Samstag, 17. Juni 2023

„Essen verwöhnt 2023“: Die „Königin der Gourmetmeilen“ kommt wieder in Schwung

Update 18.6.2023: Ich hatte am Freitagabend, 16.6.,  die Gourmetmeile gegen 19 Uhr verlassen. Am Abend gab es dann in der nördlichen Essener Innenstadt schwere Auseinandersetzungen zwischen libanesischen und syrischen Clans, bei denen die Polizei eingriff. Am Samstag zeigte die Polizei verstärkte Präsenz in der nördlichen Innenstadt. Auf den Ablauf der Gourmetmeile hatte das aber keine Auswirkungen. Allerdings, so schrieb die WAZ später, "sei die Stimmung tags darauf jedoch völlig gekippt. Die einheimische Bevölkerung habe Warnmeldungen im Hörfunk über die Tumulte nach Bierwirths (Organisator der Meile) Einschätzung so aufgefasst, „dass wir Deutsche in unserem eigenen Land lieber zu Hause bleiben sollen“."

Cocktail auf der Kettwiger

Hinterm Schnitzel winken Dom und Rathaus

Auch mein zweiter Nachmittag auf der der diesjährigen Gourmetmeile „Essen verwöhnt“ war ein wunderbarer kulinarischer Kurzurlaub. Im wohltuenden Schatten der Platanen auf der Kettwiger Straße herrschte eine beschwingte wohltemperierte Atmosphäre, die man in der von Imageproblemen geplagten Essener Innenstadt gar nicht vermuten würde. An den wie luxuriöse Pop-Up-Restaurants wirkenden Ständen ergaben sich vor der illustren Kulisse des Essener Doms die hungrigen Gäste der Lust nach gutem Essen, und in dem nicht enden wollenden Strom von Flaneuren durch die breite Gasse zwischen den Ständen manifestierte sich die Multikulturalität der Ruhrgebietsmetropole, die auf der Meile selbst etwa durch den ukrainischen Solidaritätsstand des Vereins Opora zum Ausdruck kam. Besonders die muslimischen, afrikanischen und indischen Damen entzückten mit dem Stolz, mit der sie ihre elegante Garderobe durch die Einkaufsstraße zu tragen wussten. Lediglich, als ich am südlichen Ende der Gourmetmeile vor dem Lichtburg-Haus den Blick Richtung Hauptbahnhof schweifen ließ, kam ich auf den Boden der Tatsachen zurück. Selbst in über einhundert Metern Entfernung drückte sich der Schriftzug „Pommes Pervers“ über einem Imbiss-Laden ins Gesichtsfeld – welch ein Werbestratege denkt sich bloß so etwas aus? Und wie irrsinnig erscheint angesichts dieser normativen Kraft des Faktischen die Diskussion, die in letzter Zeit um den Ersatz des langjährigen Schriftzugs „Essen – die Einkaufsstadt“ auf dem Handelshof gegenüber des Hauptbahnhofs geführt worden ist?


Als wäre Tina wieder da:
Daisyana Lekatompessy heizt ein


Rino verteilt Gnocchi

Doch kommen wir zu „Essen verwöhnt“ zurück. Bei meinem ersten Besuch gleich am Eröffnungstag hatte ich ja eher den Veteranen der Meile besucht, die schon lange vor der Coronapause dabei waren: „La Grappa“, „Gummersbach“, „Acquario“, „Mumm“ und andere (klick hier). Heute wollte ich mich eher jenen Neuzugängen besonders aus Rüttenscheid widmen, die das Zeug haben, die aus den verschiedensten Gründen aus der Riege der traditionellen Essener Fine-Dining-Restaurants ausgeschiedenen Teilnehmer zu ersetzen: „Schick Essen“ und die „Alte Metzgerei“. Die Gerichte der „Alten Metzgerei“ konnte ich vor zwei Wochen bei einem Besuch in den Restaurant-Versionen testen, ich bitte, das hier nachzulesen. Beim „Schick Essen“, das erst vor Kurzem aufgemacht hat, konnte ich eine Möglichkeit nutzen, die nur Gourmetmeilen bieten. Ich konnte Gerichte eines Restaurants verkosten, das ich nicht kannte und die Appetit machten, demnächst einmal dort hinzugehen. Unter anderem kam dabei eine ganz überraschende Wettbewerbs-Gelegenheit für einen mit Nudeln gefüllten Teller.

Hier also die Ausbeute des zweiten Tages.

Gourmetmeile „Essen geht aus“
16.6.2023



Die Warenyky-Wareniki-Gnocchi-Battle
Warenyky bzw. Waryniki sind gefüllte Teigtaschen, die in Polen Pierogi heißen. Verbreitet sind sie im ganzen osteuropäischen Raum, in der Ukraine gelten sie als Nationalgericht. Kein Wunder also, dass sie am Solidaritätsstand des ukrainisch-deutschen Vereins Opora in traditioneller Form angeboten werden. In einer chiceren Variante stehen sie auch auf der Karte des „Schick Essen“ – und erinnern dabei in ihrer samtenen Crémigkeit fast an die „Gnocchi Giuliano“ von „La Grappa“.


Opora
Warenyky
Teigtaschen mit Kartoffel-Füllung in Zwiebeln-Speckzwiebeln Butter geschwenkt. 10 Euro
Die Warenyky gibt es mit Kartoffel- oder Sauerkraut-Füllung. Ich hatte die mit Kartoffeln. Ich hätte auch auf den Speck verzichten können, dann wäre das Gericht vegetarisch gewesen. Insgesamt war es eine sehr deftige Angelegenheit. Als echtes Soulfood warm, weich und etwas fettig, die Füllung etwas trocken. Gerade richtig, um den Esser mental und körperlich für die Härte des Lebens aufzurüsten.




