Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2003/2004"
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Im Alten Stiftshaus befindet sich heute unter anderer Leitung (2014) "Bei Gino".
Dass die Augen mitessen, ist eine alte Gastronomen-Weisheit. Und dass die Nase das wichtigste Geschmacksorgan ist, wissen nicht nur die Physiologen. Das "G'nau im alten Stiftshaus" bedient beide Sinnesorgane und bietet höchsten Genuss für Auge und Nase. Allein das Ambiente ist betörend. Das über tausend Jahre alte Gemäuer ist ein wunderbares Beispiel, wie mittelalterliche Architektur mit moderner Nutzung verbunden werden kann. So, wie das Haus ausgestattet ist, atmet es geradezu italienische Eleganz. Im Winter lässt Eigentümer Reiner Ziedorn häufig den mächtigen Kamin im Festsaal einheizen, im Sommer ist die geschmackvoll mit beeindruckenden Teakholz-Möbeln ausgestattete, bis zu 200 Plätze umfassende Terrasse mit ihren großen, schattenspendenden Bäumen eine ruhige Oase an der vielbefahrenen Rellinghauser Straße. Im Keller gibt es noch einen kleineren Raum in edlem Klosterdekor mit separater Bar, wo man nach einem Geschäftsessen dem umfangreichen Spirituosen- und Zigarrenangebot des Hauses ungestört zusprechen kann.
Die italienisch-mediterrane Küche bringt sämtliche Wohlgerüche des Mittelmeeres auf den Tisch. Ob Basilikum, Rosmarin oder Thymian, eine unaufdringliche und dennoch intensive Kräuterseligkeit umgibt den Gast. "Rucolasalat in Balsamicovinaigrette mit Tomaten, Oliven, Paprika und Croûtons" (EUR 7), "Carpaccio vom geräucherten Schwertfisch mariniert mit Thymianöl, dazu Raukesalat und bunte Bohnenkerne" (EUR 8,50) oder der "Toskanische Vorspeisenteller mit luftgetrocknetem Schinken, gegrilltem Sommergemüse und geräuchertem Lachs" (EUR 9) sind Vorspeisen, die auf der kleinen Standardkarte zu finden sind, "Rotbarbenfilet vom Grill mit Fenchel-Safrangemüse, Kräutersauce und buntem Reis" (EUR 17,50), "Saltimbocca vom Ochsenroastbeef mit luftgetrocknetem Schinken und Salbei gebraten, dazu Pinienkernspinat und Linguini" (EUR 18) oder "Rosa gebratene Barbarie-Entenbrust mit zweierlei gerösteten Paprika und Rosmarinkartoffeln" (EUR 18,50) die Hauptspeisen, die das schmackhafte, aber unkomplizierte Küchenkonzept eindrucksvoll illustrieren. Ein dreigängigiges Menü kostet EUR 28 pro Person.
Das kleine Abendmahl, das ich mir von der Tageskarte zusammenstellte, glich einer olfaktorischen Schulstunde. Der "provencalische Fischsuppe mit geriebenem Käse, Sauce Aioli und Croutons" (EUR 6,50) entströmten Düfte, die kaum eine Bouillabaisse in Marseille aufweist; besonders der Knoblauch der Aioli-Sauce kam mit pikantem Schmelz. Bei der "geschnetzelten Poulardenbrust mit Gnocchi, Paprika, Oliven, Tomatensauce und geriebenem Parmesan" (EUR 12,50) erfreute ebenso: Teilte man die Knödelchen mit der Gabel, kam ein wunderbar duftender Kern aus Basilikum zum Vorschein. Abgerundet und leider beendet wurde der Duftrausch durch die Aprikosensauce, mit der das "Trüffeleistörtchen mit Früchten der Saison" (EUR 5) serviert wurde. Es war, als schwebte man auf einer Wolke von Marillen-Seligkeit österreichischer Provenienz.
-kopf
Essen-Rellinghausen, Stiftsplatz 1
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