Bevor im letzten Jahr über Dortmund eine wahre Gießkanne von Michelinsternen ausgegossen wurde, konnte man die Anzahl der Sternerestaurants in der sog. Metropolenregion Ruhrgebiet buchstäblich an einer Hand abzählen. Aber zwei davon befanden sich immerhin in Kettwig, und so hatte das idyllische Ruhrstädtchen lange Zeit nicht nur für die Stadt Essen, zu deren Stadtteilen Kettwig seit 1975 gehört, sondern für die gesamte Metropole Ruhr eine Art kulinarische Leuchtturmfunktion inne.
Doch die hatte in letzter Zeit ziemlich gelitten. Waren früher für den Genießer jedes Jahr mehrere Ausflüge nach Kettwig obligatorisch, so musste ich jetzt auf dem Weg zu einem Pressetermin mit den Kollegen Tom Thelen von „Essen geht aus“ und Peter Erik Hillenbach von Gastrotel in Erika Bergheims neuem Restaurant Pierburg feststellen, dass ich lange nicht mehr dagewesen war. Längst vorbei war es mit den Jahrespressekonferenzen von Berthold Bühlers Résidence (klick hier), die mit zwei Michelinsternen jahrzehnetlang eine deutschlandweite Institution war und Ende 2016 ihre Pforten schloss, oder mit den Weinmesse- (und gelegentlichen Presse-)Veranstaltungen auf dem barocken Schlosshotel Hugenpoet in den Ruhrauen, das im Lauf der Zeit sogar mit zwei Ein-Stern-Restaurants unter der Leitung von Erika Bergheim gesegnet war, von 2009 bis 2013 mit dem Nero (klick hier) und nach einem Managementwechsel im Hotel seit 2016 mit dem Laurushaus (klick hier). Ich weiß nicht, worauf ich mich damals bei den in den exklusiven Hotelräumlichkeiten stattfindenden Hausmessen des Essener Weinhandels Vino Grande mehr freute: auf die Begegnung mit den internationalen Spitzenwinzern und ihren Weinen in gediegenster Umgebung oder auf den kleinen Block mit zahlreichen Gutscheinen, die einen dazu berechtigten, an verschiedenen Stationen im Haus die schönsten Kreationen aus der Schlossküche abzugreifen (klick hier). (Am Rande sei noch erwähnt, dass auch die Musikalisch-kulinarische Meile, dank der Kulisse des idyllischen Ruhrstädtchens eine der charmantesten Gourmetmeilen im Ruhrgebiet, seit ihrer Selbstentleibung 2019 auch nicht mehr stattfand und deswegen auch keinen Besuch Kettwigs mehr erforderte – klick hier).
Doch als wir uns im Schritttempo durch die winterliche Finsternis und die aufkommenden Nebelschwaden über die schmale Schmachtenbergstraße der neuen Pierburg näherten, dämmerte es uns, jetzt wird es wieder anders. Seit jeher war der geräumige Bau an der Grenze zum benachbarten Stadtteil Schuir ein Kettwiger Traditionsgasthaus gewesen, in den letzten Jahren sogar eher eine Dorfkneipe. Doch was uns durch die neuen Fenster des frischrenovierten Hauses entgegen leuchtete, war ein mit modernem Chic eingerichtetes elegantes Restaurant, das jeder Großstadt zur Zierde gereichen würde. Mitten in der Corona-Pandemie hatten es Erika Bergheim und ihr Investor vor zwei Monaten gewagt, die neue Pierburg zu eröffnen, ergänzt durch den Namenszug der Küchenchefin, der signalisiert, ab jetzt gibt es hier so etwas wie Autorenküche.
Seit der Pandemieusbruch Anfang 2020 besonders die Gastronomie gebeutelt hatte, war das Laurushaus im Schlosshotel Hugenpoet geschlossen. Die Belegschaft des Sternerestaurants war in Kurzarbeit oder höchstens noch damit beschäftigt, die Hotelgäste im Hotelrestaurant Hugenpöttchen zu verpflegen. Als dann ein Stammgast Erika Bergheim auf die auf Wiederbelebung harrende Pierburg aufmerksam machte, entschied sie sich schnell. Endlich wieder nach ihren Vorstellungen kochen zu können, war eine Gelegenheit, die sie ergreifen musste – auch wenn ein Lokal mit immerhin 80 Sitzplätzen und einer großen Terrasse für den Sommer eine ganz schöne Herausforderung ist. Doch das Wagnis scheint gelungen zu sein. Zwar nahm man von der Idee eines Mittagstisches wieder Abstand, aber sowohl die alte Stammkundschaft aus dem Laurushaus als auch die hochkarätigen Leute aus der Nachbarschaft haben die neue Pierburg angenommen. Als „gehobene Landhausküche“ bezeichnet Erika Bergheim mit typischer Zurückhaltung ihr Angebot, ergänzt um hausgemachte Pâtisserie zum Kaffee und die Menüs der „Edition E.B.“. Dass ihr damit die Kontinuität zum Ein-Stern-Restaurant Laurushaus auch in Zukunft gelingen könnte, würde dabei niemanden überraschen. Schließlich konnte sie auch einen Teil der mitbesternten Belegschaft ins neue Domizil mitnehmen, allen voran die Souschefin und Pâtissière Sandra Wnuk und den Sommelier David Wortmann.
