Das Restaurant gibt es nicht mehr.
Das französische Wort „buvette“ bedeutet nach meinem alten Langenscheidt „Erfrischungsraum“ oder bei der Eisenbahn „Restauration dritter Klasse“. Allerdings ist das Wörterbuch ein Familienerbstück aus dem Jahr 1929. Auf Wilfried und Monika Hansels Restaurant „La Buvette“ auf dem Werdener Pastoratsberg hoch über der Ruhr treffen diese Definitionen allerdings nicht zu, es sei denn, man unterstellt den Betreibern einen Hang zum trockenen Understatement. Vielmehr handelt es sich um ein gediegenes Restaurant in einem antiken Fachwerkhaus, das mit viel Geschmack restauriert ist.
Allein die Anfahrt ist ein Weg in die verwunschene Idylle. Zwei Gasträume werden durch ein filigranes marokkanisches Haremsgitter von einander getrennt, das die Fachwerkbalkenkonstruktion verspielt reflektiert. In dem einen Raum lädt eine große runde Tafel zum Bankett, während in dem anderen sich vier oder fünf Tische um einen surrealistischen Designer-Kamin gruppieren. Bei gutem Wetter sitzt man auf der kleinen Terrasse wie im Paradies. Gourmet-Atmosphäre füllt das Haus, das Anfang der 80er Jahre sogar mit einem Michelin-Stern dekoriert war. Dass es heute den Perfektions-Fanatikern des exklusiven Gastro-Guides nicht mehr genügt, hat wohl weniger mit Wilfried Hansels Kochkunst zu tun, als mit dem reduzierten Aufwand, der hier betrieben wird. Denn anders als in dem bekannten Sterne-Tempel ein paar Kilometer weiter die Ruhr hinab ist hier keine arbeitsteilige Küchenbrigade am Werk, sondern Wilfried Hansel steht allein am Herd, nur bewacht von einem gutmütig dreinschauenden Berner Sennenhund.
Da konnte dann z.B. unser Dessert wohl kaum ein aufwendiges Patisserie-Kunstwerk sein, sondern nur ein Teller voll leckerer Himbeercrème mit Früchten. Auch Monika Hansel besorgt den Service allein und war gewiss aufmerksam, doch hätte wir uns über einen Tick Zuwendung mehr durchaus gefreut.
Die Tatsache, dass die Menüs häufig nur für zwei Personen erhältlich sind, scheint ebenfalls einer gewissen Rationalisierung geschuldet zu sein. Immerhin konnten wir beim inklusive Amuse gueulle viergängigen „La Buvette“-Menüs (EUR 56,40) zwischen einem Fleisch- und einem Fischgang wählen; das Sommer-Menü zu EUR 46,80 hätten wir telefonisch vorbestellen müssen, was sich uns aus der Internetseite nicht so erschlossen hatte. Die Plat du Jour für EUR 31, die im Internet noch verlockend erschien, wurde uns am Tisch gar nicht angeboten.
Groß war die Freude, als wir auf der Weinkarte die Cuvée Columelle (EUR 38) der Domaine Richeaume, einem von einem Deutschen in der Provence geleiteten Öko-Betrieb, fanden und für diese Cabernet-Syrah-Assemblage die eingedeckten kleinen Wein-Stamperln gegen passable Rotweingläser ausgetauscht wurden.
Das „La Buvette“-Menü war dann nicht übel. Die unprätentiöse Lachsrose mit einem etwas harten Stückchen Melone zum Amuse gueulle war raffiniert mit Traubenkernöl gewürzt und machte Appetit auf mehr. Im Laufe meiner Tester-Karriere für „Essen geht aus“ musste ich ja schon manch missratenes Carpaccio zu mir nehmen. Doch das rohe Weideochsenfilet der Vorspeise war einfach ein Genuss – das Fleisch war zart und doch kernig und wurde im Geschmack durch ein pikantes Dressing mit Pinienkernen unterstützt. Dazu gab es eine saftig gegrillte Tiefseegamba auf einem feinen Gurkenbett und eine nicht weniger saftige Wachtelkeule auf süß-scharfer Sauce - Fernost schickte einen Gruß nach Frankreich. Fisch und Fleisch der beiden Hauptgänge verband der Mantel aus luftgetrocknetem Schinken. Sowohl die Lotte-Medaillons als auch die Kalbsbrust wurden dadurch saftig gehalten. Der Fisch schwamm in einer sommerlich-süßen Tomaten-„Beurre blanc“, zu der die mit Couscous gefüllte Paprikaschote allerdings etwas improvisiert aussah – die Ratatouille war wohl alle. Das Kalb konnte sich an einer dunklen Trüffelsauce erfreuen, die trotz der beiliegenden Pfifferlinge einen recht herbstlichen Charakter hatte, aber auch im Sommer schmeckte.
Wäre uns nach dem Dessert noch ein Kaffee angeboten worden, wir hätten ihn glatt genommen. Doch dafür entschädigte uns ein netter Plausch mit Wilfried Hansel über Frankreich allgemein und die Provence im Besonderen, wobei nach unserem Lob der Lotte-Medaillons nur ein Satz des Patrons irritierte. „Ach, schmeckt das wirklich?“, fragte er, als habe er es noch nie probiert.