Schick Essen
Wareniki
in Trüffelrahm mit frischen Trüffeln. 8 Euro
Auch hier gab es eine zweite Variante mit argentinischer Steakhüfte (15 Euro), auf die ich aber verzichtete. Anders als das ukrainische Nationalgereicht am Opora-Stand, waren die Wareniki hier samtweich und saftig und schwammen geradezu in der sahnigen Sauce. Sie erinnerten eher an italienische Nudelgerichte. Die Trüffel-Aromen waren in der frischen Luft auf der Kettwiger Straße ziemlich flüchtig. Das wunderbare Gericht hätte durch einen kräftigeren Umami-Geschmack noch gewonnen und forderte den Vergleich mit den „Gnocchi Giuliano“ von „La Grappa“ heraus.



La Grappa
Hausgemachte Gnocchi
gefüllt mit Steinpilzen und Mozzarella auf einem Spiegel von Trüffelcrème. 9 Euro
Ein legendärer Klassiker auf „Essen verwöhnt“. Gnocchi sind bekanntlich kleine Klöße aus Kartoffelteig und erinnerten somit an die Füllung der ukrainischen Warenyky. Die Zartheit und de sahnigen Aromen von Steinpilz und Trüffel ähnelten jedoch denen der Wareniki von „Schick Essen“, brachten die Umami-Noten jedoch ungeniert zur Geltung. Italo Soul Food mit Tendenz zum Food Porn mit Süchtigkeitsfaktor. 



Was es sonst noch gab


Schick Essen
Tonkatsu
Kalbschnitzel, Coleslaw, Pflaumen-Ingwer-Ketchup. 15 Euro
Tonkatsu gehört zur Japanischen Küche, seit sich die Japaner Ende des 19 Jahrhunderts der europäischen Küche öffneten und das Wiener Schnitzel dort ganz groß in Mode kam. Ich konnte einmal für eine Reportage dem japanisch-stämmigen Meisterkoch Daniel Takeshi aus Bochum beim Tonkatsu-Machen zugucken. Für seine Version mit Hirsch panierte er das Fleisch ganz klassisch, allerdings mit Panko, dem japanischen Paniermehl. Als Beilage gab es hauchdünn geschnittene Streifen von völlig unbehandeltem rohem Spitzkohl. Die eigentliche Kochleistung war das Zusammen-Mixen der Sauce aus unzähligen exotischen Zutaten. Beim „Schick Essen“ wurde das panierte Kalbsschnitzel mit Coleslaw serviert, dem amerikanischen Weißkohlsalat. Das ist durchaus stilecht, denn die amerikanischen Essgewohnheiten haben durch die übermäßige Präsenz des US-Militärs auf der südjapanischen Insel Okinawa die dortige Küche maßgeblich beeinflusst. Der süß-pikante Pflaumen-Ingwer-Ketchup war die passende Ergänzung. Das Schnitzel selbst nahm es lässig mit dem schönen Wiener Schnitzel auf, das ich neulich auf der Gourmetmeile „Castrop kocht über“ gegessen hatte (klick hier).



Alte Metzgerei
Thunfisch Tataki
Wakame, Wasabi-Crème, eingelegter Ingwer, Terriyaki-Sauce. 8 Euro
Beim Besuch der „Alten Metzgerei“ im ehemaligen Domizil von Nelson Müllers „Schote“ neulich gab es ein wunderbares Thunfisch Tatar, das weitgehend mit den gleichen Zutaten hergestellt war (klick hier). Jetzt hatte ich die Gelegenheit, die Variante mit großen Fischstücken zu probieren. Der Thunfisch war mit Sesam mariniere und perfekt angegrillt, die Saucen geschmacksintensiv, der Wakamesalat angenehm gesäuert, das beigelegte Brot sättigend – eine ideale Vorspeise.



Alte Metzgerei
Die „Echte“ Dönninghaus-Currywurst
Parmesan-Freis, Trüffelmayo. 8 Euro
In Bochum gehört die Currywurst von Dönninghaus samt Sauce, wie sie am Stand im Bermudadreieck ausgegeben wird, zur kulinarischen Folklore, seit Herbert Grönemeyer sie in einem Song besungen hat. Aber um sie auf der Spitzen-Gourmetmeile zu präsentieren, das fand ich schon früher beim „Me[a]ts“, dem Vorgängerstand der „Alten Metzgerei“, etwas irritierend. Dafür reicht doch der Weg in nächste Pommesbude. Doch ich vergaß, dass auch am feinsten Gourmetmeilenstand beim Essen mit den Füßen abgestimmt wird. Das war schon früher so, als beim „Schloss Hugenpoet“ ausgerechnet der Burger der Renner war und weniger die sternverdächtigen Kreationen der Schlossküche.
Doch wie dem auch sei, mit diesem Hauptgericht bekommt der Currywurstfan etwas Ordentliches auf den Teller. Eine Wurst mit Legende, eine süß-scharfe Sauce, die zum Getränke-Konsum animiert, knusprig-leckere Pommes und eine samtige Trüffelmayo.


„Essen verwöhnt“ geht noch bis So., 18.6.2023. Essen, Kettwiger Str. Tägl. ab 12 Uhr. Alle Infos und Speiskarten klick hier.

Der Genießer bedankt sich für die Einladungen.

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