Aber auch, wenn die Pierburg (noch) keinen Michelinstern hat, Kettwig kann schon jetzt wieder einen Leuchtturm auf der kulinarischen Landkarte des Ruhrgebiets aufweisen. Denn in gewisser Weise beerbt Erika Bergheim ja auch die unvergessene Résidence. Als deren Patron Berthold Bühler noch Küchenchef im Essener Sheraton Hotel war, machte sie dort ihre Ausbildung.
Das Menü Edition E.B.
13.1.2022
Irgendwie war es klar, das wir für unsere Presseessen alle das aktuelle Menü der Edition E.B. wählten. Sicherlich wären Gerichte von der ‚normalen‘ Karte wie Apfel-Steckrübensuppe mit süß-sauren Steckrüben, grünem Apfel und getrockneter Pancetta, Graupenrisotto mit Wintertrüffel aus dem Perigord und Artischocken oder Kalbsrücken vom baskischen Blonde d’Aquitaine mit Morchelrahmsauce, Petersilie, geröstetem Broccoli und Brandteigkartoffeln treffende Beispiele für Erika Bergheims Küche, die das Produkt in den Mittelpunkt stellt, schmackhafte Beispiel gewesen. Doch wir wählten halt die ‚große Nummer‘, die nach ihren Worten „Quintessenz und zugleich State of the art zeitgenössischer Kochkunst“ versprach. Dabei kamen die Teller im Portionsumfang sehr sympathisch und in der Präsentation sehr unprätentiös daher, wie es ihr Stil ist. Präzise wurden die Aromen herausgearbeitet, In den Fisch- bzw-Hummergängen kamen verschiedene Varianten von Säure und Süße zum Tragen, bei der Ente der Bitternote des exotischen Chiloepfeffers. Ente und Short Rib waren ganz traditionell gebraten bzw. geschmort: auf modisches Sous-vide-Garen wurde verzichtet.
Sommelier David Wortmann präsentierte eine ausgesuchte Weinbegleitung.
Steinbutt
mit Kohlrabi, Yuzu, Mandarine und Buttermilchsud
Wein: 2019 Menetou-Salon, Isabelle et Pierre Clément, Loire
Die japanische Zitrusfrucht Yuzu sorgte für eine erfrischende Säurenot.
mit Krustentier-Ravioli, Kürbis, Lattuga und Grapefruit
Wein: 2015 Riesling Pechstein, Reichsrat von Buhl, Pfalz
Anders als beim Stenbutt sorgte hier die Grapefruit für eine betörende Bittersüße.
mit Ananas, Macadamia, Leber, Brioche und Chiloepfeffer
Wein: 2015 Sgarzon Teroldego, Foradori, Trentino
Chileopfeffer ist eine Spezialität aus Chile und sorgte für eine leicht bittere Schärfe, die im Kontrast zur warm-weichen Entenleber auf dem hefigem Brioche stand.
Short Rib
mit orientalischen gelben Erbsen, Spinat und Aubergine
Wein: 2015 Château Biac, Côtes de Bordeaux
Fleischgang als Gaumenschmeichler: Ob hier Erika Bergheims Erfahrungen, die sie bei ihren Hospitationen in amerikanischen Sternerestaurants machte, Pate stand?
Der aufrecht stehende Chip ist das indische Fladenbrot Papadam.
Karotten-Ingwer Sorbet
mit Milchreis, Ricotta, Mango und Passionsfrucht
Wein: 2019 Furmint Auslese, Weingut Heidi Schröck, Burgenland
Pierburg – Erika Bergheim. Schmachtenbergstraße 184, 45219 Essen. Tel. 02054 5907. Mi-Fr 15-23 Uhr, Sa, So 12-23 Uhr. pierburg-essen.com
Der Genießer bedankt sich bei Erika Bergheim für die Presseeinladung.
Vielen Dank auch an Michael Alisch für die Organisation.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen