Der Text erschien erstmalig in "Essen geht aus 2003/2004"
Heute (2024) befindet sich ein Restaurant "Bei Gino" im Alten Stiftshaus.
Von außen könnte man „Bei Gino“ glatt für eine Mitnahme-Pizzeria halten. Und auch innen ist es eng, doch wenn man die die dunkle Theke inmitten des Gastraums umgangen hat, kommt man in einen hübschen, hellen Wintergarten, der sich im Sommer zu einem idyllischen Hinterhof öffnet. Eine Terrasse mit Goldfischteich und fest gemauertem Grill, der allerdings schon länger nicht in Betrieb war, wie die Kletterpflanzen zeigen, und im Hintergrund ein Holzpavillon, in dem man auch bei schlechtem Wetter sitzen kann, überraschen den Gast. Auf den Balkonen der Nachbarhäuser recken sich zahlreiche Schüssel-Antennen nicht nur nach Berlusconi-Land. Aus dem Garten links hört man den Rasenmäher rattern, rechts spielen Kinder Fußball, und wenn der Ball über dem blickdichten Gartenzaun sichtbar wird, wartet man nur darauf, dass er herüber hüpft in die Suppe oder Spaghetti.
„Bei Gino“ trifft sich der ganze Stadtteil. Die meisten Gäste werden mit Handschlag begrüßt, der Hausherr mit grauem Bärtchen schlägt dabei häufig militärisch elegant die Hacken zusammen. Die Tagesangebote, die er freundlich und mit Stolz annonciert, wenn er der Speisekarte überreicht, sind überraschend umfangreich. Da dominieren zahlreiche Fischgerichte, die ich mir kaum merken kann, doch ich nehme mir vor, nach Lektüre der Standardkarte darauf zurückzukommen.
So übergehe ich „Carpaccio Fiorentino“ (zarte Rinderfiletscheiben, mariniert mit Parmesankäse, EUR 8,70), den „Insalata della Casa“ mit Thunfisch, Krabben und Mozzarella (EUR 6,70), die zahlreichen Pizze wie etwa „Tre Funghi“ mit Austernpilzen, Steinpilzen und Pfifferlingen (EUR 9,40) und Nudelgerichte wie „Pappardelle al Gambero“ mit Hummerfleisch in Knoblauchsauce (EUR 8), „Filetti d’Agnello al pepe“ (Lammfilet mit Pfefferkörnern in Sahnesauce, EUR 16,10) oder „Coda die Ropso alla Chef“ (Seeteufel mit Krabben und Estragon in Sahnesauce, EUR 15) und bestelle mir eine Vorspeisen-Portion Spaghetti mit Babymuscheln und eine gegrillte Dorade.
Und ich werde wieder überrascht, denn das Bestellte ist erstaunlich gut und schmeckt herrlich. Die Babymuscheln schwimmen in einem kräftigen Sud, bei dem – überraschenderweise - Lauch dominiert und der auch als Sauce fungiert. Die gegrillte Dorade erinnert mich an Fischplatten, die ich allerdings nicht in Italien, sondern auf den Kanarischen Inseln zu mir genommen habe. Der komplette Fisch, an den Seiten tief eingeschnitten, mit Kräutern gewürzt und Lauch garniert, wartet auf dem einen Teller darauf, verzehrt zu werden, auf einem anderen wird ein reichhaltiges, mit Käse überbackenes Gemüse- und Kartoffelgratin serviert. Die Stimmung steigt sofort ins Elysische, als die Leckereien vor mir stehen, zumal der offene Weißwein (EUR 4) ganz hervorragend dazu passt. Auch die Panna cotta mit Schokoladensauce (EUR 4,30) schmeckt fantastisch, kommt jedoch in ungleiche Scheiben geschnitten auf einem viel zu kleinen Dessertteller optisch nicht richtig zur Geltung.
Als ich die Rechnung bekomme, werde ich noch einmal überrascht. Die kleine Portion Muschel-Spaghetti ist mit EUR 7 in etwa so teuer wie andere Vorspeisen auf der Karte auch. EUR 20 für die Dorade bezahlen zu müssen, finde ich allerdings etwas happig. Doraden gibt es in anderen italienischen Restaurants in Essen zwischen EUR 16 und 18 preiswerter, ganz zu schweigen auf den Kanarischen Inseln. Da war die Portion doppelt so groß und halb so teuer.
-kopf
Essen-Stadtwald, Frankenstr. 263
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