv: Il Mulino - Essen am Nachmittag

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004".
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Wer schon einmal versucht hat, nachmittags gegen vier in der Essener City etwas zu essen zu bekommen und dabei nicht in einem Kaufhausrestaurant zu landen, weiß, was Hunger heißt. Während die nördliche City zu dieser Zeit ziemlich tot ist, lohnt der Weg südwärts. Im alten Bankenviertel hinterm Grillotheater wird man auf der Suche nach offenen Restaurants fündig, und dann sogar noch in einem der architektonisch reizvollsten Gebäude der City. Einst im eleganten Stil der neuen Sachlichkeit und ruhrgebietstypisch komplett in Backsteinen erbaut, erzählt das Sparkassengebäude zwischen Hirschlandplatz und Lindenallee noch heute vom Bergbaureichtum Essens in den zwanziger Jahren. Von der Rathenaustraße, also von der Seite her, nähert man sich dem im Souterrain liegenden "Il Mulino", dessen Eingang nicht minder elegant wie der florentiner Dom mit schwarzweißen Marmorstreifen verkleidet ist. Betritt man dann das Lokal, so will man sich allerdings kneifen und fragt: "Wo bisse denn hier gelandet?!?" Denn für den großen, 120 Plätze umfassenden Gastraum hat man anscheinend mindestens zwei westfälische Wassermühlen entkernt, um mit den Fachwerkbalken ein rustikal-bäuerliches Ambiente zu zimmern.

Den leeren Magen muss diese architektonische Irritation jedoch nicht stören. Zwar kann es sein, dass die empfehlenswerte Antipasti-Theke am Nachmittag schon ziemlich abgegessen ist, aber alles, was auf der umfangreichen Karte steht, ist problemlos zu haben. Für den preiswerten Hunger lohnt eine der vielen Pizzen, wem es nach Fleisch oder Fisch gelüstet, ist ebenfalls mit den Standardangeboten bestens bedient. Im "Il Mulino" ist alles etwas preiswerter als im "L'Opera" im gleichen Gebäudekomplex um die Ecke.

Wer jedoch Lust auf Außergewöhnliches hat, sollte auf die Tafel mit den Tagesangeboten achten. Dort findet sich sich zum Beispiel so eine Spezialität wie "Bollito", Tafelspitz-ähnlich gekochtes Rindfleisch. Das wird ganz piemontesisch mit einer grünen Kräutersauce, der "bagnet verd", und Kartoffeln serviert (EUR 11) und ist so weich, dass es "ai cucchiaio", mit dem Löffel, gegessen werden kann. Nicht minder gut erweist sich auch die "Fegato Venezia" von der Standardkarte, die klassisch auf venezianische Art mit Zwiebeln zubereitete Leber (EUR 13,60).

Zum Essen am Nachmittag reichte ein Glas des offen ausgeschenkten Hausweines (EUR 3,50) aus. Wer abends ausführlich tafeln will, findet auf der umfangreichen Weinkarte selbstverständlich zahlreiche kleinere (EUR 20-40) und herausragende Tropfen (EUR 85-150).

"Essen geht aus"-Leser wird es interessieren: Als Appetithappen vor dem Essen gab es weder Butter noch Margarine, sondern eine würzige Kräuterquarkcreme. Dafür waren die trockenen Pizzabrötchen so wenig frisch wie die Kellner, die sich anscheindend am Nachmittag lieber vom harten Mittagsgeschäft ausgeruht hätten.

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Essen-Stadtmitte. Rathenaustr. 2,